Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Estomihi, 6. Februar 2005
Matthäus 3,13-17, verfasst von Kirsten Bøggild (Dänemark)
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(Matthäus 3,13-17 ist der Text der dänischen Perikopenordnung)

DIE ERWÄHLUNG

Jesus kam zu Johannes wie alle anderen. Er kam als ein Mensch wie alle anderen. Er machte sich nicht besser oder anders oder zu etwas Besonderem. Nein, er machte sich zu dem, was er war: ein Mensch unter Menschen, ein Mitmensch. Viele Menschen kamen zu Johannes, um sich taufen zu lassen. Jesus machte es ebenso. Er entzog sich nicht der Taufe mit der Vergebung der Sünden – als ob er allein ohne Sünde wäre. Obwohl er es war. Er machte sich nicht selbst zum Übermenschen, er machte sich den Menschen gleich. Deshalb wollte er sich von Johannes taufen lassen. Die Gerechtigkeit, der damit Genüge geschehen sollte, war die Gerechtigkeit Gottes. Gott kam den Menschen entgegen, indem er das Liebste, das er hatte, Mensch werden und ein Leben unter menschlichen Bedingungen leben ließ, aber auf eine Art und Weise, die den Menschen zu dem machte, was er ursprünglich sein sollte: gehorsames Kind Gottes. Die Liebe Gottes in menschlicher Gestalt, von Geburt bis zum Tod. Alle Menschen bedürfen der Taufe mit der Vergebung der Sünden, denn alle sind sündig. Jesus war nicht sündig, aber durch die Taufe machte er sich mit allen Menschen gemein und nahm die Gemeinschaft in der Sünde und Schuld auf sich. Dadurch erhalten wir eine Gemeinschaft mit ihm – nicht nur in der Sünde und Schuld, sondern auch in seiner Gerechtigkeit: seinem Gehorsam bis in den Tod. Er stellte die verlorene Menschlichkeit wieder her und gab uns Anteil an ihr in der Gemeinschaft mit ihm. Das geschieht in der Taufe, im Wort. Das geschieht im Glauben daran, dass wir mit ihm wiedergeboren sind.

Und doch – dann war er also nicht nur ein gewöhnlicher Mensch wie alle anderen. Er war auserwählt! Das wusste Johannes. Und dies ist es auch, was das Evangelium berichtet. Als Jesus aus dem Wasser stieg, sah er den Geist Gottes herabfahren wie eine Taube und der Geist Gottes kam über ihn. Gottes unsichtbarer Geist ließ sich in der Gestalt einer Taube sehen, denn der Mensch hat das Sehen und Hören nötig. Und der Geist Gottes sprach wie eine Stimme vom Himmel. Es war eine Liebeserklärung und eine Erwählung. Jesus wurde der Sohn Gottes, Gottes geliebter Sohn. Als der einzige Mensch in der Welt. – Jeder Mensch lebt in einem Verhältnis zu Gott, ob er es nun weiß oder nicht. Sein Leben ist und bleibt ein Rätsel für ihn selbst. Geboren vom und im Universum für eine Zeitlang. Kein anderer als Gott allein weiß, warum. Niemand anders als Gott kennt das Rätsel des Lebens. Aber Jesus, der auch vom und im Universum geboren wurde, bekam von Gott eine ganz besonderen Bedeutung. Er erhielt göttlichen Rang, und es war ihm bestimmt, als Gottes eigenes Wesen auf Erden zu leben. Wie der Mensch sich selbst ein Rätsel ist, ist Gott uns allen ein Rätsel. Aber Jesus wurde auserwählt, um das Verhältnis zwischen Gott und Mensch zu offenbaren. Das geschah mit Gottes eigener Liebeserklärung. Die Erwählung war also auf Liebe gebaut und konnte nur in Liebe empfangen werden. Dazu wurde Jesus bestimmt: Dass er die Liebe Gottes unter menschlichen Bedingungen ausleben sollte, in Freude und Leid, Wonne und Schmerz, Tod und Auferstehung. Auserwählt zu werden hat mehrere Seiten: Es ist ein Geschenk und eine Ehre, aber es ist auch eine Aufgabe und ein Leiden, das man zu tragen hat. Jesus machte sich nicht selbst zu Gottes Sohn; es war Gott, der ihn erwählte, weil er ihn liebte und ihn dazu gebrauchen wollte, den Menschen nahe zu kommen. Die Taufe war zugleich Liebeserklärung, Erwählung und Bestimmung. Von hieraus konnte er anfangen.

