Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Estomihi, 6. Februar 2005
Predigt über Lukas 10, 38-42, verfasst von Hellmut Mönnich
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Liebe Gemeinde,

 ist die eben gelesene Geschichte aus dem Lukasevangelium nicht derart gekonnt erzählt, dass sie einem auf Anhieb vor Augen steht? Jesus, der wie damals üblich auf einem Kissen auf dem Boden sitzt, ihm gegenüber eine Frau – Maria, Jesus zugewandt und aufmerksam zuhörend. Und dann die zweite Frau, Martha, die Jesus in ihrem Hause willkommen geheißen hatte, in dem Moment, in dem sie – offenbar ihre Arbeit in der Küche für einen Augenblick unterbrechend – eilig ins Zimmer gekommen ist mit vorwurfsvoller Miene. Und wir hören bzw. lesen ihren Vorwurf ja dann auch und Jesu Antwort darauf.

 Worum geht es eigentlich in dieser Geschichte? Was will Lukas mit dieser Geschichte sagen?

 Bevor wir die Antwort auf diese Frage suchen, möchte ich vom Besuch in einer Gemäldegalerie berichten: Wir hatten eine Kunsthistorikerin, die uns führte und standen vor einem kleinen Bild, das die Geburt Jesu darstellte. Da sagte die Kunsthistorikerin: ein Gemälde begänne erst dann richtig zu sprechen, wenn man es nicht mit aus dem Blickwinkel unserer Zeit heute betrachtete – sondern mit den Augen der Zeitgenossen des Malers zu sehen versuchte. Das sei wahrscheinlich eine ungewohnte, aber häufig wirklich lohnende Betrachtungsweise, manchmal voller Überraschungen.

 Ob man auch unsere Martha-Maria-und-Jesus-Gegeschichte in dieser Weise betrachten kann? Gleich auf den ersten Blick fällt auf, dass es um zwei Frauen und Jesus geht. Von den Jüngern, den von ihm ausgewählten und mit ihm wandernden Männern, ist in unserer Geschichte niemand dabei. Stattdessen: zwei Frauen.

 Martha hatte als Hausherrin Jesus, den Mann aus Nazareth, in ihr Haus eingeladen. Das war damals in Palästina eigentlich undenkbar! Damit beginnt die Geschichte.

 Die andere Frau, Maria, setzt sich ihm gegenüber – das bedeutet die Formulierung im Evangelium „zu seinen Füssen“ –, um ihm zuzuhören. Auch das ist damals eher undenkbar. So sitzen vielmehr die  - selbstverständlich männlichen – Schüler eines Rabbis vor diesem und hören zu. Bei Jesus sitzt aber eine Frau und hört zu.. Unerhört! Bei Jesus war es nicht unerhört. Eine Frau vor ihm – wie sonst seine Jünger vor ihm .Es musste provozieren, wie Jesus entgegen allem Üblichen mit Frauen umging und zwar nicht anders wie mit Männern. Jesus lebte damit tatsächlich ein damals ungewohntes und ganz neues Verhältnis von Männern und Frauen in seiner Gemeinschaft vor.

 Noch bei dem Jahre nach Lukas schreibenden Evangelisten Johannes lesen wir: „Unterdessen kamen seine Jünger und sie wunderten sich, dass er mit einer Frau redete“(Joh. 4,27).- Waren nicht zusammen mit den Jüngern geheilte Frauen  mit Jesus unterwegs? (Luk. 8,2). Im Markusevangelium wird berichtet, dass Jesus die Weltweite seiner Mission von einer schlagfertigen Frau, obendrein einer Heidin, „lernt“ Mk. 7,24ff). Und Lukas erzählt, dass eine „unmögliche“ Frau Jesu Füße mit kostbarem Öl salbt und mit ihrem Harr trocknet (Luk. 7,36ff). Und am Ende seines Weges begleiten ihn viele Frauen bis zum Kreuz schreibt Matthäus (Math. 27,55).

