Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Aschermittwoch, 9. Februar 2005
Predigt über Joel 2,12-18, verfasst von Christian-Erdmann Schott
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12 Der Herr spricht auch jetzt: Bekehret euch zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, mit Weinen, mit Klagen!
13 Zerreißet eure Herzen und nicht eure Kleider, und bekehrt euch zu dem Herrn, euerm Gott! Denn er ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte, und ihn reut bald der Strafe.
14 Wer weiß, es mag ihn wiederum gereuen und er mag einen Segen hinter sich lassen, zu opfern Speisopfer und Trankopfer dem Herrn, euerm Gott.
15 Blaset mit Posaunen zu Zion, heiligt ein Fasten, ruft die Gemeinde zusammen!
16 Versammelt das Volk, heiliget die Gemeinde, sammelt die Ältesten, bringet zuhauf die jungen Kinder und die Säuglinge! Der Bräutigam gehe aus seiner Kammer und die Braut aus ihrem Gemach.
17 Lasst die Priester, des Herrn Diener, weinen zwischen Halle und Altar und sagen: Herr, schone deines Volks und lass dein Erbteil nicht zu Schanden werden, dass Heiden über sie herrschen! Warum willst du lassen unter den Völkern sagen: Wo ist nun euer Gott?
18 So wird denn der Herr um sein Land eifern und sein Volk verschonen.

Liebe Gemeinde, in der alten Fastnachtshochburg Mainz bedeutet der Aschermittwoch noch immer einen deutlich erkennbaren Einschnitt. Während in den vier Tagen davor – Fastnachtssamstag, -Sonntag, Rosenmontag und Fastnachtsdienstag – das närrische Treiben das gesamte öffentliche Leben lahm legt, Schulen und Geschäfte geschlossen bleiben, ist mit dem Aschermittwoch alles vorbei. In den Frühmessen der katholischen Kirche erhalten die Gläubigen zum Zeichen des Beginns der Fastenzeit das traditionelle Aschenkreuz auf die Stirn und am Rhein wird die Fastnacht symbolisch beerdigt: Junge Männer versammeln sich in den frühen Morgenstunden in schwarzen Anzügen oder Gehröcken, auf dem Kopf einen schwarzen Zylinder, um einen mit Steinen beschwerten Sarg in den Fluten des Rheins zu versenken.

Nach diesen Zeremonien ist es streng verpönt, weiterhin „Helau“ zu rufen, sich zu verkleiden, Fastnachtslieder zu singen oder zu Fastnachtsveranstaltungen einzuladen. „Die Fassenacht ist um, des sind wir froh – die Narren sind jetzt im Büro“ hieß es vor einigen Jahren nicht ohne Hintersinn in der „Allgemeinen Zeitung“ von Mainz.

Heute werden diese und ähnliche Traditionen immer mehr in die Voröffentlichkeit abgedrängt. In den meinungsbildenden Medien, vor allem Presse, Funk, Fernsehen, hat der Aschermittwoch als Beginn der Fastenzeit/Passionszeit nicht mehr die Bedeutung eines Einschnittes. Entertainer und Spaßmacher treten nachher wie vorher auf. Die Passionszeit ist auf die drei Tage von Gründonnerstag bis Ostersamstag zusammengeschmolzen. Etwas anderes möchten die Programmmacher der Spaßgesellschaft, die so von ihnen freilich auch erzeugt wird, nicht mehr zumuten.

In dieser Situation kann die Besinnung auf den Predigtabschnitt aus dem Propheten Joel hilfreich sein. Dazu muss man freilich wissen: Joel, Sohn des Petuel, über den sonst nichts bekannt ist, lebte in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts vor Christus. Zusammen mit seinen Volksgenossen litt er unter einer sehr schlimmen Heuschreckenplage, die das Land verwüstete, die Grundlagen des Lebens von Tieren (Wasser und Weiden für die Herden) und Menschen zerstörte. Joel sah in dieser Plage eine Strafe Gottes. Damit Gott innehält, sich erbarmt und das Volk nicht völlig der Vernichtung preisgibt, ruft er zu einer radikalen Bekehrung auf. – vielleicht wird Gott daraufhin gegen die Plagen „eifern und sein Volk verschonen“ (V.18).

