Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Exaudi, 8. Mai 2005
Predigt über Johannes 15, 26-16,4, verfasst von Hans-Ole Jørgensen (Dänemark)
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„Wenn nur unser eigener Name und unsere eigenen Taten auf dem stünden, was wir um uns haben, dann würden wir verkommen.“

Diese Worte machten neulich Eindruck auf mich. Sie waren formuliert von einem Mann, der in seinem Leben so weit gekommen ist, dass er Enkelkinder hat. Und diese Worte handeln von etwas so Konkretem und Handfestem wie dem Stein, der auf seinem Schreibtisch liegt.

Aber ich dachte, sie könnten eigentlich ebenso gut vom Heiligen Geist handeln, vom Tröster oder vom Geist der Wahrheit, vom Namen dessen, wovon Jesus heute zu seinen Jüngern spricht. Auch diese Rede handelt davon, dass wir nicht viel wert wären, wenn wir allein mit uns selbst wären.

Wenn nur unser eigener Name und unsere eigenen Taten auf dem stünden, was wir um uns haben, dann würden wir verkommen.

Aber zuerst will ich von dem Stein berichten. Der ist nichts besonderes. Er ist von bescheidener Größe. Ich kann ihn in meiner hohlen Hand halten. Er zeichnet sich auch nicht durch eine vornehme Form oder durch besonders schöne Farben aus. Er ist zu nichts nütze. Im Gegenteil. Er ist lästig, liegt im Weg. Oft muss ich ihn zur Seite schieben, um Platz zu bekommen für das, woran ich zu arbeiten habe.

Aber ich kann es nicht über mich bringen, mich von ihm zu trennen, was doch eigentlich am leichtesten wäre, für mich selbst und für den, der meinen Schreibtisch aufräumt und abstaubt. Denn es war Marie, die eines Tages mit dem Stein kam. Und Marie, eines meiner Enkelkinder, war 6 oder 7 Jahre alt, als das geschah. Sie kam mit mit dem Stein zu mir, sie hatte ihn eingepackt in das bekannte dünne Seidenpapier mit blauen und roten und gelben Farben. Etwas unbeholfen eingepackt. Sie gab ihn mir und sagte: Den sollst du haben, Großvater!

Nicht der Stein als solcher ist also das Wichtige; das ist vielmehr die Bedeutung, die er besitzt und an die er mich jedesmal erinnert, wenn meine Augen auf ihn fallen. Es ist Maries Name, der auf ihm steht. Und hätten wir nicht Dinge um uns, die auf diese Weise bezeugen, dass andere Menschen ihr Leben mit dem unsrigen verflochten haben, dann wären wir in unendlich höherem Maße hilflos und arm.

Und dann kommen sie wieder, die Worte von vorher: Wenn nur unser eigener Name und unsere eigenen Taten auf dem stünden, was wir um uns haben, dann würden wir verkommen.

Das ist uns sicherlich bewusst – auf mancherlei Weise. Wir leben letzten Endes – und auf jeden Fall, wenn wir gut leben – nicht so sehr von uns selbst als von den anderen, die in unserem Leben sind, und von der Bedeutung, die sie uns von sich geben. Allein auf uns selbst gestellt, taugen wir nicht recht viel.

Und genau dies gilt auch, wenn es ums Christentum geht. Und zwar ganz besonders, wenn es hier in der Pfingstzeit um den Heiligen Geist geht. Wären wir Menschen, die in all und jedem mit dem eigenen Namen und den eigenen Taten auskämen, dann wäre es ja überhaupt nicht so wichtig, was wir Jesus heute seinen Jüngern verheißen hören: eine Gemeinschaft, die anhält, auch wenn er sie nun im physischen Sinne verlassen wird, was er ja tun muss.

Es ist – im Text – Gründonnerstag am Abend, der letzte Abend, den sie miteinander hatten, Jesus und die Jünger. Die Trennung steht bevor und droht, es ist Abschied zu nehmen. Worte, die als die letzten zu sagen sind.

Derartige Worte können schwer zu finden sein, denn sie müssen viel tragen. Deshalb greift Jesus auch zu etwas anderem als Worten, er gibt ihnen das Brot und den Wein, und nach dem Johannesevangelium steht er dann auch auf, geht zu den Jüngern und wäscht ihnen die Füße. Als wäre er ihr Diener. Er handelt und legt Bedeutung in das, was er tut, eine Bedeutung, die in aller Zukunft andauern können soll. Aber er hat auch einiges zu sagen. Im Johannesevangelium umfasst seine Abschiedsrede mehrere Kapitel. Und wir können an ihr heute hören, dass er nichts unterdrückt.

