Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 28. August 2005
Predigt über Markus 1, 40-45, verfasst von Werner Klän
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A) Dieses Evangelium ist eine Geschichte von Ausgrenzung und Grenzüberschreitung, von Abstand und Nähe, von Entfernung und ihrer Verbindung. Das Beispiel der Begegnung Jesu mit dem Aussätzigen zeigt, wie Gottes machtvolles Eingreifen Krankheit heilt du so Zeichenhaft Heil schafft; es führt uns vor Augen, wie Gottes freundliche Zuwendung, tödliches Ausgeschlossensein überwindet und so Gemeinschaft wieder herstellt; es lässt erkennen, wie die Kunde von solch hilfreichem, heilsamen Handeln Gottes sein Geheimnis doch in Geltung lässt. Diese drei Gedanken wollen wir betrachten, auf uns wirken und zu Herzen gehen lassen:

  1. Gott schenkt vorweggenommenes Heil;
  2. Gott stiftet verbindliche Gemeinschaft;
  3. Gott spendet mutmachenden Trost.

B 1) Gott schenkt vorweggenommenes Heil.

Wer „ Aussatz“ hatte, war ausgesetzt; er war aufgrund seiner Krankheit ausgeschlossen aus der Gemeinschaft; nach den Bestimmungen israelitischen Rechtes galt ein solcher Mensch als unrein und von Gott gestraft. Er musste durch Kleidung und Rufen auf seine Erkrankung aufmerksam machen, damit andere auf Abstand halten konnten. Er war abgeschnitten von den gewöhnlichen Lebensvollzügen in seinem Dorf. Er war ausgegrenzt. Aussatz trug daher auch den Namen „Erstgeborener des Todes“: Mit dieser Krankheit geschlagen zu sein, hieß, so gut wie tot sein – alle Bindungen, zur Familie, zu Freunden, zu Altergenossen sind zertrennt, zerrissen. Mit so einem gibt sich niemand ab. Erschwerend kommt hinzu: Diese Krankheit gilt als Gottes Strafe, ist also Zeichen dafür, dass auch die Verbindung zu Gott zerbrochen, zerstört ist. Heilloser kann ein Leben gar nicht sein, ja es verdient den Namen „Leben“ gar nicht mehr; hilfloser und hilfsbedürftiger kann ein Mensch nicht sein. Wer so dran ist, für den ist alles aussichtslos.

Aber es bleibt die Sehnsucht, gesund zu werden, der Wunsch, wieder dazuzugehören. In unserem Kranken muss der Antrieb, geheilt zu werden übermächtig gewesen sein, dass er es wagt. Sich Jesus zu nähern; dass er sich erdreistet, IHN anzusprechen; dass er solchen Mut fasst, liegt daran, so hat Martin Luther zu Recht vermutet, der Aussätzige müsse von Jesus gehört haben, „wie er so gütig, gnädig und barmherzig sei; jedermann helfe und gebe und rate, wer nur immer zu ihm komme“; er habe „diese Güte auf sich bezogen und mit aller Zuversicht gedacht, auch mir wird er so gütig sein...“.

Der Aussätzige verletzt die Grenze, die ihm das Gesetz setzt. Und Jesus nimmt diese Grenzverletzung in Kauf, indem ER auf die Bitte des Kranken eingeht. Ein unglaublicher Regelverstoß von beiden! Der Wunsch, gesund, geheilt zu werden, und der Wunsch zu helfen, zu heilen, kommen zusammen. So begegnen sich der erbarmungswürdige Mensch und der Heiland voll Erbarmen. So treffen sie aufeinander, der hilfsbedürftige Kranke, und der hilfsbereite Gott, wie ER in Jesus Christus gegenwärtig ist.

War es schon ein ungeheueres Wagnis für den Aussätzigen, im Hilfe zu bitten, ist die Antwort Jesu noch erstaunlicher. Ist schon bewundernswert, dass es für den Todkranken keine Frage ist, ob Jesus helfen kann, so ist es um so verwunderlicher, dass und wie Jesus helfen will. ER nimmt von Herzen Anteil, es ist IHM nicht gleichgültig, es lässt IHN nicht ungerührt, wenn Menschen leiden. IHN bekümmert der Kummer seiner Menschen. IHN jammert das Elend seiner Leute. So überschreitet Jesus die Grenze der Ansteckungsgefahr; so übertritt ER bewusst und gewollt die Grenze zwischen „gesund“ und „krank“. Wie gesagt, ob und dass ER heilen kann, steht außer Frage: Wenn du willst, kannst du!

