Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Okuli, 27. Februar 2005
Predigt über Markus 12,41-44, verfasst von Dorothea Zager
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Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein.
Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Leptas ein; das macht zusammen einen Pfennig.
Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben.
Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.

Liebe Gemeinde,

„Die Kirche und das liebe Geld“ – ein abendfüllendes Thema. Und ganz gewiss auch ein predigtfüllendes Thema.

Und diese Geschichte, die wir heute aus der Bibel gehört haben, ist so durchsichtig und so klar, dass jeder von uns – selbst die Jüngeren, die Konfirmanden, ja sogar die Kindergottesdienstkinder sofort verstehen, worum es hier geht: um die Bereitschaft, abzugeben und zu teilen.

So ist es auch leicht zu erraten, wie eine Predigt über diese Geschichte aussehen könnte:

1. Zuerst legte ich Ihnen eine Analyse vor, wie sehr alle Leute in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit an ihrem Geld hängen und wie schwer sich die Menschen tun, mit frohem Herzen großzügig zu spenden.

2. Dann würde ich Ihnen den Sinn und Zweck der Kirchensteuer erklären, einen Rechenschaftsbericht ablegen, wie die Steuermittel eingesetzt werden und wohin die Spendengelder fließen, die Sie Brot für die Welt oder dem Diakonischen Werk anvertrauen.

3. Letztlich ließe ich dann meine Predigt ausklingen in einem tüchtigen Appell: Seht die arme Witwe als leuchtendes Beispiel. Lasst uns auch unsere Herzen öffnen und unsere Hände. Lasst und großzügiger spenden und williger helfen.

Falsch wäre das sicher alles nicht, liebe Gemeinde, aber ganz sicher nicht im Sinne Jesu.

Viel tiefgründiger sind seine Worte von Reichtum des Schenkens, als dass er nur von Gut oder Geldwert spricht.

Viel weiter und tiefer sehen seine Augen, als nur auf diese beiden Leptas, die dort im Tempelvorhof in den Opferkasten fallen.

Viel mehr will Jesus in den Herzen der Menschen erreichen, als lediglich einen höheren Betrag auf dem Spendenkonto.

Ich lade Sie ein, genauer hinzuhören auf diese Geschichte.

I. Typisch christlich?

Die Geschichte vom Scherflein der Witwe ist keine typisch christliche Geschichte

Ganz erstaunlich ist, liebe Gemeinde, in wie vielen anderen Religionen und Kulturen es ganz ähnliche Geschichten gibt:

Aus Indien erzählt uns eine Geschichte von einem bettelnden Mädchen, das bei einem Heiligenfeste seinen ganzen Besitz hingibt, zwei kleine Kupfermünzen, die es auf einem Misthaufen gefunden hat. Zur Belohnung darf sich das Mädchen wünschen, in ihrer Wiedergeburt ständig frei von Armut zu sein und glücklich für alle Zeit. Die Moral der Geschichte wird so formuliert: „Nicht durch die Fülle des Reichtums erlangt man reichen Lohn. Nur wenn ein edles Herz vorhanden ist, dann erlangt man reiche Vergeltung.“

Aus der griechischen Mythologie stammt diese Geschichte: Apollo habe an den Gerstenkornschrotkörnern eines armen Bauern mehr Freude, als an den großartigen Hekatomben von Opfern, die Tyrannen nach ihrem Sieg über die Karthager ihm brachten.

Und schließlich gibt es im Judentum eine Geschichte, die sich fast genauso anhört wie die unsrige. Als eine arme Witwe eine Handvoll Mehl zur Opfergabe bringt, hört der Priester im Traum eine Stimme, die ihm sagt: „Verachte die geringe Gabe der Witwe nicht; denn sie ist wie eine, die ihr Leben dargebracht hat.
[nacherzählt aus: Pastoralblätter 3/1999]

Erstaunlich – diese Parallelen. Und ganz klar zu erkennen: Typisch christlich ist unsere Geschichte nicht.

