Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Trinitatis, 22. Mai 2005
Predigt über Jesaja 6, 1-13, verfasst von Ulrich Nembach
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Gott ist der Herr.
Kyrie eleison

Liebe Gemeinde,

I. es ist einige Jahre her, als ein Kollege mir von einem Gottesdienst erzählte, an dem er in Washington teilgenommen hatte. Er berichtete von der Predigt, den gesungenen Liedern. Er sprach so begeistert, dass er mich mitriss. Ich fragte ihn darum nach weiteren Einzelheiten, nach der Gemeinde, den Leuten usw. Es seien wohlhabende Menschen, erzählte der Kollege. Da griff ein dritter Kollege, der hinzugekommen war, in das Gespräch ein. Er kannte die Gemeinde. Es ist eine arme Gemeinde mit armen Leuten, erzählte er. Sie haben Probleme, sich und ihre Kinder durchzubringen. Der Kollege, der mir von dem Gottesdienst berichtete, war irritiert und sagte schließlich: „.., aber die sind doch alle gut gekleidet gewesen“:. „Ja,“ meinte der Hinzugekommene, „Sie ziehen das Beste an, was sie haben, weil sie vor Gott erscheinen.“ Sie kannten das Neue Testament. Jesus erzählte ein Gleichnis von der Hochzeit, die ein König für seinen Sohn veranstaltete (Mt. 22,1ff). Dort war auch einer in einem dem Anlass, einer Hochzeit, nicht angemessen Anzug erschienen, und darum vom König herausgeworfen worden. Das Gleichnis erzählte Jesus als Vergleich mit dem Himmelreich. Wie auf der Hochzeit geht es auch im Himmel zu. Die Gemeinde in Washington erinnerte sich stets an das Gleichnis, wenn sie zum Gottesdienst ging. Wir hier in Deutschland taten das früher auch, jedenfalls unsere Eltern und Großeltern.

Ein Rest von dieser Erinnerung ist noch geblieben. Zu Beginn unserer Gottesdienste – wie auch heute Morgen, also eben – rufen wir Gott an. „Kyrie eleison“, rief ich, und Sie als Gemeinde stimmten ein: „Herr, erbarme dich.“ Kyrie eleison, die griechische Form von „Herr erbarme dich“ knüpft an eine alte orientalische Tradition an. Gott, der Herr, wird mit Kyrios angeredet. Kyrios ist ursprünglich der Titel des weltlichen Herrschers. Diese Herrscher waren gewaltige Herrscher. So reichte das Reich der Perser einst von Griechenland bis Indien, Ägypten eingeschlossen. Das war ein Weltreich. Der Titel des Herrschers, Herr, Kyrios, wurde auf Gott übertragen. Es ist der höchste Titel, den man kennt, und darum überträgt man ihn auf Gott. Von diesem Gott spricht unser Predigttext für den heutigen Sonntag Trinitatis. Dieser Sonntag gilt Gott. Nach Weihnachten und Ostern, den Festen des Sohnes, und Pfingsten, dem Fest des Heiligen Geistes feiern wir nun Gott, den Dreieinigen. Er ist Gott, der Herr.

Ich lese Jes. 6,1-13:
1 In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron, und sein Saum füllte den Tempel.
2 Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie.
3 Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!
4 Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch.
5 Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.
6 Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm,
7 und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, daß deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei.
8 Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich!
9 Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet's nicht; sehet und merket's nicht!
10 Verstocke das Herz dieses Volks und laß ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, daß sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen.
11 Ich aber sprach: Herr, wie lange? Er sprach: Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld ganz wüst daliegt.
12 Denn der HERR wird die Menschen weit wegtun, so daß das Land sehr verlassen sein wird.
13 Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals verheert werden, doch wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein.

II. Der Text ist hart, sehr hart. Jesaja erschrickt; mehr: er ist bestürzt; mehr: er ruft: „Weh mir, ich vergehe!“ Ausrufezeichen. Das Weh-Mir ist gewissermaßen der Superlativ des Erschrecken. Mehr ist gar nicht denkbar.

