Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Lätare, 6. März 2005
Predigt über Johannes 6, 51 - 65, verfasst von Karin Klement
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


„Wer bist du, Jesus, und wie nehme ich dich auf?“ steht als unsichtbare Fragen über dem heutigen Predigttext. Eine Beziehungsfrage ist zu klären. Viele Zeichen jener Zeit lassen Überraschendes erwarten: eine geheimnisvolle Brot- und Fischvermehrung, ein menschlicher „Wasserläufer“ über der aufgewühlten See. Trotzdem bleiben die Menschen Jesus gegenüber skeptisch. All die wunderbaren Erlebnisse, diese merkwürdigen Naturereignisse beeindrucken zwar wie Zauberkunststücke. Sie füllen den gefühlsbetonten Magen, aber nicht den kritischen Geist. Sie regen weder auf, noch an, darüber weiter nachzudenken. Sie verlocken nicht zur Frage: Wer ist das, der solche Zeichen vollbringt, und wer steht hinter ihm? Die auf- und abgeklärten Zeitgenossen JESU brauchen schon „stärkeren Tobak“. Und den bekommen sie. Ein knallharter Brocken wird ihnen zugemutet. Bis heute kann sich manche/r daran ärgern oder die Zähne ausbeißen.

Hören wir einen Abschnitt aus dem Joh.Ev., Kap. 6 (51-65): Jesus spricht: ... (Textlesung)

(eine Kopie der Lithographie von Oskar Kokoschka „Christus hilft den hungernden Kindern“ in Originalgröße 61x48,5 cm hängt zur Ansicht aus)

Liebe Gemeinde!

Irritationen machen neugierig, und JESUS provoziert heftige Neugierde! „ICH bin das lebendige Himmels-Brot; es ist MEIN FLEISCH, das ich geben werde für das Leben der Welt.“ Wer so abgehoben redet, darf sich nicht wundern, wenn man ihn bei seinem Worte nimmt: „Wie kann der uns sein FLEISCH zu essen geben?“ Und Jesus setzt noch eins drauf: „Esst mein Fleisch, trinkt mein Blut!“ Mindestens dreimal drängt sich dieser kannibalisch anmutende Ton in meine Ohren, irritierend, abstoßend. Widerlich in seiner bildhaften Vorstellung. Ein uraltes Menschheits-Tabu, den Mitmenschen leibhaftig zu verspeisen, rührt Jesus an. So eindrücklich, dass ihm die Aufmerksamkeit aller Zuhörer gewiss ist. „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm, der hat das ewige Leben.“ Es folgen die Erläuterungen. Doch der erste Eindruck bleibt bestehen.

Nichts geht ohne Leibhaftigkeit. (Die Vegetarier unter uns mögen es mir verzeihen!) Wir Menschen sind den Raubtieren in der Nahrungsaufnahme sehr ähnlich. Wir zerreißen das saftige Fleisch mit unseren Zähnen, knabbern am gebratenen Hühnerschenkel oder genießen blutige Steaks. Mehr oder weniger zähneknirschend leben wir davon, dass andere (im Sinne der Vegetarier: ihre Energie) ihr Leben dahingeben. Würden wir unsere leiblichen Bedürfnisse völlig ignorieren, könnten wir nicht einmal irdisch leben, geschweige denn „himmlisch“ und ewig. Jesus überträgt unsere Notwendigkeit zur körperlichen Nahrungsaufnahme auf die Notwendigkeit, auch für unseren Geist, unsere Seele zu sorgen. Er überträgt die körperlichen Funktionen von Hunger und Durst, Geschmack und Appetit auf die Beziehungsebene zwischen Mensch und Gottessohn.

„Ihr müsst mich „einverleiben“, fordert er, sonst habt ihr kein Leben in euch!“ Das irritierend Harte, das Schwerverdauliche an Jesu Worten lässt sich leichter beißen, kauen, schlucken, wenn wir die Zielrichtung seiner Rede beachten. Es geht ihm nicht darum, dass wir Menschen unsererseits hemmungslos über einander herfallen, uns gegenseitig anknabbern, auffressen. Es geht darum, dass wir IHN, den Christus, in uns aufnehmen. ER will uns nähren, stärken an Körper, Geist und Seele. ER will uns ganz in Fleisch und Blut übergehen.