Was also ist an unserer Geschichte Besonderes? Wird hier nicht eigentlich nur das Selbstverständliche gesagt?

Ja, es ist richtig. Zwei eigentlich ganz selbstverständliche Einsichten liegen der Geschichte zu Grunde:

1. Ohne Geld geht es nun einmal nicht – weder damals noch heute.

2. Es ist selbstverständlich, dass Reiche mehr geben sollten und Arme eben weniger; denn die kleine Gabe des Armen ist genauso wertvoll wie die große Gabe des Reichen.

Deshalb gehört diese Geschichte auch in vielen anderen Religionen zum Traditionsgut. Jesus aber weist weit darüber hinaus.

II. Über das Glück des Schenkenden.

Jesus macht aus dieser selbstverständlichen Begebenheit eine Predigt über das Glück des Schenkenden.

Zunächst, wenn wir genauer hinschauen, liebe Gemeinde, kommt uns manches in dieser Geschichte merkwürdig vor.

Merkwürdig ist es doch z.B., dass sich Jesus da hinsetzt – direkt neben den Opferkasten – und genau beobachtet, welche Leute dort wie viel hineinwerfen.

Unserer Opferpraxis ist so etwas völlig fremd. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich selbst schaue absichtlich weg, wenn einer vor meinen Augen gerade etwas in das Kollektenkörbchen legt. Ich möchte es gar nicht wissen, weil ich nicht möchte, dass er in meiner Achtung steigt oder fällt, je nachdem ob es ein 10-Cent-Stück ist, das er einlegt, oder ein 20-Euro-Schein. Andersherum wäre es uns äußerst unangenehm, wenn dort am Kollektenkörbchen jemand säße und uns beobachtete und uns genau auf die Finger sähe, wie hoch unsere Einlage ist. Nein, wir sind es gewohnt, Kollekten diskret zu geben – geprägt von dem Bibelwort „Es soll die eine Hand nicht wissen, was die andere tut“ [Mt 6,3].

Jesus aber macht genau das. Er sitzt dort. Seine Augen ruhen auf dem 13. Opferstock, der dort mit 12 anderen im Vorhof der Frauen aufgestellt ist. Dort im inneren Tempelbereich, direkt vor den Vorratsräumen für Wein, Brandopferholz, Öl und Edelsteine standen diese 13 Opferstöcke. Sie hatten die Form von Posaunen, also oben eng und unten weit, um Diebstähle zu verhindern. Die ersten 12 hatten eine feste Zweckbestimmung – so ähnlich wie unsere zweckgebundenen Kollekten – der 13. war aber für freiwillige, ganz persönliche Gaben bestimmt. Priester standen dort, fragten die Geber, wofür die Gaben bestimmt seien und prüften, ob die Höhe der Gaben auch stimme. Besonders hohe Spendenbeträge wurden dann sogar ausgerufen – ganz laut mit Namen des Spenders! Da mag es laut und bunt zugegangen sein – für uns kaum nachvollziehbar, wie unverhohlen dort jedes Spendengebahren öffentlich gemacht wurde.

Jesus sitzt gegenüber diesem 13. – dem freiwilligen, ganz persönlichen Opferstock. Aber er gibt keinen Kommentar ab. Wir hören kein Lob für die großzügigen Reichen, kein Urteil über die, die nichtsgebend vorübergehen.

Nur als diese Frau kommt. Alleinstehend, arm und diesen einzigen Pfennig hineinlegt – 2 Leptas, alles, was sie hat, alles, was sie zum Leben braucht, da ruft er seine Jünger zusammen und sagt: „Seht her! Seht Euch diese Frau an!“

Unvernünftig ist sie. Wenn sie alles gibt, was sie hat, alles, was sie zum Leben braucht – dann ist sie doch bettelarm. Warum tut sie das?

