Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 16. Januar 2005
Predigt über
2. Mose 3, 1-14, verfasst von Anne Töpfer
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Wer bin ich eigentlich? Was ist mir wichtig? Wie will ich sein/werden?
Irgendwann stellt sich jede/r diese Fragen.
Die Antworten auf diese Frage fallen sehr verschieden aus. Sie hängen davon ab, wie ich mich erlebe und wie ich sein möchte, welche Ideale oder Idole ich habe, wer mir ein Vorbild ist und wem ich nacheifere. Die Antwort auch diese Fragen wird sich im Laufe der Jahre verändern. Ich erlebe mich jetzt anders als vor 30 Jahren und das ist gut so. Es ist die Frage nach der eigenen Identität.
Wer bin ich eigentlich? Diese Frage kann auch aus Unverständnis und Angst heraus gestellt sein oder in Krisenzeiten, wenn ich nicht mehr ein noch aus weiß. Gestellt ist sie dann etwa in dem Sinne, was erwartet ihr/was erwartest du eigentlich von mir, das kann ich nicht und das bin ich auch nicht.
In Krisenzeiten wie jetzt den Tagen seit Weihnachten, in denen wir ein neues Wort mit all seinen Schrecken lernen mussten: Tsunami! In solchen Zeiten kommt zu der Frage: Wer bin ich, die Frage: Wer bist du Gott, hinzu.

Auf diese Identitätsfrage gibt uns die Bibel eine Beziehungsantwort (GPM 53/1, Schlumberger, S.112). Denn in ihr finden wir Geschichten wie den heutigen Predigttext. Er erzählt von diesen uralten Fragen der Menschheit. Es ist eine aussagekräftige Geschichte auch für uns heute, gerade weil es keine historische Geschichte ist. Ich lese aus dem 2. Buch Mose, Kapitel 3, 1-14.
Lesung

Mitten in der Geschichte stellt Mose die Frage vom Anfang der Predigt. „Wer bin ich ..., dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten?“
Wie kam es zu dieser Frage?

Alltag
Es ist ein normaler Tag. Unsereiner wäre aufgestanden und hätte dann sein Tagespensum vor sich. Auf zur Schule oder zur Arbeit. Keine besonderen Vorkommnisse. Ein ganz normaler Tag eben. Dann kommt es aber anders, als wir gedacht haben. So ähnlich war das auch bei Mose.
In Midian hatte er Zuflucht gefunden, nachdem er einen Ägypter ermordet hat. Er hat ein neues Leben angefangen. Er hat geheiratet und hat seine Aufgaben. Mose macht sich auf seinen täglichen Weg. Er ist für die Schafe verantwortlich. Er rechnet mit nichts Besonderem.
Mitten in der Routine, mitten im Alltagstrott sieht er das Außergewöhnliche. Ein Busch brennt, aber er verbrennt nicht. Eine faszinierende Naturerscheinung.

Neugierde/Wissen
Das macht ihn neugierig. Er will es genauer wissen. „Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt.“
Mitten im Alltag verlässt er vertraute Wege und probiert neue aus. Das bringt ihn weiter, auch wenn er zu Beginn des Weges noch nicht weiß, wo er denn landen wird.
Wer sich nicht aufmacht, wird nicht weiterkommen. Wer nicht neugierig ist, wird nur schwer Neues erleben und steht so in der Gefahr, stehen zu bleiben und sich genügen zu lassen, an dem was man hat und was man weiß.
Wer aufbricht, der erlebt manch eine

Unverhoffte Begegnung.
Im normalen Alltag wird Mose aufmerksam und neugierig auf etwas Ungewöhnliches und begegnet Gott. Kein besonders gestalteter Gottesdienst, kein prachtvoll vorbereitetes Ritual, keine priesterlichen Mittler als Zwischeninstanzen, sondern eine für Mose völlig unverhoffte Begegnung. Und das ihm, der wahrhaftig genug Dreck am Stecken hatte. Ein Mörder begegnet Gott ohne großes Brimborium – einfach so im Alltag. Er wird angesprochen: Mose, Mose und antwortet: Hier bin ich.
Aber etwas ist doch anders als an anderen Tagen und zu anderen Zeiten. Mose überschreitet eine Grenze. Er hat es nicht mit Absicht getan. Er weiß nichts von dieser Grenze. Er weiß nicht, dass dieser vermeintlich so normale Ort, heiliges Land ist. Wie sollte er das auch wissen. Nichts deutet hier draußen auf etwas Heiliges hin.
Durch die Gegenwart Gottes wird das Normale verändert. In der Begegnung mit Gott, wo auch immer, verändert sich der Augenblick und manchmal das ganze Leben. Da erscheint unser normales Verhalten unangemessen, da kann es einem dann schon mal die Schuhe ausziehen, auch wenn man erst darauf hingewiesen werden muss.
Und dann geht es los. Gott stellt sich vor.