Er spricht deutlich von seinem bevorstehenden Weggang, und er bereitet die Jünger auf die verschiedenen Formen des Leids und Widerstandes vor, auf die sie in ihrem künftigen Leben stoßen werden. So dass es sie also nicht überraschen kann, wenn der Zusammenstoß mit der alten Welt kommt, und sie vielleicht versucht sein könnten zu glauben, sie wären auf dem falschen Wege. Jesus sagt ihnen dies alles voraus, damit sie wissen können, was sie erwartet, und wenn die Zeit kommt, es als einen notwendigen Teil des Weges betrachten, den sie zu gehen haben.

Aber vor allem gewährt er Zuspruch und Trost. Die Gemeinschaft, die er mit den Jüngern hat, sie soll nicht aufhören – sagt er – auch wenn er verschwindet und fort ist, im körperlichen und sichtbaren Sinne. Dies ist die Bedeutung seiner Wort über den Heiligen Geist.

Und das ist gar nicht so merkwürdig und mystisch, auch wenn wir manchmal glauben, dass es so klingt. Jedenfalls können wir leicht darauf verfallen, ähnliche Dinge zu sagen. Wenn wir von einem Menschen Abschied nehmen, mit dem wir uns eng verbunden fühlen, – etwa von jemandem, der für eine längere Zeit verreist, oder von jemandem, den wir vielleicht nie wieder sehen werden – dann sagen auch wir Lebewohl mit Worten, die sehr wohl eine Brücke über große Entfernungen bauen können, mit Worten, die trotz der sichtbaren Trennung an einer Nähe festhalten. Oder wenn wir bei der Konfirmation unserer Kinder oder bei anderen wichtigen Ereignissen zu ihnen sagen: wo immer ihr Leben sie hinführt und was auch immer ihr Schicksal sein wird, wir werden immer mit ihnen sein, wenn nicht auf andere Weise, so jedenfalls mit lieben und fürsorglichen Gedanken – wenn wir so sprechen, dann denken wir auch so. Im Herzen kann man sehr wohl einander nahe sein, auch wenn die Entfernung noch so groß ist. Wie man auch umgekehrt weit weg sein kann, obwohl man physisch ganz nahe ist.

Und aus diesem Grunde machen wir uns wohl auch gegenseitig Geschenke, wenn wir es denn tun. Wir tun das ja nicht, um uns gegenseitig die Ausgaben zu ersparen, die wir hätten, wenn wir selbst die Dinge kaufen würden. Wir machen ein Geschenk, damit es von Hingabe und guten Wünschen zeugt. Damit wir, wenn wir immer mal wieder das Geschenk plötzlich entdecken und uns daran erinnern, was es bedeutete, dem Menschen, der es uns gegeben hat, nahe kommen. Auch tote Gegenstände können auf diese Weise lebendige Zeugen sein und trotz Entfernung und Unsichtbarkeit Nähe festhalten – ein Ring an einem Finger, ein Stein auf einem Schreibtisch, was immer es sein mag, was eine Botschaft von Herz zu Herz gebracht hat.

Das ist natürlich nur eine Notlösung, denn die körperliche Nähe wäre das Richtige. Aber können wir sie nicht haben, dann müssen wir uns ja an Notlösungen halten.

Und der Heilige Geist ist auch eine Notlösung. Wenn Jesus heute zu seinen Jüngern von ihm spricht, dann geschieht das ja, weil sie sich trennen müssen. Weil seine Zeit hier zu Ende geht und die Jünger jetzt ihr Leben allein leben müssen, ohne ihn. Und so geschieht es denn, dass auch sie – und seitdem auch wir – sich mit etwas begnügen müssen, das weniger ist als er selbst, etwas, das von ihm zeugen wird, wie er sagt, das an der göttlichen Bedeutung festhalten wird, die er für uns mit sich brachte, und das die Bedeutung für alle künftigen Geschlechter lebendig machen wird, so dass sein leiblicher Tod und sein Abschied von der Welt nicht zum Ende aller Dinge wird.

Dies ist der Kern in dem, was Jesus an jenem Abend zu den Jüngern sagt. Bald werden sie ihn nicht mehr bei sich haben, aber sie sollen nicht verzweifeln, denn es gibt auch Gemeinschaft, die der leiblichen Trennung trotzen kann: der Heilige Geist, der Tröster, der Geist der Wahrheit – oder welchen Namen wir ihm geben wollen – er ist dies, dass Jesus auch nach seinem Tod bei ihnen sein wird, dass er in seinem Wort bei ihnen sein wird. Nicht auf eine Art und Weise, dass es sichtbar wäre. Nur auf eine Weise, die hörbar ist. Und vielleicht nicht einmal für alle hörbar. Denn wir hören nicht alle auf dieselbe Weise. Nur wer Ohren hat zu hören, hört, sagt Jesus. Man könnte auch sagen: Herz. Denn was Jesus bei sich hatte, das war ja nicht von der Art, dass es mit Kopf und Verstand hörbar wäre, es war – wie Maries Stein auf dem Schreibtisch – etwas von Herz zu Herz. Etwas, was deshalb derjenige hören kann, der Herz hat zu hören.

