Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Lätare, 6. März 2005
Predigt über Johannes 6,1-15, verfasst von Kirsten Bøggild
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(dänische Perikopenordnung)

Warum nicht König?

Er zog sich zurück, verschwand hinauf in die große Berglandschaft, er wollte allein sein. Denn er wollte sich nicht an die Spitze einer politischen Bewegung oder eines Volkes stellen lassen, er wollte nicht König sein. Warum nicht? War das denn nicht, was sie von ihm erwarteten, und war es nicht das, worauf sie viele Generationen lang gewartet hatten? Warum wollte er nicht, wenn sie ihn doch so gern haben wollten? War sein ganzes Auftreten nur Schauspiel – und wo es nun Ernst werden sollte, zog er den Schwanz ein und flüchtete? Es war eine einzigartige Chance, Macht und Einfluß zu gewinnen, Macht nach Wunsch zu erwerben – zum König ausgerufen zu werden, und warum wollte er da nicht? Wenn er doch so viel vermochte, das konnten sie ja sehen und hören – warum wollte er dann seinen Worten nicht Taten folgen lassen und sie zum Gesetz machen? Welch eine gerechte Gesellschaft konnte er schaffen – die Guten belohnen und die Bösen bestrafen, und das Volk gesund und satt machen? Hatte er nicht die moralische Pflicht, sich durchzusetzen und eine glückliche Gesellschaft zu erzwingen, diejenige Gesellschaft, die zu schaffen er anscheinend die Macht besaß, wenn er es nur wollte?

Das Merkwürdige am Reich Jesu Christi ist, dass es nicht von dieser Welt ist. Deshalb will er nicht König sein wie die Könige und Präsidenten dieser Welt. Sein Reich ist nicht ein Reich, das sich auf politische Macht stützt, und es ist nicht ein Reich, in dem die Macht mit Hilfe von Waffen aufrechterhalten und möglicherweise auch noch erweitert wird. Wir denken daran, dass ein Reich wie eine Nation, ein Land und ein Volk ist. Die Welt ist voller Reiche, großer und kleiner, und es ist, als könnten wir keine Landschaft vor uns sehen, ohne ihr umgehend einen Namen, eine Nation und einen obersten Machthaber zu geben. Als würde die Erde mit einer Struktur von Staatsgebilden geboren. Als ob die Erde nicht vor Völkern und Staaten, vor Königen und Präsidenten käme – und vor allem: als ob die Erde nicht kam, bevor die Waffe erfunden wurde! Ehe der Krieg erfunden wurde. Jesu Christi Reich ist nicht von dieser Welt, denn es ist ohne politische Herrscher und es ist ohne Waffen, es ist ohne menschliche Macht und Unterdrückung, ohne menschliche Begierde und ohne Feindschaft zwischen Menschen. Rüstungswettlauf, Zerstörung und Totschlag sind nicht nötig, denn im Reich Jesu Christi gibt es keine Freunde und Feinde. Da gibt es keine nationalen Grenzen, die zu vertreidigen oder zu überschreiten wären. Es gibt überhaupt keine Grenzen in einem unversalen Reich. Da gibt es nur Liebe. Aber wenn das Reich nicht die Macht und Überlegenheit dieser Welt besitzt, ist es dann nicht ein schwaches und bedeutungsloses Reich? Und war Jesus nicht ein schwacher Mann, wenn er seinen Worten keine Taten folgen lassen wollte? Waren seine Worte nicht leer und gleichgültig, wenn er sie nicht mit der Macht dieser Welt, deren letztes Mittel immer die Waffen sind, verwirklichen wollte? War er da nicht nur ein lallender Idiot? Oder ein Pazifist, der anderen die schmutzige Arbeit überließ, während er seine Hände wusch? Ein Reich ohne weltliche Macht ist ein merkwürdiges Reich – und wozu in aller Welt haben wir es? Könnten wir uns doch bloß alle zurückziehen und in eine einsame und bezaubernde Landschaft verschwinden und unsere Einsamkeit und die Stille des Universums genießen – aber das können wir ja nicht. Das konnte er ja nicht einmal selbst. Er mußte in die Welt und ihr Getümmel zurückkehren und sich wie wir anderen in sie einmischen. Dennoch war sein Reich nicht von dieser Welt. Es war und blieb ohne Macht – in den Augen der Welt. Im gewöhnlichen Sinne der Welt.

