Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Rogate, 1. Mai 2005
Predigt über Johannes 16,23-28, verfasst von Kirsten Bøggild (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


NEUES GEBET IN JESU NAMEN

Was meint er, wenn er sagt: ”Bittet, so werdet ihr empfangen, damit eure Freude vollkommen wird”? – Wir kennen den Ausdruck ”die Freude hat Risse bekommen”. Die Freude an sich ist ganz und vollkommen, aber es gibt etwas, was sie verletzen, sie halbieren, ja fast zerstören kann. Und die Worte, die wir heute aus dem Johannesevangelium gehört haben, sind Bruchstücke der Abschiedsreden, die Jesus vor seinem Tod für seine Jünger hielt. Ihre Freude war zu dieser Zeit also alles andere als vollkommen. Sie hatten Angst, sie waren unruhig, ratlos. Sie sollten den Menschen verlieren, den sie am meisten in der Welt liebten. Aber Jesus spricht von einer anderen Zeit und einer anderen Welt. Er spricht von der Zeit nach der Auferstehung. Dann wird der Tod überwunden sein. Dann wird es keinen Tod geben, der die Freude trüben kann. Wie die Freude am Morgen der Schöpfung war, vollkommen und ganz, so wird sie zurückkehren als vollkommene Freude, weil Sünde und Tod nicht mehr die Macht haben werden, sie zunichte zu machen. – Wir können uns die vollkommene Freude fast nicht vorstellen, denn wir kennen die Freude vor allem als Glück des Augenblicks, das schnell Bedenken bekommt. Wir können uns nämlich die Freude nur ganz schlecht erhalten. Man höre nur, was Professor Løgstrup schrieb:

„Freude, das bilden wir uns ein, kommt ganz von selbst. Wir können es gar nicht lassen, uns zu freuen, – aber es gibt nichts, was wir so leicht unterlassen, wie uns zu freuen. Wir werden überschüttet mit dem, was erfreulich ist, umsonst. Wir mögen uns nicht freuen, und wir glauben obendrein, dass das nichts bedeutet. Aber es ist eine Todsünde. Vielleicht mehr als alles andere zerstören wir unser eigenes Leben und unser Leben miteinander, wenn uns die Fähigkeit zur Freude abgeht. Das Erfreuliche erachten wir nicht der Freude wert. Ungeahnte Mengen von Erfreulichem sind an uns vergeudet. Es ist, wie Kapitän Ahab in Moby Dick sagt: es gehört geistige Kraft dazu, sich zu freuen, und die fehlt uns möglicherweise mehr als irgend etwas anderes.”

Und dennoch: die Freude ist ursprünglich an und für sich vollkommen, und das wird sie wieder sein, wenn wir um sie bitten. Ist sie verloren, zerschlagen, liegt sie in Scherben – sie kann wieder ganz und vollkommen werden, wenn wir die geistige Kraft haben, um sie zu bitten.

Jesus spricht davon, dass diese Erfüllung in seinem Namen geschehen werde. ”Wenn ihr den Vater um etwas bittet, wird er es euch in meinem Namen geben.” Das sind Gedanken und Vorstellungen, die den Jüngern noch ganz fremd sind. Noch haben sie Jesu göttliche Macht nicht ver­standen. Aber er war der Mensch, der Gott mit uns versöhnt hat. Und er war der Mensch, der Gott als Liebe offenbart hat. Und der Gott, der versöhnt ist und liebt, wird unser Gebet um Liebe, Vergebung, Freude erhören! Er kann nicht anders. Das ist kein Ereignis, das man sehen oder sonst sinnlich wahrnehmen kann. Es ist ein inneres und unsichtbares Ereignis. Unsichtbar wie der Glaube. Aber mit einer Kraft, die schafft, was sie benennt.

