Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 29. Mai 2005
Predigt über Johannes 5, 39-47, verfasst von Detlef Reichert
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,
vorher erzählt Johannes die Heilung am Teich Bethesda, und es war ein Mensch, der lag schon 38 Jahre krank, und Jesus spricht zu ihm, steh auf, nimm dein Bett und geh, und der Mensch wird gesund, nimmt sein Bett und geht, und dann geht’s los mit dem Streit mit den Etablierten um den Sabbath, das Feiertagsgebot und sein Verständnis, seine Umsetzung, -
Nach diesen Diskussionen dann redet Jesu von sich selbst, von sich, - von seinem Vater und sich – und im Anschluss geht es im Evangelium wieder weiter mit der Speisung der Fünftausend. Wieder -in unserem Verständnis- ein Wunder wie die Heilung, wo das, was geschieht, gegen das alles steht, was wir wissen,
- „und können´s nicht erklären,....“.
Dazwischen also das Reden Jesu von sich selbst, auch in den Versen 39 - 47 des 5. Kapitels.
Allerdings genau genommen: Das Reden über sich, zu denen, die da sind, die hören, und –sonst hätte Bibel keinen Sinn- auch zu uns, wenn wir das Lesen und hören.
Warum dazwischen? – Vielleicht wird’s deutlicher: nachher.

Was bekommen die da, - was wir - , zu hören? (Johannesevangelium 5, 39 – 47)

39 Ihr sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das
ewige Leben darin,
und (doch) ist sie es, (die Schrift,) die von mir zeugt ( und redet),
40 aber doch wollt ihr nicht zu mir kommen, dass ihr das Leben hättet.

41 Ich nehme nicht Ehre von Menschen,
42 ich kenne euch, dass ihr nicht Gottes Liebe in euch habt.
43 Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich
nicht an,
wenn ein anderer in seinem eigenen Namen wird kommen, den wer-
det ihr annehmen.
44Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt,
aber nicht die Ehre sucht, die vom alleinigen Gott kommt?

45 Ihr müsst nicht meinen, dass ich euch vor dem Vater verklagen werde,
(nicht ich),
einer ist es, der euch verklagen wird, es ist Mose, auf den ihr hofft.
46 Wenn ihr Mose glauben würdet, so würdet ihr auch mir glauben,
denn er hat von mir geschrieben.
47 Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt,
wie werdet, wie könnt ihr dann meinen Worten glauben?

Eins ist schnell klar, das Streitgespräch, das nach der Heilung am Teich Bethesda aufbricht, geht weiter, - weiter aber nicht mit den Etablierten, es geht weiter mit uns.
Warum?
Haben wir - Heilung am Teich von Bethesda - nicht verstanden, was wir gehört haben?
Oder werden wir nicht verstehen - Speisung der Fünftausend -, was wir hören werden und so und so oft schon gehört haben und ( - wie wir sagen - ) „kennen“?

Eines vorweg. Es gehört als Hörhilfe - und nicht nur, weil dass zurzeit nötig und korrekt ist, sondern weil es grundsätzlich zur Deutlichkeit dieser Verse gehört - es gehört als Hörhilfe dazu: Das sind keine Verse die einladen zu einer grundsätzlichen Diskussion über das Verhältnis vom Christen und Juden. Auch nicht in den westfälischen Gemeinden, die in der Vorbereitung der Kirchenordnungsänderung zum Verhältnis von Juden und Christen darüber zurzeit intensiv und nötig im Vorfeld auf die kommende Landessynode diskutieren. Mit Walter Mostert gesagt, in einer schon älteren aber gediegenen Meditation über diese Verse, „zu einem ideologischen Antijudaismus gibt das Evangelium keinen Grund“, denn die Juden hier bei (und für Johannes) stehen für die Welt, sie repräsentieren die Welt. Sie stehen dort, wo ich, wo jeder Mensch immer dem gegenüber steht, der von Gott her über Gott zu mir redet, zu den Menschen. Es sind nicht die anderen, über die etwas gesagt wird..., sondern ich selbst bin es, dem gesagt wird „Du“. Du hast nicht Gottes Liebe in dir, - du suchst das ewige Leben und kommst dennoch nicht zu mir, - du nimmst mich nicht an, - dich werde ich nicht verklagen vor Gott, keine Sorge, - dich wird dein eigener Grund verklagen, an den du dich hängst, - er, an den du dich hängst bei deiner Suche nach Leben, bei deiner Angst zu verlieren. Längst schon könntest du es haben, - bei mir - Leben, ewig.
Und dieses „Du“ unterstreicht gleichzeitig: Hier geht es nicht um Prinzipien, Begriffe, Einstellungen oder Überzeugungen, die unvereinbar gegeneinander stehen. Es geht nicht um Wahrheit auf der einen Seite und Lüge auf der anderen, sondern, - fast bis auf die Spitze getrieben - , es geht um Personen: Die Wahrheit und das Leben in Person und in Person die Lügner und die Selbstverhärteten. Und auch dies noch nicht einmal im entlastenden Plural, -nicht viele-, sondern im Singular, -einer. Immer nur ich selbst.
In alter dogmatischer Formulierung gesagt stehen die beiden Personen einander gegenüber: Der eine Gott und ich Sünder. Das klingt weder verlockend noch modern, aber ein Grund drüber zu schweigen, ist das nicht.

