Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 15. Mai 2005
Predigt über Johannes 16, 5-15, verfasst von Jobst v. Stuckrad-Barre
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5 Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin?
6 Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer.
7 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, daß ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.
8 Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht;
9 über die Sünde: daß sie nicht an mich glauben;
10 über die Gerechtigkeit: daß ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht;
11 über das Gericht: daß der Fürst dieser Welt gerichtet ist.
12 Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen.
13 Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.
14 Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen.
15 Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird’s von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.

Ich lese diesen Text als Zeugnis der unterschiedlichen Stimmen, die im Johannesevangelium zu finden sind – für den Einzelnachweis sei auf die Kommentare verwiesen, etwa den ökumenischen von Jürgen Becker, Gütersloh 1981 –, und versuche, diese Stimmen auch in ihrer Unterschiedlichkeit zu Gehör zu bringen. Dazwischen treten farbig die Stimmen aktueller Begegnung im oder mit dem Heiligen Geist. Damit von diesem Konzert noch mehr hörbar wird, stelle ich an den Schluß der drei Abschnitte jeweils eine Strophe von Michael Schirmers Pfingstlied O Heilger Geist, kehr bei uns ein (EG 130), denkbar ist auch, Pfingstlieder aus verschiedenen Zeiten dazwischen zu singen oder entsprechende Instrumentalstücke erklingen zu lassen, wenn Orgel und Gemeinde „mitspielen“.

Jetzt. Jetzt, sagt Jesus; ich gehe hin zu dem, der mich gesandt hat. Bewegung kommt auf in der Gemeinde des Johannes. Die Stimmen suchen nach Vergewisserung. Die Fragen, wohin? ebben ab. Trauer über den Weggang erfüllt die Herzen. Doch dann erinnern sie sich: Jesus läßt sie nicht allein; den Tröster, den Geist der Wahrheit hat er angekündigt, der werde ihnen Anteil geben an dem, was er von Gott gehört und vom Christus empfangen habe.

Liebe Christen in Hannover und Rom, in Istanbul und Athen, in Moskau und Genf, wo immer ihr das Evangelium vom Auferstandenen aufnehmt, welche Stimmen sind es, die bei uns und in uns suchen, fragen, trauern, trösten, erinnern oder ankündigen? Stimmen der Mütter und Väter, der Großmütter und Großväter, die uns erzogen haben im Glauben, im Leben und Sterben; die früh durch ihr Beispiel, einfach durch ihr Mitleben gezeigt haben, da ist Gott für uns, sein Geist, wie er im redenden und heilenden, im zuhörenden und zupackenden Jesus Gestalt angenommen hat bis hin in Kreuz und Auferstehung. Oder sind es die Stimmen der Gemeinde und ihrer Sprecher, die uns formen durch die Tradition, in der wir groß werden; was dann noch mehr die Vielfalt von heute zwischen fromm und frei, atheistisch und moralistisch, konfessionalistisch und ökumenisch erklären hilft. Ist das immer nur „der Herren (und Damen) eigener Geist“ – oder wird da auch Gottes Geist sichtbar, mit einem Lächeln sogar, freundlich, gütig, ein wenig erstaunt auch über all dem Bestehen auf den unterschiedlichen Sprachen?

Die Stimmen werden wieder lauter – sind auch Gegner und Nichtüberzeugte darunter? Sind nicht auch unter den Glaubenden Menschen, für die Jesu Weggehen eine Niederlage ist(1)? Daß es gut sein soll, wenn der Geist der Wahrheit kommt an seiner Statt – das können sie kaum fassen. Sollen denn wir selbst über all das entscheiden, was zu bewahren und neu zu regeln ist?

