Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 17. Juli 2005
Predigt über Jesaja 2,1-5, verfasst von Hellmut Mönnich
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

haben Sie das auch schon in der Schule gelernt? Es war - glaube ich - in Klasse 9. Gedichte sollten besprochen werden. Unsere Deutschlehrerin las uns das Gedicht „Mondnacht“ von Eichendorf vor, langsam und – so kam es mir vor – als ob sie ein Musikstück vortrüge:

Es war, als hätt’ der Himmel
die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer
von ihm nun träumen müsst’.

Während wir zuhörten und mich die Stimmung des Gedichtes einfing, hörte ich hinter mir Master - so hieß mein Klassenkamerad mit Spitznamen - vor sich hin murmeln: „Was ist das für’n Quatsch! ‚Geküsst’. Wie kann der Himmel küssen? Die Erde küssen?“ Und als dann von vorn die Zeile

Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus, ...

zu hören war, hörte ich hinter mir leise: „Ich wusste gar nicht, dass meine Seele Flügel hat.“

Charly war besser als wir alle in Mathematik, auch in Physik. Aber jetzt in Deutsch fiel es ihm schwer, sich auf die Sprache des Gedichtes einzulassen. Ich weiß nicht, warum er sich so sträubte.

Jedenfalls haben wir damals gelernt, wie viel sich mit Sprache ausdrücken lässt, ja, dass sich mit Sprache - u.a. mit bildhafter Sprache - einfach mehr über uns Menschen und unsere Welt sagen und verstehen lässt als mit noch so genauen Daten nachprüfbarer Experimente. Ich habe auch nicht vergessen, dass uns die Lehrerin beim Besprechen dieses Gedichtes die Augen dafür geöffnet hat, dass nicht nur in poetischer Sprache sondern sogar in unserer Alltagssprache manches in Bildern ausgedrückt wird, und wir doch unmittelbar verstehen, was gemeint ist. „Es regnet Bindfäden.“ Wer wollte hinlaufen, um Bindfäden aufzusammeln? „Heinrich der Löwe.“ „Albrecht der Bär.“ Wer versteht nicht, was gemeint ist? Nicht zuletzt in der Bibel – sagte uns unsere Deutschlehrerin schließlich– wird immer wieder in Bildern gesprochen. Sie hat das nicht ausgeführt. Ich habe das nicht vergessen. Diese Deutschstunde in meiner Schulzeit stand mir mit einmal vor Augen, als ich den für den Gottesdienst heute vorgeschlagenen Predigttext durchlas.

Im hebräischen Urtext ist der vorgeschlagenen Predigtabschnitt nämlich poetisch formuliert, er ist eine prophetische Vision aus dem Jesaja-Buch. Ich will die vorgelesene Vision erst einmal mit eigenen Worten zusammenfassen damit leichter verständlich wird, was in der hebräischen Bibel poetisch ausgedrückt ist:

Es kommt der Tag
an dem der Berg mit dem Thron Gottes überragende Bedeutung hat!

 Dann wird alle Welt dorthin ziehen und sagen:
„Lasst uns zum Gottesberg, zu Gott pilgern,
damit er uns seine Weise zu leben lehre
und wir dementsprechend leben.“

Und dann wird Gott als Schiedsrichter Recht sprechen zwischen den Völkern.
Und dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden
und ihre Spieße zu Winzermessern.

Ein Späterer hat für die Leser seiner Zeit am Ende der Vision hinzugefügt:
„Lasst (auch) uns leben im Licht Gottes!“ -

Vielleicht haben Sie eben bei der Stelle mit den Schwertern und Pflugscharen und den Spießen und Winzermessern wie ich gedacht: Das kenne ich! und sich vielleicht auch an die unblutige Revolution 1989 erinnert, die zur Wiedervereinigung führte. Und mancher weiß auch, dass die Plaketten und Aufnäher mit dem Schwerter-Pflugscharen-Bild in der DDR verboten worden waren – und ahnt, wie dieses Wort aus einer alttestamentlichen Prophetenvision über die Jahrtausende bis in unsere Gegenwart spricht und gewirkt hat! Ich bin heute noch voller Bewunderung für die mutig und friedlich demonstrierenden Menschen damals in der DDR. Aber darum soll es jetzt nicht gehen. Vielmehr wollen wir uns mit der Prophetenvision selbst befassen um zu verstehen, was sie sagt und was sie uns heute sagen kann.