Das Wunderbare ist: Jesus will. Sein Machtwort stellt die Verbindung her und setzt die Heilung in Gang. Was undenkbar schien, was unmöglich war, wird Wirklichkeit: Genesung tritt ein, Heilung erfolgt und der genesene Mensch wird rein. Nicht nur, dass das Krankheitsbild verschwindet, jetzt ist auch die Voraussetzung gegeben, in die Gemeinschaft des Lebens und nicht zuletzt, des Gottesdienstes zurückzukehren. Indem Jesus den Aussätzigen heilt, schenkt ER ihm auch vorweggenommenes Heil: der Kranke ist angenommen aus dem Gefängnis seiner Vereinzelung herausgeholt, mit Gott und den Menschen wieder in Verbindung gebracht.

Das ist noch nicht eine „heile Welt“. Denn es bleiben auch im Evangelium, ungezählte Menschen , die nicht geheilt werden; und selbst unser Aussätziger wird trotz seiner Heilung durch Jesus eines Tages wieder sterbenskrank werden. Und doch ist an ihm, vielmehr an Jesu deutlichem: „Ich will´s tun – sei rein!“ zeichenhaft zu erkennen: Gott will eine heile Welt – wie sie sein wird, nimmt Jesus vorweg, in dem ER Kranke heil macht und so Heil schenkt.

B 2) Das geschieht so, dass Gott verbindliche Gemeinschaft stiftet.

Jesus nimmt Verbindung auf über eine Schranke hinweg, die als unübersteigbar galt. Es geht IHM nahe, wenn Menschen abgeschnitten sind von allen Verbindungen. Es lässt IHN nicht kalt, wenn Menschen vereinsamt, verlassen, verstoßen, ausgeschlossen sind vom Gelingen der Gemeinschaft. So hält ER nicht auf Abstand, wo Bitte, Gebot, Klugheit, es gebieten könnten. So schaut ER nicht weg, wo Ansteckungsgefahr, Hässlichkeit, Entstellung, Ekel es nahe legen könnten. ER meidet den Kranken nicht, ER übersieht ihn nicht, ER schiebt ihn nicht ab.

Jesus kennt nicht einmal Berührungsängste gegenüber den – damals jedenfalls – unheilbar Kranken und höchst ansteckenden Menschen. Vielmehr lässt ER sich auf die Zumutung ein, die in der Bitte des Aussätzigen liegt, und geht auf das Ansinnen des Kranken ein, die Beziehungslosigkeit seines Daseins zu beenden. Jesus kommt dem Kranken entgegen, und so fasst dieser Mut, sich Jesus zuzumuten. Jesus lässt sich das gefallen und wendet sich dem Kranken zu, kommt ihm nahe, indem ER die Hand ausstreckt, kommt ihm sogar hautnah, weil ER sich nicht einmal scheut, den von Krankheit erkennbar gezeichneten Menschen zu berühren. So schenkt ER ihm Nähe, gibt ihm Wärme, und durchbricht mit seinem Hautkontakt die Ausgrenzung, das Abgeschnittensein dieses Menschen von jeder menschlichen Beziehung. Seine Zuwendung ist spürbar – handgreiflich; seine Berührung ist freundlich – heilsam.

So stiftet Jesus verbindliche Gemeinschaft. Denn ER stellt die Verbindung dieses Menschen zu sich, zu anderen Menschen und zu Gott wieder her; Er löst ihn aus der Beschränkung und Behinderung seines kranken Daseins. Die Heilung, die Jesus ihm zuteil werden lässt, lässt den Gesundeten wieder teilnehmen am Leben der übrigen Menschen; und die Reinheit, die ER ihm zugleich schenkt, lässt ihn auch mit Gott ins Reine kommen. So entsteht neue Gemeinschaft: der Geheilte muss nicht mehr draußen bleiben, ist nicht mehr außen vor. Er wollte sich nicht damit abfinden, dass sein Leben – vielmehr sein lebendes Totsein – ist, wie es eben ist. Er wollte nicht aufgeben, auch sich selbst nicht, auch die Hoffnung nicht; dass er doch wieder dazugehören dürfe.