 Tatsächlich: die ersten Anhänger Jesus bestehen aus den „Zwölf“ – und aus Frauen. Und dazu passt es, dass nach der Überlieferung es Frauen sind, die die Auferstehung als erste verkündigen, nicht die Jünger.

 Von unserer Geschichte ausgehend können wir uns heute klar machen: In der Gemeinde, die sich auf Jesus Christus gründet, sind Männer und Frauen von gleichem Rang und gleicher Würde!

 Allerdings müssen wir auch feststellen, dass in der Zeit nach der Auferstehung die Männer bald vergessen haben, was Jesus vorgelebt hatte. Die entstehende Kirche hat sich an der jüdischen und heidnischen Umwelt orientiert  - statt an Jesus. Frauen in der Nachfolge Jesu, berechtigt wie Männer?  Mit gleichen Rechten und Aufgaben? Gab es in unseren evangelischen Kirchen nicht bis in unsere Gegenwart hinein Auseinandersetzungen und Widerstand – von anderen Kirchen zu schweigen?-

 Aber zurück zu unserer Geschichte. Im griechischen Urtext – Lukas hat die Geschichte in seinem ja griechisch geschriebenen Evangelium überliefert -  wird Jesus hier mit dem Titel „Kyrios“ gekennzeichnet. Das heißt übersetzt „Herr“. Er, der Herr, der Kyrios, der lehrende und korrigierende Jesus Christus ist der eigentliche Blickpunkt und die Hauptperson unserer Geschichte.

 Wenn wir unser Auge weiter auf die von Lukas geschilderten Szene richten, bleibt der Blick vielleicht besonders an Martha hängen. Voller Ärger platzt sie herein und unterbricht Jesus: „Macht es dir eigentlich gar nichts aus, dass meine Schwester mich allein arbeiten lässt? Mach ihr deutlich, dass sie mir helfen soll!“

 Kein Gedanke, dass sie, Martha, sich ja zu Jesus und Maria dazu setzen und zuhören kann. Nein. Maria soll herauskommen und endlich mit arbeiten.

 Wie gegensätzlich sind doch die beiden Schwestern in ihrem Verhalten gezeichnet – hier die mit Aufmerksamkeit auf den Herrn hörende Maria; da die fleißige, sich in der Arbeit für ihn verausgabende Martha. Auf diesen Gegensatz kommt es in der Geschichte offenbar an!

 Wie reagiert Jesus? „Martha, Martha, du machst dir viel Sorge und Mühe. Nur eins ist wirklich nötig. Maria hat das Gute gewählt. Das soll ihr nicht genommen werden.“

  Hier bricht die Geschichte ab. Kein Wort davon, wie Martha reagierte, wie es überhaupt weiterging. Darauf  kommt es in der Geschichte offenbar nicht an.-

 Wir verstehen unsere Geschichte noch besser, wenn wir im Lukasevangelium zurückblättern. Da stoßen wir unmittelbar vor unserer kleinen Geschichte auf die viel längere vom barmherzigen Samariter mit dem überraschenden Schluss: „Wer von diesen dreien (die auf dem Weg auf das halbtot daliegende Raubopfer stießen) ist deiner Meinung nach dem, der unter die Räuber gefallen war, der Nächste gewesen?“  Die Antwort liegt auf der Hand. Und deshalb fordert Jesus auf: „...handle genau so“ (Luk. 10,25-37). Auf`s Handeln kommt es also an, sagt Jesus in dieser Geschichte.

 Was sagt der Evangelist Lukas nun mit den beiden hintereinander gerückten Geschichten, die sich auf den ersten Blick doch zu widersprechen scheinen, da die eine Geschichte das Handeln als das Entscheidende betont und die andere den Blick von der fleißigen Martha auf die hörende Maria lenkt?

