Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Himmelfahrt, 5. Mai 2005
Predigt über 1. Mose 11, 1-9, verfasst von Joachim Ringleben
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Babel und Bibel

Liebe Gemeinde! - Himmelfahrt ist überflüssig, - jedenfalls wenn es nach den Menschen geht; davon handelt diese rätselhafte alte Sage.

Die Menschen hier, sie wollen hoch hinaus, nach oben, bis an den Himmel bauen (4). Sie verfolgen - mit J. Updike zu reden - ihr eigenes "Gottesprogramm". Und Gott läßt sich herab (5), um das zu destruieren. Auch auf Sodom und Gomorrha fährt er so hernieder (1 Mose 18, 21).

Denn "der Herr schaut vom Himmel auf die Menschenkinder, daß er sehe, ob jemand klug sei und nach Gott frage" (Ps 14, 2). Die Menschen hier, sie fragen nicht nach Gott; sie sind, wie es im Text heißt: Adams-Kinder (5), und Gott kann davon ausgehen: "das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf" (1 Mose 8, 21).

Sie fragen nichts nach Gott, sie wollen sich selber einen Namen machen, sie sind Menschen. Der heilige Name Gottes bedeutet keine Grenze für ihr himmelstürmendes Vorhaben, geschweige denn der Name dessen, dessen Name über alle Namen ist (Phil 2, 9), der Name des zum Himmel Aufgefahrenen und zu Gott Erhöhten. - Nein, sie wollen ihren eigenen Namen verherrlichen: ut celebremus nomen nostrum (4).

Gott fährt von oben herab dazwischen; "er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn" (Lk 1, 51). - Und doch hat das etwas Rätselhaftes für uns; denn Gottes Herniederkommen, es verwirrt und zerstreut hier alles - als wäre Gott sein eigenes Gegenteil: der, der alles durcheinanderwirft, der diabolos, Gottes Widersacher. Andrerseits steht ja fest, daß Gottes Selbstherablassung zu uns das einzige Mittel ist, wodurch wir dem Himmel näherkommen! Wie reimt sich das zusammen? Was hat dieser Gott gegen Städtebau und Zivilisation? Und was hat es mit dem Zusammenhang auf sich, der hier zwischen Architektur und Sprache im Spiel ist? Ist die Bibel hier selber babylonisch verwirrt?

Liebe Gemeinde, diese Sage hat es in sich, und wir müssen noch viel genauer lesen.

I

Beginnen wir mit der Architektur. Es geht um ein gigantisches Projekt, Turm und Stadt werden 3mal zusammen genannt; wir sollten den Turmbau nicht isolieren.

Pieter Breughel, der große niederländische Maler, hat ein überwältigendes Bild vom sogen. Turmbau zu Babel gemalt, das man in Wien sehen kann. Auf diesem ungeheuerlichen Gemälde wird klar: es handelt sich um einen Weltbau; die Menschlein betätigen sich da in titanischer Anstrengung als Weltenbaumeister. Und in geradezu hypnotischer Eindringlichkeit hat Breughel sichtbar gemacht, daß dies Riesenwerk nicht nur unvollendet ist, sondern überhaupt nie zu vollenden: je riesiger, desto fragmentarischer. Dazu kommt, daß das Ganze bei ihm schief angelegt ist: so gewaltig - gewaltsam wie (im wahrsten Sinne) ver-rückt. Breughels Bild vom babylonischen Turm ist selber ein Welt-Bild: die Welt als irrwitziges Menschenprojekt, der objektive Wahn.

Kafka hat das von einer allumfassenden Bürokratie gezeigt: ebenso bis ins Letzte konsequent wie chaotisch; einer Bürokratie, an die uns heute manche Universitätsreformen erinnern.

Aber wir kennen auch Riesenarchitekturen, in denen der einzelne Mensch zu verschwinden droht. Die menschenverachtende Monumentalarchitektur der Nazis, die Steinwüsten Manhattans, der Triumph moderner Großstadtarchitektur am Potsdamer Platz, die Twin-towers; und überall gilt: je riesiger, desto zerstörungsanfälliger. Solche Architektur spricht eine Sprache jenseits der Menschen.

Doch hier bei Stadt und Turm von Babel - Babylon geht es wohl um etwas Ärgeres. Sie drücken ja in unserem Text die Einheit der Menschen im Schlechten aus: die adamshafte Einigkeit und Gleichheit und freie Erfindung im Gottesfeindlichen, das immer auch das Menschenfeindliche ist. Der erste Städtebauer war nach der Gen - Kain, der Brudermörder (4, 17b). Babel - das ist Babylon, mit dem Gottesturm (Zikkurat) und Ringmauern, im 2. Jahrtausend v. Chr. das Herrschaftszentrum des Vorderen Orients. Der Name Bab-El: "Tor Gottes", er wird von Gott selber gründlich konterkariert: "Daher heißt ihr Name Babel, weil der Herr daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder" (9). In dem Namen "Babel" hören die alten Israeliten das Verbum balal heraus: verwirren.

