Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 16. Januar 2005
Predigt über
2. Mose 3, 1-14, verfasst von Christian-Erdmann Schott
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1 Mose hütete die Schafe Jethros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe hinter die Wüste und kam an den Berg Gottes, Horeb.
2 Und der Engel des Herrn erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Busch. Und er sah, dass der Busch mit Feuer brannte und ward doch nicht verzehrt;
3 und sprach: Ich will dahin und beschauen dies große Gesicht, warum der Busch nicht verbrennt.
4 Da aber der Herr sah, dass er hinging, zu sehen, rief ihm Gott aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich,
5 Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe aus von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist ein heilig Land!
6 Und sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.
7Und der Herr sprach: Ich habe gesehen das Elend meines Volks in Ägypten und habe ihr Geschrei gehört über die, so sie drängen; ich habe ihr Leid erkannt
8 und bin hernieder gefahren, dass ich sie errette von der Ägypter Hand und sie ausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, an den Ort der Kanaaniter, Hethiter, Amoriter, Pheresiter, Heviter und Jebusiter.
9 Weil denn nun das Geschrei der Kinder Israel vor mich gekommen ist und ich auch dazu ihre Angst gesehen habe, wie die Ägypter sie ängsten,
10 so gehe nun hin, ich will dich zu Pharao senden, das du mein Volk, die Kinder Israel, aus Ägypten führest.
11 Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zu Pharao gehe und führe die Kinder Israel aus Ägypten?
12 Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge.
13 Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Kindern Israel komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt, und sie mir sagen werden: Wie heißt sein Name? Was soll ich ihnen sagen?
14 Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: Also sollst du zu den Kindern Israel sagen: Ich werde sein hat mich zu euch gesandt.

Wir hören diese Geschichte in einer Situation, die in dreifacher Hinsicht einmalig zu sein scheint: Zum einen soll die Naturkatastrophe in Südostasien, die uns seit einigen Wochen in Atem hält, die gewaltigste in der Menschheitsgeschichte gewesen sein.
Zum anderen soll die Hilfsbereitschaft weltweit ein Ausmaß angenommen haben, das es so ebenfalls noch nie gegeben hat.
Zum dritten erleben wir, dass Absichten und Motive der Hilfeanbieter in Frage gestellt, verdächtigt, denunziert, demaskiert werden, wie wir das ebenfalls noch nicht miterleben mussten. Das heißt: Die Menschheit sieht sich durch die Not im Indischen Ozean zwar insgesamt herausgefordert. Aber leider, so scheint es, bleibt sie der alte eifersüchtig zerstrittene Haufen, der sie immer schon war.

In dieser Situation ist die Frage der Glaubwürdigkeit neu gestellt. Es sind ja nun wirklich nicht alle, die mit der Not anderer Menschen für sich etwas gewinnen und ein politisches, moralisches oder wirtschaftliches Geschäft machen wollen, sondern wirklich die Notleidenden im Blick haben und ihre Lage, auch ihre seelische Lage, verbessern wollen. Aber wie erkennt man die ehrlichen Helfer?

Schon vor 4000 Jahren hat Mose diese Frage gestellt: Woran können die in der Unterdrückung durch die Ägypter leidenden Israeliten erkennen, dass ich ein ehrlicher Nothelfer bin? Die Antwort, die ihm von Gott gegeben wurde, ist verblüffend modern:

1. Glaube an Deine Berufung. Nach dem, was wir von Mose wissen, hat er sich zu diesem Auftrag nicht gedrängt. Im Gegenteil, nach allem, was er in Ägypten erlebt hat, ist er froh, dass er dort nicht mehr leben muss. Er weiß, was dort läuft. Im Zorn hat er einen Aufseher erschlagen. Er musste weg. Auf der Oase Midian hat er seinen Frieden und ein privates Glück gefunden. Er hat geheiratet, er hat eine geachtete Stellung im Clan seines Schwiegervaters Jethro. Nichts zieht ihn in den Kampf mit dem Pharao. Aber er weiß auch, dass er sich nicht entziehen kann. Er weiß, es gibt niemanden außer ihm, der diesen Auftrag ausführen könnte. Er ist berufen von Gott und durch die Not seines Volkes. Daran darf und soll er glauben.

2. Binde die Leute nicht an Dich. Erwecke nicht den Eindruck von Kräften oder Fähigkeiten, die Du nicht hast. Verweise die Menschen auf den Herrn, den Gott der Väter, den Gott Israels. Ihm sollen sie sich anvertrauen.

3. Vertraue auf Gott. Er wird es wohl machen, du wirst es sehen. Ihr alle werdet es sehen. Sein Name „Ich werde sein, der ich sein werde“ wird sich erweisen.