Sie tut es, weil sie damit ihr ganzes Leben ganz und gar in Gottes Hand legt. Sie hat keine Angst vor der Armut. Sie fürchtet nicht, zu verhungern. Sondern sie vertraut. So wie die Vögel am Himmel, die ernährt werden, ohne dass sie säen oder in Scheunen sammeln. Wie die Lilien auf dem Felde, die heute blühen und sich keine Gedanken machen über morgen. Vertrauensvoll, ohne Angst.

Das versucht Jesus am Verhalten dieser Frau deutlich zu machen: Viel, viel mehr trägt sie in ihrem Herzen als mancher reicher Geber dort im Tempel. Soviel mehr an Vertrauen, soviel mehr an Hoffnung, soviel mehr an Gottesnähe, dass sie tatsächlich reicher wird durch ihr Schenken und nicht ärmer.

Denn weil sie sich von Gott allein getragen weiß, ihr Leben vertrauensvoll in seine Hände legt, deshalb kommt sie Gott näher als alle anderen Tempelbesucher.

Darum spricht Jesus sie selig: Wahrlich ich sage Euch: Diese arme Witwe hat mehr als alle, die etwas eingelegt haben.

III. Über den Kollektentellerrand hinaus

Liebe Gemeinde, wenn wir nur ein Stück weiterdenken – weiterdenken über den Rand des Kollektentellers hinaus, weiterdenken über die Kalkulation von Kirchensteuern oder Bilanzen der Dekanatssynoden hinaus – dann sehen und begreifen wir, dass es eine noch viel schlimmere Armut gibt, die uns bedroht, als der Mangel an Geld: die Armut einer Welt ohne Vertrauen, ohne Geborgenheit, ohne Liebe, ohne Demut. Eine Welt ohne Gottvertrauen, ohne Demut und ohne Dankbarkeit ist eine Welt ohne Sinn.

Unser blauer Planet ist auf dem besten Wegen dazu, eine solch arme Welt zu werden. „Hast Du was, dann bist Du was“, sagte man früher – heute hört sich das schon deftiger an: „Geiz ist geil.“ oder: „Ich bin doch nicht blöd.“ Wer heute Geld ausgibt um der Liebe willen, um seiner Freunde willen, oder um der Nächstenliebe willen, wird belächelt. So kommst Du zu nichts! Wirklich nicht? Oder ist vielleicht gerade das der Weg zu wahrem Reichtum?

Martin Luther sagt: „Glaubst Du, so hast Du.“ – genau das ist der Reichtum des Herzens, den Jesus meint. Wenn wir uns ganz und gar auf Gott verlassen, es ihm allein anheim stellen, wie lange unser Leben währt, welche Wege es uns führt, was dieses Leben uns schenkt und was dieses Leben uns nimmt, wenn wir uns in dem allen ganz und gar in Gottes Hand bergen, werden wir frei, ruhig, dankbar – reich eben! Reich im Herzen.

Die Tat dieser armen Witwe können wir nicht einfach nachmachen; und darum geht es auch gar nicht. Dass wir in dieser Welt auch zu rechnen halten, dass ohne Finanzen und ohne Finanzplanung kein Staat und keine Kirche bestehen können, dass weiß auch Jesus – aber darum geht es ihm in einem anderen Gleichnis: dem Gleichnis vom klugen Haushalter [Lk 16,1-9] und nicht hier.

Hier in der Geschichte der vertrauensvoll handelnden Witwe sagt er uns, dass wir Christen „mehr“ sein dürfen als klug rechnende Haushalte.

Wir gehören Gott in allem, was wir haben, was wir besitzen, was wir sind: Darum können wir leben und handeln als Beschenkte und Geborgene und Geliebte Gottes.

Amen.

[ ] Text in eckigen Klammern dienen dem Prediger/der Predigerin zur Erläuterung und werden nicht mit vorgetragen.

Liedvorschläge:

EG 384,1-3: Lasset uns mit Jesus ziehen

EG 82,1+2+6+7: Wenn meine Sünd mich kränken

EG 552,1-5: Einer ist unser Leben

EG 87,1+3: Du großer Schmerzensmann

Dorothea Zager, Worms
DWZager@t-online.de


 

 


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