Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Rogate, 1. Mai 2005
Predigt über Lukas 11, 5-10, verfasst von Christian Dietzfelbinger
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Kollektengebet. Herr, unser Gott und Vater! Du bist ein Gott, der auf seine Menschen hört; darum rufen wir dich an. Du achtest auf uns, darum bringen wir vor dich, was uns beschwert und uns Angst macht; wir bringen uns selber vor dich. Du schaust auf uns und durchschaust uns, darum schauen wir vertrauend zu dir auf, zu dem Gott, der uns kennt und vor dem wir ohne Angst uns öffnen können. Höre auf unser Bitten und antworte; laß unser Suchen nicht ziellos enden, sondern lenke es zu dir; und wenn wir bei dir an-klopfen, dann öffne uns die Tür. Darum bitten wir dich durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Bruder und Herrn.

Liebe Gemeinde!

In seinen Gleichnissen, in denen das Wort Gott nicht vorkommt, redet Jesus von Gott. Aber wie kann er von Gott reden in einer Welt, in der das Wort Gott mißbraucht wird, um Kriege zu rechtfertigen und wo im Namen Gottes gemordet wird, damals wie heute? Unter Berufung auf Gott hat man sich gegenseitig totgeschlagen, hat man andere unterdrückt, hat man gelogen und geraubt und tut es weiterhin. Gott – kaum ein Wort unter Menschen ist so besudelt und geschändet und zerfetzt worden wie dieses Wort. Wäre es nicht besser, das Wort Gott nicht in den Mund zu nehmen, wenigstens für einige Zeit, oder soll man gleich das tausendfach mißbrauchte Wort Gott streichen aus unserer Sprache? Man kann so fragen; man soll so fragen, und dann versteht man besser, wie und warum Jesus von Gott redet. Er redet so von Gott, daß dabei Gott selbst zu Wort kommt, und anders, sagt Jesus, kann man gar nicht von Gott reden. Wer von Gott redet, ohne daß dabei Gott selbst zu Wort kommt, wer von Gott redet und damit seine eigenen guten oder bösen Ideen meint, der redet gar nicht von Gott. – Jesus aber redet von Gott. Wie tut er das? Mit Vorliebe hat er in Gleichnissen von Gott gesprochen, und hier kann man miterleben, wie genau und überlegt er das getan hat, so überlegt, daß sein Wort über Gott plötzlich und im Handumdrehen zum Wort Gottes selbst wird, zu dem Wort, bei dem die Zuhörer wußten: Jetzt redet die letzte Instanz, jetzt redet Gott mich an. Wie das geschieht und was dabei geschieht, das werden wir – vielleicht – jetzt erleben, wenn wir ein Gleichnis hören, mit dem Jesus von Gott gesprochen hat. Es steht im Lukas-evangelium Kapitel 11,5-10.

Wer ist unter euch, der einen Freund hat, und der ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: "Lieber Freund, leihe mir drei Brote; denn es ist mein Freund zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen könnte". Und der drinnen würde antworten und sagen: "Mach mir keine Plagen! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder sind bei mir im Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben". Ich sage euch: Ob er auch nicht aufsteht und ihm gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch um der schlimmen Schande willen aufstehen und ihm geben, was er braucht. – Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gege-ben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