Neu sollte es sein, in Jesu Namen zu beten. Das Neue ist das grenzenlose Vertrauen zu Gott, das Jesus selbst besaß und das er an uns weitergab. Die Furchtlosigkeit, der Glaube daran, dass die Freude das Erste und das Letzte ist, was zu sagen ist über das Leben, das wir geschenkt bekommen haben. Dass die Freude das Leben ist. Das Leben ist die Freude. Und dass sie für alle Geschöpfe da ist. Nicht nur für eine auserwählte Schar. Das ist nicht die Art und Weise, wie wir zusammen leben: Wir teilen uns und haben an uns selbst genug. Wir stehlen die Freude voneinander und bekämpfen gegenseitig unsere Lebensweise mit Ärger und Vorurteilen, mit Neid und Eifersucht. Wir leben, wie wenn die Freude wie eine Ware käuflich und verkäuflich wäre. Und wenn dann alles zu spät ist, dann beklagen wir uns. Aber das nützt nichts. Das Neue ist, um die gemeinsame Freude zu bitten, die da ist, wenn wir den Glauben und den Willen haben. Sie ist nicht zu kaufen oder zu verkaufen, aber wir können sie uns teilen. Und je mehr wir sie teilen, desto größer wird sie!

Neu sollte es auch sein, dass Jesus die Bildersprache verlassen und die Dinge frei und direkt sagen konnte. Er hatte in Gleichnissen gesprochen und durch Zeichen gehandelt. Er hatte seine Zuhörer gelehrt, das Leben zu kennen, und zwar mit Hilfe von Erzählungen und Vergleichen. Er war wie ein Lehrer und Pädagoge gewesen. Jetzt aber sollte er selbst hervortreten. Er sollte nun nicht mehr ÜBER das Leben sprechen, er sollte selbst das Leben sein.. Wie das? Durch die Hingabe an das Leben. Ja, aber er gab sich doch dem Tode hin, dem Tode an einem Kreuz! Nach dem Johannesevangelium war das dasselbe. Er gab sich selbst dem Leben. Das war sein Tod. Aber die Hingabe war zugleich Verherrlichung. Sie war der Sieg über den Tod, der uns verschlossen machen und uns Angst machen und uns daran hindern will, uns dem Leben hinzugeben. Als Jesus in den Tod ging, weil es um der Wahrheit willen notwendig war, war das kein Bild von etwas oder eine Belehrung. Das war direkte Rede. Ausdruck grenzenloser, allumfassender Liebe. Das wussten die Jünger erst, als es geschehen war. Deshalb war da ein Unterschied zwischen der Zeit vor dem Tod Jesu und danach. Sein Tod warf ein Licht auf das, was er gesagt und getan hatte. Er eröffnete ein neues Verständnis dessen, was er gesagt hatte. Dass es keine neue Lebensweisheit war, sondern dass es eine Offenbarung der Liebe Gottes war, für die er mit sich selbst, seinem Leben, seinem Tod einstehen konnte. Das war kein gewöhnlicher theoretischer Unterricht, alles, was er war, das hat er gegeben. Und er war die Erkenntnis Gottes, hinter die niemand kommen kann und die niemand durch etwas ersetzen kann, was schöner wäre.

