Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Judika, 13. März 2005
Predigt über Genesis 22, 1-19, verfasst von Gerhard Prell
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Nach diesen Geschichten (a) versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich.
(2)Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.
(3)Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.
(4)Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne
(5)und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.
(6)Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander.
(7)Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?
(8)Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander.
(9)Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz
(10)und reckte seine Hand aus und faßte das Messer, daß er seinen Sohn schlachtete. (a)
(11)Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.
(12)Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, daß du Gott fürchtest und (a) hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.
(13)Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt.
(14)Und Abraham nannte die Stätte (a) »Der HERR sieht«. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der HERR sieht.
(15)Und der Engel des HERRN rief Abraham abermals vom Himmel her
(16)und sprach: (a) Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der HERR: Weil du solches getan hast und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont,
(17)will ich (a) dein Geschlecht segnen und mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und deine Nachkommen sollen die Tore ihrer Feinde besitzen;
(18)und durch (a) dein Geschlecht sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast.
(19)So kehrte Abraham zurück zu seinen Knechten. Und sie machten sich auf und zogen miteinander nach Beerscheba, und Abraham blieb daselbst.

„Mein Gott, des is ja greislich!” - rief meine Frau, als ich ihr auf ihre Frage, was denn am Sonntag für ein Predigttext dran sei, antwortete: „Die Geschichte von Isaaks Opferung.”
Und mit ihrer Reaktion hat sie recht. Diese Geschichte ist mehr als „greislich”, liebe Gemeinde. Sie ist eine der abscheulichsten Geschichten der Bibel.
Als ich noch zur Schule ging, stand sie noch im Lehrplan der 3.Klasse. Inzwischen ist sie daraus gestrichen worden. Grund genug eigentlich, sie auch aus der Ordnung der Predigttexte zu streichen und über einen anderen Text zu predigen.

Aber unter uns sitzen Menschen, die noch regelmäßig in der Bibel lesen und an dieser Geschichte nicht vorbeikommen. Menschen sitzen unter uns, die ihre Kindheit verleben mußten in einer Zeit, die vor 60 Jahren zu Ende ging und zu der die ganze Hebräische Bibel lächerlich und verächtlich gemacht wurde und als abqualifiziert wurde das Produkt einer „typisch jüdischen” Gottesvorstellung.
Als eine Sammlung von „Geschichten über Viehdiebe und Zuhälter” haben das sogenannte Alte Testament Menschen bezeichnet, die selber viel schlimmeres gewesen sind als Viehdiebe und Zuhälter, nämlich Massenmörder, die millionenfache Menschenopfer gefordert und dargebracht haben, auf dem sogenannten „Feld der Ehre”, auf den Schlachtfeldern in Rußland, Frankreich und Afrika, im Atlantischen Ozean und in den Gaskammern und Krematorien von Auschwitz, Majdanek und Triblinka. Und sind die Zeugnisse unserer jüngsten Geschichte nicht tausendmal „greislicher” als diese alte Geschichte?

Man redet ja gemeinhin von Isaaks Opferung - obwohl ja eigentlich in dieser Geschichte von Anfang an alles darauf hinausläuft, daß Isaak nicht geopfert wird.Ja, jüdische wie christliche Forscher der Hebräischen Bibel haben uns gezeigt, daß diese Geschichte von der Verschonung Isaaks - wie man wohl richtiger sagen müßte - entstanden ist in der Auseinandersetzung mit der heidnischen Umwelt des Volkes Israel. Dort, in den alten kanaanäischen Naturreligionen, hat es zu Abrahams Zeiten überall und auf Schritt und Tritt das Menschenopfer gegeben. Das ist durch archäologische Funde nachgewiesen. Meistens geschahen diese Opfer in der Gestalt des Bauopfers. Beim Bau eines Hauses wurde ein Kind - meist das erstgeborene männliche - in das Fundament eingemauert. Oder es wurden im Zusammenhang mit einem Gelübde Kinder geopfert.