Wer Jesus, dieses „fleischliche Himmelsbrot“, in sich aufnimmt, führt sich die „wahre Speise“, den „wahren Trank“ zu Gemüte. Eine innige, innerliche Verbindung entsteht, die alle Äußerlichkeiten, alles, was vergänglich ist, überschreitet. Dieser Vorgang bricht kein Tabu. Dennoch bewirkt er mehr als die Blutsbrüderschaft der Indianer, sogar mehr als eine lebensrettende Herztransplantation. Hier öffnet sich die Seele eines Menschen für eine kraftvolle und stärkende Begegnung mit einem anderen. Mit einer Person, die Gott und Seine Botschaft an uns buchstäblich „verkörpert“.

Das Bild, das Jesus verwendet, kennen wir auch aus unserem Alltag. „Ich habe dich zum Fressen gern“ sagen wir, ohne dem anderen gleich an die Gurgel zu gehen. Im Gegenteil. Unsere Beziehung zu diesem Mitmenschen hat eine tiefe Vertraulichkeit erreicht. Sympathie verbindet uns miteinander. Die Nähe, die wir zu einander empfinden, fließt wie ein lebendiger, warmer Strom durch den Magen; lässt das Herz aufgeregt, aber hochbeglückt flimmern. Wir schweben wie auf Wolken, könnten Bäume ausreißen in übermenschlicher Kraft. Und selbst, wenn weite Entfernungen uns trennen, wenn schlimmstenfalls sogar der Tod die Verbindung kappt, ist es, als ob wir ein Stück von dem anderen ständig in uns tragen, nahrhaft eingebettet, unauslöschlich aufbewahrt für die Ewigkeit.

Sinnbildlich und sehr plastisch wird solche Nähe angedeutet in diesem Bild, das Sie, liebe Gemeinde, hier vor Augen haben. Oskar Kokoschka, (Maler, Graphiker, Dichter 1886-1980) einer der führenden Künstler des Expressionismus, skizzierte es vor 60 Jahren. Mit knappen Strichen wird das Wesentliche umrissen: Der Gekreuzigte beugt sich tief und hingebungsvoll herab zu einer Handvoll Kinder, die ihre Gesichter sehnsüchtig nach oben recken. Sein rechter Arm hat sich vom Balkenkreuz gelöst. Seine Handfläche scheint den Mund eines Kindes zu berühren. Auf dem Balkenkreuz steht in Englisch geschrieben: „In Erinnerung an die Kinder von Europa, die sterben müssen vor Kälte und Hunger an diesem Weihnachtsfest“. Christus reicht den Hungernden seine Hand, bietet sich selbst dar. Im ersten Nachkriegs-Winter 1945/46 sterben unzählige Menschen, vor allem Kinder, an den Folgen von Hunger und Kälte. Kokoschkas Bild veranschaulicht, was der Gottessohn schenken will: Sich selbst ganz persönlich wie eine sättigende Nahrung für Leib und Geist! Er bietet sich an wie ein Krumen Hoffnung für die hungernden Körper und die hungrigen Seelen, wie ein handfester Widerstandsbrocken gegen jeden Hunger in der Welt und ein alltägliches, not-wendendes Lebens-Mittel.