Und es ist eigentlich auch gar nicht verwunderlich, dass das so ist. Denn auch das ist etwas, was wir aus anderen Zusammenhängen kennen. Was uns dazu bewegt, dass wir uns auf den Weg machen, was einen Ruck in uns gibt oder uns in unserem Leben fortbewegt, das ist weitaus mehr etwas, was wir mit unserem Herzen hören, als etwas, das wir bloß mit unserem Verstand hören. Wenn uns die Dinge nicht wirklich zu Herzen gehen, haben sie keine Bedeutung für uns. Dann gibt es keine Kraft in ihnen, die uns stärken könnte. Wenn wir da sind, wo eine Brücke gebaut werden soll – wenn wir an der Näahe festhalten auch über zeitliche und geographische Abstände, über Trennung und Sehnsucht hinweg – dann ist auch, wenn überhaupt irgendwo, nur auf das zu hören, was das Herz von dem hört, von dem wir getrennt sein mögen.

Deshalb sprechen auch unsere Liederdichter immer wieder vom Heiligen Geist in Bildern, die aus der Welt des Herzens genommen sind. ”Du höchster Tröster in aller Not, hilf, dass wir nicht fürchten Schand noch Tod, dass in uns die Sinne nicht verzagen ...“. In unseren Liedern bitten wir oft in Bildern der persönlichen Nähe und Herzlichkeit um Leben, auf diesem Wege muss uns die Kraft zuströmen, wenn es denn die Kraft des Glaubens ist, um die es geht. Und darum geht es ja im Christentum.

Wir bitten natürlich auch um andere Kräfte, wenn wir in unserer Ohnmacht unsere Gebete zu Gott erheben. Wir bitten um das tägliche Brot und um Befreiung vom Übel, um Gesundheit, wenn Krankheit uns heimsucht, und Leben, wenn der Tod uns droht. Und all dies sind auch äußerliche Dinge. Aber letzten Ende geht es einem jeden doch so, dass das Leben schwindet, allen Gebeten zum Trotz. Widrigkeiten sind für die Jünger Jesu wie für alle anderen Menschen eine sichere Sache, weil unser Leben nur Leben auf geliehene Zeit ist und Leben in einer Welt, in der der Gott, der es gut mit uns meint, die Macht nicht allein hat.

Und wenn das Äußerliche ins Wanken gerät und zu einem Widerstand wird, der sich nicht mehr beseitigen lässt, dann gibt es nur noch den Weg durch es hindurch, dann ist die Lage für uns dieselbe wie für die Jünger, denen Jesus seine Gegenwart und Gemeinschaft für alle Zeit zusagte, und dann ist es diese Zusage, die uns, mit unserem Herzen ergriffen, im inneren Menschen Kraft und Ermunterung und Trost sein muss.

Und wie es manchmal einzig von Mensch zu Mensch möglich ist, dass wir einander nahe sein können, so ist es auch mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen Christus: im Äußeren ändert es gar nichts, das Leben erhält seine verlorenen Möglichkeiten nicht wieder zurück und was sich sonst noch in den Weg stellen mag, aber im Innern erhalten wir die Zusage seiner Nähe der Liebe, die trotz allem etwas ausmacht.

Ein Stein, der auf einem Schreibtisch liegt, ist eine Nähe ohne die Macht, etwas im Äußeren zu ändern, aber es ist doch eine Nähe. Ein Nähe mit guten Kräften. Der christliche Glaube weiß das: was Jesus seinen Jüngern und uns heute zusagt, das ist eine solche Nähe an allen künftigen Tagen, trotz all dessen, was im Sichtbaren trennen wird.

Wenn nur unser eigener Name und unsere eigenen Taten auf dem stünden, was wir um uns haben, dann würden wir verkommen. Auf diese Weise ist es noch immer wahr. Aber im Haus der Kirche ist es also auch wahr, dass jedesmal, wenn wir unseren eigenen Namen nennen, auch der Name eines Anderen zu nennen ist, in dessen Namen wir am Anfang unseres Lebens getauft worden sind: der Name des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Was immer unser Schicksal ist und sein wird, göttliche Nähe wird uns in diesem Namen immer folgen. Siehe, sagte Jesus, ich werde bei euch sein alle Tage bis an der Welt Ende! Amen.

Sognepræst Hans-Ole Jørgensen
Hyrdestræde 5
DK-6000 Kolding
Tel.: ++ 45 - 75 52 06 61
E-mail: oj.kolding@mail.tele.dk

Übersetzung aus den Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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