Bei den Propheten hören wir, daß auch die Israeliten immer wieder in die Versuchung geraten sind, die Unsitte des Kinderopfers von den heidnischen Kanaanäern in ihrer Umwelt zu übernehmen:
Die Söhne Judas haben die Höhe des Tophet gebaut, um ihre Söhne und Töchter zu verbrennen, was ich ihnen niemals geboten habe - spricht der Herr. (Jer. 7,31)
Damit spricht es der Prophet Jeremia überdeutlich aus: Menschenopfer sollen nicht sein in Israel. Sie sollen nicht sein im Volke des wahren und lebendigen Gottes. Gott könnte sie wohl fordern. Aber er hat gesagt, daß er dieses Opfer nicht will.Gott findet dieses Opfer selber „greislich”. Er verschont die Menschen aus Gnade und nimmt statt dessen das Opfer von Ziegen, Kälbern und Schafen an.

Liebe Gemeinde, uns mag es schaudern, wenn wir von Zeiten hören, in denen Menschen ihre Kinder irgendwelchen gräßlichen Heidengötzen geopfert haben. Aber sind wir in unserem angeblich christlichen Abendland so viel humaner, aufgeklärter, vernünftiger geworden als es die Menschen zu der Zeit waren, in der diese alte Geschichte entstand? Müssen wir uns angesichts unserer jüngsten Geschichte und angesichts unserer Gegenwart nicht fragen, ob unser Abendland überhaupt die Bezeichnung „christlich” verdient; ob wir als Volk Gottes nicht vielmehr als Minderheit in einer heidnischen Umwelt und Gesellschaft leben wie eh und je?
Und mag die Umwelt, mag die Gesellschaft noch so heidnisch sein, in der eine Glaubensgruppe als Minderheit leben muß - es scheint eine soziologische Gesetzmäßigkeit zu geben, daß stets die Sitten und Bräuche der Mehrheit von der Minderheit übernommen werden - mögen sie noch so unmenschlich und noch so grausam und noch so sinnlos, kurz: noch so falsch sein.
„Das machen doch schließlich alle”, heißt es dann. Und: „Was kann man als Einzelner denn schon dagegen tun?”
An die Stelle der alten heidnischen Götter sind lediglich menschliche Ideologien und Organisationen getreten, die ihre Opfer fordern:
In der Französischen Revolution wurden der Göttin „Vernunft” so viele Menschenopfer dargebracht, daß man ihnen nicht mehr einzeln die Köpfe abschlagen konnte, sondern als „Opferdarbringungs-maschine” die Guillotine erfunden hat.
Oder denken wir an die Opfer der russischen Revolution. Oder an die Opfer dessen, was man Imperialismus und Kolonialismus nennt.
Und hat es nicht gerade in der Generation meiner Großeltern Menschenopfer zu Millionen gegeben, die mit nichtssagenden Beschwichtigungen und Entschuldigungen bereitwillig dargebracht wurden? Wie viele Ältere sind heute hier in der Kirche, die Angehörige auf dem „Schlachtfeld” verloren haben, das man das „Feld der Ehre” nannte? Und die Namen wie vieler menschlicher Opfer stehen heute in Jad WaSchem zu lesen?
Wieviele, wenn auch unblutige, Opfer in der Gestalt von Millionen von Arbeitslosen und von abgeholzten Regenwäldern fordert das, was die Wirtschaftskonzerne nicht ohne Zynismus „Globalisierung” nennen?
Welcher heidnischen Verfremdung des Gottes Abrahams sind die islamistischen Selbstmordattentäter aufgesessen, die sich selbst und möglichst viele unschuldige Todesopfer zur vermeintlichen Ehre Gottes darbringen?
Und wird es heute nicht auch bei uns wieder den Eltern von wehrpflichtigen jungen Männern abverlangt, daß sie bereit sein sollen, ihre Kinder bei völkerrechtlich höchst fragwürdigen NATO - Einsätzen in aller Welt zu opfern? Wie christlich ist der Druck der angeblich so christlichen Vereinigten Staaten und ihres angeblich so christlichen Präsidenten auf die übrigen NATO-Bündnispartner, damit diese ihrer „internationalen Verantwortung“ nachkommen?