Was in der Rede Jesu auf den ersten Blick so erschreckend blutrünstig und irritierend, tabuverletzend erschien entpuppt sich nun als ein urmenschliches Bedürfnis. Wir leben nicht nur mit, sondern auch von einander. Wir teilen uns mit und teilen die Gemeinschaft. Wir teilen das Brot, weil wir aus Erfahrung wissen, dass niemand ohne den anderen überleben kann. Wir spüren manchmal die Angst dabei zu kurz zu kommen; tragen Sorge, dass andere sich das größte Stück vom Kuchen nehmen und wir selbst leer ausgehen. Und dann steht da plötzlich einer auf, breitet die Arme aus und sagt: „Nehmt mich in euch auf! Kommt zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken!“

Von diesem fleischlich-leibhaftigen Jesus-Brot kann und darf sich jeder „eine Scheibe abschneiden“ – auch im übertragenen Sinn. Z.B. indem wir etwas nachvollziehen von dem, was Jesus vorgelebt hat. Von seiner Art anderen zu begegnen: hingebungsvoll und einfühlsam, doch authentisch (wahrhaftig). Einsichten schaffend, aber nicht rücksichtslos. Zielorientiert, doch nicht taktisch-kalkulierend, sondern offen und ehrlich. Ich brauche meinen Mitmenschen nicht immer auf`s Brot zu schmieren, was mir an ihnen nicht schmeckt. Aber ich muss auch nicht schlucken, was ich für ungerecht und falsch erachte. Soviele interessante Speisepläne, Rezepte für einen guten, gelingenden Umgang miteinander überliefern die Geschichten und Worte von Jesus, dass man daraus ein ganzes „Kochbuch für die Gemeinde“ erschaffen könnte. Und so wie die Liebe durch den Magen geht, (also die Theorie der großen Worte sich in der Praxis bewähren muss), vermittelt sich das, was Jesus sagen will, am besten durch ein diakonisches Handeln. Indem wir Nächstenliebe einüben, jeden Tag, so gut wir können. Indem wir das, was wir verinnerlichen von seinen Reden über Gott und die Welt, durch unsere Hände, Münder, Arme fließen lassen. Unseren Mitmenschen und der Welt zugute.

Unsere Kirchengemeinden – als ein Teil vom Leib Christi – nehmen dieses Bild der hingebungsvollen Zuwendung von Jesus auf. In ihnen wirken viele fleißige Hände, die Seine Liebeswerke nachahmen und weitertragen. Zahllose Füße versuchen Seinem Weg nachzufolgen. Herzen und Köpfe orientieren sich an Seinen Worten. Von der Kinderkirche bis zum Seniorenkreis, von den Angeboten für Erwachsene bis zum Unterricht der jungen Leute – überall stecken Menschen ihre Energie hinein. Wenn etwas nicht so gelingt, wie gedacht, blutet ihnen das Herz. Doch wenn Besucher, Gäste, Mitarbeitende sich gestärkt erheben, dankbar Abschied nehmen und versichern, auch der nächsten Einladung gern zu folgen, dann kribbelt es in manchem Bauch. Die Mitarbeiter Gottes fühlen sich satt und zufrieden.

Alle 6 Jahre gilt es, eine Art „Leibes“-Visitation durchzuführen. Wie wir es in diesen Wochen erleben. Der christliche „Gemeinde-Körper“ wird durchleuchtet, um möglicherweise „Vergammeltes“ auszusortieren, aber auch um neue, gut erprobte „Rezepte“ weiterzureichen. Hier verderben nicht viele Köche den Brei, sondern umgekehrt: Viele Mitköche bereichern die Tischgemeinschaft und erstellen ein buntes Buffet leckerster Genüsse. Dadurch wird das Gemeindeleben fruchtbar, genießbar für die unterschiedlichsten Geschmäcker. Gut verdaulich für Empfindsame und Kranke; kräftig gewürzt für Neugierige und Leicht-Gelangweilte; appetitanregend für jene, die vom Brot des Lebens noch nicht oder zu wenig gekostet haben, und nahrhaft für alle.

Gott sei`s gedankt– und wenn Ihnen/Euch jetzt der Mund wässrig geworden ist, Sie Appetit bekommen haben, dann folgen Sie doch der Einladung! Um zu schmecken und zu sehen, wie freundlich Gott mit uns ist! Einen gesegneten Appetit!

AMEN

Kirchengemeinden Roringen u. Herberhausen
Pastorin Karin Klement
Lange Straße 42
37077 Göttingen
Tel. 0551 – 2 15 66
Fax 0551 – 209 999 4
Email Karin.Klement@evlka.de

 


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