Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Jubilate, 17. April 2005
Predigt über Johannes 16, 16-22, verfasst von Birgit Hesselaber (Dänemark)
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Verzweiflung, Verlassenheit und Verwirrung – das sind die Gefühle, die einen aufwühlen, wenn man einen geliebten Menschen verliert – Verzweiflung angesichts der Erfahrung, dass das Leben ein Ende haben kann, Verlassenheit – denn wir waren ja zusammen auf der Welt – und Verwirrung – weil die Zukunft plötzlich so dunkel und unbekannt ist.

Und so müssen sich die Jünger in der Zeit zwischen Osten und Pfingsten verzweifelt, verwirrt und vielleicht vor allem verlassen gefühlt haben. Und das aus gutem Grund – denn er war ja weg – er, auf den sie all ihr Vertrauen und all ihre Hoffnung gesetzt hatten.

Und obwohl das Grab leer war – und obwohl er ihnen erschien und sie tröstete und ihnen Erklärungen gab – so waren sie doch verlassen – zurückgelassen – mitten in ihrem gefahrvollen und unsicheren Leben.

Und seine Prophetie, dass sie weinen und trauern würden – die Prophetie, die er in seiner Abschiedsrede, aus der der Text des heutigen Tages genommen ist, zum Ausdruck gebracht hatte – sie ging ja in Erfüllung.

Sie weinten und trauerten über ihre Einsamkeit, ihre Trennung von Gott – ihre Ungewissheit und ihren Zweifel. Sie sehnten sich nach der Verbindung, ihnen fehlte die Verbindung – der Zusammenhang in ihrem Leben – hier zwischen Ostern und Pfingsten.
Da wurde die Verbindung wieder sichtbar für sie – als sich ihnen der Heilige Geist zeigte.

Mit Jesus war das Wort Gottes in die Welt gekommen in einem Menschen, und als dieser Mensch jetzt nicht mehr in der Welt war, kam der Heilige Geist – Gottes liebevolle Kraft der Wirklichkeit – und legte es in den Mund von Menschen – so dass das Wort Gottes nicht nur Wort von einer fernen Gottheit an die Welt oder über die Welt war – sondern ein wirklicher Zusammenhang – eine Verbindung zwischen dem Leben, das das Christentum das ewige Leben nennt, und dem Leben hier und jetzt, das wir kennen.

Diese Verbindung ist es, die bewirkt, dass wir verstehen oder besser merken können, wovon die Rede ist, wenn das Christentum von der Liebe und von der Vergebung Gottes spricht. Ohne den Heiligen Geist wäre alle Rede vom ewigen Leben ohne Sinn.

Und dennoch – obwohl wir nach Osten und Pfingsten leben – und das tun wir ja zu jeder Zeit – obwohl der Heilige Geist hier ist und obwohl wir die Worte verstehen können und die Begriffe kennen, so sind sie doch nicht immer Wirklichkeit für uns – weit gefehlt. Wir fürchten den Tod, und wenn er uns trifft, geraten wir in Verzweiflung, Verlassenheit und Verwirrung.

Immer wieder stehen wir in derselben Situation wie die Jünger im heutigen Text – und übrigens auch wie die ersten Christen. Wir können die Verbindung nicht sehen – wir haben Schwierigkeiten damit, sie in unserem Leben Wirklichkeit werden zu lassen. Und das ist so, obwohl Jesus gesagt hat, dass eine Zeit kommen wird, in der die Liebe Gottes mit unserer Wirklichkeit vereint sein wird, eine Zeit, in der nichts und niemand uns die Freude nehmen kann, eine Zeit, in der unser Leben nicht unablässig von sinnlosen und bösen Ereignissen zerstört werden wird.

Warum ist das so – warum genügen uns die Verheißung und die Erfahrung des ewigen Lebens nicht – die Wirkung des Heiligen Geistes?

Weil es nicht nur der Heilige Geist ist, der in der Welt wirkt, weil das Reich Gottes noch nicht voll und ganz daist – das sehen wir alle immerzu – auch für uns wird es noch einige Zeit dauern – die Zeit, die vergeht, bis Jesus wiederkommt, ist noch nicht vorbei.

Noch haben wir nur das ewige Leben als Verheißung, als sporadische Erfahrungen und als Hoffnung.

Aber das ist nun auch nicht wenig – eine Hoffnung ist ja bereits ein Teil dessen, worauf sie hofft – und der Heilige Geist gibt uns schon jetzt die Kraft und die Hoffnung.

Die Jünger und die Menschen, die mit Jesus zusammen lebten, hatten zwar erwartet, dass er schon in ihrer eigenen Lebenszeit wiederkommen würde – aber das Leben ging weiter.

Es ging weiter und war weiterhin eine Mischung aus Freuden und Sorgen – aus Liebe und Gleichgültigkeit, wie es das Menschenleben ist.

Seitdem hat Generation nach Generation von Christen in der Hoffnung gelebt, und zugleich haben sie das gewöhnliche Menschenleben gelebt mit dessen Sorgen, Schmerzen und Ängsten.

Und mitten in diesem Leben ist die Hoffnung die Verbindung gewesen, an die wir uns haben halten können, die Verbindung zum himmlischen, ewigen Leben, das sich in kurzen Augenblicken zeigt, wenn die Freude einmal alles überstrahlt.

