Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 28. August 2005
Predigt über Markus 1, 40-45, verfasst von Richard Engelhardt
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" Einmal kam ein Aussätziger zu Jesus, kniete vor ihm nieder und bat ihn um Hilfe.
„Wenn du willst“, sagte er, „kannst du mich gesund machen.“ Jesus hatte Mitleid mit ihm, streckte die Hand aus und berührte ihn. „Ich will“, sagte er, „sei gesund!“
Im selben Augenblick war der Mann von seinem Aussatz geheilt.
Jesus schickte ihn weg und befahl ihm streng:
„Sag keinem ein Wort davon, sondern geh zum Priester und laß dich von ihm untersuchen. Dann bring das Opfer für deine Heilung, wie Mose es vorgeschrieben hat, damit jeder sehen kann, daß du gesund bist.“
Aber der Mann fing trotz des Verbotes an, überall von seiner Heilung zu erzählen. Bald konnte Jesus keine Ortschaft mehr unerkannt betreten. Daher blieb er draußen in einsamen Gegenden; die Leute aber kamen von überall her zu ihm."
(Übersetzung: Die gute Nachricht)

Liebe Gemeinde!

„Tue Gutes und rede davon“. So hält es die Werbebranche, so halten es die Parteien im Wahlkampf, so muß es zum Beispiel auch die Diakonie halten. Und wer es nicht so hält, ist bald vergessen. Wer mitreden will, wer eine Ware verkaufen möchte oder Spenden braucht, muß sich ins rechte Licht rücken, verkünden, daß er der Beste ist oder zumindest große Taten zu vollbringen vermag.

Wir erleben es gerade im Wahlkampf, wie die Parteien und ihre Kandidaten sich und ihre Ideen anpreisen. Stellen wir uns gar nicht erst vor, wie es wäre, wenn unter all denen, die sich um ein politisches Mandat bewerben, jemand meinte, er hätte die eine zündende Idee, wie die Probleme unseres Landes zu lösen wären, der sozusagen behaupten würde, ein Wunder vollbringen zu können. Was würde er für eine Werbung machen, um seinem Ruhm im Lande zu verkünden. Unsere Vorfahren vor mehr als zwei Generationen haben das erlebt. Viele im Lande sind damals der Werbung, Propaganda, wie man sagte, erlegen und waren so beeindruckt, daß sie tatsächlich das Heil erwarteten, den Führer weitgehend mit Inbrunst verehrten und sich ihm auslieferten.

Seitdem es Werbung gibt, ist diese Geschichte aus dem Markus-Evangelium völlig unzeitgemäß, denn Jesus will ja gerade nicht der „Jesus Christ Superstar“ sein, zu dem ihn manche gerne machen möchten. Streng verbietet er dem Mann, der gerade die entscheidende Wende in seinem Leben erfahren hat, seinen Namen bekannt zu machen, für ihn mit der wunderbaren Heilung zu werben. Natürlich hält sich der überglückliche Mann nicht an dieses Verbot. Er preist nicht nur seinen Gott, wie es von ihm erwartet wird, er nennt auch den Namen dessen, der ihm geholfen hat: Jesus. „Bald konnte Jesus keine Ortschaft mehr unerkannt betreten.“ Da haben die Menschen ihn also, den „Superstar“. Jesus will diese Popularität nicht. Er weicht in die „einsamen Gegenden“ aus. Trotzdem kommen die Menschen in großer Zahl zu ihm. Und sie „brachten zu ihm alle Kranken und Besessenen“. „Und er half vielen Kranken und trieb viele Böse Geister aus.“ Die Menschen sehen hier endlich den großen Helden, von dem ja schon vor langer Zeit die Propheten geschrieben haben, dass mit ihm die messianische Zeit, die Zeit des Heils anbrechen würde.

Jesus hat diese Situation in seiner Vorbereitungszeit, jenen Wochen in der Wüste, als teuflische Versuchung vor sich gesehen: Wer Steine zu Brot machen kann und damit den Hunger besiegt, wer Krankheit und Tod beseitigen kann und damit die Urängste der Menschen überwindet, der hat Macht, der hat Ruhm verdient, der kann allerdings auch die Menschen manipulieren. Nur, die Macht wäre nicht mehr die Macht Gottes.Sie wäre an einen Menschen gebunden, an seine Person, seine Ideen, vielleicht seine Parteigänger. Und was wäre damit gewonnen? Es würde andere Nöte geben. Die Menschen würden weiter in ihren Zwängen, Gesetzen, Ordnungen leben. Unmündig und gottfern. Jesus wehrt die Versuchungen ab. Gott, den er seinen Vater nennen kann, hat ihm einen anderen Auftrag gegeben: Gottes Liebe soll und will er verkünden.