Sein Leben oder das Leben seiner Kinder opfern - im Gehorsam gegen Gott?
Oder ist an dieser Geschichte nur dies anstößig, daß ein Vater seinen eigenen Sohn eigenhändig töten soll? Soll man nur zu seinen eigenen Kindern freundlich sein? Sind Kurden, Perser, Irakis keine Menschenbrüder und - so sagen seit alters her die drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam - keine Kinder Abrahams?
Geht es uns nichts an, wenn anderswo Menschen unseren wirtschaftlichen Interessen geopfert werden?
Werden nicht auch uns in absehbarer Zeit Opfer abverlangt? So daß wir erkennen müssen: Wir können nicht immer mehr und mehr haben wollen, wir müssen das Hergeben, das Loslassen lernen. In dieser Welt leben wir. Und in dieser Welt lohnt es sich, über die alte Geschichte nachzudenken; über die Versuchung und den Gehorsam des Abraham, über die Verschonung des Isaak vor dem geopfert - Werden.

Abraham, der Mann Gottes, begegnet uns als Mensch, der den Ruf Gottes gehört hat und ihm gefolgt ist. Er hat zum Erstaunen aller den schützenden Bereich der alten Heimat und der Sippe verlassen und ist dem Ruf Gottes gefolgt in ein weites, unbekanntes Land, hinein in eine Zukunft, die dunkel und ungewiß vor ihm lag. Er hat ein Wort, eine Verheißung bekommen, daß Gott ihn segnen und seinen Nachkommen zum Heil der ganzen Welt eine Zukunft eröffnen werde. Aber Jahre sind vergangen, und Abraham hat nichts von der Erfüllung des Versprechens gesehen. Er war darauf angewiesen, gegen allen Augenschein an dem Wort Gottes festzuhalten. Schließlich bekommt er mit seiner Frau Sara einen Sohn, den Isaak. Endlich ist Land in Sicht - so möchte man sagen. Und nun wir alles wieder in Frage gestellt:
Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich.
Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.
Es handelt sich hier um eine Versuchung und Prüfung, die nicht einfach zu vergleichen ist mit den Prüfungen und Versuchungen, die wir zu bestehen haben. Freilich, auch wir haben unsere Versuchungen und bitten im Vaterunser nicht umsonst: „Führe uns nicht in Versuchung!”.
Der Reformator Calvin spricht von Versuchungen von links und rechts, die uns bedrohen;
Von links - so sagt er - da stehen Armut, Schmach, Verachtung, Trübsal und dergleichen mehr. Von ihrer Bitterkeit und Not wird der Mensch dann gequält. Und er verliert den Mut, wirft Zuversicht und Hoffnung weg und entfremdet sich schließlich ganz und gar von Gott. Dies ist die Versuchung des Hiob, der durch Leid, Unglück, Armut und Krankheit versucht wurde - und dem es dennoch geschenkt war, die Prüfung zu bestehen.
Es gibt nach Calvin auch die Versuchung von rechts: Da sind Reichtum, Macht und Ehre, die durch ihren Glanz und Erfolg den Blick des Menschen verblenden, daß er sich schließlich von Täuschungen fangen läßt - und Gott vergißt. Die Versuchung besteht also gerade darin, daß es dem Menschen gut geht, daß er Wohlstand, Reichtum und Glück erhält und diese Prüfung vielleicht nicht besteht.

Es ist auch eine große Gefahr für den Glauben, daß man sich auf dem, was man erreicht hat, ausruhen will, sich sicher fühlt und meint, jetzt sei alles geschafft. Solcher Glaube zerbricht, wenn er gefordert wird.
War der christliche Glaube im Abendland nicht immer wieder in der Gefahr der falschen Sicherheit? Wo die Umwelt in ihrem Heidentum nicht mehr erkannt wird, wo man das Heidnische und Gottlose der Gesellschaft, in der man lebt, nicht mehr wahrhaben will, da schlüpft das Heidentum unbemerkt in
das Gewand des Glaubens. Und selbst gottlose Ideologien und staatstragende Lehren geben sich christlich und fordern ihre zutiefst heidnischen und gottlosen Opfer - verlogenerweise auch noch im Namen Gottes, dem solche Opfer ein Greuel sind. Gott, der in seiner Freiheit zwar Opfer fordern könnte, aber nicht fordern will, wird so verfremdet, bis er einem fremd wird.
Gott ist frei. Und er kann auch anders, als er in seinem offenbaren Willen kundtut. So weit sagt es auch der Glaube. Aber die Grenze zum Heidentum und zur Gottlosigkeit wird da überschritten, wo der Mensch in falscher, wenn auch tiefer Frömmigkeit meint, es gäbe noch einen anderen Willen Gottes als den von ihm offenbarten, wo der Mensch meint, Gott würde von ihm noch anderes fordern als er in seinen Geboten und seinen Verheißungen kundtut. Das war die Versuchung, der selbst berühmte Theologen wie Werner Elert erlegen sind.
Das war die Versuchung Abrahams. Und diese Versuchung beunruhigt seinen Glauben und sein Gottvertrauen zutiefst, so daß Luther sagt: „Ich hätte nicht Zuschauer, geschweige denn Handelnder und Opfernder sein können.”

