Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 10. Juli 2005
Predigt über Johannes 6, 30-35, verfasst von Wilhelm v. der Recke
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

der Schwiegersohn ist vielleicht Muslim, der Arbeitskollege ist in der DDR aufgewachsen und überzeugter Atheist, die beste Freundin macht mit Hingabe buddhistische Meditationsübungen. So ähnlich erleben es viele von uns. Andere Glaubenstraditionen kennen wir nicht nur vom Hörensagen, wir begegnen ihnen täglich. Das Zeitalter der Globalisierung spart die Religionen nicht aus.

Wie gehen wir damit um? - Wahrscheinlich ist es den meisten ziemlich egal. Soll doch jeder nach seiner Fasson selig werden. Manche aber beunruhigt die Frage: Welche Religion hat nun recht? Oder zumindest: Welche kommt der Wahrheit am nächsten? Darauf gibt es eine Antwort, die aus der fernöstlichen Tradition kommt und geradezu bestechend ist:

Die Wahrheit wird mit einem riesigen Elephanten verglichen. Die Gläubigen aus verschiedenen Religionen sind wie blinde Bettler, die sich an die Wahrheit herantasten. Der eine greift nach den gewaltigen Beinen und denkt dabei an Säulen. Ein anderer berührt den massigen Bauch, der dritte kriegt die Quaste des Schwanzes zu fassen, der nächste den Rüssel und ein weiterer die großen Ohrlappen. Jeder macht sich darauf seinen eigenen Reim. Er meint, er wisse nun, wie ein Elephant aussehe, er kenne die Wahrheit. - Aber das stimmt nicht. Er kriegt ja nur einen Teil des Ganzen zu fassen, nur einen Ausschnitt der Wahrheit.

Wie gesagt, der Vergleich ist bestechend, er ist verführerisch. Denn in der Tat, so könnte es sein. Es wäre schön und versöhnlich, wenn es so wäre. Wenn sich also alle Religionen gegenseitig ergänzten und nur gemeinsam der Wahrheit nahe kämen. So müsste es ein, - aber wer sagt, dass es auch so ist? Wer sagt, dass dieses Bild mehr ist als ein einleuchtender Vergleich, als ein Wunschdenken?

Genau besehen ist diese Erklärung ziemlich anmaßend: Alle Religionen sind wie blinde Bettler. Nur ich – der weise Erzähler - habe den Überblick, die tiefere Einsicht. Wer diesen Vergleich anstellt, tut selbst, was er anderen vorwirft: Er meint schlauer zu sein als die anderen. Er behauptet, die Wahrheit gepachtet zu haben.

Viele Religionen erheben den Anspruch darauf, die Wahrheit zu besitzen. Wer hat recht, wer kommt ihr wenigstens am nächsten? - Schon die Zuhörer Jesu waren von dieser Frage beunruhigt: Woran erkennen wir, dass das stimmt, was Du sagst?

Hören Sie einen Ausschnitt aus einem Gespräch, das im Johannes-Evangelium im 6. Kapitel festgehalten ist (Textlesung).

Die Fragen dieser Menschen sind nur allzu verständlich. Es reicht ihnen nicht, wenn Jesus von sich sagt: Ich bin das Brot des Lebens. Das kann jeder behaupten. Darum stellen sie die Frage: Womit untermauerst Du diesen Anspruch? Was tust Du für Zeichen, an denen wir ablesen können, dass das auch stimmt?

Doch was Jesus von sich behauptet, ist nicht aus der Luft gegriffen: Am Tage vorher hat er auf wunderbare Weise fünftausend Menschen satt gemacht. Fünf Brote und zwei Fische haben für alle gereicht. Warum sind die Zuhörer nicht zufrieden mit diesem Zeichen? Ist es ihre materielle Einstellung? Brot vom Himmel wie das Manna, das hätten sie schon gerne, Lebensbrot, das nie ausgeht. Aber dafür ihr Leben ändern? Wir wollen erst einmal abwarten, sagen sie. Wir wollen uns das genauer ansehen. Wir wollen uns erst einmal ein Bild machen. – Nein so geht das nicht, sagt Jesus. Ihr müsst euch schon bewegen. Ihr müsst aus der Deckung heraus kommen. Ihr müsst es riskieren.

Oder wollen die Zuhörer ein bisschen mehr Sicherheit haben? Ist Jesus wirklich der Messias, fragen sie vielleicht? Wie viele andere haben das schon von sich behauptet und ihren Anspruch mit großen Worten und wunderbaren Taten unterstrichen. Am Ende waren es nur falsche Propheten. - Es ist schließlich keine Kleinigkeit, den alten, vertrauten und bewährten Glauben aufzugeben und sich einem neuen zu verschreiben. Das wäre eine gewagte, eine folgenschwere Entscheidung.

Es ist nur zu verständlich, dass die Menschen zögern. Was t u s t Du, fragen sie, was kriegen wir dafür? – Nicht was ich tue zählt, sondern was ich b i n , antwortet Jesus. Ich bin in Person das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. – Es gibt keine Garantie im Voraus. Im sicheren Abstand kriegt man nicht wirklich Einblick. Man muss sich schon darauf einlassen und es ernsthaft ausprobieren.

Liebe Gemeinde, genauer als hier im Johannes-Evangelium kann man die schwierige Situation von suchenden Menschen nicht beschreiben. Im Grunde ist es immer so gewesen, auch wenn es nicht immer so offensichtlich ist und so bedrängend empfunden wird. In der Regel übernehmen wir ja mehr oder weniger blind den Glauben von anderen. Wir glauben, weil die Tradition es uns so vorgibt. Wir glauben, was uns Vater und Mutter weitergegeben und vorgelebt haben. Wir glauben, was alle anderen Menschen in unserer Umgebung auch für richtig halten.