Liebe Gemeinde, die Begegnung mit Gott, dem großen Gott, dem Herrn, dem Kyrios ist erschreckend. Die Begegnung mit dem Kyrios ließ früher Menschen auf ihre Knie fallen. Noch heute machen Damen, auch hoch gestellte Damen einen Hofknicks vor der Queen, ein kleiner Abglanz früherer Tage.

Jesaja war zu tiefst erschrocken. Wie sollte er auch anders reagieren? Er steht vor dem, dem die Engel das dreifache Heilig zurufen. Wir – auch nur ein Abglanz – singen das dreimalige Heilig vor dem Abendmahl, bevor wir uns Gott nähern, zu seinem Mahl gehen.

Gott, dieser Gott erbarmt sich Jesajas. Er lässt ihn reinigen, ihn sprechfähig machen. Die Lippen – hier der Ort des Unreinen, weil sie Unreines, vom Unsinn bis zum Bösen aussprechen – diese Lippen werden rein und damit der ganze Mensch Jesaja. Er kann und darf so gar mit Gott sprechen und tut es.

Gott fragt nach einem, den er senden kann. Jesaja bietet sich an. Gott akzeptiert und erteilt ihm den Auftrag. Was für einen Auftrag! Jesaja soll reden, und die Menschen sollen das Gesagt nicht verstehen. „Verstocke das Herz dieses Volkes!“ Wörtlich übersetzt heißt das: „ Mache das Herz fett“ Das Volk soll ein Fettherz bekommen, ein Herz, das schlägt, aber das seine Aufgabe nicht erfüllen kann, wie Ohren, die taub, und Augen, die blind sind. Das verfettete, nicht funktionsgerechte Herz soll sich nicht zu Gott bekehren. Und – und das ist noch härter, das Härtere auf das ohnehin hohe Harte gepackt: Jesaja erschrickt und kann nur fragen: „Herr, wie lange?“ Gott antwortet, und er antwortet seht hart: bis ein kleiner Rest übrig ist, ein „Stumpf“.

Eine harte Rede! Darum hat dieser Text Theologen immer wieder beschäftigt. Einer kam auf folgende Idee, und viele schlossen sich ihm an: Er teilt die Geschichte, unseren Predigttext. Er macht einen Schnitt nach der Berufung des Jesaja. Er trennt so die Berufung und den Auftrag. Geht das? Kann man das Eine vom Andern trennen? Hängen die beiden nicht zusammen wie die zwei Seiten einer Münze? Er meint ja. Dabei kommen ihm zwei Dinge zu Hilfe, die Geschichte der Überlieferung der Berufung und die Geschichte des Volkes Israels.

Israel musste später in die Gefangenschaft nach Babel gehen. Dieser Gang und die lange Dauer von 40 Jahren der Gefangenschaft waren ein einschneidendes Erlebnis für Israel. Wir Deutsche, mindestens wir Älteren können das nachempfinden. Der 2. Weltkrieg veränderte alles. Am Ende, vor 60 Jahren, war Deutschland ein Trümmerfeld. Es änderte sich auch die Theologie und die Predigten. Nach dem 1. Weltkrieg kam Karl Barth lehrte eine veränderte Theologie. Nach dem 2. Weltkrieg wurde Karl Barth verstärkt gehört und gelesen. Bonhoeffer u.a. kamen hinzu. Das Exil änderte Israels Sicht auf seine Geschichte mit Gott. Auch war rein äußerlich gesehen vieles anders nach dem Exil. Nicht wenige Texte waren zerstört, verloren gegangen, mussten ergänzt, neu geschrieben werden. Das trifft – so die Meinung mancher Theologen – auch auf unseren Predigttext zu. Der Teil des Textes, der von der Verstockung spricht, sieht die Verstockung einschließlich des Restes, des „Stumpfes“, des „Samens“ macht die Verstockung erträglicher. Da es in dem Text auch um Jesaja und dessen Berufung geht, wurden beide, die Berufung und der heute als erster Teil da stehende Text; die Reinigung un die Berufung, mit dem zweiten Teil verbunden.

Ich denke, dass das eine zu einfache Lösung ist. Die Schärfe, die Verfettung des Herzens, die tauben Ohren, die blinden Augen - das ist und bleibt schier unerträglich, wenn auch vielleicht auch etwas milder erscheinend.