Einige in der Gemeinde des Johannes sehen längst alles entschieden: Sünde ist es, Christus nicht zu glauben. Er ist die Gerechtigkeit, darum geht er ja hin zum Vater. Der Herrscher dieser Welt ist längst erledigt, das Gericht schon geschehen. Ist das im Geist Jesu, im Geist der Wahrheit gesagt? Und wie sollen wir damit zurecht kommen, daß das Leben weitergeht, ohne daß wir oder die Gemeinde und die Kirche auf der ganzen Erde vollendet wären? Die Bewegung in der Gemeinde brandet erneut auf: Wir müssen bewahren, was Jesus uns gesagt hat, so die einen. Wir müssen offen sein für das, was jetzt geschieht, so die andern. Eine dritte Gruppe bleibt ganz gelassen: Der Geist wird uns verkündigen, was sein und was werden soll.

O Heilger Geist, kehr bei uns ein
und laß uns deine Wohnung sein,
o komm, du Herzenssonne.
Du Himmelslicht, laß deinen Schein
bei uns und in uns kräftig sein
zu steter Freud und Wonne.
Sonne, Wonne,
himmlisch Leben willst du geben, wenn wir beten;
zu dir kommen wir getreten.

Jetzt hat Jesus gesagt. Und die Bewegung dauert an, bis heute. Pfingsten ist geradezu das Fest, an dem diese Bewegung, die Vielstimmigkeit, das Zusammenklingen von Herkunft und Zukunft der Gemeinde gegenwärtig wird. Die Wahrheit aus dem Geist, der vom Vater und vom Sohn ausgeht, diese Wahrheit erfüllt die Herzen ganz verschiedener Menschen – kein Wunder, daß sie so verschieden Gestalt annimmt zwischen Quito und Kyoto, zwischen Brisbane und Reykjavik. Lassen wir uns darauf ein, der Wahrheit näher zu kommen, dem, was uns von Gott mitgeteilt wird. Miteinander sind wir in einem riesengroßen Geschehen der Vergewisserung; diese Wahrheit ist nur zu finden mitten in dem komplexen Weltgeschehen und in all den Stimmen, die, nicht nur zu Pfingsten, zu hören sind aus Gruppen, Kirchen und Konfessionen.

Warum feiern sie nicht fröhlicher? Oder sind die Riesenlawinen auf all den Straßen Zeichen des Aufbruchs von so vielen, die unterwegs sich und dem Heiligen Geist auf die Spur kommen wollen? Wer liest all die Zeichen im Internet, die e-mails und sms-Botschaften, wenn nicht der Heilige Geist, der von Liebe gegen den Haß, Freude nach aller Trauer, vom Leben gegen allen Tod gespeist ist. Braucht es immer erst einen Tsunami, damit die Menschen den weltweiten Zusammenhang ihres Tuns und des Geistes verstehen? Tatsächlich begreifbar nahe liegt es doch, an die Übersetzung aus der einen in die andere Sprache, Tradition und Welt zu denken – das geschieht täglich und stündlich überall und ist doch auch denkbar nur im Interesse dieser Liebe, dieser Freude, dieses Lebens!

Unter der Voraussetzung, daß auch der andere aus dem Geist der Wahrheit spricht, werden wir auf den Weg gebracht; dann gilt allerdings auch, daß diese Voraussetzung geteilt und respektiert wird. Dann kann kein Papst und kein Kirchenparlament unsere Zuversicht hemmen, die Wahrheit wird von Gott zu uns kommen und uns mit sich nehmen. Nicht erst am Ende, schon hier auf dem Weg wird Gemeinde, wird Kirche in aller Vielgestaltigkeit von dieser Wahrheit empfangen und geben, was nötig ist.

Du Quell, draus alle Weisheit fließt,
die sich in fromme Seelen gießt:
laß deinen Trost uns hören,
daß wir in Glaubenseinigkeit
auch können alle Christenheit
dein wahres Zeugnis lehren.
Höre, lehre,
daß wir können Herz und Sinnen dir ergeben,
dir zum Lob und uns zum Leben.

Jetzt – und was ist mit mir? Mitten in all der Bewegung, all dem Festlichkeit von Pfingsten das Weltkind, dem die Sehnsucht womöglich die Kehle eng macht und dem die Augen immer größer werden. Ich muß hier mein Brot essen, und ohne Anpassung an den Geist der Globalisierung krieg ich nicht mal Arbeit, obwohl so viel zu tun ist. Dagegen höre ich: Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen. Wird dieser Geist mir auch morgen ein Stück abgeben von der Wahrheit, die von Gott kommt und in Jesu Geist geschieht?

