Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Invokavit, 13. Februar 2005
Predigt über Matthäus 4, 1-11, verfasst von Elof Westergaard (Dänemark)
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(Textauswahl nach der dänischen Perikopenordnung)

Liebe Gemeinde!

1. In fast allen Biographien und Erinnerungen spielt die Schulzeit eine wesentliche Rolle. Und so geht es wohl überhaupt uns allen. Da sind Lehrer und Kameraden, die bleibende Bedeutung für einen gehabt haben in Einstellungen und im Denken, – da sind Ereignisse, die man mit sich herumträgt und an die man sich erinnert. Gute und erbauliche, vielleicht aber auch grausame und ausgesprochen böse Taten, die man im Gedächtnis hat.
Ein griechischer Schriftsteller, der vor mehr als hundert Jahren in die Schule ging, erzählt in seinen Erinnerungen, die in den 1950ern entstanden sind, von einer bestimmten Episode aus seiner Schulzeit. Sie hatten den Schulleiter in einigen Fächern. Er war ein kleiner Mann mit einem heißen Temperament und mit böser Laune.
Es war um Ostern. Der Lehrer nahm die Schüler mit in die Kirche. Nachdem sie in der Kirche gewesen waren, begann der Lehrer den Schülern zu erzählen, wie Gott seinen Sohn auf die Erde geschickt hat, wie Christus um unserer Sünden willen litt und gekreuzigt wurde. Und er erzählte ihnen auch von den zwölf Jüngern, vor allem von dem Jünger, der Judas hieß und Jesus verriet.
Der Schriftsteller erinnert sich, wie der Lehrer mit einem bösen Blick über die Klasse hinsah und zum Abschluss seiner Schilderung der Tat und des traurigen Endes des Judas sagte: „Ja, und Judas, der ist wie...“ – und der Lehrer streckte seine Hand aus und sah jeden einzelnen Schüler der Reihe nach an.
Es entstand eine Pause, in der alle auf die Erde sahen, bis der Lehrer einen rothaarigen, bleichen Jungen ausmachte, der armselig gekleidet war. Ein Junge namens Nikolios. „Ja, Judas war wie du, Nikolios“, sagte der Lehrer. „Dieselbe Haarfarbe und dieselbe Kleidung. Auch Judas hatte rote Haare, tiefrote, wie die Flammen der Hölle.“
Als Nikolios das hörte, begann er zu weinen. Aber darauf nahm der Lehrer keine Rücksicht. Und die anderen, die merkten, dass sie dem Gericht entronnen waren, sahen nun voller Hass auf diesen Judas. Hatten sie es nicht schon immer gewusst? Und ein Flüstern erhob sich in der Klasse, dass dieser Judas nach der Schule verprügelt werden sollte.
Und der Schriftsteller erzählt, wie sie, als sie aus der Schule kamen, hinter dem armen Jungen herliefen und ihn schlugen und ihm „Judas“ nachriefen.
Dieser Junge hat sich seit diesem Tage nie wieder in seiner Klasse blicken lassen, er ist überhaupt nie wieder in der Schule aufgetaucht.
Dreißig Jahre später: der Schriftsteller hat weit weg von seinem Heimatort gelebt, jetzt kommt er zu einem Ferienaufenthalt zurück, und er begegnet dem Jungen von damals wieder. Der ist Schuhputzer. Er stand schüchtern auf der Treppe zum Elternhaus des Schriftstellers, er wollte geputzte Schuhe abliefern. Und er sah den Schriftsteller an und schüttelte den Kopf: „Kennst du mich nicht?“ „Und erst jetzt erkannte ich ihn wieder“, schreibt der Autor. „Und ich nannte seinen Namen ‚Nikolios’. Und ich ergriff seinen Arm. Aber er antwortete nur: ‚ja, Judas’, und er lächelte bitter.“

2. Das Böse, der Teufel, tritt heute im Bericht des Evangeliums von Jesus in der Wüste als ein selbständiges Wesen auf, als eine Macht, eine Person, die zu Jesus kommt und ihn versucht: ihn dazu bringen will, dass er Stein zu Brot macht, dass er sich von einem Felsen hinabstürzt, und schließlich Jesus überreden will, ihn anzubeten.
Der Teufel, Satan, ist hier als eine Person geschildert, eine Macht, die zu Jesus kommt.
Wie Gott eine persönliche Macht ist, so ist der Teufel es auch.

Ist der Teufel eine persönlich selbständige Macht, dann ist es uns also nicht beschieden, uns gegenseitig zu Teufeln zu machen. So wie der Lehrer es in der Erinnerung tat, als er den Schüler zu einem Judas machte.
Wir sollen uns überhaupt davor hüten, andere zu Teufeln zu machen. Zu sagen: du gleichst dem Bösen selbst, du bist ein Satan, ein Teufel, Judas oder wer sonst es sein mag, der stigmatisiert werden könnte.

Ist der Teufel eine persönliche Macht, dann bedeutet das jedoch auf der anderen Seite nicht, dass wir das Böse, das stattfindet, von uns wegschieben könnten. Und dass wir bloß sagen könnten: Der Teufel war daran schuld, oder wie Adam und Eva versuchten, die Schuld auf die Schlange zu schieben, als sie vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten.
Das Böse ist immer etwas, was wir tun: sei es in der Erinnerungsgeschichte das teuflische Ausmachen des einen Schülers und seine Ernennung zum Sündenbock. Und weiter das dann folgende Handeln der anderen Jungen, nämlich dass sie den Jungen schlugen und fürs Leben verletzten.