Aber Gott läßt auch den Menschen in der Versuchung nicht los, in die er ihn geraten läßt.
Und so läuft in dieser grausigen Geschichte von Anfang an alles darauf hinaus, daß Isaak nicht geopfert wird.
Die Geschichte beginnt damit, daß Gott den Abraham bei seinem Namen anspricht, und das ist sehr tröstlich.
Ohne diese Anrede Gottes an Abraham und ohne die Gewißheit des alten Mannes, daß er diesem Gott gehört, der ihn so viele Jahre lang treu geführt und bewahrt hat, wäre hier alles nur schreckliche Grausamkeit und müßte den Abraham vernichten.
Bei Isaak geht es ja nicht allein um die Liebe eines Vaters zu seinem Kind. Isaak ist für Abraham das sichtbare Zeichen dafür, daß sein Leben einen Sinn hat, daß er nicht umsonst alles verlassen und nicht umsonst alle Strapazen, Gefahren und Demütigungen auf sich genommen hat. Isaak ist der Träger der Verheißung. Und das alles soll Abraham nun preisgeben?

All das, was ihm den Sinn seines Lebens zu garantieren schien, soll er drangeben? Indem Abraham den Isaak opfern soll, muß er sich selber opfern. Ja, Gott selbst scheint alles zunichte zu machen, so wie ein Töpfer den Ton auf seiner Scheibe wieder zu einem formlosen Klumpen machen kann, wenn ihm das Gefäß, das daraus werden sollte, nicht gefällt.
Dem Abraham ist Gott fremd geworden. Er sieht nichts mehr. Er weiß nichts mehr, er versteht nichts mehr. Er weiß nur: er muß da hindurch, auch wenn er nicht sieht, wohin er geht. Abraham ist am Rande, an der Grenze. Die Welt um ihn herum verschwimmt im Dunkel.
Aber selbst in dieser Düsternis und Finsternis hält er sich an Gott. Selbst da flackert schwach beinahe unbemerkbar immer wieder Hoffnung auf. Selbst da geht ihm der Glaube an den Gott nicht verloren, der ihm einst seinen Willen offenbart hat in seiner Verheißung: ich will dich sehr fruchtbar machen und will aus dir Völker machen, und auch Könige sollen von dir kommen.
(7)Und ich will aufrichten meinen Bund zwischen mir und dir und deinen Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht, daß es ein ewiger Bund sei, so daß ich dein und deiner Nachkommen Gott bin.
In unserer Geschichte wird dies schon sehr bald deutlich, dieses Gottvertrauen allem Augenschein zum Trotz. Wir hören:

Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.
(4)Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne
(5)und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.
Wie kommt Abraham dazu, in der Wir - Form zu reden? Wie kann er sagen: Wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen? - wo er doch den Knaben zum Opfer bringen soll? Sind ihm während der drei Tage, wo er mit seinen Knechten und Isaak unterwegs war, Zweifel gekommen? Wenn, dann wären es gute Zweifel. Zweifel wären das, die aus tiefem Gottvertrauen kommen. Zweifel, die ihren Ursprung in Gottes Verheißung selber haben und die ihn Gott wieder entdecken helfen, so, wie er ihm vertraut ist aus früheren Tagen. Gesunde Zweifel an der heidnischen und gottlosen Verfremdung Gottes. Zweifel, die den Grund seines Gehorsams erraten lassen: Gott kann nicht wider Gott sein. Und was Gott verheißen hat, das nimmt er nicht zurück. Und Isaak ist der Träger der Verheißung einer Nachkommenschaft, die zahlreich wie die Sterne am Himmel sein soll.