Aber was machen wir, wenn das nicht mehr so eindeutig ist? Wenn es so etwas wie einen religiösen Markt gibt mit einem reichhaltigen Auswahl? Was machen wir, wenn wir nicht einfach mitlaufen, sondern uns ein eigenen Bild machen wollen? Mehr noch – wenn wir einen Halt suchen, der wirklich hält; einen Glauben, der uns im Leben und Sterben trägt? Dann müssen wir selbst die Entscheidung wagen. – Doch keiner muss sich darum auf gut Glück entscheiden. Es gibt Zeichen, wie es im Johannes-Evangelium heißt. Es gibt Anhaltspunkte, Hinweise, Hilfen:

Jede der großen Menschheitsreligionen, die auf Jahrtausende zurückblicken und zu der sich Millionen Menschen bekennen, verfügt über mehr Erfahrungen und ist besser begründet als irgendeine modische Splittergruppe oder als die Privatreligion, die sich mancher zusammenbraut. Die Hochreligionen haben sich bewährt, sie sind erprobt. Aber das ist nur ein Gesichtspunkt; damit allein wären wir wieder bei dem Vergleich mit dem Elephanten.

Eine ganz wesentliche Hilfe für die Orientierung ist das Vorbild anderer Menschen, die in überzeugender Weise ihren Glauben leben. Was für eine Kraft und Klarheit kann von ihnen ausgehen. Bei manchen beeindruckt die unbekümmerte Lebensfreude. Sie wissen, woran sie sind. Bei anderen ist es der Ernst, mit dem sie um den Glauben ringen. Sie wissen, das ist es; auch wenn viele Fragen offen sind, sie bleiben am Ball. Und sie lassen sich das etwas kosten. Bei nicht wenigen Christen in der DDR war das so, in manchen Ländern der Dritten Welt ist das noch heute der Fall.

Es kann auch die Gemeinschaft von Christen sein, die einladend ist. Sie stehen füreinander ein. Sie wissen, zusammen ist es leichter. Seht, wie sie einander lieb haben, haben die Heiden von den alten Christen gesagt. Aber nicht nur das, diese fühlten sich - und sie tun es noch heute - verantwortlich für alle, die Hilfe brauchen. Die Diakonie oder Brot-für-die-Welt fragen nicht nach dem Glauben des Empfängers. Darin unterscheidet sich das Christentum von manchen anderen Religionen. Das spricht für uns.

Aber natürlich gibt es auch negative Zeichen, z.B. Fanatiker, – Menschen, die die Wahrheit gepachtet haben und sie anderen aufdrängen wollen; Menschen, die sich gegen die ‚böse Welt’ abschotten; die ihren von Gott gegebenen Verstand in Glaubensdingen abschalten. Sie können nur abschrecken.

Das sind Hinweise und Zeichen, aber es sind keine Beweise. Manchmal sind es unklare Hinweise, weil auch gläubige Christen keine Engel sind, - ganz abgesehen von all den Christen, die eher Mitläufer sind und wenig Mut zum Glauben machen. - An solchen und anderen Zeichen orientieren wir uns, um uns eine Meinung zu bilden. Aber sie ersetzen nicht den eigenen Glauben. Den entscheidenden Schritt muß jeder für sich selbst tun: sich auf Jesus einlassen, ihm Glauben schenken und seinen Spuren folgen. Das ist nicht unbedingt mit einer plötzlichen Erleuchtung verbunden. Das ist vielmehr der Anfang eines lebenslangen, manchmal steinigen Weges, auf dem wir immer neue Erfahrungen machen und tiefer und tiefer in den Glauben eindringen.

So mühsam das gelegentlich ist, keiner steht damit allein. Es gibt ja viele andere auf dem selben Weg, manchmal mehr als wir meinen. Die brauchen wir, so wie sie uns brauchen. Denn keiner kann für sich allein Christ sein. Miteinander teilen wir das Brot des Lebens. Dazu gehört auch das Abendmahl. Da geschieht es auf besonders greifbare Weise. Zunächst aber geht es um das tägliche Brot – für den Leib und für die Seele.

Ich bin das Brot des Lebens, sagt Jesus. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Der hat genug Wegzehrung. Der weiß, mir wird nichts mangeln. Auch in Trockenzeiten finde ich zur grünen Aue und zum frischen Wasser. Auch in den dunklen Tälern des Lebens muß ich kein Unglück fürchten. Denn Du bist bei mir. Ich weiß, zu wem ich gehöre; ich weiß, wohin die Reise geht.

Und was ist mit dem Elephanten und der Frage, wer nun Recht hat? Das muß uns nicht allzu sehr beunruhigen. Wir sind keine Richter. Wer das Brot des Lebens gefunden hat, beansprucht nicht, der Weise zu sein, der den richtigen Überblick hat.

Er hat nicht den Überblick, sondern – was viel besser ist – den Einblick. Er sieht die Dinge nicht mehr von außen, sondern von innen. Er weiß, woran er ist. Er sucht nicht mehr Zeichen und Wegweiser, er hat den Glauben gefunden. Er macht jetzt seine eigenen Erfahrungen. Von diesen Erfahrungen wird er gerne berichten, - aber nicht als einer, der den Stein der Weisen gefunden hat, sondern als einer, der das Brot des Lebens schmeckt und davon satt wird.

Wilhelm v. der Recke, Cuxhaven
Pastor im Lektorendienst
e Mail: Wilhelm.v.der.Recke@t-online.de

 


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