Vorstellung Gottes
Und um es von Anfang an klarzustellen. Er ist kein neuer Gott. Er war schon da, lange bevor Mose überhaupt geboren wurde. Und Mose bekommt es mit der Angst zu tun. Der vermeintlich so normale Tag verändert sich beängstigend. Was will Gott von ihm? mag er sich gefragt haben.
Noch geht Gott nicht darauf ein. Erst einmal teilt er Mose mit, worum es ihm geht. Er hat genug gesehen, um zu wissen, Abhilfe muss her. Menschen leiden, sie werden als Sklaven missbraucht, sie erleben Ungerechtigkeit. Und das alles ist Gott nicht egal. Es berührt ihn. Er kann das nicht länger mit ansehen. Er hat sie schreien gehört und ihre Not gesehen … die der Israeliten und auch die der Opfer der großen Welle (Tsunami).
Und das, was er sieht, lässt ihn nicht kalt. Das, was er hört, lässt ihn handeln. Er kommt auf die Erde. Er kommt runter, er fährt hernieder. Er bleibt nicht in der Ferne des Beobachters.
Gott lässt sich anrühren, denn im Leid verstummen die Menschen nicht, sie klagen nicht über Gott, sondern sie klagen zu Gott. Das tun sie mitten im Elend, in der Verwüstung und im Schmerz. Sie haben Stimmen, und Gott hört sie.
Aber angesichts so großen Leides braucht Gott Menschen, die sich schicken lassen. Er will Mose. Und Mose wird angst und bange.

Begrenzung erleben - Identitätsfrage
„Wer bin ich?“ fragt er. Und wir könnten ergänzen. „Gott, das ist eine Nummer zu groß für mich. Ich kann das nicht und ich habe auch Angst davor.“
Vorher die große Aufgabe zu kennen – wie Mose – lässt viel Raum, um Angst zu bekommen.
Diesen Raum hatten die Vielen in Südasien nicht. Die Überlebenden sind hineingeschleudert worden. Und für Viele ist es keine Frage, ob sie die Aufgabe, die vor ihren Füßen lag, wahrnehmen, sie tun es. Sie teilen, was sie haben, so wenig es auch sein mag. Andere kommen hinzu und tun, was sie können. Unvorstellbar das Leid und Elend für uns hier Deutschland. Mit den Bildern, die wir täglich geliefert bekommen, haben wir zwar vermeintlich eine Vorstellung, aber in unserem Wohnzimmer riecht unsere Nase nichts, sehen unsere Augen nicht die entstellten Körper, fühlen wir, wenn wir keinen kennen, die Leere und die Trauer um Tote und Vermisste nicht.
Wer bin ich? Und wer bist du Gott? in diesem Leid.
Jedenfalls kein Gott in weiter Ferne, der über allem thront. Herniedergefahren ist er – damals und später dann ist er uns noch näher gekommen, als Kind in der Krippe im Stall. Er ist bei denen, die weinen, die schreien, die klagen und bei denen, die zupacken, die Tote bergen und identifizieren, bei denen, die sich anrühren lassen und teilen, Geld und anderes.
„Ich will mit dir sein!“

Beziehungsantwort
Den Identitätsfragen von Mose und von uns erteilt diese Geschichte eine Beziehungsantwort. Gott sagt: „Ich will mit dir sein!“
Als Mose Gott nach seinem Namen fragt, um den Israeliten Rede und Antwort stehen zu können, antwortet Gott:
Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: „Ich werde sein“, der hat mich gesandt.
Gott ist da – wenigstens das. Für manche zu wenig. Für manche nicht spürbar und nicht erlebbar. Aber dennoch. Er ist da. Das ist nicht nichts.
Der Blick darauf ist getrübt. Die Tränen versperren die Aussicht. Die Sprachlosigkeit lähmt oder lässt einen Wortschwall nach dem anderen herausbrechen. Hauptsache ich kann Worte für die schrecklichen Bilder finden und offene Ohren, die bereit sind zuzuhören.
Und in allem ist Gott da!
So hat er es gemeint. So lautet seine Antwort auf die Frage:
Wer bin ich?
Ein Mensch, der nicht alleine ist.
Egal wie viel Leid ihm/ihr geschieht;
egal welche Aufgaben auf ihn/sie warten!

AMEN

Anne Töpfer
Steffensweg 65
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Fon: 0551-83255 / Fax: 0551-508 960 37
annetoepfer@t-online.de


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