So erfahren wir auch nichts von dem tiefen Aufgewühltsein und Umgetriebensein des Abraham. Und nichts von der Angst des Isaak. Es gibt nur Hinweise auf die Fürsorge des Vaters. Er selbst trägt die gefährlichen Gegenstände, das Messer und den Feuerbrand, damit der Sohn sich nicht verletzen kann.
Und welche Antwort gibt der Vater, als der Sohn ihn fragt: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? - Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Das heißt zwar zunächst nur: ich sehe nichts. Ich weiß nichts. In mir ist alles dunkel. Aber es heißt auch: Gott sieht - und darauf kann ich mich verlassen. Gott wird seine Verheißung nicht einfach widerrufen, wiewohl er die Freiheit hat, es zu tun. Und abermals spüren wir den Zweifel, der aus dem Vertrauen in den Gott kommt, der seine Verheißung gegeben hat.

Was hier sichtbar wird, ist das Wesen des Glaubens: das Vertrauen in den Gott, der sich offenbart hat in seinen Verheißungen, das Vertrauen gegen allen Augenschein. Nur, wer dem Wort vertraut, das Gott gegeben hat und es mit ihm wagt, wird auch die Gewißheit des Glaubens erfahren. Und der Glaube des Abraham wird beschrieben als ein Festhalten, als das Vertrauen in Gottes Treue - gegen allen Augenschein. „Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl.”
Wenn uns Gott fremd wird, wenn gleich die ganze Welt um uns herum uns einen fremden Gott predigt, der Opfer fordert, fromme Leistungen bis hin zur Selbstaufgabe - dann werden wir ermuntert, uns an Gottes Wort zu halten, das uns sagt: Gott sieht uns. Gott kennt uns. Und er weiß was uns not tut. Und seine Verheißungen reuen ihn nicht. Schaut euch diesen Abraham an! Da seht ihr keinen religiösen Helden, keinen frommen Übermenschen. Ein Ausleger sagt von ihm:

„Der Gesamteindruck ist der eines Menschen, der lassen muß. Er muß sein Vaterhaus lassen, er muß seine Ansprüche lassen. Er muß seinen Versuch der Lebenssicherung lassen. Er muß seinen Sohn lassen. Wer etwas in unseren Begriffen über sein Lebenswerk, über seine Leistung, seinen Beirag, seine Bedeutung sagen und schreiben will, steht mit leeren Händen da. Abraham ist einer, der hergeben muß, und gerade damit ist er ein indirektes Zeugnis für die majestätische Wirklichkeit Gottes, der in seinem Leben sein Werk tut.
Es kommt nicht darauf an, daß wir durch besondere und auffällige Leistungen aus der Masse herausragen, daß wir einmal in den Geschichtsbüchern erwähnt werden. Es kommt darauf an, daß wir unser Leben dem Ruf Gottes zuordnen. Dieser Ruf macht unser Leben wesentlich.” (Claus Westermann)

Ein Letztes:
Was ist der tiefste Grund dafür, daß Abraham sich gezwungen sieht, seinen Sohn zu opfern?
Und daß schon ganz am Anfang dieser Geschichte deutlich wird, daß dieser doch verschont wird und weiterleben darf als einer, der schon auf dem Opferaltar gelegen hat, der Gott gehört?
Daß er weiterleben darf als der Erst - und Einziggeborene Sohn seines Vaters, als die Erstgeburt, die des HERRN ist?