Ist das nur die Zivilisationsfremdheit oder -feindschaft von Nomaden? Ich glaube nicht.
Unser Predigttext gibt etwas anderes zu denken, und zwar zweierlei.

Erstens, die Erbauer des wahnwitzigen Riesenprojektes fürchten, daß ihre Machtkonzentration allein sie retten kann: "Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, ... denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder" (4). Genau das aber widerfährt ihnen zum Schluß. Sie werden zum Spielball der Dialektik, daß gerade maßloses Einheitsstreben in Unordnung und Verwirrung umschlägt. Sie fürchten - wie es griech. wörtlich heißt (4.8.9) - die "Diaspora" und wollen ihre Herrschaft weltweit, wie eine sichtbare "Oikumene" sichern; aber weil hier keine "versöhnte Verschiedenheit" waltet, sondern nur totale Einheit etwas gilt, kommt die chaotische Verschiedenheit ihnen ungewollt über den Hals. Gott zieht nur die Folgen von falscher Einheit aus.

Zweitens, die nomadisierenden Stämme des alten Israel haben in der Tat eines voraus vor diesen Sicherheits- und Einheitsfanatikern des babylonischen Reiches: sie sind unterwegs, sie sind im Exodus begriffen, sie erwarten noch etwas von Gott, was noch nicht da ist; und das tun wir mit ihnen: "Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir" (Hebr 13, 14). Diese zukünftige Stadt, die "nicht mit (menschlichen) Händen erbaut ist" (2 Kor 5, 1; Mk 14, 58; Hebr 9, 11), wie der unmenschliche Turm, sie ist die wahre Gottesstadt: das himmlische, das neue Jerusalem: "Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein" (Apc 21, 3).

Nur Petrus wollte voreilig "Hütten bauen" und sich festsetzen (Mk 9, 5).

In diesem Sinne haben wir es in unserem Predigttext mit der Frage zu tun: wo wohnt der Mensch menschlich? Die erste Antwort haben wir gehört. Die zweite Antwort hat es mit der Sprache zu tun, und sie lautet: statt in Babel in der Bibel.

II

Liebe Gemeinde, die Sprache ist ja das eigentliche Thema unserer Geschichte, und das von Anfang an; das gilt es nun zu verstehen.

"Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache" (1), dies ist die Voraussetzung ihres weltbeherrschenden Titanismus und ihrer menschenfeindlichen Architektur (cf. 4). Gott mißfällt es, daß hier nur einerlei Art etwas gilt: "Und der Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk (griech. genos) und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns" (6a). Er will lieber gleich den üblen Anfängen wehren: "nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun" (6b).

Aber warum ist diese Einheit in der einen Sprache ein Übel in Gottes Augen? Sind nicht Verständigungsschwierigkeiten eine Quelle von Unfrieden und Streit?

Die eine Sprache ist wie eine unsichtbare Mauer, die die Welt definitiv zu einer geschlossenen Welt macht. Sie befestigt eine in sich abgedichtete Totalität, die Gott ausschließt. Dieser universale Selbstabschluß des Menschen, seine Selbstverschließung gegen Gottes Wort, sie ist zwar fiktiv und zwanghaft, aber sie ist auch das Instrument ungebrochener Herrschaft. Die Genesis weiß, daß der Mensch durch seine Sprache die Wirklichkeit beherrscht: "Denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen" (1 Mose 2, 19). In seiner Sprache setzt der Mensch das Schöpfungswerk fort; wehe, wenn er es fortan ohne das Wort des Schöpfers tut.

Dann ist ihm, wie es hier heißt, nichts mehr verwehrt. Wenn nur eine Sprache herrscht, so ist das die falsche Einheit; die Einheitssprache, sie bedeutet lautlose Gewalt, die Nichtduldung und Verdrängung der Verschiedenheit. Die Einheitssprache ist Basis jeden totalitären Systems und ihre formelle Einheit ist gewalttätiger Schein. Denn eine totalitäre Einheitssprache ist ja in Wahrheit immer nur eine Parteisprache, die sich absolut setzt.

Gott ist ein Freund der Differenz, der Vielfalt der Sprache und nicht des Esperanto. Er sorgt für die Entmischung des gewaltsam Vereinten: "Als der Höchste den Völkern Land zuteilte und der Menschen Kinder voneinander schied, da setzte er die Grenzen der Völker" - so 5 Mose 32, 8.

