Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 15. Mai 2005
Predigt über Johannes 14, 22-31, verfasst von Elisabeth Birgitte Siemen (Dänemark)
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Der Schriftsteller Vilhelm Bergsöe hat einmal von einem Gespräch über die Dreieinigkeit erzählt, das er mit einem italienischen Pferdekutscher geführt hatte. Der Italiener habe kein Geheimnis daraus gemacht, dass er von den Dreien dem Sohn eindeutig den Vorzug gab. Der Vater sei zu alt – und der Heilige Geist, ja, wo sei der denn überhaupt?
Als der Bischof von Roskilde, Jan Lindhardt, vor ein paar Jahren den Slogan ”Fisch zu Pfingsten” lancierte, fanden viele Leute das komisch.
Das fanden wir auch hier in Helsingör, wo wir auf einer Veranstaltung des Bistums sogar ein Lied darüber machten. Und doch war das ja gar nicht so dumm gesehen, dass die Dänen mit dem Magen denken und glauben. Und in dem Zusammenhang besteht die Gefahr, dass wir Pfingsten vergessen, auch weil das Fest ohne bestimmte Speisen ist.
Wir haben bestimmte Esstraditionen, etwa am Vorabend des Heiligen Martin, zu Weihnachten, Neujahr und Ostern, Fastnacht und Buß- und Bettag, aber zu Pfingsten? Nein, da haben wir keinen Brauch.

Das alles hängt natürlich damit zusammen, dass Pfingsten von dem handelt, was unsichtbar ist, vom Berührtwerden, vom Ergriffenwerden.
Pfingsten ist eben nicht Leib, sondern Geist. Es ist kein Bild, sondern es ist das Licht, das das Bild sichtbar macht, es ist das Unerklärliche, das dem Leib Leben gibt, und es macht, dass das Bild sichtbbar und die Erzählung uns nahe wird.
Pfingsten ist Geist, Pfingsten ist Heiliger Geist – und obwohl man nicht so einfach auf ihn zeigen kann: er ist dies oder oder er ist das, so wissen wir trotzdem, dass er einen entscheidenden Unterschied aus­macht.
Es ist u.a. dies, was in dem alten Schöpfungsmythos von Adam erzählt wird – Gott formt den Menschen aus Erde, aber der Mensch wird erst zum Menschen, da Gott seinen Geist in ihn bläst, da Gott Leben in ihn bläst.
Auf dieselbe Weise, wie ein jeder, der einen toten Menschen gesehen hat, weiß, welch unermesslicher Unterschied zwischen einem lebendigen, atmenden Menschen und einem toten Körper besteht.
Obwohl wir also nicht auf den Geist zeigen und sagen können: da oder dort, so macht es doch einen merkbaren, entscheidenden und sichtbaren Unterschied, wie bei dem alten Adam; der Geist ist der Unterschied zwischen Leben und Tod. Der Geist selbst ist nicht zu sehen, aber seine Gegenwart oder Abwesenheit ist das Entscheidende.

Und so gilt auch in anderen Zusammenhängen – der Geist ist das, was es zwischen uns lebendig macht, der Geist wirkt, wenn Menschen sich begegnen und sie ihre Herzen anrühren, Geist ist es, wenn der Lebensmut in einem Menschen entfacht wird und er sich zu neuem Leben erhebt.
Es ist auch der Geist, der Leben in die alten Erzählungen aus dem Evangelium pusten kann. Man kann diese Erzählungen auf Abstand hören, sozusagen in Distanz, als etwas, was einen nichts angeht, etwas Vergangenes. Aber wenn der Geist wirkt, dann ergreift uns die Erzählung. Wir haben soeben die Erzählung vom allerersten Pfingstfest gehört, eine Erzählung, die vielleicht in einem kurzen Augenblick nur schwer zu begreifen sein mag. Aber wenn man ein begnadeter und begeisterter Erzähler ist, kann sie vielleicht so aussehen:
Ich zitiere hier aus Karen Blixens Novelle „Wiedersehen“, in der die alte Marionette, der Theaterdirektor Pipistrello, dem Dichter Byron über den Plan seines kommenden Schauspiels erzählt: „Sie habe sicher über die erste christliche Gemeinde in Jerusalem gelesen, und wie sie alle in Frieden und Brüderlichkeit zusammenwaren, mit der Heiligen Jungfrau wie einer Mutter für sie alle. Sie haben gewiss auch über Pfingsten gelesen, als sie alle versammelt waren, und wie da vom Himmel ein Getöse kam wie von einem heranrasenden Unwetter, das das Haus erfüllte – zugleich mit Feuerzungen, die sich auf jeden der Apostel setzten. Hier fangen nun alle Apostel an, in fremden Zungen zu reden, was ihnen der Geist zu sagen gab, und Menschen aller Völker, die sich in Jerusalem aufhielten, kommen hinzu – und sie stehen da und sind völlig verwirrt, weil ein jeder sie in seiner eigenen Sprache reden hört.
Parther und Meder, Kreter und Araber sind alle verblüfft und desorientiert und sagen zueinander: Was soll das heißen?
Diese zwölf starken Männer, Milord, die berufen sind, die ganze Welt zu verändern, fallen unter der Macht des Heiligen Geistes zu Boden auf die Knie, und einige von ihnen schlagen sogar mit der Stirn auf die Fliesen. Nur eine schlanke und anmutige Gestalt, Milord, bleibt ruhig in dieser Stunde des Orkans. Jungfrau Maria steht unbeweglich, mit erhobenem Angesicht, mit den Händen auf der Brust zum Kreuz geformt.
Wie Sie von den Gemälden wissen werden, war am Karfreitag alles Blut aus ihrem Angesicht gewichen. Jetzt steigt es wieder in ihre Wangen auf, wie eine lebendige rosenrote Woge, und sie sieht wieder aus wie ein fünfzehnjähriges Mädchen. Mit zarter Stimme ruft sie aus: Oh, bist du es, Herr? Nach den vierunddreißig Jahren, bist du es?“

