Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 24. März 2005
Predigt über Markus 14, 17-26, verfasst von Lothar Grigat
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Liebe Gemeinde,

Albrecht Dürer hat 1523 einen Holzschnitt zum Thema „Abendmahl“ vollendet: an einem massiven Tisch sitzt eine außerordentlich bewegte Jüngerschar; es ist der Augenblick im Bild festgehalten, da Jesus seine Ankündigung vom bevorstehenden Verrat gemacht hat; in der rechten Bildhälfte diskutieren erregt die Jünger diese ungeheuerliche Ansage, zwei wenden sich direkt an Jesus, sie können es einfach nicht glauben; die linke Bildhälfte ist bestimmt durch eine Gruppe von drei Jüngern, die sprachlos und mit deutlichem Entsetzen ins Leere starren; einer verbirgt sein Gesicht in der Hand, mit der anderen Hand stochert er wie verloren mit seinem Brotmesser auf der Tischplatte; er erweckt den Anschein, als sei er der aufgeregten Jüngerschar entrückt.

Auffällig, dass nur noch elf Jünger auf dem Bild zu sehen sind: der Verräter selbst hat ganz offenbar den Raum schon verlassen; zurück bleibt eine verstörte und zutiefst verunsicherte Gemeinschaft. –

So zeichnet Dürer das Abendmahl. Anders ist es in der Regel bei uns: für uns ist das Abendmahl ja eine Feier, die von Stille und friedlicher Gelassenheit oder auch feierlichem Ernst gekennzeichnet ist. Der höchst dramatische Hintergrund seiner Einsetzung verliert sich in der eher formelhaften Wendung „in der Nacht, da er verraten ward“ oder in ganz vergleichbaren Formulierungen aus den Abendmahlsberichten. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Gemeinschaft der Jünger mit ihrem Herrn und Rabbi am intensivsten sein sollte – nun, da sein Leidensweg bevorsteht - , da belastet schwere Schuld diese Gemeinschaft, so dass sie zerbricht. Und alles drängt auf die Frage zu: Wie soll es bloß weitergehen?

Auch in dem für heute vorgeschlagenen Predigttext aus dem 14. Kapitel des Markusevangeliums ist das so; genau diese Situation wird geschildert:
(Textlesung Markus 14, 17-26)

So weit der Text. Auch er gipfelt in der unausgesprochenen Frage: Wie soll es weitergehen?

Und, sehen Sie, genau das fragen sich viele unserer Mitbürger heute auch, angesichts der Verunsicherungen im sozialen und gesellschaftlichen Bereich, wo doch ganz offensichtlich die Politik die gewünschten Antworten nicht mehr geben kann! Darum auch ist auf der Suche nach Antworten bei vielen Menschen eine Sehnsucht nach Gemeinschaft anzutreffen: da bilden sich Gruppen, in denen das Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Wärme und Geborgenheit, von Zuwendung und Freundschaft, von Unterstützung und Halt erlebt werden soll und oft ja auch erlebt wird. Das kann zum Beispiel in Hauskreisen oder Gebetsgemeinschaften sein. Mir fallen da aber auch die Gruppen auf, die am rechten Rand unserer Gesellschaft anzusiedeln sind. Das sind alles Gruppen, die sich aus weitgehend Gleichgesinnten bilden: Sympathie und wechselseitiges Vertrauen, aber vor allem das gemeinsame Ziel sind das Gemeinschaft stiftende Element. Störungen der Gemeinschaft werden mit drastischen Sanktionen belegt, so wie wir das auch kennen mit dem unehrenhaften Abschied aus der Armee oder beim Ausschluss aus einer Partei. Und so sehr das Funktionieren einer Gemeinschaft gewollt wird, so sehr lassen aber auch die Sanktionen gegen Verstöße erkennen: der Zusammenhang von Gemeinschaft und Schuldigwerden an ihr ist nur zu offensichtlich.

Nun reden wir ja an diesem Gründonnerstagabend von der Stiftung des Abendmahls und der Abendmahlsgemeinschaft unter Christen. Dazu fordert ja unser Predigttext geradezu auf. Wie ist aber Gemeinschaft unter Christen und mit Gott möglich, wenn doch immer wieder die Schuld dazwischen tritt, wenn das offenbar in jeder Gemeinschaft so ist? Geht es dabei also auch um Sanktionen? Sind Vorbedingungen zu erfüllen, ehe der Mensch in die Gemeinschaft aufgenommen werden kann? Also: wie soll es weitergehen?

Sehen Sie, ich glaube, dass es in der Abendmahlsgemeinschaft immer um eine Gemeinschaft von Schuldigen geht; und sie ist nicht abhängig von der Qualität derer, die sich da zusammenfinden, weil sie zurückgeht auf den, der sein Leben gegeben hat für die „Vielen“. Sondern im Abendmahl der christlichen Gemeinde geht es um eine Gemeinschaft, in der Schuld nicht mehr belastend und zerbrechend wirkt, sondern ausgelöscht ist! Christus ist derjenige, der die Gemeinschaft untereinander möglich macht, und gerade so ist er in Brot und Wein stets gegenwärtig. Weil er es ist, der die Gemeinschaft stiftet und will, darum ist Gemeinschaft der Verschiedenartigen möglich; die Grenzen von Rasse, Kultur, Nationalität und sozialer Herkunft spielen genauso keine Rolle mehr wie auch die religiösen Unterschiede.