Wenn Jesus einsetzt mit dem Stichwort der Schriftforschung -ihr sucht bei Mose- als Lebensbegründung und Absicherung, dann haben wir haben dafür heute ein weit größeres, differenzierteres und mindestens ebenso bindendes Arsenal aufgebaut. Alles das, was wir als Wissenschaft in der Neuzeit verstehen und hervorragend handhaben. Da ist ein riesiger Apparat der Lebenssuche, geordnet und ausgefeilt nach politischen, soziologischen, naturwissenschaftlichen, technischen, ökonomischen bis hin zu kirchlichen Theorien und Ideologien. Eine Lebenssuche und Lebensvergewisserung in jener Mischung, die uns im täglichen Leben hilft, die manches undurchschaubar werden lässt und die zugleich dabei im Kern immer dazu dienen soll, der Angst im Leben um das Leben zu begegnen. Etwas mehr, etwas besser, etwas länger – für mich.
Ein wenig bin ich versucht, die Worte bei Johannes `ihr sucht ewiges Leben – und das an falscher Stelle´ leicht so zu verändern: `Ihr sucht ewig nach Leben - und das an falscher Stelle´. Die treibende Angst dahinter, - die um das eigene Leben, dessen Grenze mich lockt, aber viel mehr noch ängstigt -, sie ist dabei unverändert die gleiche.
Und wir treiben diesen wissenschaftlichen, unendlich größeren Apparat nach Lebenssuche voran, soweit, Leben selbst zu schaffen.
Ab und zu - ganz selten- halten wir ein.
Die öffentliche Diskussion bei uns liegt jetzt knapp drei Jahre zurück, um die Frage, wie weit wissenschaftliche Genforschung gehen kann. Und vor allem, wie sie gehen kann und durchgeführt werden. Die Frage, ob Forschung mit embryonalen Stammzellen erlaubt und ethisch vertretbar sein kann, - ob ich also Leben dazu benutzen kann und dabei abtöten, um Leben zu erforschen. Die Entscheidung im Bundestag damals war knapp aber deutlich. Stammzellenforschung ja, aber mit adulten Zellen, mit solchen, die aus dem Rückenmark entnommen sind und schon, so spezialisiert, dass sie nicht mehr Leben als Ganzes aus sich entwickeln können. Aber keine Forschung mit embryonalen Stammzellen, denen, die volle Entfaltung zum Leben noch in sich tragen. Grenzen, Leben zu schützen konkret, aber auch im Bewusstsein grundsätzlich. Dort kein Töten, wo Leben gerade begonnen hat, wie auch da nicht, wo es da ist, voll und ganz.
Wie schnell ist in der vergangenen Woche nach der Veröffentlichung der Südkoreanischen Stammzellenforscher und ihrer Ergebnisse mit embryonalen, also lebenden, Stammzellen Zellen die Argumentation wieder laut vorgetragen worden: Findet die Forschung nicht bei uns statt, dann woanders, - dann verliert unser Land den Anschluss an die internationale Spitzenforschung, - dann gehen die Forscher von hier woanders hin, - dann wird die Mehrwertabschöpfung, die Vermarktung, woanders als bei uns geschehen, - verdient wird dann nicht bei uns.
Wie ist das mit Ehre, mit Ansehen, mit Geld und Nutzung und Ausnutzung? Und schnell –so zumindest klingt es – wird dann noch beigegeben das Nachargument: Mit diesen Forschungsergebnissen ist zu heilen, was sonst nicht zu heilen ist, bisher nicht. Eine richtige Fragestellung, aber eine die die Frage davor überspringt: Wofür geben wir Forschungsgelder aus und mit welcher Begründung: Um schnell mit an der Spitze zu sein? Oder um auf vertretbaren Forschungswegen, das heißt hier, mit adulten Stammzellen und nicht mit embryonalen, auch zum Ziel zu kommen, zu Hilfe und Heilung, wo Hilfe und Heilung jetzt noch nicht möglich ist?