Ja, so gut kann man es beschreiben, wenn man begnadet und begeistert ist. Und wenn wir auch nicht alle die Gnadengabe bekommen haben, von der große Schriftsteller leben, so sollte doch das Pfingstfest uns daran erinnern, dass wir alle begeistert sind, dass wir alle von dem Geist, dem Heiligen Geist berührt sind, der auch „Geist der Liebe und der Wahrheit“ heißt.
Und wie die Erzählung vom ersten Pfingstfest betont, wohnt Kraft in dem Geist. Wie Karen Blixen glasklar gesehen hat. „Diese zwölf starken Männer, die berufen sind, die ganze Welt zu verändern“ – ja, das klingt wie ein unmögliches Projekt, aber es gelang.
An diesem Tag in Jerusalem entstand die christliche Kirche.
Aber das geschah nicht aus eigener Kraft. Es geschah, wie wir im Evangelium hörten, mit Hilfe des Heiligen Geistes.
Und so machtvoll ist der Geist, so kraftvoll ist er, dass er zwölf verwirrte und bange Männer, die an Ostern aus der Schule davonliefen, den Schwanz einzogen, in starke und kraftvolle Menschen verwandeln kann, die etwas auf dem Herzen hatten, etwas, das sie unbedingt erzählen mussten – und von da an war die Welt nicht mehr dieselbe. „Wir glauben an den Heiligen Geist, der lebendig macht“ – so steht es in dem alten Glaubensbekenntnis, das wir soeben gehört haben.
Die Frage ist aber, natürlich, ob wir es denn auch tun?
Wagen wir daran zu glauben?

Im Johannesevangelium sind die Worte, die wir heute hören, nur ein ganz kleiner Teil einer langen Rede. Einer Rede, die Jesus an seine Jünger richtet, kurz bevor die großen Ereignisse von Ostern anbrechen.
Er steht mitten darin, und die große Ratlosigkeit und Trauer seiner Jünger über all das, was sich über ihrem geliebten Meister zusammenzieht, rühren ihn. Ein sehr wichtiger Teil dieser langen Rede handelt von der Verheißung des Geistes oder des Trösters, der bei ihnen sein wird, nachher. Und der ihnen neuen Mut machen, neues Leben schenken wird trotz des Verlustes, den sie mit seinem Weggang erleiden.
Sie werden nicht allein zurückgelassen.
Und das verstanden sie nicht recht, an jenem Abend.
Aber als die sieben Wochen nach Ostern um waren und sie in Jerusalem versammelt waren und der Geist über sie kam, da begannen sie etwas von dem zu begreifen, was er damals gemeint hatte. Und ja, sie veränderten die ganze Welt.

Dass Pfingsten heute nur so schwache Bedeutung hat, ist in Wirklichkeit einigermaßen katastrophal. Denn Pfingsten handelt ja gerade vom Jetzt. Pfingsten, das ist Jetztzeit, Pfingsten, das sind wir, die hier versammelt sind.
Und was damals für die Jünger in Jerusalem galt, das gilt wahrlich auch für uns. Glauben wir nicht daran, dann können wir genausogut den Schlüssel umdrehen, den Laden zumachen und uns anderswohin begeben.
Kirche sein, in die Kirche gehen, das heißt, dass wir uns in Jesu Namen versammeln, um die alten Erzählungen von Gott, der Liebe und uns zu hören.
Und wir sollen das tun, um berührt zu werden.
Hier in der Kirche versammeln wir uns, weil der Heilige Geist all das in uns lebendig machen wird, was Jesus gesagt und getan hat. Denn die Erzählung von ihm wurde mit seiner Auferstehung und Himmelfahrt nicht abgeschlossen, nein, der Sinn ist der, dass diese Erzählungen in uns weiterleben, so dass sie die Grunderzählung in unserem Leben werden können.
Der Geist wird uns bewegen, so dass wir begeistert werden können, so dass wir Mut bekommen, in der Liebe zu leben, die in Christus war. Die Liebe, die alle Schranken und alle Lauheit niederreißen kann, so dass unsere Gemeinschaft wie ein lebendiger Leib werden kann, wo unsere Herzen für einander schlagen.
Und wo der Heilige Geist der Atem ist, der den Leib zum Leben bringt.
Das ist das Bild, das Paulus benutzt, wenn er davon spricht, dass wir uns selbst als Glieder des Leibes Christi sehen sollen.
Das ist der Inhalt in der Pfingstrede. Dass die Liebe in uns geweckt werden und leben kann, dass wir fortsetzen sollen, was Gott in seiner Schöpfung begonnen hat – dort, wo er in seiner großen Freude es nicht lassen konnte zu sagen: siehe, es ist sehr gut!
Aber wir sollen wagen, es zu glauben.
Wir sollen wagen zu glauben, dass der Heilige Geist – ja, wo ist er denn überhaupt – ja, aber er ist ja hier, mitten unter uns. Er ist es nämlich und nur er, der die Liebe unter uns wachsen lässt. Er und nur er ist der lebensnotwendige Atem, der Leben in uns erhält – und unter uns, jetzt und in alle Ewigkeit.
Frohe Pfingsten. Amen

Pfarrerin Elisabeth Birgitte Siemen
Kirsebærbakken 1
DK- 2830 Virum
Tel.: ++ 45 – 45 85 63 30
e-mail: ebsi@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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