Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 24. März 2005
“Dynamik in der Gruppe”, verfasst von Joachim Hempel
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Leute, das ist vielleicht eine Einladung zum Abendbrot: - kaum hat man Platz genommen, fällt der Gastgeber mit der Tür ins Haus. Von Verrat ist die Rede, - nicht durch irgendjemanden, keine Klatsch- und Tratschgeschichte nach dem beliebten Gesellschafts- spiel ‘Hast du schon gehört...”; von Verrat ist die Rede von Verrat durch einen, der mit am Tisch sitzt.

Reaktionen zwischen Betroffenheit und ‘das ist ja unglaublich’. Ja, wahrhaftig, das ist unglaublich, - einer aus dem engsten Kreis der Freunde und Weggefährten ist sich nicht zuschade, das Zeichen der Liebe und Zuneigung, den Kuß, zum Zeichen des Verrats zu pervertieren - denn der Preis stimmt! Bin ich eigentlich käuflich? - Ist das wirklich im Endeffekt eine Frage der Geldsumme; Käuflichkeit ist - wie an der Geschichte, die Markus berichtet, zu sehen ist, längst nicht nur etwas für mafiose Strukturen im Rotlicht-Milieu.

Echte Seelenqual setzt in der Tischrunde ein: Bin ich’s? Jesus antwortet nicht mit dem Namen; vielleicht auch weil er ahnt, wie schnell die anderen, die es nicht sind, zu pharisäerhaftem Tun neigen; Jesus waren bekanntlich menschliche Regungen nicht fremd. ‘Einer von euch’ - und die Dynamik der Gruppe verlagert sich auf die Dynamik der eigenen Befindlichkeit; wie war eigentlich das Verhältnis der Jünger zu ihrem Freund und Meister wirklich?

‘Erforsche mich Gott, erforsche mein Herz, sieh, wie ich’s wirklich meine und - dann hilf mir zurecht, daß ich nicht zuschanden werde’, sagt der Psalmbeter (nach Ps 139).

Jesus, der Handelnde, wird auch der sein, der erleidet, was da angekündigt wird! Jesus hebt die Tafel der Gemeinsamkeit dennoch nicht auf. Das hat mich stets fasziniert: Er teilt Brot und Wein auch mit dem, über den er alles weiß, auch seine verborgensten Gedanken und Taten, auch seine Schuld.

Hier offenbart sich der grundlegende Unterschied zu vielen Tischrunden, auch zu denen der später sich nach ihm nennenden Christen.

Wenn unsere Feier des Abendmahls mit dem Geschehen am Gründonnerstag verbunden bleiben will, soll sie auch künftig das Wort ‘heilig’ tragen als Ausweis dafür, daß wir das, was wir tun, zu seinem Gedächtnis tun und erst dadurch zu unserem eigenen Heil.

Jesus singt mit den Seinen sogar den Lobgesang Gottes - ob der Verräter mitgesungen hat?
Nach altkirchlicher Tradition läuten am Gründonnerstag noch einmal die Kirchenglocken mit vollem Klang; in Braunschweig gibt es seit Jahren das ‘Große Stadtgeläut’ aller 46 Glocken der mittelalterlichen Stadtkirchen, die an diesem Abend 15 Minuten eine ‘Glocken-Symphonie’ erklingen lassen. Danach schweigen die Glocken bis in die Osternacht und überlassen am Karfreitag einer dumpfen Bußglocke zum Gottesdienst zu rufen.

Gründonnerstag wird so zum Tag tiefster menschlicher Perversion (wozu wir Menschen so alles in der Lage sind: wir verraten sogar unser Liebstes!) und größter göttlicher Vision (ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein - was wir einander so alles sein können!)

Wir feiern Tischabendmahl unter dem Kreuz, um gerade an diesem Tag die Nähe zum Christus Jesus zu erinnern, der ‘für uns Menschen und zu unserem Heil vom Himmel gekommen ist und Mensch geworden ist’ (Nicänum). Amen.

Domprediger Joachim Hempel
Braunschweig
Hempel@BraunschweigerDom.de


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