Ja, er muß sich bewähren im Trost, den du empfängst, in der Hoffnung, die dir und deinem Leben gilt – doch darf auch nicht so ein Heilsegoismus draus werden, der allzuleicht Glauben und Gewißheit als seine Privatsache propagiert und praktiziert: Mein Glaube, meine Kirche, meine Lebenseinstellung... Diese Haltung ahmt nur die Konsumhaltung der Zeit nach oder füttert sie noch: Meine Schule, meine Schicht, mein Einkommen, deine Arbeitslosigkeit usw. Glaube und die Grammatik des Alltags haben viel mehr miteinander zu schaffen, als es zunächst scheinen möchte. Im Eingehen auf die differenzierten Möglichkeiten des Gesprächspartners wird die Lebendigkeit der eigenen Position viel eher hervortreten, weil sie spielerisch gleichsam provoziert wird, besser evoziert – und da kommt der Heilige Geist wieder zum Vorschein: All die Impulse, Interessen und Abhängigkeiten nicht als Angriffe aufs Ego, sondern als Antworten und Fragen im großen Gespräch zwischen Gott und Mensch aufzufassen, das läßt etwas erahnen von der Schönheit und Größe dieses Geistes, dessen Wahrheit im Einzelnen wie im Ganzen liegt.

Der ganze Prozeß der Vergewisserung geht vom Kleinen bis ins Große und umgekehrt von den großen Linien zu den einzelnen Punkten, an denen wir leben. Darin liegt alle Herrlichkeit auf Erden. Anders als zur Zeit der johanneischen Gemeinde oder bei ihren heutigen Nachfolgern in der Neuen und in der Alten Welt, teilen wir nicht dualistisch auf in Gut und Böse, Glaube und Welt. Gerade weil Beides in uns ist, müssen wir uns ja vergewissern in der Situation: Ist dieser Weg nun aus dem Geist der Wahrheit oder führt er uns ab? In einem bestimmten Sinn sind die Christen sogar dieser Wahrheitsfrage mehr ausgesetzt als andere, die nicht nach Herkunft und Zukunft fragen.

Daß der Geist der Wahrheit als Tröster kommt, sollten wir nicht übersehen und schon gar nicht überhören. Er läßt aus Sehnsucht die Gewißheit werden: In diesem Geist können wir uns annehmen, sogar das Feindselige, und darauf vertrauen, daß Gott es in seinem Sinn aufhebt. Kein Nein? Doch, dem falschen, lieblosen Handeln schon, dem Menschen nicht.
So wird Gewißheit, wird Bewußtsein davon, daß der Geist der Wahrheit Gestalt findet, gegenwärtig wird. Wir können sein Wort hören und nehmen von Gott, was er uns verkündigt: Jetzt.

Steh uns stets bei mit deinem Rat
und führ uns selbst auf rechtem Pfad,
die wir den Weg nicht wissen.
Gib uns Beständigkeit, daß wir
getreu dir bleiben für und für,
auch wenn wir leiden müssen.
Schaue, baue,
was zerrissen und beflissen, dich zu schauen
und auf deinen Trost zu bauen
.

(1) Für den oder die, die diesen Gedanken ausbauen möchten, sei auf den Titel von Klaus Jörns verwiesen: Notwendige Niederlagen. Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum. Gütersloh 22005 – das Buch enthält seine Abarbeitungen an einer Reihe von zentralen theologischen Themen, die insofern von Autoren und Predigern landauf, landab nicht unbearbeitet sind und auch andere Lösungen aus sich heraussetzen... Dennoch gibt (nicht nur) der Titel Hinweise eben auf die notwendige Weiterarbeit im Heiligen Geist.

Jobst v. Stuckrad-Barre, Hannover
Jobst.vonStuckrad-Barre@evlka.de


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