Und Jesus wollte ihm, diesen gezeichneten Menschen, auch nicht aufgeben; ER heilt und bezeugt so, dass ER, dass Gott auf der Seite des Lebens steht und gegen Krankheit, Behinderung, Leid, Sterben müssen und Tod, und findet sich eben gleichfalls nicht damit ab, dass sie noch in dieser Welt vorhanden sind. Die Heilungswunder Jesu sind auch Protest gegen die lebensfeindlichen Wirklichkeiten unserer Welt. Jesus setzt, indem ER auf die Kranken zugeht, sie anrührt und heilt, Zeichen dafür, dass Gott eine andere, eine neue, eine heile Welt will. Und damit eröffnet und stiftet Jesus eine neue, gelingende, verbindliche Gemeinschaft zwischen Gott und uns.

B 3) Darin liegt zugleich: ER spendet Mut machenden Trost. Auf den ersten Blick sieht das freilich ganz anders aus, wenn Jesus den Geheilten bedroht und fortschickt und ihm verbietet, von der Heilung zu erzählen. Das hört sich eher nach Ent-mutigung als nach Er-mutigung an. Doch hilft es uns zum Verstehen, wenn wir darauf achten, dass Jesus wohl heil macht und Heil bringt, aber streng dagegen ist, dass aus seinem menschenfreundlichen Erbarmen eine Sensation gemacht wird. ER will kein Wunderdoktor sein, wie ER anderswo kein Brotkönig sein will. Das mag etwas für die bunten Blätter und die Zeitung mit den großen Buchstaben sein – doch solches Aufsehen, solche Schaulust, solche Gier will Jesus gerade nicht bedienen. ER will kein Tamtam und keinen Medienzirkus; ER will auch nicht, dass der Geheilte sich an IHN wie an einen Guru hängt, also falsche Nähe und unmündig machende Abhängigkeit sucht. Darum schickt er ihn fort; darum verbietet er ihm zu reden.

Doch der Geheilte kann nicht schweigen; er muss, von innen heraus, aus Dankbarkeit davon sprechen, was ihm widerfahren ist. Er kann gar nicht einhalten, was Jesus ihm gebietet – und das hat damit zu tun, dass Jesu Wirken nicht wirklich und nicht auf Dauer geheim bleiben kann. Freilich muss es insgesamt und als ganzes betrachtet und verkündigt werden und dazu gehört auch das bittere Ende seines Weges am Kreuz; nur so wird ER recht verstanden, erkannt, geglaubt und verkündigt, nämlich als der, den sein Erbarmen, sein Mit-Leid, seine Menschenfreundlichkeit, seine Nähe zu uns, sein Heilswollen eben ans Kreuz bringt. Darum ist, was ER ist und will ER, nicht an einer einzelnen Heilung festmachen.

Und doch, unter dem Zeichen des Kreuzes betrachtet im Wissen darum und im Glauben daran, dass der, der den Aussätzigen heilt, auch und zugleich der ist, den seine Nähe zu uns ans Kreuz bringt – so gesehen, ist diese Heilung eine Geschichte voll von mutmachendem Trost. Denn sie zeigt und sagt uns, dass und wie Gott in von Herzen kommender Anteilnahme, in gewollter Beziehung, in bewusster Entschlossenheit auf unserer Seite ist.

C) Wir teilen ja die Sehnsucht jenes Aussätzigen, dass unser Leid, das Unheil in dieser Welt, aufgehoben werde, überwunden werde, ein Ende finde – erst recht, wenn das Leid so groß und unbegreiflich wird, dass kein Optimismus, keine Beschwichtigung („Alles wird gut“) mehr dagegen helfen und Hoffnungslosigkeit sich breit machen will. Da hören wir und sind angesprochen als Menschen, denen Jesus zeigt und zusagt: Ich bin auf deiner Seite; ich bin auf der Seite des Lobens; ich bin dir aufmerksam, offen, liebevoll zugewandt; ICH, dein Heiland, suche deine Nähe und lasse mich durch nichts davon abbringen, dir freundlich, hilfreich und heilsam nahe zu sein. So sind wir mitten drin in dieser Geschichte aus ferner Zeit und fremden Ort. Und Jesus ist bei uns in unserer Zeit und an unserem Ort, auch in unserem Leid – und spricht sein befreiendes Wort: „ICH will es: sei rein!“

So sei es, AMEN.

Prof. Dr. Werner Klän
Altkönigstr. 150
61440 Oberursel
werner.klaen@gmx.de

 


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