Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 28. August 2005
Predigt über Markus 1, 40-45, verfasst von Johann-Stephan Lorenz
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Die Gnade unseres Herrn Jesus Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

Liebe Gemeinde,

als Predigttext sollen wir heute eine kleine Geschichte aus dem Markusevangelium bedenken. Dort lesen wir im 1. Kapitel (40-45 Die Heilung eines Aussätzigen)

40 Und es kam zu ihm ein Aussätziger, der bat ihn, kniete nieder und sprach zu ihm: „Du kannst mich rein machen, wenn du es nur willst.“ Und Jesus streckte voll Mitleid seine Hand aus, berührte den Aussätzigen und sagte: „Ich will es. Werde rein.“ Und kaum hatte er das gesagt, da verschwand sein Aussatz. Und kaum war der Kranke rein, da herrschte Jesus ihn an: “Geh jetzt, aber sage keinem etwas. Zeige dich dem Priester und bringe zum Dank für die Heilung vom Aussatz die Opfer dar, die Mose vorgeschrieben hat. Das wird den Priestern meine Vollmacht beweisen.“ Dann ging er davon und predigte von da an viel und verbreitete die Botschaft. Daraufhin konnte er sich nicht mehr in der Stadt sehen lassen, sondern musste sich draußen in der Wüste aufhalten, und die Menschen kamen von überall her zum ihm.

Ich stelle mir vor, was dieser Mann trotz des Verbotes den Menschen erzählt hat. Vielleicht war der Inhalt seiner Botschaft das, was wir als Eingangsspruch gehört haben:
„Lobe den Herren meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ (Psalm 103)

Dieser Vers aus dem 103. Psalm ist möglicherweise auch so etwas wie das Thema, der rote Faden, der die Texte miteinander verbindet, die wir heute gehört haben. Dann geht es heute um das antwortende Lob des Menschen auf die Heils- und Rettungstaten Gottes.

Ich denke, viele Menschen unter uns können ein solches Loblied anstimmen. Sie haben in ihrem Leben Erfahrungen von Bewahrung, Rettung und Heil gemacht, die sie mit Gott in Verbindung bringen. Das kann die Erfahrung einer Ehe sein, in der bis ins hohe Alter alle Schwierigkeiten gemeistert und alles Glück geteilt werden konnte. Das kann die wunderbare Erfahrung der Heilung von einer schweren Krankheit sein, mit der man nicht mehr gerechnet hat; oder wenn jemand wieder eine Arbeit bekommen hat, die ihm nicht nur ein Lebensauskommen, sondern darüber hinaus ihm auch noch Befriedigung über die geleistete Tätigkeit verschafft; das kann die Geburt von Enkelkindern sein oder das Bestehen einer Prüfung.

Wenn wir es bedenken, dann gibt es viele Situationen in unserem Leben, wo wir sagen könnten.
„Lobe den Herren meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“
Was aber ist mit den Menschen, die solche Erfahrungen nicht gemacht haben?
Oder mit denen, die eine traumatischen Lebenserfahrung machen mussten, die alle anderen Erfahrungen überschattet?

Wir hier in dieser Gemeinde wissen, worauf ich jetzt anspiele. Heute ist der 28. August, und heute vor 64 Jahren hat Stalin den Ukas unterschrieben, der für viele Millionen von Russlanddeutschen den Beginn eines unbeschreibbaren Leidensweges bedeutete. Innerhalb weniger Stunden mussten die Häuser geräumt werden, man wurde vor die Alternative gestellt, entweder Proviant für drei Tage oder die Bibel – viele wählten die Bibel; Familien wurden zerrissen, Zwangsarbeit bis zum Hungertod und eine rechtlose Stellung bis in die 80ger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein waren die Folge.

Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass es unter Ihnen in der russlanddeutschen Gemeinde verschiedene Formen gibt, aus diesem fürchterlichen Geschehen einen Sinn zu machen. Für einige von Ihnen ist die stalinistische Vertreibung wie eine Strafe Gottes für den Abfall und ein Leben ohne Gott. Das ist etwa so, wie manche alttestamentlichen Propheten das babylonische Exil des Volkes Israel verstehen. Wieder andere verstehen das Geschehen nicht als Strafe, aber als Lehre Gottes an die Menschen. Gott will uns lehren, nur ihm zu vertrauen und keinen Menschen.

Es gibt sicherlich einen Unterschied zwischen einer solchen kollektiven Katastrophe und den individuellen traumatischen Erfahrungen. Und doch frage ich mich, ob es noch andere Verstehensmöglichkeiten für solche Erlebnisse geben könnte.

Ich denke an eine andere Verstehensmöglichkeit, die ich bei dem Theologen Daniel Friedrich Schleiermacher gefunden habe. Seine persönliche traumatische Lebenserfahrung war es, dass sein kleiner Sohn, den er über alles liebte, plötzlich verstarb. Er hat die Beerdigung selber gehalten. Und in dieser Beerdigung er hat sein Schicksal, den Verlust seines Sohnes beklagt - aber dann hat er Gott an seine Verheißungen, die doch auch für ihn gelten, erinnert.

Dann bestände eine andere Möglichkeit mit traumatischen Lebenserfahrungen zu leben darin, Gott an seine Verheißungen zu erinnern, die er seinen Menschen gegeben hat und um die Erfüllung des Segens zu bitten.

Wir haben eine solche Verheißung gerade gehört, wenn wir die alttestamentliche Lesung für den heutigen Sonntag uns anschauen. Dort können wir lesen:
Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.