I. Jesus konnte hübsche Geschichten erzählen, und hier erzählt er eine hübsche Geschichte, eine Geschichte zum Miterleben und Mitmachen. Erleben wir sie also mit! Was erleben wir? Wir erleben eine zwar nicht alltägliche, aber auch keine besonders aufregende, allenfalls eine ärger-liche, vielleicht auch ein bißchen komische Geschichte – sie könnte jedem von uns passieren. Was passiert? Es ist Mitternacht; wir alle, die ganze Familie, schlafen in dem einen großen Raum, der Schlafzimmer und Wohnzimmer und Küche zugleich ist (so ärmlich geht es zu in der Welt Jesu), und es ist ganz still, man hört nur das Atmen der Schlafenden. Auf einmal klopft es an der Tür, laut und heftig, fordernd und fast verzweifelt. Wer steht draußen? rufe ich, und was will der, der da draußen steht? Und jetzt höre ich die Stimme meines Nachbarn, und durch die geschlossene Tür erzählt er von seiner fatalen Verlegenheit. Denk dir, sagt er, ich habe gerade, kurz vor Mitter-nacht, Besuch bekommen. Plötzlich und unangemeldet steht mein Freund vor mir, hungrig und erschöpft von der Reise. Natürlich habe ich ihn hereingelassen trotz der späten Zeit; aber wie ich ihm Brot vorsetzen will, merke ich voller Entsetzen, daß kein Brot mehr im Haus ist. Stell dir das vor: Jetzt sitzt mein Freund drüben in meiner Stube, und ich kann ihn nicht bewirten. Welche Schande, welche unausdenkbare Schande kommt über mich, wenn das bekannt wird: Der hat seinem hungrigen Freund kein Brot gegeben! Bitte bitte, gib mir drei Stück Brot; du hast doch genug vor-rätig. Dann kann ich meinen Freund anständig bewirten, brauche ich ihn nicht hungrig wegzu-schicken!

Eine schöne Bescherung, in die ich da hineingeraten bin. Eigentlich möchte ich meinen Nachbarn, einen guten Nachbarn übrigens, einen Freund sogar, ärgerlich wegschicken: Laß mich in Ruhe! möchte ich am liebsten sagen. Es ist Mitternacht, und ich habe einen schweren Tag hinter mir, und also habe ich ein Recht auf Ruhe. Außerdem: Wenn ich aufstehe und Brot hole, wecke ich die Kin-der, trete ihnen auf Hände und Füße (man liegt ja nicht in Einzelbetten wie bei uns, sondern auf dem mit Stroh bedeckten Fußboden, mit einer dürftigen Decke zugedeckt, und viel Platz hat man nicht), und das Geschrei der Kinder mag ich mir gar nicht vorstellen. Nein, geh jetzt, ich gebe dir nichts; komm morgen früh wieder, so lang wird es dein hungriger Freund noch aushalten. Aber jetzt, das wirst du einsehen, kann ich dir nichts geben – natürlich heißt das: Jetzt will ich dir nichts geben.

Werde ich mich so verhalten? Nein, das werde ich nicht tun. Sondern was werde ich tun? Ich werde meinen Ärger hinunterschlucken, werde das Kindergeschrei riskieren und die drei Brote holen, gar nicht so sehr darum, weil ich meinem guten Nachbarn die Bitte nicht abschlagen kann; vielleicht könnte ich das sogar. Aber was dann geschähe, weiß ich nur zu gut: Morgen früh weiß es das ganze Dorf, daß ich dem Nachbarn die Hilfe verweigert habe, und darum hat er die Pflicht der Gastfreundschaft, die heilige Pflicht der Gastfreundschaft nicht erfüllen können (wir sind im Orient, und da gilt Gastfrfeundschaft als heilige Pflicht). Und ich wäre daran schuld, daß er seinen Freund hungrig wegschicken mußte. Alle werden mit dem Finger auf mich zeigen: Das ist der, der seinem Nachbarn die drei Stücke Brot verweigert hat. Was brächte das für eine Schande über mich, eine nicht auszulöschende Schande! Das kann ich mir nicht leisten. Und darum – ich gebe mir einen Ruck, stehe auf, zünde die Öllampe an, reiße meinetwegen die Kinder aus dem Schlaf, hole drei Stücke Brot, schiebe den lärmenden Riegel zurück, der auch das jüngste Kind noch aufweckt, und gebe dem Nachbarn, was er braucht …… Es ist geschehen: Meine Ehre ist gerettet, niemand wird mit dem Finger auf mich zeigen und mir nachsagen können, daß ich meinem Nach-barn daran gehindert habe, die Pflicht der Gastfreundschaft zu erfüllen. Mein guter Ruf im Dorf ist unangetastet; ich brauche mich nicht zu genieren, kann mich von jedermann sehen lassen. Was bin ich für ein ehrenwerter Mann!