Bemerkenswert ist nun, dass der Prophet diese Bekehrung in zwei Richtungen wirksam werden lassen möchte: Einmal auf der traditionell-institutionellen Ebene. Mit Posaunen soll ein allgemeines Fasten ausgerufen werden; die Gemeinde, auch Alte, Kinder, ja Säuglinge sollen zusammen kommen; die Priester sollen Klagepsalmen und Bittgebete anstimmen; es soll ein öffentlicher Buß- und Bettag stattfinden.

Zum anderen soll sich aber auch jeder einzelne „von ganzem Herzen“ (V. 12) zu Gott bekehren und nicht nur im Rahmen der offiziellen Maßnahmen und Institutionen (Tempel, Priester, Gottesdienst, Totenklage, Fasten) seine innere Abkehr vom Bösen und die Hinwendung zu Gott vollziehen: „Zerreißet eure Herzen und nicht (nur) eure Kleider“ (V. 13). Das eine nicht ohne das andere. Die allgemeine und die persönliche, die institutionelle und die individuelle Bekehrung werden nicht gegeneinander ausgespielt. Sie werden zusammen gesehen, sich gegenseitig stützend und ergänzend.

Hier ist aber auch der Punkt, an dem Joel für uns hilfreich sein kann: Dem Abdrängen der kirchlich begangenen Passionszeit mit ihrem Gedenken an das Leiden und Sterben Jesu Christi aus dem öffentlichen Bewusstsein zugunsten einer zunehmenden Banalisierung und Verödung des geistig-geistlichen Lebens können wir nicht nur mit einer privat-persönlich-individuellen Haltung im Stillen und im Herzen, aber auch nicht ausschließlich mit institutionellen Angeboten (Gottesdiensten, Andachten) begegnen. Vielmehr werden wir beides glaubhaft miteinander verbinden müssen – im Sinn einer Neuentdeckung und der verinnerlichten (Wieder-)Übernahme guter Traditionen aus unseren Kirchen.

Das könnte etwa bedeuten, dass wir – warum nicht auch durch die Medien? – aufmerksam machen auf Fastenaktionen wie „Sieben Wochen ohne Alkohol, ohne Zigaretten, ohne Fernsehen usw.“ Besser noch „Sieben Wochen mit Gottesdienst (Kirchgang), mit Blick auf den kranken Nachbarn, mit Gebet“. Vor allem aber „Sieben Wochen mit Blick auf das, was uns das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus zu sagen hat“ für unser Leben und für das Sterben. Gerade die Vertiefung in das Wort und die geistlichen Gaben Gottes können uns im Glauben gewisser und zuversichtlicher machen.

Dazu rechne ich auch die gute protestantische Tradition des Auswendiglernens von Gesangbuchversen, Psalmen, Bibelworten oder Abschnitten aus dem Katechismus. Diese Gepflogenheit ist jahrzehntelang als unmodern verächtlich gemacht worden und schließlich fast ausgestorben. Wenn man, auch als Erwachsener, etwas inwendig besitzen will, um es stets abrufbar bei sich zu haben, dann sollte man es auswendig können. Das trainiert den Geist und den Glauben und stärkt außerdem die Konzentrationsfähigkeit.

Die Heuschreckenplage, mit der Joel zu tun hatte, ist irgendwann einmal dann auch an ein Ende gekommen. Das Leben hat sich wieder normalisiert. Aber der Hinweis auf die Bewahrung, die Gnade und den Segen, den wir Menschen aller Notzeiten durch die Wiederbelebung und persönliche Aneignung frommer Traditionen, durch institutionelle und individuelle Hinwendung zu Gott erfahren können, bleibt eine hilfreiche Mahnung auch für uns. Amen.

Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
Elsa-Braendstroem-Straße 21
55124 Mainz-Gonsenheim
Tel.: 06131-690488
FAX 06131-686319
E-Mail: ce.schott@surfeu.de


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