Auf diese Verheißung können wir Menschen Gott offenbar ansprechen und IHN in die Verantwortung nehmen: Ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe

Wenn Dietrich Bonhoeffer betet: „Gott, du erfüllst nicht alle meine Wünsche, aber alle deine Verheißungen“, dann spricht er Gott auf sein Versprechen hin an. Dann hören wir in seinem Gebet sein Vertrauen darauf, dass Gott auch tut, was er uns zusagt.

Könnte Bonhoeffers Vertrauen auch zu unserem Vertrauen werden, wenn wir traumatische Lebensereignisse verarbeiten müssen?

Freilich scheint dieses Vertrauen mit einer bestimmten Haltung verbunden, die sich im Psalm von heute andeutet, es ist der 146. Psalm:

Verlasset euch nicht auf Fürsten; sie sind Menschen, die können ja nicht helfen. Denn des Menschen Geist muss davon, und er muss wieder zu Erde werden; dann sind verloren alle seine Pläne.

Der Psalm sagt: wir Menschen setzen bei der Bewältigung unseres Lebens, bei der Erfüllung unserer Wünsche zu sehr auf die Mächtigen, die Fürsten, wie es der Psalm sagt. Siegmund Freud ersetzt das Wort Macht in seinem Briefwechsel mit Albert Einstein über die Frage „Warum Krieg?“ konsequent mit dem Wort Gewalt. Wenn wir dieser Argumentation folgen, dann versuchen wir Menschen unsere Probleme und die Durchsetzung unserer Wünsche zu oft mit Gewalt zu lösen und produzieren dabei einen Teufelskreis, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt.

Dass dies so ist, erleben wir in der Tagespolitik. Die Großen dieser Welt fragen heute genauso wenig danach, wie es den Kleinen geht, wenn sie ihre Ziele durchsetzen wollen. Irak, Afghanistan, Al-Quaida, Palästina, Ruanda, Sudan sind nur einige wenige Namen dafür, dass auch heute sich Menschen das untereinander antun, was ihre Väter und Mütter, ihre Brüdern und Schwestern hier vor 64 Jahren am eigenen Leib erfahren mussten.

Der Apostel Paulus spricht in seinem Brief an die Römer von einer menschlichen Schwäche, wenn er schreibt:
Genau aus diesem Grund dürfen wir nicht die menschliche Schwäche zum Maßstab unseres Handels machen. Denn sonst erwartet uns nur noch der Tod. Wenn ihr aber den Heiligen Geist zum Maßstab macht, und von allem, was für eure alte sterbliche Existenz wichtig war, Abschied nehmt, könnt ihr ewig leben.

Wen wir also die Gewalt zum Maßstab unseres Handelns machen, sagt der Apostel, erwartet uns nur noch der Tod.
Er rät uns: wir sollen den Heiligen Geist zum Maßstab unseres Handelns machen. Aber was heißt das?

Es scheint dabei auf die Haltung des Glaubens anzukommen. Der Heilige Geist wirkt und befördert den Glauben in uns. In der russischen Sprache und in der deutschen Sprache hat das Wort Glaube jeweils einen andern Bedeutungshintergrund. Glauben heißt im deutschen Sprachgebrauch in Anlehnung an das lateinische Credere „etwas für wahr halten“. In der russischen Sprache heißt Glaube „vera“, und das meint Vertrauen haben.

Es geht also um das Vertrauen in Gottes Verheißungen. Und darüber, wie dieses Vertrauen Menschen verändern kann, ja auch traumatisierende Erlebnisse heilen kann. Davon berichten sowohl das Evangelium, wie auch unser Predigttext von heute. Im Evangelium haben wir gelesen, dass Jesus zu dem vom Aussatz Geheilten sagt:

Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen , im Sinne unserer bisherigen Überlegungen sagt er: Steh auf, dein Vertrauen in Gottes Verheißungen hat dir geholfen. Dieses Vertrauen sehen wir auch in unserem Predigttext, den ich am Anfang gelesen habe:
„Du kannst mich rein machen, wenn du es nur willst.“ Und Jesus streckte voll Mitleid seine Hand aus, berührte den Aussätzigen und sagte: „Ich will es. Werde rein.“

Nicht die Gewalttätigen werden es also richten, sondern allein die Haltung des Vertrauens in Gottes Verheißung ist es, die unser Leben, so traumatische es auch sein mag verändern kann. Wenn wir lernen zu sprechen, wie dieser arme Aussätzige: „Du kannst mich rein machen, wenn du es nur willst“, dann so die Verheißung des Evangeliums an uns heute, dann werden wir erfahren, was vor uns schon sehr viele Menschen erfahren haben: Und Jesus streckte voll Mitleid seine Hand aus, berührte den Aussätzigen und sagte: „Ich will es. Werde rein.“

Ja das ist der Wille Gottes auch für uns, die wir es kaum glauben mögen über alles, was uns an Schrecklichem passiert ist , auch wir sollen einstimmen können in das Lob über seine Taten, welches wir am Anfang gehört haben:
„Lobe den Herren meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ (Psalm 103)

Gottes Heiliger Geist befestige diese Wort in euren Herzen, damit ihr das nicht nur gehört, sondern auch im Alltag erfahrt, auf daß euer Glaube zunehme und ihr endlich selig werdet, durch Jesum Christum unseren Herrn. Amen

Johann-Stephan Lorenz, Pastor
Roshdestwenskogo 2/1
RF-644020 Omsk
Tel 007-3812-403753/417790=
johannstephanlorenz@t-online.de

 


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