II. So weit das Gleichnis. In Gleichnissen hat Jesus von Gott geredet, sagten wir vorhin, sagt Jesus selbst. In seinen Gleichnissen will Jesus Gott zum Reden bringen, will er ihn in die Welt und in das Leben der Menschen hineintragen. Aber kann mir einer sagen, inwiefern in unserer Geschichte Gott reden und in unser Leben hineinkommen soll? Kein Wort von Gott steht da, und von Gottes Anrede an mich höre ich nichts, sagen wir. Aber das Gleichnis spricht nur von Gott, würde Jesus erwidern; die ganze Geschichte, die ich euch erzählt habe, ist von Gott erfüllt, sie atmet Gott und Gott atmet in ihr, und wer richtig hinhört, der hört, wie Gott ihn anredet, und er spürt den Atem Gottes. Man muß also bloß hören, genau und richtig hinhören, meint Jesus, dann kann man gar nicht überhören, wie diese Geschichte von Gott spricht und wie in ihr Gott nicht nur zu Wort, sondern in mein Leben hineinkommt. Der Mann, der da um Mitternacht aus dem Schlaf gerissen wird und der zwar ärgerlich und brummend, aber immerhin seinen Nachbarn nicht in seiner Verlegenheit stecken läßt, sondern ihm gibt, was er braucht, um seinen Freund bewirten zu können und die Pflicht der Gastfreundschaft zu erfüllen – er tut es, weil sonst sein guter Ruf im Dorf, in der ganzen Gegend ruiniert wäre, und das kann er sich nicht leisten. Wie sollten wir das nicht verstehen!

Und jetzt, liebe Gemeinde, können wir auch verstehen, was Jesus mit diesem Gleichnis ankündigt: So wenig, wie der Mann im Gleichnis es sich leisten kann, die Bitte seines Nachbarn zu überhören oder zurückzuweisen, so wenig – darf man es sagen? Man muß es sagen! – kann Gott es sich leisten, die Bitten seiner Menschen zu überhören. Jetzt, sagt Jesus, ist tatsächlich die Zeit gekom-men, in der Gott es sich nicht leisten kann, die Ohren vor den Bitten seiner Menschen zu verstop-fen. Es ist die Zeit da, in der die Menschen, in der wir Menschen uns unbedingt darauf verlassen können, daß Gott das Rufen seiner Menschen nicht ungehört an sich vorbeigehen läßt, weil er wirklich unser Gott, weil er mein Gott ist. – So redet Jesus von Gott. Hat jemals einer gewagt, in dieser Weise von Gott zu reden: Gott kann es sich nicht leisten, seine Ohren vor den Bitten seiner Menschen zu verschließen? Gott würde sich blamieren, wenn er als ein Gott dastünde, der das Flehen der Menschen überhört, so wie jener Mann im Gleichnis in aller Öffentlichkeit blamiert dastünde, wenn er sich nicht, mag er es noch so mürrisch tun, aus seinem Bett herauswälzte, um dem bittenden Nachbarn das gewünschte Brot zu geben. Noch deutlicher: Gott wäre gar nicht Gott, wenn er nicht in jedem Fall sein Ohr offen hätte und offen hielte für seine Menschen. – Aber habt keine Sorge, sagt Jesus mit diesem Gleichnis. Gott blamiert sich nicht; seine Ohren sind offen, ganz offen, und darauf könnt ihr euch absolut verlassen. Im Leben und im Sterben sind Gottes Augen und Ohren offen für euch, und es gibt keinen Augenblick des Leides und keinen Augenblick des Glücks, in dem er nicht ein hörender, der uns hörende Gott ist.