III. Auch nach dem Exil wird die Rede nicht erträglicher. Der Stumpf als kleine Hoffung ist und bleibt eine kleine Hoffnung.

Nun: wir kommen von Weihnachten, Karfreitag, Ostern, Pfingsten her. Jesus kam in die Welt, damals die der grausamen Besatzungsmacht der Römer mit ihren Kreuzigungen, unsere Welt mit ihren Kriegen, mit der sudanesischen Provinz Dafour. Selbst unsere Nachrichten Sendungen berichten nicht mehr aus dieser Provinz mit ihren Schrecken, weil diese zu schrecklich sind. Aber, wir kommen von Pfingsten her. Gott, sein heiliger Geist, muss uns erklären, damit wir verstehen, was geschah und was geschieht. Damals trat Petrus auf und predigte, nachdem der Geist gekommen war. Vor einer Woche hörten wir die Pfingstgeschichte in unseren Gottesdiensten in unserem Land, auf der ganzen Welt, in unserem Gottesdienst hier.

Einen Propheten zu beauftragen, ihn loszuschicken; er soll reden, und die Menschen sollen ihn nicht verstehen. Wer soll, wer kann das von sich aus verstehen?!

Hier liegt der eigentliche Punkt, der uns von der katholischen Kirche trennt. Luther beschrieb ihn in einer Diskussion mit Erasmus von Rotterdam.

Dieser meinte, dass der Mensch einen freien Willen habe und auch den Verstand, den nötigen Verstand dafür. Erasmus, als Gelehrter geachtet wegen seiner Kenntnisse, geschätzt wegen seiner neuen wissenschaftlichen Methoden , die ihm ihrerseits wieder neue Erkenntnisse brachten, vertraute, schätzte den Verstand., die Vernunft. Luther entgegnete: nein. Wir haben keinen freien Willen, und wir haben keine großen Kenntnisse, wir wissen wenig von Gott. Was wir wissen, ist nur das, was er uns sagte. Erst nachdem der heilige Geist gekommen war, predigte Petrus. Wir wissen viel. Wir wissen mehr als Erasmus. Die Medizin lässt uns älter werden. Unsere Fernrohre sehen in große Fernen des Weltraumes. Nur: Was wir sehen, ist vor 10.000 Jahren, Millionen, Milliarden Jahren geschehen. Wie es heute aussieht, sehen wir nicht. Dabei ist die Gegenwart wichtig. Vielen, allen, die sich heute scheiden lassen, nützt es wenig, dass sie sich einst liebten, so sehr liebten, dass sie heirateten. Wer zu Hartz IV gehört, dem nützt es wenig, dass es einst ein Wirtschaftswunder in diesem Land gab. Darum so auch Luther: wir wissen von Gott nur das Wenige, das er uns mitteilte. Jesaja erfährt nicht, warum er die Menschen verstocken soll, warum sie sehend nicht sehen, hörend nicht hören, ja, nicht einmal, warum seine Lippen gereinigt wurden.

Wir heute wissen mehr. Gottes Liebe lässt ihn unsere Lippen reinigen. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab (Joh. 3,16a). Die Liebe ist es. Die Liebe ist, die Schiller auf die Aufklärung in seiner Ode An die Freude: „ … Brüder – überm Sternenzelt – muss ein lieber Vater wohnen“. Diese Oder ließ Beethoven seinen Chorsatz „Freude, schöner Götterfunken“ – die erste Zeile von Schillers Ode – in seiner 9. Symphonie schreiben. Die Europäer machten die Musik zu ihrer Hymne (Vgl. dazu Ulrich Nembach, Die EU-Verfassung und die Musik, in: Informationes Theologiae Europae, 13. Jg. 2004, S. 121ff).

Paulus schrieb: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen (1. Kor.13,13)

IV. Darum schließe ich heute, indem ich mich an Gott, den Kyrios, wende und von ihm rede mit dem Segen:

Die Gnade Gottes, die Liebe Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei und bleibe mit euch.

Amen

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach, Göttingen
ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de

 

 

 

 

 

 

 

 


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