Wenn Gebet im Namen Jesu Erfüllung enthält, dann beruht das auf Jesu Verhältnis zu Gott. Dass er wie direkt von Gott selbst ausgegangen war und dass er mit ihm wieder vereint wurde nach einem Leben in der Welt. Er nannte ihn Vater und glaubte, dass Gott die liebte, die er liebte. Wir haben eine Vorstellungswelt vor uns, die auf Liebe zwischen Menschen und auf Liebe zwischen Gott und Menschen baut. Außerhalb dieser Vorstellungswelt gibt es nichts anderes als Poesie. Aber für das Christentum ist das wahre Wirklichkeit. Jesus konnte sich selbst nicht als isoliertes Individuum sehen. Er sah sich selbst immer als einen, der zu anderen gesandt war. Als einen, der für andere da war. Er sah Gott – nicht als irgendeine zufällige Spekulation – sondern als väterliche Liebe. Er erlebte das Leben als aus Liebe geschaffen. Aus Freude. Für alle. Das er aus diesem Grunde nur empfangen konnte, indem er es mit allen teilte. Indem er sich selbst als Antwort gab. Als Dank. Sich selbst Gott geben und denen, die Gott liebte, den anderen. – Kennen wir den Gedanken? Ja, in zahlreichen Abwandlungen. Aber der reine, ursprüngliche Gedanke, das ist der, der sich aus Liebe opfert. Ohne den Feind zu hassen. Der reine, ursprüngliche Gedanke ist nicht damit verbunden, etwas erreichen oder etwas behaupten zu wollen. Es ist kein Zweck damit verbunden, sich selbst hinzugeben. Es ist nur dies eine: dass er nicht anders kann, weil er selbst ein Teil der Liebe Gottes ist. Selbst ist er von ihrem Wesen ausgegangen. Es gibt keinen egoistischen Zweck seiner Liebe. Sie ist einfach da – so selbstverständlich wie die Sonne und der Mond und die Sterne… Jesus ist ein Mysterium, wie Gott ein Mysterium ist. Aber ansonsten ist unser eigenes Leben ein Mysterium: Wie es im Taufritual heißt: ”Gott bewahre deinen Ausgang und Eingang von jetzt an und in Ewigkeit.” Wie Jesus vom Vater ausging und zu ihm zurückkehrte, so sind auch wir vom Schöpfer ausgegangen und gehen im Tode wieder zu ihm. So reden wir, denn so können wir uns das vorstellen, war wir nicht sehen können – und schöner kann es nicht sein. Sogar der moderne Mensch nimmt die Vorstellung an und lebt mit ihr in mystischer Zuversicht und Verstehen.

Wenn wir im Namen Jesu zu Gott beten, dann tun wir das in Vereinigung und Zusammengehörigkeit mit einem Menschen aus Fleisch und Blut. Wir beten zu Gott wie zu einem Vater aller lebendigen Geschöpfe und ganz besonders dieses einen Menschen in der Weltgeschichte. Dann beten wir also nicht zu einer abstrakten Größe, zu einem „das“, wie manche sagen. Sondern zu einem unsichtbaren Wesen, das sich persönlich zu dem verhält, das ER geschaffen hat und liebt. Manche mögen meinen, das sei eine merkwürdige Konstruktion, eine künstliche menschliche Erfindung, sich zu einem Gott zu verhalten. Zeichen von Naivität und Unreife. Aber was ist das anderes als zu erkennen, dass wir nicht Herren über unser eigenes Leben sind, sonder geschaffen von einer Macht, die etwas mit uns will? Im Namen Jesu beten ist mit erhobenem Vertrauen beten, denn wir sind nicht mehr die verlorenen Schafe, die sich verirren und nicht wissen, warum wir hier sind. Ein Mensch hat uns den Weg gewiesen. Und den Eingang zu dem unbekannten Gott geöffnet. Er hat das Göttliche menschlich und verständlich gemacht. Und das Menschliche hat er zurückgeführt zu seinem ursprünglichen Sinn und voran zu der uneingeschränkten Freude. Weil er die aufrührerische Selbstbehauptung des Menschen überschritten hat.

Das ist nicht nur Poesie oder Dogmatik, das ist eine übernommene Sprache des Denkens, und es ist Wirklichkeitsgeschichte. Es ist eine Welt, mit der wir leben und wachsen können, wenn wir uns ihr öffnen wollen. Sie umfasst alles und schließt uns deshalb ein in ein Universum, in dem es besser zu leben ist – als in dem Universum, das wir bloß für uns selbst aufbauen. Das sollte so leicht zu verstehen sein. Und es sollte ganz und gar nicht zu verstehen sein, dass wir das immer wieder vergessen und uns entgleiten lassen. Es ist Gottes Universum gegen unsere eigene enge und begrenzende Selbstbespiegelung. Glücklicherweise hat Gottes Universum eine Kraft, die unsere Ablehnung übersteigt. Es öffnet, wo wir schließen. Es ist diese Öffnung, an die wir uns wenden, wenn wir beten. Amen.

Sognepræst Kirsten Bøggild
Thunøgade 16
DK-8000 Aarhus C
Tel.: +45 86 12 47 60
E-mail: kboe@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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