So redet Jesus von Gott; so wagt er, von Gott zu reden. Mit welchem Recht tut er das? Wir, so wie wir hier sitzen, haben schwerlich das Recht, in solcher Weise von Gott zu reden (– oder doch?). Wie kann Jesus das Unerhörte wagen, Gott vor den Ohren seiner Hörer lebendig zu machen als den Gott, der sich blamieren würde, wenn er am Rufen und Schreien seiner Menschen harthörig vorbeiginge? Auf diese heikle Frage, liebe Gemeinde, gibt es – man kann es mit gutem Gewissen sagen – eine Antwort, eine ganz einfache Antwort. Jesus kann es wagen, in so unerhörter Weise von Gott zu reden, weil von Gott her Unerhörtes geschehen ist, oder (sagen wir es genauer) weil mit dem Kommen und mit dem Reden und dem Schicksal Jesu Unerhörtes unter uns und für uns geschehen ist. Als Jesus in die Welt kam und als er einstieg in unser Leben, da hat er Gott selbst hineingebracht in unsere Alltäglichkeit, in unser gewöhnliches und fragwürdiges Menschenleben. Und jetzt ist Gott da in unseren Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten nicht weniger als bei den großen Entscheidungen und Erlebnissen, in die wir von Zeit zu Zeit hineingeraten. Hier und immer, sagt Jesus mit seinem Gleichnis, redet Gott uns an und fordert uns, und da ist er der Gott, der uns unbedingt hört. – Darum können wir Tag für Tag und Stunde um Stunde heraustreten aus unserer Lebensenge und Lebensangst und uns hineinbegeben in das absolute Vertrauen, das wir keinem Menschen gegenüber haben können und haben dürfen, das man nur Gott gegenüber haben und leben kann. Weil Gott der Gott ist, wie Jesus ihn verkündigt, darum haben wir das Recht, jeden Tag herauszutreten aus dem unruhigen Flattern unserer Gedanken und aus der Unsicherheit unseres Wissens und Gewissens, und wir haben das Recht, atemlos und zitternd oder ruhig und gelassen hineinzugehen in die Wirklichkeit des Gottes, in der wir sagen: Du, Gott, hörst mich, und keine Macht der Welt kann dich daran hindern, auf mich zu hören. Dieses Recht hat Gott uns eröffnet, sagt Jesus mit seinem Gleichnis, und von diesem Recht Gebrauch zu machen, dazu lädt Gott uns ein.

III. Das ist eigentlich genug und wir könnten Amen sagen. Aber wie wenn es mit dem Gleichnis nicht genug wäre, schließt sich noch ein weiterer Satz an, der, hört man genau hin, ebenso unerhört ist wie das Gleichnis: "Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, dem wird gegeben, und wer da sucht, der findet, und wer da an-klopft, dem wird aufgetan". Ein großer Satz, die meisten von uns kennen ihn; manche kennen ihn auswendig. Er folgt auf das Gleichnis, aber in ihm spricht Jesus auf einmal ganz anders, nicht behaglich erzählend, und nichts mehr hören und sehen wir von jenem Mann, wie er mitten in der Nacht aufgeweckt wird, wie er wütend den bittenden Nachbarn fortschicken will, wie er schließ-lich doch knurrend und schimpfend aufsteht und ihm die geforderten Brote durch die knarrend geöffnete Tür reicht. Wie redet Jesus jetzt, wenn er sagt: Suchet, so werdet ihr finden! Klopft an, so wird euch aufgetan! Redet er nicht wie ein jüdischer Lehrer, der jenes große Wort aus Psalm 138,3 auslegt: "Wenn ich dich anrufe, so erhörst du mich"? Und daraus ergibt sich dann wie von selbst die strenge, logische Regel: Wer da bittet, der empfängt … So ist es und nicht anders, und das habt ihr zur Kenntnis zu nehmen, und richtet euch gefälligst danach. Aber vielleicht steht der, der so spricht, nicht wie ein strenger Lehrer neben mir, sondern wie einer, der mir, dem verzagten Menschen, weise und gütig zuredet: Verlier dich nicht in dem Durcheinander deines Lebens; denk vielmehr daran, wie du dich mit letzter Sicherheit darauf verlassen kannst, daß du von Gott emp-fängst, wenn du ihn bittest, daß er dir öffnet, wenn du anklopfst, und daß du ganz gewiß nicht umsonst suchst, wenn du nach ihm suchst.