Plötzlich ist die scheinbar so abständige Formulierung von der Ehre im Predigttext gar nicht mehr so abständig. Dort wo solche Ehre mit zum Lebensgrund wird, den ich selbst herstelle, wo sie zur Begründung wird, um in Leben einzugreifen, da wird Leben, wird der andere Mensch und werden auch andere Dinge zum Mittel der eigenen Selbststilisierung umgewertet, und sie werden im Letzten mit der Vernichtung bedroht.
Von der Suche nach Ehre bestimmtes Leben vernichtet durch den Verbrauch der Güter Leben, - tut dies um der eigenen Sicherung willen.
Wenn es um Ehre geht, dann um die, die von Gott herkommt, - in der nicht ich mich vor anderen erweise, die sie mir dann zuteilen, - sondern Ehre, die Gott gibt, von sich aus und umsonst, - die ich schon habe, weil ich lebe. Sie zu sehen, das ist eine ganz knappe Kurzformel für Glauben.

Die Diagnose Jesu am Anfang der Verse – ich kenne euch, dass ihr nicht Gottes Liebe in euch habt – ist nicht das Ende. Sie ist nicht der Abbruch dieses „Streitgesprächs“. Im Gegenteil, Jesus redet ja weiter, lässt nicht los, versucht deutlich zu machen, - nicht dass ich falsch bin, sondern wo mein Fehler liegt. Er tut es mit sich, mit seiner eigenen Person. Leben in der Liebe zu Gott verzichtet wie er auf Lebenssuche, Lebenssicherung und Selbststilisierung. Eben so wie Jesus Ehre, Macht und Autorität nicht von sich ableitet, sie sich nicht von anderen bezeugen und erweisen lässt, sondern weiß, sagt und zeigt, dass er sie von Gott hat. Genauso glaubt die Liebe zu Gott , dass sie ihr Leben von Gott empfängt und darin hat was sie braucht.

Warum diese Verse zwischen der Heilung am See von Bethesda und der Speisung der 5000 stehen? Alles Reden Jesu, sein ganzes Leben und Sterben, alles, was in der Bibel steht, hat keinen Sinn und keinen Zweck für uns, solange wir dies nicht tun : Ihn gelten lassen und stehen und einstehen für uns, - solange wir nicht ihn unsere Legitimation sein lassen, - ihn an Stelle aller selbstlegitimierenden Ehre und aller Ersatzwährungen, mit denen wir uns das unerträgliche Suchen nach Leben scheinbar abzumildern vermögen, - Wert, Geld und Besitz - an deren Stelle.
Worin das Evangelium liegt, und Tröstendes auch, in diesen demaskierenden Worten? Darin, dass dies das einzige Tun ist, das meines ist. Darin, dies zu tun: Ihn meine Legitimation sein zu lassen, gegen alle Lebensweisheit und gegen alle Selbsterwartung.
Eben: Wie am Teich von Bethesda oder in der Speisung der 5000, wo geschieht, was keiner erwarten konnte: Dass ich kann, was ich nicht erwarte: Mich auf ihn einlassen, der Leben gibt, der Leben ist. Amen

Sup.Dr.D.Reichert
Gneisenaustr.76
33330 Gütersloh


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