Aber dieser Jesus, Gottes Sohn, heilt doch Kranke, sogar von Totenauferweckung, Brotvermehrung und anderen wundersamen Ereignissen wird berichtet. Sehen wir uns die Geschichte, die Markus berichtet, noch einmal von vorne an:

Da ist ein Mann, befallen von einer entsetzlichen und ansteckenden Krankheit. Es gibt für diese Krankheit, den Aussatz, keine Heilung und die Umgebung kennt nur einen Schutz vor Ansteckung: Der Kranke muß aus der Gemeinschaft radikal ausgeschlossen werden. Diese Entfernung aus der Familie und dem Freundeskreis fällt niemandem leicht. Man trauert um den, der nun vor dem Dorf oder der Stadt bleiben muß, der keinen Kontakt mehr haben darf zu seiner Frau, seinen Kindern oder Eltern. Man trauert um ihn wie um einen Toten. Und so ein lebendig zum Toten erklärter Mann wirft sich vor Jesus nieder und bittet um Hilfe. „Wenn du willst“, sagt er, „kannst du mich gesund machen.“ Hier ist nicht der Arzt angesprochen, bei dem es darum geht, ob er heilen kann. Hier wirft sich einer nieder vor dem Herrn, dessen Wille entscheidet. Dieser Mann sieht in Jesus den, durch dessen Willen er erlöst und von der tödlichen Krankheit befreit werden kann. Das Wunder geschieht diesem Mann. Jesus hat Mitleid mit dem, der sich ihm so völlig ausliefert und alle noch mögliche Hoffnung auf ihn setzt. Er durchbricht die gesetzte Ausgrenzung, streckt nicht nur die Hand aus, sondern berührt den Unberührbaren. Der Aussätzige erfährt wieder, was ihm nach Recht und Gesetz für immer verwehrt sein sollte, die liebevolle Berührung durch einen anderen. Wie der Herrscher sein „Ich will“ gegen andere Menschen, Freunde und Feinde durchsetzt, wird das „Ich will“ Jesu zum Machtwort gegen Krankheit, Ausgrenzung und Tod.

Aber während der Herrscher seinen Willen kraft eigener Machtvollkommenheit durchzusetzen vermag, kennt Jesus die Kraft seines Willens als vom Vater verliehhen. Später, als der Auftrag seines Vaters über Wort und Tat hinausgeht und ihn zum Leiden und Sterben führt, kann er in Gethsemane beten: „Abba, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“

Und Gott „will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“. (1. Tim. 2, 4) Ob der Aussätzige, der gesund wurde – oder rein, wie es in der wörtlichen Übersetzung heißen müßte – ob der Mann diese Wahrheit erkannt hat, wissen wir nicht. Er hat ein Wunder an sich erlebt und es überglücklich seiner Umgebung auf seine Weise mitgeteilt. Vermutlich bleibt hier für ihn verborgen, was ihm in Wahrheit geschehen ist, so wie es auch für Jesu Jünger noch verborgen bleibt. Jesus steht am Anfang seines Weges und seine Jünger können noch nicht erkennen, wohin dieser Weg führt. Erst nachdem sie den Tod und die Auferstehung Jesu erfahren haben, erfassen sie, was sie da erlebt haben auf dem Weg mit Jesus, den sie nun den Christus nennen können: Jesus hat diesen Mann nicht geheilt, um seine politische oder soziale kompetenz zur Schau zu stellen. Diese Heilung zeigt das Mitleiden Gottes mit dem Menschen, der gefangen ist in Unmenschlichkeit und damit in Gottesferne. Das ist die Wahrheit, daß Gott dem leidenden Menschen, auch dem, der an sich selbst leidet, nahe ist. „Er streckte die Hand aus und berührte ihn.“

Der Mann, von dem unsere Geschichte erzählt, wird aus seinen Zwängen und Verstrickungen, aus seiner Krankheit und Hoffnungslosigkeit frei, indem er sich dem Willen Gottes ausliefert. Was hier dem einzelnem Menschen geschieht, können nach der Erlösungstat Jesu alle Menschen efahren: Daß nämlich Gott sich zuwendet. Jesus Christus steht dafür, daß Gott nicht mehr der ferne Gott ist, der zornig oder resignierend die Menschen in ihren Zwängen, Gebrechen und Einsamkeiten läßt, sondern daß er nahe ist, zugewandt, liebevoll. „Gott will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“

Diese Wahrheit ist, daß wir seit Jesus Christus in der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes leben dürfen. Wir werden weiter Leiden und Krankheit, gewiss auch Einsamkeit erleben müssen und endlich unser Leben hier auf der Erde mit dem Tod beenden. Aber das muß uns nicht mehr als Gottverlassenheit oder als Sinnlosigkeit oder als Strafe für ein verfehltes Leben gelten. Da, wo wir es wagen zu bitten: „Wenn Du willst, kannst du mich heilen, „steht Gottes Antwort: „Ich will, sei heil“ – dieses Wort für ein getrostes Leben und für ein getrostes Sterben.

Amen.

Richard Engelhardt 37083 Göttingen
Pastor i.R. Lotzestraße 53
Tel.: 0551-3706970
Fax: 0551-3706962


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