Hier spricht Jesus mit einer Zuversicht, die kein Wanken kennt, oder vielmehr: diese Zuversicht hat alles Wanken hinter sich gelassen – eine verwegene Zuversicht; ist sie zu verwegen? Was empfinden wir dabei? Stimmen wir beglückt zu – oder lassen wir die Bitterkeit in uns hochkom-men, die da sagt: Bleib mir vom Leib mit solcher Zuversicht! Denn sie führt – böse Erfahrung hat es uns gelehrt – nicht in Erfüllung, sondern in Enttäuschung. Ich brauche niemanden unter uns daran zu erinnern, wie oft unser Bitten zu Gott, das sehnsüchtigste Bitten, unerhört geblieben ist, wie oft wir nicht gefunden haben, was wir mit Angst oder mit Hoffen oder mit Leidenschaft gesucht haben, wie oft die Tür verschlossen blieb, an der wir klopften, und an der wir nicht nur einmal klopften. Nein, sagen wir – wir sagen es mit Tränen oder mit hartem Trotz oder in stummer Verzweiflung: Wir haben ganz anderes erfahren als das, was jene schöne Regel, jene nur scheinbar schöne Regel sagt. Und darum haben wir uns in unsere Einsamkeit und Trauer eingegraben; erschöpft von erfolglosem Suchen sind wir nach Hause gegangen; ohnmächtig haben wir uns nach vergeblichem Anklopfen in unserem Leid verkrochen. Was sollen wir mit jenem Jesuswort von dem erhörten Bitten, von dem zum Ziel gelangten Suchen, von der sich öffnenden Tür anfangen? Es ist für uns unbrauchbar, und unbrauchbare Sachen – was tut man mit ihnen? Man wirft sie weg.

Und jetzt, liebe Gemeinde, sollen alle unsere Enttäuschungen sich um uns versammeln, alles ver-gebliche Suchen und Anklopfen. Alles soll sich vor uns auftürmen wie eine dicke Gefängnismauer, das Nichterreichte, das Verfehlte, das Viele, was wir leben wollten und nicht leben konnten. Und als Menschen, die von dem allen wie von einer Mauer eingeschlossen sind, hören wir noch einmal das Jesuswort vom Bitten und Suchen und Anklopfen: Wer da sucht, der findet; wer da anklopft, dem wird aufgetan. Was hören wir? Wir hören eine Verheißung, die jene Mauer durchstößt, ein Versprechen, das sie zum Einsturz bringt. Mit seinem Wort vom erhörten Bitten – du bist ein unbedingt von Gott erhörter Mensch, und darum kannst du ihn bitten – führt Jesus das Gleichnis zum Ziel und läßt uns wissen, wie wir in das Gleichnis hineingehören. Wie Gott gar nicht Gott wäre, wenn er nicht unbedingt und in jedem Fall auf seine Menschen hören wollte, so wäre der Mensch gar kein richtiger Mensch, wenn er nicht ein Gott bittender, ein Gott suchender, ein bei Gott anklopfender Mensch wäre. Wir Menschen, sagt Jesus damit, können es uns gar nicht leisten, etwas anderes zu sein als Gott bittende, Gott suchende, bei ihm anklopfende Menschen. Wir schädigen unser Menschsein, wir schädigen uns selber im Kern, wenn wir nicht sein wollen, wozu wir doch geschaffen sind: Gott bittende, nach ihm sich ausstreckende, bei ihm anklopfende Menschen. Wir sind dabei, uns selbst zu zerstören, wenn wir diese Urwahrheit unseres Lebens nicht wahr sein lassen. Und was geschieht mit mir, wenn ich ein Gott bittender Mensch bin? Dann bekenne ich, daß ich ohne ihn nichts wäre; indem ich Gott suche, bekenne ich mich zu Gott als zu meinem Gott; indem ich bei ihm anklopfe, bekenne ich, daß er es ist, der mir die Türen öffnet. Wer aber Gott so bittet, der ist, mag er dran sein, wie er will, endlich in der Wahrheit angekom-men, in die er gehört. Der ist, sagt Jesus, in jedem Fall ein von Gott erhörter Mensch; für den ist auch eine geschlossene Tür eine offene Tür.