Auch wir können fühlen, dass wir Auserwählte sind. Dass wir von etwas anderem bestimmt sind als von uns selbst. Letztlich von Gott bestimmt. Denn wer hat uns dazu bestimmt, das Leben geschenkt zu bekommen und die zu sein, die wir sind, – wenn nicht Gott? Wir kennen alle die Vorstellung, es könnte genauso gut ein anderer sein, der mein Leben bekommen hat, und es könnte genauso gut ein anderer sein als ich. Es ist und bleibt ein Rätsel, dass ich ich bin. Aber auch die Dinge, die in einem langen Leben geschehen, können als eine Reihe von Auserwählungen aufgefasst werden. Als etwas, das auf mich zukommt – nicht als etwas, das ich selbst ergreife. Eltern, Geschwister, Lebenspartner, Kinder, Freunde – sie alle sind Menschen, die zu mir kommen – nicht Menschen, die ich selbst zu mir nehme oder selbst schaffe. Arbeitsplätze, Aufgaben – ja, alles, was uns am Herzen liegt – all das ist etwas, das zu uns kommt und unser Leben prägt. Uns Identität verleiht. Wie wir die Auserwählung annehmen, ist unsere eigene Verantwortung, und wir haben die Freiheit, nein zu sagen und das abzulehnen, das etwas von uns will. Grundsätzlich aber ist das Leben, dazu auserwählt zu sein und zu werden, als eine bestimmte Person zu leben, als ein bestimmter Mensch, der einzigartig ist in der Welt. Niemand anders ist wie ich. Ich bin nicht wie irgend jemand anders. Ich bin ich und kein anderer – im Guten wie im Schlechten. Das ist das Phantastische an dem Leben, das wir erhalten haben!

Das Persönliche kommt auch in der Taufe zum Ausdruck. In ganz gewöhnlicher Vorstellung hängen Taufe und Namensgebung unauflöslich zusammen. Und Name und Person sind ebenso unauflöslich miteinander verbunden. Die Taufe Jesu jedoch hatte nichts mit gewöhnlicher Namensgebung zu tun. Jesus bekam einen besonderen Namen, eher eine Bezeichnung als einen Namen. „Sohn Gottes“ ist ein messianischer Titel. Eine jener zahlreichen Bezeichnungen für den Erlöser, dessen Ankunft alle erwarteten. Sie bedeutet, dass Jesus eine einzigartige Bedeutung in der Geschichte der Welt, ja des Alls besitzt. Wie wir in unserem Glaubensbekenntnis sagen: „Wir glauben an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, unsern Herrn.“ Gott hat nur diesen einen Sohn. Niemand sonst ist so gleich Gott wie er. Er, der gehorsam war bis zum Tod an einem Kreuz. So eng war das Verhältnis zwischen Vater und Sohn, dass er nicht anders konnte als tun, was der Vater wollte. Ungehorsam hat sonst den Menschen ausgezeichnet seit dem Sündenfall am Beginn aller Zeit, aber mit Jesus ist das nahe Verhältnis zwischen Gott und Mensch wiedererrichtet, in dem Gehorsam eine Selbstverständlichkeit ist. Weil das Verhältnis ein Verhältnis der Liebe zwischen Vater und Sohn ist, in dem beide füreinander das Allerbeste wollen. Das Persönliche bei der Taufe Jesu ist also dies, dass er zu diesem einzigartigen Menschen in der Welt wurde, der Gott so nahe kam, dass er das Verhältnis zwischen Gott und Mensch für ewig veränderte. Er dementierte den Ungehorsam, der das Verhältnis sonst charakterisiert hatte.