 Vielleicht sollten wir vor einer Antwort unseren Blick von den biblischen Texten wegnehmen und ihn einen Augenblick auf uns heute morgen hier richten: Welche der beiden Frauen ist Ihnen die sympathischere? Martha? Oder Maria?  „Martha“ antwortete mir einmal jemand, „die tut wenigstens was. Die packt an. In der Kirche wird viel zu viel geredet. Das Beispiel vom barmherzigen Samariter ist viel zu wenig leitendes, inspirierendes Beispiel in der Kirche.“  Wie geht es Ihnen mit den beiden und dem was sie tun?

 Man könnte die Meinung, dass Marthas Tun doch beispielhaft ist, noch mit dem Hinweis bekräftigen, das ihr Tun im griechischen Text mit einem Wort ausgedrückt wird, in dem das uns geläufige Wort „Diakonie“ steckt. Das Tun der Martha wird ja auch tatsächlich in unserer Geschichte von Jesus nicht kritisiert. Und verständlicherweise kann man an den barmherzigen Samariter denken. Aber aus gutem Grund ist unsere Geschichte von Lukas hinter die Geschichte von barmherzigen Samariter gestellt.

 Wir entdecken das Besondere unserer Martha-und-Maria- und-Jesus-Geschichte, wenn wir noch einmal, sozusagen mit den Augen des Lukas, auf die Beispielgeschichte vom Samaritaner sehen: Jesus hatte mit dieser Geschichte auf die Frage eines Gesetzeskundigen geantwortet und das Doppelgebot der Liebe, genauer den zweiten Teil, mit dem Ton auf dem „Tun“, durch die Samariter-Beispielgeschichte erläutert.

 Unsere Martha-und- Maria-Geschichte nun ist wie ein Kommentar zum ersten Teil des Doppelgebotes der Liebe. Dieses Gebot lautet doch: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst“ wie Luther übersetzt hat.Dieses heute wahrscheinlich immer weniger gekannte und zugleich in unserem erlebten Alltag ferne Gebot will einladen! Etwa so: Lebe mit Gott! Orientiere dich an Gott! Höre auf das, was ER sagt, was er durch Jesus Christus sagt. Und eben das tut Maria, indem sie dem Herrn Jesus zuhört. Darauf liegt der Ton  in unserer kleinen Geschichte. Das will sie sagen. Das will Lukas mit ihr sagen.

 Wenn wir uns beide Frauen vor Augen führen, dann erst Maria und erst darauf Martha. In dieser Reihenfolge gehören sie zusammen. Hören – und handeln, das ist die Reihenfolge, das sagt unsere Geschichte, wenn man sie mit der vorhergehenden zusammen liest. Gottes liebende Zuwendung , die wir im Hören auf Jesus Christus unüberbietbar kennenlernen, und menschliche Nächstenliebe stehen in nicht umkehrbarer Reihenfolge.

 Bei Klaus-Peter Hertzsch, der u.a. das schöne Buch „Der ganze Fisch war voll Gesang“ geschrieben hat, kann man lesen: „Wir haben das gute Teil erwählt, wenn wir Christus in unser Haus, unser Leben, unsere Welt aufnehmen, wie Martha tat. Aber wir versäumen das Beste, wenn wir meinen, nun sei er auf uns angewiesen: auf unsere Geschäftigkeit oder unsere Gelehrsamkeit, auf unsere Unermüdlichkeit oder auf unsere Frömmigkeit. Wir werden das gute Teil erwählen und behalten, wenn wir unsere Ohren, unsere Hände, unsere Herzen auftun für sein Wort und seine Gegenwart, wie Maria tat.“

 Heute werden wir nun durch unsere Martha-und-Maria-Geschichte eingeladen zu leben,  zu leben mit Jesus Christus, mit Gott; eingeladen, dass wir uns IHM öffnen, uns an IHM orientieren und dann dementsprechend handeln.

 Seit einigen Tagen will mir die kleine Geschichte gar nicht aus dem Kopf gehen. Sie sieht so einfach aus. Eigentlich müsste man über sie jetzt miteinander reden.

 Amen

Hellmut Mönnich, P.i.R.
Ewaldstr.97
37075 Göttingen
hi.moennich@freenet.de

 


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