Was Jesus hier sagt, ist so unerhört wie das vorausgegangene Gleichnis unerhört ist. Was Jesus hier sagt, ist von einem seltsamen Geheimnis erfüllt; man kann es nur scheu betrachten und betasten. Jesus spricht von Gott; aber wir können sicher sein, daß er eben damit auch von sich selbst spricht. Was sehen wir jetzt? Ein Mensch steht da, der bittende Mensch Jesus, der nur noch auf dem Einen besteht: Du, Gott, bist mein Gott; so sei nun auch mein Gott; und solcher Bitte kann Gott nicht widerstehen. So stand Jesus vor Gott; so hat er selbst zu Gott gesprochen, und darin war er der eine Sohn Gottes. So stehen wir vor Gott, und so können wir zu Gott sprechen. Hier redet Jesus uns an als die Menschen, die mit ihm zusammen das Recht haben, als bittende Menschen vor Gott hinzutreten, bei ihm anzuklopfen, hineinzugehen durch die von Gott geöffnete Tür und zu sagen: Wir verlassen uns darauf, daß du uns unbedingt hörst, und darum sind wir immer schon erhörte, bei dir angekommene Menschen. – So redet Jesus von Gott. Von diesem Gott darf man nicht schweigen; von ihm muß man reden, und darum bringt Jesus ihn zum Sprechen. So spricht im Wort, in diesem Gleichnis Jesu Gott uns an. Haben wir es gehört? – Amen.

Schlußgebet. Unser Gott und Vater! Wir leben in deiner Welt; wir sind umfangen von deiner Bewahrung; wir sind freigesprochen durch dein freimachendes Wort; von dir werden wir täglich auf unseren Weg gestellt. Wenn wir zweifelnd oder trotzig nicht mehr weiterwissen und wenn wir aufgeben wollen, dann willst du uns die Tür öffnen. Wenn wir uns verrannt haben in Kurzsichtigkeit oder Rechthaberei, dann wartest du darauf, daß wir uns auf dich besinnen und uns korrigieren lassen. Wenn wir gefesselt sind von unserer Vergangenheit, wenn Versäumnisse und Schuld uns lähmen, dann sprichst du uns frei und läßt uns in deinem Reich leben, in dem dein Name geheiligt wird und dein Wille geschieht.

Wir bitten dich, daß du uns deine Gegenwart bewußt machst, daß wir begreifen, wie du an uns und durch uns wirken willst. Laß uns dein lösendes und freisprechendes Wort hören, das uns herausholt aus verfehl-ten Bindungen. In der Angst, die uns umfängt, möchten wir deine Nähe erfahren; in dem Glück, das uns erhebt, möchten wir deine Güte erkennen. In den Schrecken, die unsere Welt erschüttern, möchten wir spüren, wie deine bergende Hand uns umfaßt.

Laß denen deine helfende Nähe zuteil werden, die von Kriegen heimgesucht und von Hunger gequält werden. Mach es denen, die Krieg und Hunger verursachen, schwer, in ihren Torheiten zu bleiben und stell ihnen Menschen zur Seite, die ihnen helfen, daß sie sich selbst durchschauen in ihrer Verkehrtheit. Zeig ihnen, daß es auch für sie besser ist, zu heilen als zu verwunden. Die Politiker, die Zeitungsleute, die Lehrer, die Wirtschaftsführer und wer sonst öffentliche Verantwortung trägt: Sie sollen wissen, daß sie vor dir stehen, daß sie von dir begnadet sind und von dir zu Rechenschaft gezogen werden.

Weil du der Gott bist, der uns hört, darum öffnen wir dir unser Leben und bekennen vor dir, wer wir sind, was wir hoffen, was wir brauchen.

Vater unser im Himmel ……

Prof. Dr. Chr. Dietzfelbinger
Weissdornweg 14/169
72076 Tuebingen
Tel O7071/6 77 28
christian.dietzfelbinger@web.de

 


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