Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Ostersonntag, 27. März 2005
Predigt über Markus 16, 1-8, verfasst von Arne Ørtved (Dänemark)
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”Geht hin und sagt seinen Jüngern und Petrus: er geht euch nach Galiläa voran; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat!”

Ich möchte wissen, ob sie das an jenem Tage auch richtig gehört haben. Sie flohen ja fort von dem Grabe. Erst später, als alles aufgeklärt worden war, erinnerten sie sich daran: Er ist euch nach Galiläa vorangegangen. Das war eigentlich das Wichtigste an der Botschaft. Dass sie ihn dort treffen würden, wo sie ihr Leben lebten. Nicht in einem Grab, nicht in einem Kult, nicht in einem Tempel, sondern in ihrem lebendigen Leben. Dort würden sie ihn treffen, dort würde von jetzt an ihr Gott sein.

Auf gewisse Weise ist das ja nicht so gut, denn dann ist es vorbei mit Religion und Kirche und Pfarrern und allem, was dazu gehört. Gott ist dort, wo Menschen ihr Leben leben. Nicht dort, wo sie sich mit dem Heiligen einschließen und sich mit Mystik und Weihrauch und heimlichen Formeln umgeben. Nicht dort, wo Menschen sich von der weltlichen Gesellschaft isolieren, um Gott zu ehren. Auch nicht dort, wo sich Menschen auf einem Friedhof oder in dessen Nähe versammeln, um des Verstorbenen zu gedenken und seinen Fortgang zu beweinen.

Nein, im Leben für und andere Menschen, dort werdet ihr euren Gott finden. Nicht in einer bestimmten Art von Leben, das ihr erfinden und arrangieren mögt, um Gott wohlgefällig zu sein, damit er euch besuche, sondern in eurem ganz gewöhnlichen Leben miteinander. Mit allem, was das beinhaltet an Freuden und Sorgen, Konflikten und Harmonie, Krieg und Frieden, Fußball und Violinkonzerten.

Ihr habt es ja selbst am Karfreitag gehört, wie der Vorhang zum Heiligen völlig zerrissen wurde, als er verschied. Da gab es nichts mehr, das heilig war. Es war zusammengebrochen und mit dem gewöhnlichen, weltlichen Leben vermischt worden. Und hier hören die Frauen nun, dass das Heilige nicht wieder hinter den Vorhang kriechen will, sondern draußen im Leben bleiben und den Menschen dort begegnen will. Auf diese Weise ist es das Leben, das heilig wird. Also nicht das Leben an sich, sondern wenn Gott in ihm kommt. Und er kommt selbst – und von selbst. Er reagiert nicht auf Kommandos oder einladende Locktöne. Er kommt in der Stunde, die er für angemessen hält. Und das überrascht uns oft, weil wir glauben, dass Gott ein anderer ist als der, der er ist.

Die Frauen flohen fort vom Grabe, denn sie fürchteten sich. Das kann man gut verstehen. Wo sind wir denn, wenn das Heilige plötzlich unter uns losgelassen ist. Da können wir nirgends in Frieden sein. Wir wissen nie, wann Gott plötzlich auftaucht und Rechenschaft von uns verlangt. Wir wissen nie, wann Gott seine schwere Hand auf uns legt und sagt: Warte einen Augenblick, ich habe dir etwas zu sagen! Man kann nirgends privat sein. Man hat nie sein Leben für sich, denn Gott ist immer ganz in der Nähe und immer vor uns: Er ist vorangegangen nach Galiläa oder hier in unseren Ort oder ins Sommerhaus, an den Arbeitsplatz.

Die ersten Christen geben einige verstreute, verwirrte Berichte darüber, wie sie dem auferstandenen Gott in den Wochen nach dem ersten Osterfest begegnen. Das allen Geschichten Gemeinsame ist, dass sie davon überzeugt sind, dass es tatsächlich der Jesus ist, den sie im wirklichen Leben gekannt haben, und dem sie nun begegnen. Daran ist eigentlich nichts Mystisches. Es geht nur um Glauben. Dass sie Jesus in dem begegnen werden, was er gesagt hatte und gewesen war und was er in seinem Leben zusammen mit ihnen gelebt hatte. Es ist der Gott, dem sie begegnen werden.

Deshalb machten sie sich nun eifrig daran, alles über ihn zu sammeln, woran sie sich erinnern konnten. Sie erzählten und erzählten. Von Mann zu Mann – oder vielleicht öfters von Frau zu Frau. Aber auch, wenn sie sich an dem neuen Sonntag versammelten, der faktisch keine Spur heiliger war als alle anderen Tage, immerhin aber der Tag der Auferstehung war; auch an diesem Tage erzählten sie Erinnerungen an Jesus. Und die Erzählungen waren natürlich gefärbt durch ihren neuen Glauben und ihre eigene Begeisterung. Es sind alle diese Erzählungen, die wir heute in verblasster Form in den Evangelien wiederfinden. Es war nicht leicht, die Begeisterung und Glut in Geschriebenes zu übertragen, aber es ist doch einigermaßen gut gelungen.