Ohne Macht. Aber nicht schwach. Sein Reich ist nicht schwach. Es ist stark. Seine Stärke liegt im Geist. Geist und Freiheit. Deshalb wollte er nicht wie ein König herrschen. Alles, was er wollte, sollte in Freiheit entgegengenommen werden – wenn nicht, würde es in sein eigenes Gegenteil verkehrt werden. Liebe, die nicht in Freiheit empfangen und bewahrt wird, ist keine Liebe, sondern Unterdrückung und Besessenheit. Als er den 5000 Männern, Frauen und Kindern draußen in den öden Bergen zu Essen gab, war das eine Tat der Liebe, ein Zeichen seines Mitgefühls und ein Zeichen des Mitgefühls Gottes. Die Menschen konnten es annehmen oder nicht, und sie konnten davon denken, was sie wollten. Sie konnten aufstehen und weggehen – voller Verwunderung – und voller Dankbarkeit. Aber sie konnten auch weggehen und sofort alles vergessen. Eines wollte er nicht: Dass sie sich ihm unterwürfen, um mehr zu Essen zu bekommen. Ein Zeichen war es, keine Versicherung, kein neues System. Die Stärke des Zeichens liegt darin, dass es auf eine andere Welt hinweist als die bekannte, von Angst geplagte Welt. Eine Welt einer anderen Liebe. Eine Welt des Mitgefühls. Wo Liebe Gott ist und Menschen einander lieben in Freiheit und Gleichberechtigung.

Wenn Jesus Kranke heilte und Hungernden zu Essen gab, wenn er Tod und Bosheit bekämpfte, war das ein Zeichen, dass er von einer anderen Welt war. Die Stärke in diesen Zeichen ist das, was sie offenbaren: Ein Traum von der Güte Gottes und dem innersten wahren Wesen des Lebens. Dass das Leben ein gesegnetes Leben ist. Gesegnet von Gott, der will, dass der Mensch glücklich lebe wie im Garten Eden. Aber Zeichen sind kein Zustand. Er brachte keinen paradiesischen Zustand in die bekannte Welt. Er wies darauf hin, wie sie sein konnte und sollte, aber er zwang sie nicht, so zu sein. Er öffnete die Augen der Menschen für die ursprüngliche göttliche Welt und zeigte ihnen, wie wunderbar sie sein konnte, aber er überließ es ihnen selbst, ob sie ihm glauben wollten und so leben wollten oder nicht. Wollten sie glauben, dass Liebe Ursprung ist und Erfüllung aller Sehnsüchte – oder wollten sie es nicht? Die Brote und die Fische, die die Hungrigen in den Bergen sättigten, waren Zeichen für das, was unsere Sehnsüchte nach dem Leben sättigt, das wir kaum mit Worten beschreiben können, nach dem wir uns aber allezeit sehnen.

Hat man die Erzählung von der Speisung der 5000 einmal gehört, dann hat man für immer ein inneres Bild von dem wunderbaren und gesegneten Leben. Eine Berglandschaft und ein Hang mit frischem grünen Gras. Tausende von Menschen, die im Gras sitzen und ihr ”Frühstück im Grünen” halten. Zuvor waren sie müde, hungrig und voller Verlangen, jetzt sind sie glücklich, satt und froh. Brot und Fisch im Überfluß. Der Traum von einem gesegneten Leben, eine Welt der Sättigung und der Freude, landschaftlicher Schönheit und Liebe zwischen Menschen, auf wunderbare Weise geschaffen – das alles ausgedrückt in dem einen starken Bild. Mit Jesus und seinen Jüngern als Vermittlern der Wirklichkeit des Traumes. Ein Bild vom Paradies – ohne Schlange. Wenn wir uns selbst fragen, welche Stärke in den Worten und Taten Jesu liegt, in dem, was das Johannesevangelium Zeichen nennt, dann ist das u.a. die bildliche Kraft einer solchen Erzählung. Sie setzt sich fest in unserer inneren Welt, und wenn wir auch die Augen verschließen und ihr auf alle erdenkliche Weise den Rücken zukehren, so hat die Freude in dem Bild eine Wahrheit, die wir nicht vergessen können.