Bevor wir genauer hinsehen, muss uns allerdings deutlich sein, dass die Vision eine Voraussetzung hat, die wir zwar nicht hier, die wir aber in den Psalmen lesen und die zum Verstehen grundlegend ist: Mit der Voraussetzung meine ich das Bekenntnis zu Gott als dem Herrn unserer Welt!

Sicher halten wir heute ebenso wie die Leser damals vieles für wichtig – letzten Endes aber ist das alles zweitrangig gegenüber Gott als dem Entscheidenden. Davon bin ich überzeugt. In den Psalmen wird das beispielsweise so ausgedrückt: „Jahwe ist König“. Gott ist hier gemeint, der unverwechselbare Gott des Gottesvolkes und eben auch unser Gott, den Jesus Vater nannte. Durch die Zeiten ist die Bedeutung Gottes immer wieder bestritten worden: Fühlten sich damals die Menschen selbst in Israel nicht immer wieder von anderen Mächten und Göttern angezogen? Waren die Götter der benachbarten siegreichen Großreiche nicht die mächtigen und entscheidenden Götter? Und heute: Wie wichtig ist Gott uns, Gott, von dem unsere Bibel im Alten und Neuen Testament spricht? Martin Luther schrieb einmal (im Großen Katechismus): Woran du nun, sage ich, dein Herz hängst und (worauf du dich) verlässest, das ist eigentlich dein Gott. Welche „Götter“ haben wir heute?

Unausgesprochen weißder Prophet unserer Vision, was die Psalmen aussprechen: Angesicht anderer Mächte und „Götter“ geht es entscheidend um Gott, um Israels Gott, der auch Jesu und unser Gott ist.

Gleich zu Beginn der Vision wird vom Tempelberg in Jerusalem gesprochen. Der Prophet verstand und wusste den Gottesberg , den Zion, ebenso wie beispielsweise die Psalmen als den Ort, an dem Gott zu finden ist, an dem er gegenwärtig ist, sozusagen „wohnt“. Wir Christen glauben das anders, wir glauben, dass Gottes Gegenwart nicht an diesen Ort gebunden ist - und seit zweitausend Jahren schon glauben wir das mit den Juden zusammen. Gott, der Unsichtbare, ist da, wo wir uns ihm zuwenden, wenn wir uns ihm öffnen – an jedem Ort der Welt und in jeder Station unseres Lebens.

Die Aussage in der Vision, dass der Gottesberg Zion alle Berge überragen wird, muss man nicht als kaum vorstellbares Wunder verstehen – gemeint ist die erwartete und dann unübersehbare Herrschaft Gottes in der Welt. Vielleicht hat sich der Prophet beim Ausformulieren gescheut, von der Größe Gottes wie von einem Menschen zu sprechen, als er die erwartete und geschaute Bedeutung ausdrücken wollte. Mir fällt ein: wir nennen den gar nicht großwüchsigen König Friedrich II. Friedrich den Großen und drücken damit seine Bedeutung bildhaft aus. Kurz: der Prophet sieht den Tag kommen, an dem Gott und seine Bedeutung unübersehbar ist!

Der Prophet sieht Gott aber nun nicht wie bewegungslos sondern sieht ihn handeln, sieht, dass Gott richten wird. Vielleicht müsste treffender betont werden: Dass Gott dannrichten wird.