Das Wichtigste war aber die ganze Zeit, die Worte unter ihnen zu bewahren, denn dort sollte er kommen, der auferstandene Gott, Jesus Christus. Dadurch wurde der Sonntag trotz allem zu einer Art heiligen Tages für sie. Es war also der Tag, an dem sie zusammenfanden und die Geschichten über ihn erzählten. Dadurch wurde es auch oft der Tag, an dem sie seinen Besuch bei sich erlebten. Er kam zusammen seinen Worten und den Worten über ihn.

Damit entstand auch die Kirche. Mehr und mehr überließen sie es bestimmten Personen, zu erzählen und vorzulesen und Gebete zu sprechen. Sie begannen mit anderen Worten, Pastoren zu bekommen. Es war ihnen überhaupt nicht klar, dass sie auf diese Weise drauf und dran waren, das ganze Projekt Gottes zunichte zu machen. Pastoren und Kirche, das war doch nicht die Absicht gewesen. Die Worte sollten frei unter ihnen leben, damit Gott sie jederzeit und an jedem beliebigen Ort besuchen konnte.

Aber sie fassten es nicht so auf, dass ihre sonntägliche Zusammenkunft dem im Wege gestanden hätte. Sie wurden nicht tagaus tagein mit Eindrücken bombardiert wie wir heute. Sie konnten leicht von dem leben, was sie am Sonntag hörten, und zwar die ganze folgende Woche lang. Sie sprachen ja auch davon – oder flüsterten davon, denn es waren ja verbotene Worte. Das machte es auch leichter. Aber das bedeutete auf der anderen Seite auch, dass die Worte den Charakter von etwas Geheimnisvollem annahmen, worum es eigentlich überhaupt nicht ging. Die Worte sollen offen sein, lebendig, wirkungsvoll in ihrem alltäglichen Leben.

Heute, so viele Jahre später, können wir feststellen, dass die Besorgnis durchaus wohlbegründet war. Es ist in der ganzen Zeit eine ernste Versuchung gewesen, Gott wieder in einen heiligen Raum mit einer großen und starken Priesterschaft einzusperren, die Ausgang und Eingang zu ihm zu bewachen hatte. Aber Gott lässt sich nicht so einfach einsperren. Jedes Jahr zu Ostern rollt er den Stein vom Eingang fort und geht hinaus in die klare Luft und geht uns voran zum Leben. Wenn wir in den sogenannten heiligen Raum hineingehen, kann es nur mit der Stimme der Wahrheit so lauten: Er ist nicht hier; er ist auferstanden und euch vorangegangen zu eurem Leben. Wenn es nicht das ist, was die Stimme sagt, dann lügt sie. Dann spräche kein Engel, sondern der Teufel selbst.

Gott ist also draußen in unserem Leben, uns voran und hinter uns. Sowohl in unserem persönlichen Leben und unserer persönlichen Geschichte als auch in Leben und Geschichte der Menschheit. Gott ist immer da. Wir können ihn nicht sehen, ihn nicht greifen, ihn nicht festhalten. Aber er ist dennoch da. Vielleicht in der Finsternis der Ver­zweiflung, vielleicht in dem klaren Licht des Glücks. Vielleicht begegnet er dir in der Einsamkeit der Stube oder in der Gemeinschaft der Gemeinde, in dem neugeborenen Kind oder deiner alten Großmutter. Er ist dir immer voraus, so dass du keine Angst zu haben brauchst. Er ist auch immer hinter dir, so dass du an die Vergebung glauben kannst.

Ja, aber warum in aller Welt sind wir dann hier in der Kirche? Was sollen wir mit Kirchen und Pastoren? Wir sind hier, damit wir die beste und wichtigste Botschaft unseres Leben hören können: Das Grab ist leer, und jetzt ist er dir vorangegangen zu deinem Leben! Wenn man die Botschaft nicht hört, ist es unmöglich, an sie zu glauben. Und sie muss wieder gehört werden, weil der Glaube so leicht in Betriebsamkeit, Problemen und Sorgen untergeht.

Wir sind nicht hier, weil die Kirche ein Patent auf Gott hätte, oder weil Gott hier ein besonders sicheres Versteck für sich gefunden hätte; sondern hier hat das Wort Gottes eine Chance, den Lärm von draußen zu übertönen und dir zu erzählen, dass du nach Hause eilen und in Glauben und Liebe leben sollst. Er wartet auf dich in allen Dingen, - auch wenn du an die Grenze deines Lebens kommst und deine Tage hier auf Erden vorbei sind. Da ist er dir noch immer voraus bis in den Tod und die Ewigkeit hinein. Heute ist Ostern. Wir hören, dass er uns vorangegangen ist. Das macht Hoffnung. Das schenkt Zukunft. Das gibt Leben. Das ist die reine Freude! Frohe Ostern. Amen.

Pastor Arne Ørtved
Birkebæk 8
DK-7330 Brande
Tlf.: ++ 45 – 97 18 10 98
E-mail: ortved@mail.dk

Übersetzt von Dietrich Harbsmeier

 


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