In unserer Taufe ist es auch nicht bloß unser Name und unsere Person, worum es geht. Auch wir empfangen in der Taufe die Liebeserklärung Gottes und werden zu seinen Kindern. Jeder von uns ist somit Kind Gottes. Nicht Sohn Gottes. Aber Kind Gottes. Nicht eingeboren, sondern viele. Die Kluft zwischen Gott und Mensch ist durch die Liebe Gottes überwunden, so dass wir wie die geliebten Kinder Gottes sind. Nicht weil wir das verdient hätten, sondern weil Gott uns mit einer Liebe liebt, die so grundlos und unbestechlich ist wie die Liebe Jesu. Kinder sind nicht vollkommen, wir sind geliebt wie unvollkommene Kinder geliebt sind. Das bedeutet, dass wir in Ewigkeit nie ohne ein Verhältnis zu einem Vater im Himmel sind. Dass wir in Ewigkeit nie allein mit uns selbst sind. Das dürfen wir nicht vergessen, geschweige denn gering achten. Denn hier auf Erden lehrt uns das Leben zu verlieren. Wir verlieren das eine Verhältnis nach dem anderen – durch Tod oder Treulosigkeit. Wir lernen die nicht wieder gutzumachende Einsamkeit der Seele kennen – wenn nicht schon vorher, dann doch im Tode. Aber wir befinden uns in Ewigkeit immer in einem Kindverhältnis zu Gott. Wir sind immer seiner Liebe sicher, während wir in der Welt keiner einzigen Sache sicher sind. Wir können ihn zu uns sprechen hören, wir können beten, klagen, ihm danken. Niemals sind wir ohne ein menschliches Verhältnis zu Gott. Wir haben das in der Taufe erhalten, worin er uns zu seinen Kindern macht und uns den Heiligen Geist mit der Vergebung der Sünden und dem ewigen Leben schenkt. Es bestehen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der Taufe Jesu und unserer Taufe. Aber Gott ist unser gemeinsamer Vater im Himmel. Er war seinem Vater gehorsam. Wir nicht. Dennoch befinden wir uns in einer Gemeinschaft mit Gottes Liebe als Quelle.

Die Gemeinschaft kommt auch im Zeichen des Kreuzes zum Ausdruck. Hier erhält der Getaufte ein Verhältnis der Zugehörigkeit zu dem gekreuzigten Jesus, Christus und Herrn. Er wird ein Bruder. Von diesem Augenblick an wird das Leben des Getauften mit dem Leben Jesu verflochten. Die Identität Jesu wird bestimmend für die Identität des Getauften: Ein Leben in Liebe zu Gott und deinem Nächsten. Wie es heißt: Der Getaufte ist „in ihn gepflanzt“. Er ist ein Zweig an seinem Stamm geworden. Es ist ein und dieselbe Liebe, welche in den Adern Jesu und des Getauften fließt. Sie sind untrennbar geworden. Die Bildersprache ist prachtvoll und gewaltig. Es würde uns sehr helfen, wenn wir das nicht vergäßen, sondern es immer wie einen Unterstrom bewahrten bei allem, was wir tun und denken. Aber die Getauften leben ja weiter in der sündigen Welt und sind nicht vollkommen, wie sehr sie auch getauft sein mögen. Sie vergessen und sie handeln, wie sie selbst es wollen. Deshalb ist das Ritual mit der Vergebung der Sünden ein Anfang, ein Wort für immer, und es kann daher nicht wiederholt werden. Die Taufe ist immer und in Ewigkeit gültig. Aber um unserer Sünden willen müssen wir es immer und immer wieder auf alle mögliche Weise hören. Jedesmal, wenn wir die Vergebung der Sünden empfangen, geschieht das, um uns an die Taufe zu erinnern. Denn in der Taufe empfingen wir die Vergebung der Sünden ein für alle Mal. Das ist eine Liebe und eine Geborgenheit, die über den Verstand geht, aber ebenso wirklich ist wie Gott selbst. Mit dieser Liebe und Geborgenheit ging Jesus in die Welt. Sie bewirkten, dass er bis in den Tod hinein auszuhalten vermochten. Und diese Ausdauer gab er weiter an alle, die getauft sind, um ihm anzugehören und um ihr Leben von seinem Leben bestimmen zu lassen. Amen.

Pastor Kirsten Bøggild
Thunøgade 16
DK-8000 Århus C
Tel. +45 86124760
E-mail: kboe@km.dk

Übersetzt von Dietrich Harbsmeier


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