Wenn sich alle diese Generationen dem Menschenleben nicht ausgesetzt hätten – wenn schon die ersten Christen sich vom Leben zurückgezogen und sich beleidigt geweigert hätten, ein anderes als das vollkommene Leben zu leben, das ihnen verheißen war, – ja dann wäre die christliche Botschaft vermutlich schon nach der ersten Generation verstummt. Das Christentum hätte nicht überleben können, wenn nicht Menschen im Laufe der Zeit dessen Rede von Liebe und Freude mit der Freude und Liebe verbunden hätten, die sie selbst kannten und von deren Existenz sie wussten – so wie sie es empfanden – ab und an.

Denn das Christentum ist keine Abstraktion – keine Theorie – keine Idee. Das Christentum entspringt nicht den klugen Gedanken eines erleuchteten Menschen.

Das Christentum wurde vielmehr auf menschliche Weise in die Welt hineingeboren – durch eine Gebärmutter, von einer Frau – Jungfrau Maria – die es wagte, mit ihrem Leib zur Verfügung zu stehen.

Deshalb lebt es auch nur, solange es Menschen gibt, die dafür einstehen. Menschen, die zu lieben wagen, obwohl wir verlieren müssen. Menschen, die vergeben können. Menschen, die das Göttliche und Wunderbare auch in dem gewöhnlichen Leben sehen können.

Das kann schwer sein – sehr schwer – vielleicht, weil es keine Willenstat ist – wir können uns nicht einfach dazu entschließen, dass wir jetzt oder von morgen an alles mit heiteren Augen betrachten oder dass wir jetzt damit aufhören wollen, uns im Voraus Sorgen zu machen, – denn wir können nur aufhören, uns Sorgen zu machen, wenn unser Lebensmut es zulässt – wenn die Hoffnung schneller wächst als die Sorgen, zwischen denen sie wächst.

In dem Lied, das wir gleich singen werden, beschreibt Grundtvig die Hoffnung als den Teil des ewigen Lebens, den wir schon jetzt erfahren können, und als den Ort, von dem wir Mut zum Leben erhalten können:

O Hoffnung vollauf,
Aus Gott neugeborn in der heilgen Tauf!
Verleih uns dein Flügelkleid, du Geistespfand,
Lass schweben uns überwärts in jenes Land,
Wo Ewigkeits-Morgenglanz strahlt allen Stund
Auf Seligkeitsgrund!
(Grundtvig, Nr. 321 im dänischen Gesangbuch)

Wie wir bei der Taufe eine Patentante bekommen, die dafür sorgen soll, dass wir im christlichen Glauben erzogen werden, so erhalten wir auch einen „Gottesbruder“, der dafür Sorge trägt, dass wir das göttliche Leben, das unser tägliches Leben umschließt, nicht vergessen.

Wir können uns nämlich nicht dem Leben entziehen, das hier und jetzt das unsere ist, aber die Hoffnung, zu der wir getauft sind, macht es möglich, dass wir mehr sehen als das, was uns unmittelbar vor Augen steht. Sie sagt uns, dass unsere Erfahrungen vom guten Leben, unsere Erfahrungen von Sinnhaftigkeit und Liebe gut genug sind, sie sind nicht bloß naive Verdrängungen der Wirklichkeit, nein, sie sind die Wirklichkeit – sie sind gottwohlgefällig – und sie sagen uns, dass das Leben, das uns erwartet – das ewige Leben – ein Leben ist, das wir wiedererkennen können – ein Leben, in dem das, was wir schon kennen und schätzen, nicht mehr vernichtet oder von uns genommen werden wird. Vermutlich enthält das ewige Leben mehr als dies, – etwas Neues und Schönes – aber das können wir uns aus guten Gründen nicht vorstellen – wir können uns nur Bilder machen von dem aus, was wir kennen – aber die Freude zu ihrer Zeit.

Vorläufig müssen wir unser Leben leben, und das bedeutet u.a., dass wir es der Zeit überlassen müssen zu zeigen, was in unserer Wirklichkeit gut und böse ist.

Manchmal wird sich erweisen, dass das, was sich Liebe nannte, trotzdem keine Liebe war, und manchmal werden wir nichts Geringeres als die göttliche Liebe erleben dürfen.

Im Evangelium für heute benutzt Jesus selbst das Bild der gebärenden Frau. Und eine Geburt ist sicherlich eine der Situationen, in denen wir am deutlichsten spüren, was es heißt, den eigenen Leib der göttlichen Liebe zur Verfügung zu stellen. Die gebärende Frau ist einerseits völlig machtlos und ihrer Angst und ihren Schmerzen ausgeliefert, und auf der anderen Seite zweifelt sie keinen Augenblick daran, dass an ihrem Leib etwas unfasslich Großes und Wunderbares geschieht.

So kann es uns gegeben sein, mitten in unserer Begrenztheit – in unserer Machtlosigkeit und unserem wechselvollen Leben mit unserem Leib dem Ewigen und Wunderbaren zu dienen.

Das aber verlangt, dass wir uns selbst aufzugeben und daran zu glauben wagen, dass es die Liebe und die Freude sind, die letzten Endes das Leben bestimmen – über den Tod hinaus – unter der Herrschaft des Heiligen Geistes.

Im Vertrauen auf den Gott, der gesagt hat: Auch ihr trauert jetzt, aber ich werde euch wieder sehen, und dann wird sich euer Herz freuen, und niemand wird euch eure Freude nehmen. Amen.

Pröpstin Birgit Hesselaber
Søborg Præstegård
Bygaden 40B
DK-3250 Gilleleje
E-mail: bhas@km.dk

Übersetzung: Dietrich Harbsmeier

 


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