Oder sollte ich ehrlicher sagen: es sollte so sein – zumindest nach dem Willen dessen, der diese Gemeinschaft zu seinem Gedächtnis gestiftet hat. Es sollte so sein, auch wenn die gegenwärtige Wirklichkeit unserer Abendmahlspraxis dem nun allzu oft ja gerade nicht entspricht. Ich denke da beispielsweise nur an die Unterschiede und das Trennende in unseren beiden großen Kirchen: nicht zuletzt beim ökumenischen Kirchentag in Berlin vor zwei Jahren ist das ja erneut ganz deutlich geworden, und die Spätfolgen davon spielen ja bis heute eine Rolle bis hin zu noch immer wirkenden Suspendierungen vom Dienst.

Und doch gibt es auch immer wieder hoffnungsvolle Anzeichen für ein anders erfahrenes Gemeinschaftserleben. Ich erinnere mich zum Beispiel gern daran, was wir alljährlich mit unseren Konfirmanden erlebt und welche Erfahrungen sie gemacht haben, wenn wir auf unseren großen Sommerfreizeiten regelmäßig das Thema Abendmahl behandelt und miteinander gefeiert haben. Eine Konfirmandin hat das einmal folgendermaßen beschrieben: „Christus ist der Gastgeber; wir sind seine Gäste. Er lädt uns ein, wie er vor 2000 Jahren seine Jünger eingeladen hat. Er gibt uns an seinem Tisch, was wir brauchen. Beim Abendmahl wird für uns vieles wirklich: Christus lässt uns hören, sehen und greifen. Das Brot und der Wein ist nicht für irgendjemand bestimmt, sondern für uns als seine Gäste. Wir müssen nichts mitbringen. Es ist bei uns sonst so üblich, dass man zu einer Einladung etwas mitbringt – Blumen, Pralinen oder ein anderes kleines Gastgeschenk. Wie ist das nun mit uns Abendmahlsgästen? Was müssen wir mitbringen? Etwa: einen festen Glauben, einen klugen Kopf, viel Geld oder ähnliches? Es kann sein, dass uns alle diese Dinge gegeben sind. Voraussetzung sind sie jedoch nicht. Christus möchte uns beschenken. Er wartet auf uns ohne Vorbehalte!“

Kann man das eigentlich viel schöner formulieren?

Und noch ein letztes: Das, was im Abendmahl an Gemeinschaft gestiftet ist, das will sich im alltäglichen Lebensvollzug bewähren. Brot und Wein sind die Wegzehrung der Christenheit auf ihrem Weg durch die Geschichte: die Gemeinschaft am Altar will sich im Alltag, im versöhnenden Handeln der Christen fortsetzen; eine Gemeinde, die miteinander das Abendmahl feiert, geht nicht mehr achtlos vorüber an den Leidenden und Ausgestoßenen, an den Fremden und Verachteten, an den Zukurzgekommenen und sozial Benachteiligten. Und tut sie es dennoch, dann ist sie aus der Gemeinschaft mit ihrem Herrn ausgetreten, denn er will dass alle Menschen sich in dieser Gemeinschaft geborgen fühlen. Ich denke, dies sollten wir uns bewußt machen, wenn wir nun nachher zum Tisch des Herrn kommen.

Klar: dabei werden jeden von uns ganz unterschiedliche Gedanken, Gefühle und Hoffnungen bewegen, je nach der Situation, aus der er kommt. Da bedrückt den einen möglicherweise, dass er seinem Ehepartner nicht immer mit ausreichender Liebe und genug Verständnis begegnet ist und so sein Teil dazu beigetragen hat, dass man sich immer mehr fremd geworden ist; kann der darauf hoffen, dass die im Mahl geschenkte Vergebung auch ihm die Kraft schenkt, seinem Partner wieder mit neuem Vertrauen zu begegnen? Und so mancher fragt sich vielleicht: Sind das nicht doch bloß nur große Worte, wenn davon die Rede ist, in diesem Mahl würde Gemeinschaft gestiftet, die auch im alltäglichen Leben erfahrbar und sichtbar wird? Die Erfahrung: Du bist allein, die anderen – auch aus der Gemeinde – gehen freundlich, aber gleichgültig an dir vorbei – sie steht doch dagegen! Oder ein anderer überlegt vielleicht, ob dieses von kleinen alltäglichen Sorgen und banalen Verpflichtungen ausgefüllte, aber an beglückenden Ereignissen arme Leben wirklich anders wird, wenn er Brot und Wein im Mahl empfängt? Ist am Dienstag nach Ostern nicht alles wieder so wie es heute auch war?

All solche Fragen, liebe Gemeinde, und solche Sorgen habe ich auch! Und dazu beschäftigt mich, dass in einer durch wirtschaftliche, politische, rassische und ideologische Gegensätze zerrissenen Welt so wenig von der Kraft der Gemeinschaft unter uns Christen zu spüren ist, die anderen doch so viel Hoffnung machen könnte. Und trotzdem halte ich mich an die Verheißung, die in dieser Einladung enthalten ist: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken.“ In der Geschichte der Christenheit haben so viele vor mir dieser Verheißung nicht vergebens vertraut. Sie haben erfahren, was ihnen da versprochen wurde. Das sind lockende Beispiele. Und vielleicht sind wir heute ja zu ängstlich, zu skeptisch geworden! Viele triftige Gründe können wir anführen, warum wir uns so verhalten und nicht anders. Aber vielleicht werden wir erst dann die Erfahrung der befreienden, froh und Mut machenden Gemeinschaft erleben, wenn wir wirklich völlig vorbehaltlos dieser Einladung folgen. Darum ist es gut, wenn Jesu Einladung immer wieder erfolgt - und eben nicht nur an Gründonnerstag. Ich möchte versuchen, ihr zu folgen. Sie auch?

Amen.

Lothar Grigat
Pfarrverein-ekkw@t-online.de


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