Im Psalm 96,10 ist zu lesen: „Er - nämlich Gott - richtet die Völker gerecht“ und wenige Verse weiter: „Er richtet den Erdkreis gerecht und die Völker nach seiner Treue“. Wir Christen verstehen das so, dass Gott bei seinem Richten das Gesicht Christi haben wird. Richtig verstehen wir das Richten Gottes erst, wenn wir die ungezählten furchtbar erlebten Richtsprüche von der Verurteilung Jesu zum Kreuzestod, den Feuertod-Urteilen der Kirche in den Hexenprozessen bis hin zu den Urteilen in der Hitler- und in der Stalinzeit und schlimmen Urteilen seitdem dagegenhalten. Gott wird anders richten! Und wenn es in unserer Vision weiter heißt:

Und er wird Recht sprechen zwischen den Völkern
und Schiedsrichter sein zwischen den Nationen

dann muss uns bewusst sein, dass wir beim Wort „richten“ vielleicht gar zu schnell ans Strafrecht denken. Schon die Bibel weiß, dass die Aufgabe des Richters nicht in erster Linie Schuld festzustellen und zu verurteilen ist, sondern viel wichtiger verworrene Rechtslage zu klären und Frieden für alle Beteiligten zu ermöglichen. In dieser Weise wird Gott richten, und eben deshalb wird sich alle Welt an Gott wenden. Um den weltweiten und den alles unfassenden Frieden geht es hier! Das schaut und erkennt der Prophet und schreibt es auf und sagt es.

Und dann sieht der Visionsprophet noch mehr und schreibt es auf:

Da werden die Völker zu ihm ziehen und sagen:
„Lasst uns zum ... Haus Gottes pilgern,
damit er uns seine Weise zu leben lehre
und wir dementsprechend leben.“

Alle Welt wird sich dann für ihren Lebensalltag an Gott orientieren, in seinem Wort und nicht anderswo den Maßstab und die Richtung finden, um im von Gott gewollten, alles umfassenden Frieden zusammenzuleben. Und wenn die Völker, wenn alle Menschen derart orientiert leben und das heißt auch handeln, - dann können sogar Waffen zu Arbeitsgeräten umgearbeitet werden, Schwerter zu Pflugscharen, Spieße zu Winzermessern oder Sicheln, wie die Lutherbibel übersetzt .-

Vielleicht hat sich eben mancher zurückgelehnt und gedacht: Das ist ja ein unglaubliches Visionsbild! Krieg; Rüstung; Militär – das alles wird es einmal nicht mehr geben? Hatten nicht manche nach dem Ende des furchtbare zweiten Weltkrieges gemeint, dies sei der letzte Krieg gewesen? Hat sich seitdem nicht gezeigt, dass solche Vorstellungen unrealistisch sind, dass alles schöne Reden vom Frieden eher in die Abteilung „Sonntagsreden“ gehört? Angesichts des erschreckend Bösen, zu dem Menschen im eben vergangenen Jahrhundert fähig waren, Bösem, das in seiner Furchtbarkeit und zugleich Banalität nicht zu verstehen geschweige denn angemessen zu beschreiben ist? Angesichts des Bösen, zu dem Menschen schon vor Jahrtausenden und ebenso noch heute in der Lage sind, eine friedliche Welt zu erhoffen: ist das nicht kindliche Träumerei?

Ja! werden viele mehr oder weniger laut sagen oder denken und überzeugt sein, dass Frieden zu erwarten, also zu erwarten, dass Menschen friedlich sein werden, unrealistisch ist.

Mit unserem Visionstext will ich widersprechen. Denn ich bin überzeugt und glaube: das ist keine kindliche, unrealistische Träumerei. Ich glaube vielmehr, dass nur im Vertrauen auf Gott sich das Hoffnungsbild der Vision ernst nehmen lässt und dass nur im Vertrauen auf Gott gehört und ins Handeln umgesetzt werden kann, was als Aufforderung an den Visionswortlaut angefügt wurde: Lasst uns leben in Gottes Licht!
Was ist damit gemeint?