Das Reich, das nicht von dieser Welt ist, und nicht die gewöhnlichen Machtmittel dieser Welt besitzt, hat seine Stärke in seiner Treue gegenüber dem ursprünglichen paradiesischen Traum, der poetischen Schönheit, veranschaulicht in dem landschaftlichen Bild draußen in den Bergen von Gottes gnädiger Segnung des Menschenlebens. Ja – unmittelbar und direkt: Das Leben ist gesegnet, wenn wir nur die Augen öffnen und sehen wollen, wie wunderbar es ist. Wie Jesus selbst es tat in seiner Treue gegenüber dem uralten Traum von paradiesischer Unschuld und Glück. Das gesegnete Leben – wo niemand Hunger leidet, weint, haßt, wo man sich nicht gegenseitig erschlägt – das Bild in dem grünen Gras von diesem Leben, das ist ein Bild der Wahrheit, in der Gott und Mensch einander begegnen und umarmen. Seine Stärke ist, dass es von Geist und Freiheit ist. Wir erleben es nur als Augenblicke der Intensität – aber es scheint für unseren inneren Blick ein Leben hindurch. Als eine Mischung aus Trost und Sehnsucht. Denn jetzt haben wir es gehört und gesehen, aber wann wird es endgültig Wirklichkeit?

In dieser Welt sieht es ja so anders aus – nicht zuletzt in dieser unglücklichen Zeit, in der ein Krieg und all das, was das bedeutet, täglich Sinn und Gedanken prägt. In dieser politischen Machtsphäre, wo Waffen entscheiden, was leben und was sterben soll und wer bestimmen soll und wer nicht, sind Menschen unglücklich weit weg von dem Traumbild des gesegneten Lebens. Aber das Reich Gottes einer anderen Welt ist immer noch dasselbe – ungeachtet, wie schrecklich es in dieser brutalen und selbstzerstörerischen Welt zugeht. Gottes Reich ist ewig. Und es ist in uns ewig nahe, wenn wir es lieben und daran glauben. Je furchtbarer das Dasein ist, desto stärker strahlt das Bild von Gottes gesegnetem Reich. Wir können dieses Reich von einer anderen Welt ganz einfach gar nicht entbehren. Es hält den Mut wach und es bindet uns an das, was wahrhaft göttlich und menschlich ist und was nicht. Es gab keine Schlange in dem Paradies, das Jesus draußen in den Bergen schuf, als die Tausende von verdammten und hungernden Menschen sich satt aßen – da gab es nur Liebe zu den Menschen und Freude unter den Menschen. Ein gesegnetes, glückliches und friedvolles Leben.

In heutiger Zeit wirken die beiden Welten – das Reich Gottes und die irdische Weltgesellschaft – wie scharfe Kontraste. Wie der Kontrast zwischen Frieden und Krieg. Und das Bild von den glücklichen Stunden im grünen Gras wirkt wie ein utopischer Traum. Wenn wir uns in der Kirche so viel mit diesem Traum beschäftigen, geschieht das nicht allein, um den Kontrast festzustellen und Scham über ihn zu empfinden. Es geschieht, um die Verbindung zwischen den beiden Welten zu bewahren. Und um die Hoffnung und den Glauben zu bewahren, dass die beiden Welten mit der Zeit einander mehr und mehr ähnlich werden, so dass der Traum mehr und mehr irdisch wird und immer weniger utopisch. Je größer der Kontrast ist, desto größer müssen der Glaube und die Hoffnung sein. Getragen von der Liebe, aus der der Traum entsprungen ist. Amen.

Pastor Kirsten Bøggild
Thunøgade 16
DK-8000 Århus C
Tel. +45 86124760
E-mail: kboe@km.dk

Übersetzt von Dietrich Harbsmeier

 


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