3. Das Handeln des Lehrers wie das der Schüler lässt sich möglicherweise psychologisch verstehen, es lässt sich aber nicht rechtfertigen. Sie handeln alle böse.
Und so ist es ja. Gewiss ist der Teufel eine persönliche Macht. Aber das Böse – und die bösen Taten, das sind nun einmal Taten, die wir selbst auf uns nehmen und begehen. Nicht nur die anderen, sondern auch wir selbst. Wir Menschen sind es, die das Böse tun.
Es mag noch so viele Entschuldigungen und Erklärungen geben, warum wir es tun und warum es geschieht.
Da mag Rachsucht im Spiel sein, Angst, Furcht, Habsucht, Besitzansprüche, Egoismus, Eifersucht, Neid usw. Aber das rechtfertigt nicht, dass wir das Böse tun.
Deshalb müssen wir in Erkenntnis unserer eigenen Schwäche weiterhin, so wie wir es in der Einleitung zum Glaubensbekenntnis tun, dem Teufel und allen seinen Taten und all seinem Wesen entsagen. Wir haben fortgesetzt guten Grund, das zu tun.
Wie es fortgesetzt guten Grund gibt, dass wir uns Gott zuwenden und hier immer wieder beten, wie wir es in dem Gebet tun, das Jesus selbst uns gelehrt hat: im Vaterunser, wo wir beten: „Rette uns vor dem Bösen, denn dein ist das Reich und die Macht“.
Wir haben es fortgesetzt nötig, so zu beten.
Denn wie immer wir uns im Leben einrichten, welche Ideologie auch immer herrschen mag, wie sichere Bedingungen wir auch immer für das Leben schaffen, so ist es doch nötig, dass wir beten: Rette uns vor dem Bösen.
Denn Tod und Sünde gibt es weiterhin. Sie verlassen uns nicht so ohne weiteres, sie greifen uns vielmehr so leicht, in Gesinnung, Denken und Handeln, und in dem gemeinsamen Leben, neben- oder miteinander.
Die Bosheit ist ein Teil des Lebens, das wir leben.

4. Es war eine Zeitlang mondän, zu sagen, wir sollten uns doch mit dem Bösen abfinden, es bestehe im Menschenleben eine Art von Balance zwischen dem Bösen und dem Guten.
Das ist Unsinn. Das Böse ist böse, und es gibt keinerlei Grund, sich damit abzufinden. Wir haben ihm vielmehr weiterhin zu entsagen, und wir sollen nicht versuchen, es neutral oder gar gut zu machen.

5. Und obwohl wir das Böse nicht selbst beherrschen können, haben wir an Jesu Wort und Widerstand gegen das Böse festzuhalten. Er ließ sich nicht in Versuchung führen, weder mit seiner Eitelkeit noch seiner Lust zu Macht und Reichtum. Er war standhaft. Wie er mit seinem ganzen Leben der Sünde und dem Tod widerstanden hat und uns weiterhin ein Schutz ist gegen das Böse.
Wir sangen davon in dem Lied Ein feste Burg ist unser Gott, wo die dritte Strophe lautet:
Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
wie saur er sich stellt,
tut er uns doch nicht;
das macht, er ist gericht’:
ein Wörtlein kann ihn fällen.

Und an diesem Vertrauen, dass das Böse, dass Sünde und Tod in Christus keine Macht haben, müssen wir festhalten.
Denn gewiss beruht diese Fähigkeit, das Böse zu begrenzen, nicht auf uns selbst, sondern auf Gott.
Aber weil Gott uns will und seinen Namen in unsere Herzen schreibt und uns in der Taufe zu den Seinigen macht, deshalb gibt es auch weiterhin Hoffnung für uns: dass der Teufel nicht herrschen und das Böse keine Macht haben werde.

Wie immer unser Leben sich formt: Gott gibt uns, ob unsere Tage zahlreich oder wenige werden; wieviel Böses wir auch immer einander zufügen: Gott gibt uns immer Hoffnung und Gewissheit, dass nicht das Böse, sondern die Liebe die Macht besitzt.
Dies ist es, war wir bereits bei der Taufe hören, wenn das Kreuzeszeichen gemacht wird über Gesicht und Brust des Kindes und wenn gesagt, wird, dass es Gott und Jesus Christus angehören soll.
Das heißt, es ist nicht der Böse, sondern dasjenige, was dem Bösen zu entsagen vermocht hat, dem wir angehören und das uns will, will, dass kein Teufel uns schaden kann.
Lebe in der Gnade der Taufe in ewigem Vertrauen hierauf.
Wie wir gleich in Grundtvigs Lied singen werden:

Dir Gott hat geschrieben
das Kreuz seines Lieben
vor Stirne und Brust,
schon eh du´s gewusst,
drum soll dir kein Teufel mehr schaden.
Zur Hoffnung in Christ
getauft ja du bist,
kannst Seele und Herz darin baden.

(Nr. 674 im dänischen Gesangbuch, hier nach Salmer på dansk og tysk, Auszug aus dem dänischen Gesangbuch, Nr. 488)

Gebe Gott, dass wir weiter in dieser Hoffnung leben können. Amen.

Pastor Elof Westergaard
Gramvej 2, Husby
DK-6990 Ulfborg
Tel. +45 97495108
E-mail: eve@km.dk

Übersetzt von Dietrich Harbsmeier

 


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