Genau darum "verwirrt" er hier den Einheitscode von Babylon. "Bis hierher und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen" (Hi 38, 11). Gott differenziert aus:

Er macht, daß die Sprache des Menschengeschlechts nur in den verschiedenen Einzel-Sprachen da ist. So kann kein Mensch über das allen Gemeinsame herrschen, es nicht in die eigene Verfügungsgewalt nehmen. Denn der Mensch existiert human erst in seiner eigenen Sprache.

Gott verwirrt die Einheitssprache: das ist der heilsame, göttliche Virus im babylonischen Computerprogramm. Es gibt nicht und darf nicht geben: den Einheitsmenschen. Nur wenn das Individuelle sein Recht behält, bleibt der Mensch Mensch. Das Gemeinsame soll in der Verschiedenheit gesucht werden: innige Verwandtschaft noch im fremdesten Laut (Humboldt); und genau dies eröffnet die Möglichkeit neuer, wahrhaft humaner Gemeinschaft. Gott ist ein Freund der Differenz - um der Menschen willen.

Darum haben wir Christen auch keine "heilige" Sprache mehr. Über Jesu Kreuz war der Titulus in drei Weltsprachen angebracht. Gott ist ein Freund des Übersetzens; darum ist ihm auch die Luther-Bibel so lieb.

Wo der Turm des Verstandes mit seiner Einheitslogik bis an den Himmel reicht, da verwirrt Gott bis heute diese globale Vernetzung. Auch über ihr liegt ja die Dialektik: je geschlossener das weltweite System - Programm, desto anfälliger für Manipulation und verbrecherische Eingriffe. Gottes gnädige Herablassung in die Menschensprache, das bedeutet bis heute, daß er die einförmige Rationalität unserer Verstandessprache heilsam verwirrt: durch sein eigenes Wort.

III

Liebe Gemeinde, wo wohnen wir Menschen auf menschliche Weise?
Heidegger hat gesagt, die Sprache sei das Haus des Seins.
Wir meinen, die Sprache der Bibel, das ist das Haus unseres menschlichen Seins, in dem wir leben können.
Die babylonische Sprachverwirrung, sie bedeutete auch, daß man in Babel nicht menschlich wohnen kann, sie bedeutet Heimatlosigkeit.

Wir erleben sie heute als religiösen Pluralismus, als das Durcheinander sektiererischer "Neu-Religionen", als das sumpfige Gelände der Esoterik. Statt Gewißheit im Glauben ein Gewirr religiöser Idiome, Meinungen in privater und beliebiger Vielfalt - wirklich eine babylonische Polymythie, und ihr entspricht die geistige Obdachlosigkeit frei vagabundierender Spiritualität. Auch hier schlägt Globalisierung in neue Unübersichtlichkeit um.

Gott hat der babylonischen Verwirrung zu Pfingsten mit dem Wunder seines Geistes ein Ende gemacht: hier, wo ein jeder die Botschaft des Evangeliums "in seiner eigenen Sprache reden hörte" (Act 2, 6), hier ist die lebendige Einheit in natürlicher Vielfalt möglich geworden - und das ist eben der Geist.

Denn die wahre Vereinigung liegt in der Sprache, die zur wahren Erkenntnis Gottes führt. Der Vatersprache des Evangeliums, der Sprache des Menschensohnes.

Seit dieser Mensch gen Himmel aufgefahren ist und im Himmel regiert, "ist das Wort dir nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen" (Röm 10, 8). Das Weitersagen des Evangeliums - nach Himmelfahrt und nach Pfingsten -, es ist das göttliche Mittel, unsere Herzen, unsere Sinne und unsere Vernunft zu vereinigen (Hamann).

Darum also: von Babel zur Bibel, von der Architektur in die Archi-textur. Denn hier im Bibelwort, da können wir menschlich wohnen, und da können wir lebenslang wohnen.

Die biblische Sprache ist das Haus unseres Seins - und das für jeden auf seine Weise; denn, wie Christus sagt: "In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen" (Joh 14, 2).

Liebe Gemeinde, unser Tempel ist die h. Schrift; in ihr wohnen, das heißt sie lesen, und sie lesen, das heißt in ihr leben. Die ersten Früchte des H. Geistes sind Lese-Früchte: "klopfet an, so wird euch aufgetan" (Lk 11, 9b) - nämlich die Tür zum Vaterhaus; Luther hätte gesagt: die Pforte zum Paradies.

Denn: "Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn; mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.

Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen - deine Altäre, Herr Zebaoth, mein König und mein Gott. Wohl denen, die in deinem Hause wohnen; die loben dich immerdar" (Ps 84, 2-5).

Amen

Predigt beim Universitätsgottesdienst am Fest von Christi Himmelfahrt im Kloster Bursfelde von Abt Ringleben

Prof. Dr. Joachim Ringleben
E-Mail c/o regine.pfau@theologie.uni-goettingen.de

 


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