Ich muß gestehen, daß ich aus der Abraham - Geschichte selbst keine abgerundete Antwort habe. Denn diese Geschichte - so „greislich” sie ist - ist faszinierend in ihrer Vielschichtigkeit:
Zum einen schildert sie auf drastische Weise und in einer großen Dramatik, daß Gott keine Menschenopfer haben will; ja, daß er sie verhindert, selbst - oder besser: gerade - da, wo sie aus einer tiefen Frömmigkeit und Ergebenheit dargebracht werden sollen. Denn selbst die tiefste Frömmigkeit kann gottlos sein.
Und so verabscheut Gott den Kadavergehorsam, in dem junge Menschen ihr Leben auf den Schlachtfeldern dieser Erde dahin gegeben haben und noch immer dahin geben.
Zum andern wird deutlich, daß Gott wohl das Recht hat, alles und das Höchste von uns zu fordern - hat er es doch schließlich zuvor gegeben. Es wird deutlich, daß im extremsten Fall aller Fälle auch die engsten Beziehungen zu unseren Kindern und Angehörigen uns nicht abbringen dürfen von unserem Vertrauen und von der Hingabe an Gott. Aber es wird auch deutlich, daß Gott uns von diesen extremen Fällen gnädig verschonen will.
Und es wird schließlich drittens deutlich, daß Gott selbst für das Opfer sorgt, das an die Stelle des Menschen tritt, der eigentlich Gott übergeben und dargebracht werden müßte.
Und hier weist die Geschichte der hebräischen Bibel hinüber in die griechische:
Drei Tage ist Abraham gewandert, bis er in die Gegend kam, in die er kommen mußte. Es war die Gegend, zu der hin später ein anderer gewandert ist.
In dieser Gegend ist Abraham auf einen Berg gestiegen, um seinen einzig geborenen Sohn zu opfern. Es könnte derselbe Berg gewesen sein, auf dem später ein anderer einzig geborener Sohn am Kreuz geopfert wurde.
Abraham hat seinem Sohn das Holz aufgelegt, damit er es auf den Berg hinauftrüge. Später hat Christus auch das Holz auf den Berg hinaufgetragen, das Holz, an dem er geopfert wurde, den Kreuzesbalken.
Abraham hat den Isaak nicht opfern müssen. Er hat ein Lamm erhalten. Da hat eine Stellvertretung stattgefunden, und Isaak durfte leben. Und später hat Gott seinen einzig geborenen Sohn geopfert. Paulus sagt: Als unser Passahlamm ist Christus an unserer Statt gestorben, als das Lamm der Verschonung, damit wir nicht die Plagen ertragen müssen, die unsere gottlose und heidnische Umwelt treffen als Folge ihres Heidentums und ihrer Gottlosigkeit. Damit wir befreit werden von den gottlosen Bindungen dieser Welt, die Opfer verlangt, damit wir befreit werden zu freiem und Dankbarem Dienst an unseren Mitgeschöpfen.

Er wurde geopfert und hat sich geopfert, damit wir keine Opfer mehr darbringen müssen. Damit wir leben dürfen. Freilich leben als solche, die schon auf dem Opferaltar gelegen haben, die aber dann den Freispruch empfingen und verschont wurden, die das neue Leben geschenkt bekommen haben.
Und seither verlangt Gott keine anderen Opfer mehr von den Menschen als ihren Dank. Keine Tiere, keine Mitgeschöpfe, schon gar keine Menschen. Nein, es heißt im Kirchenlied:
Lasset uns singen, dem Schöpfer bringen
Güter und Gaben, was wir nur haben,
alles sei Gotte zum Opfer gesetzt.
Die besten Güter sind unsre Gemüter,
dankbare Lieder sind Weihrauch und Widder,
an welchen er sich am meisten ergötzt.
Abraham hat vom Opfertod Jesu nichts gewußt. Aber er hat dieses Zeichen aufgerichtet und unter dem Trost dieses Zeichens gelebt.
Wir dürfen leben unter dem Trost des Kreuzes, unter dem Trost des Gekreuzigten.
Er hat an unserer Stelle die Folgen getragen, die unsere Welt mit ihrer Gottlosigkeit und ihrem Heidentum, mit ihrem immer neuen Verlangen nach Opfern und Leistungen auf sich zieht.
Und durch seine Auferstehung ist uns verheißen, daß Gott die „greislichen” Geschichten dieser Welt, die alten und die neuen, dennoch gut hinausführen wird. Denn er hat sich ein Opfer ersehen, damit die Opfer ein Ende haben. Damit wir leben als die, die Gott verschont hat und aufbewahrt für seine neue Schöpfung in Christus.

AMEN.

Gerhard Prell
Pfarrer in Bad Endorf, Obb.
G.Prell@gmx.de

 


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