Gemeint ist zunächst das an Gott orientierte alltäglich zu meisternde Leben. Genauer aber geht es um ein alltäglich um Frieden bemühtes Leben. D.h., der Nachtrag lasst uns leben in Gottes Licht – oder leichter verständlich ausgedrückt: „Lasst uns aktiv friedlich leben und zwar so, wie Gott es will“ - lässt uns Leser der Vision nicht in die Zukunft und auch nicht in eine Traumwelt fliehen. Wir werden vielmehr ins Heute geholt, in die Realität des Alttags. Heute und hier, unter den Umständen, in denen wir leben, gilt es, sich um den von Gott gewollten, alles umfassenden Frieden zu mühen.

Versucht man, diese Aufgabe ins Konkrete hinein zu buchstabieren, wird es schwierig. Um die uns zugemutete Aufgabe beispielhaft zu bedenken: zum Leben nach Gottes Willen gehört etwa soziale Gerechtigkeit. Gegenspieler ist der menschliche Hang zum Egoismus wie es simpel das Sprichwort „Selbst essen macht fett“ sagt oder „Mir sitzt das Hemd näher als der Rock“.

Denke ich, der ich Christ bin, hinreichend und dem Willen Gottes entsprechend an die Menschen um mich herum? Das ist die Frage. Jeder mag für sich antworten und die Frage mit einer konkreten Situation in Beziehung bringen. Z.B. mit Arbeitslosigkeit, mit zunehmender Armut in Deutschland, Problemen der Altersversorgung. Es geht um Parteinahme für die Schwachen und Verletzlichen – die Aufgabe hat unendlich viele Gesichter! Und zwar nicht nur in meiner Nähe, nicht nur in Deutschland sondern unendlich viel schlimmer in vielen Regionen der Welt. Wer wüsste das nicht?

Und wer wüsste nicht, dass entsprechendes Handeln schwer sind? Die Sachverhalte sind kompliziert, die Zwänge subtil, die Ohnmachtserfahrungen riesengroß formulierte ein Predigtlehrer.Und wie steht es mit den Fragen und entsprechendem Handeln in unserem Staat, in der Politik? Wie steht es mit der Politik gegenüber der sog. Dritten Welt? Wie ist es bestellt mit Parteinehmen für elend lebende Völker, die von Seiten der Industrienationen, z.B. Deutschland, auf kooperative Solidarität und Humanität, auf Hilfe zum Leben angewiesen sind?

In der Tat: Handeln nach Gottes Willen ist oft überaus kompliziert - aber wegzusehen, sich zu dispensieren widerspricht der Aufforderung unseres Gottes. Erinnern wir uns: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“?

Vielleicht ist schon längst jemandem hier eingefallen, dass auch Jesus Frieden nicht nur gelebt, sondern in den Seligpreisungen formuliert hat: Selig die Frieden machen? Das ist keine fromm klingende Feststellung sondern das ist eine Aufforderung.

Ein Ausleger unserer Vision schrieb: Man kann den Vokabeln Recht, Friede usw. mit Freuden zustimmen und dabei den gegenwärtigen Wandel im Licht verweigern. Die christliche Hoffnung führt sich selber ad absurdum, wenn sie ihre Zukunftsprojektionen als hehres Ziel auf den Lippen führt, zugleich aber auf dem Weg dorthin Intoleranz, Unfriede, Gewalttat und Aggressivität das Feld behalten.

Dass Friede so hoch geschätzt wird, wurzelt in unserer Sehnsucht, die hinauskommen möchte über den Zustand, in dem der Mensch dem Menschen ein Wolf ist. Und deshalb meint Friede im Sinn des biblischen, hebräischen Wortes Schalom etwas Allumfassendes, den Zustand des Zusammenlebens, in welchem es allen im tiefsten Sinn des Wortes wohl geht. Dafür zu leben sind wir gefordert von Gott! Lasst uns leben im Licht Gottes!

Lasst uns zu leben versuchen, wie Gott es will! Im Alltag, im alltäglichen Leben, dem Frieden eine Spur bahnend.

 Amen

Hellmut Mönnich
hi.moennich@freenet.de


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