Damit sind Kriterien genannt, die bis heute gültig sind. Sie sind noch einmal bestätigt worden von Jesus Christus im Beispiel vom barmherzigen Samariter. Dieser Reisende aus Samaria spürte: Hier, zwischen Jerusalem und Jericho, wo dieser Zusammengeschlagene auf der Straße liegt, kommt es auf mich an. Ich bin gerufen. Der Priester und der Levit, die auch diese Straße entlang kamen, haben diese Berufung nicht gespürt. Aber der Samariter wusste sich zugleich nicht allumfassend und dauernd verpflichtet. Er konnte und wollte im Rahmen seiner Möglichkeiten helfen, begrenzt und sich auch nicht unentbehrlich machen. Vielmehr hat er den ganzen großen Rest an Hilfe und Versorgung dem Wirt der Herberge und – vielleicht – auch Gott überlassen.

Diese Kriterien lassen sich auch auf unsere heutigen Helferteams anwenden. Mir persönlich stehen die haupt- und ehrenamtlichen Helfer der evangelischen Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) nahe. Von daher weiß ich, dass die seit Jahrzehnten bewährte und anerkannte Transparenz in der Verwaltung der Zuschüsse, Spenden- und Fördermittel, die Bewährung in allen großen Krisengebieten im ausgehenden 20. Jahrhundert und die hohe Motivation der Einsatzkräfte die Grundlagen für ein erfolgreiches Engagement auch in Südostasien bilden.

Hier haben sich Die Johanniter seit dem 26. Dezember 2004 in Sri Lanka und Sumatra schwerpunktmäßig in medizinischer Grundversorgung für 90.000 Menschen und beim Aufbau von Wasseraufbereitungsanlagen engagiert, zum Teil in Zusammenarbeit mit der englischen Schwesterorganisation St. John Ambulance Gleichzeitig koordinieren sie die Verlegung und den Weitertransport der ins Bundesgebiet eingeflogenen Verletzten. Am 1.1.2005 brachten sie mit einem eigenen Flugzeug geländegängige Fahrzeuge, Zelte, Decken, Babynahrung, medizinisches Verbrauchsmaterial nach Sri Lanka; in den folgenden Tagen 500.000 Chlortabletten, Verbandsmaterial, sechs weitere Wasseraufbereitungsanlagen und technisches JUH-Personal zur Schulung der Einheimischen – um nur dieses aus den mir zugänglichen Berichten zu erwähnen. Die Ausweitung der Arbeit auch auf Indonesien ist im Gespräch. Die Einsätze in den westlichen Provinzen des Sudan, für ein Orthopädiezentrum in Indien, für 10.000 Aids-Waisen in Simbabwe, aber auch in Deutschland und Polen gehen unterdessen ohne Unterbrechung weiter.

Dabei weisen die Erinnerungen an den Namenspatron Johannes den Täufer und an das achtspitzige Kreuz, unter dem wir arbeiten, auch auf die Grenzen hin, die der Verband nach innen, in die eigenen Reihen hinein, wie nach außen immer wieder bewusst zu machen sucht. Johannes stellte klar, dass nicht er der Erlöser ist, sondern Christus, der Kommende. So wissen auch die Johanniter, dass wir die Not der Welt immer nur lindern, aber niemals aufheben können. Die endgültige Heilung der Welt kann nur Gott herbeiführen. Diese Einsicht in die eigene Begrenztheit ist angesichts des Elends in Südostasien ganz aktuell lebendig geworden. Sie ist ehrlich und entlastend zugleich.

Dass es trotz geglaubter Berufung, hohem Einsatz, sichtbaren Erfolgen offensichtlich nicht möglich ist, alle Menschen von einem solchen Engagement zu überzeugen, zeigt die Erfahrung, nicht nur der Diakonie. Als Christen wissen wir, dass das auch nichts wirklich Neues ist. Es zeigte sich schon in den ständigen, zermürbenden Querelen, mit denen Mose im eigenen Volk zu kämpfen hatte. Die Bibel berichtet darüber in den Kapiteln, die die 40 Jahre in der Wüste nach dem Auszug aus Ägypten beschreiben, ausführlich. Die Frage, wer ist ein wahrer, wer ist ein falscher Prophet; wer ist ein ehrlicher, wer ist ein eigennütziger Helfer; wer ist von Gott gesandt, wer hat sich selbst ernannt? – hat selbst vor Jesus Christus nicht halt gemacht. Hingerichtet wurde er, weil man ihm die Uneigennützigkeit nicht abnahm und ihn verdächtigte, ein falscher Helfer zu sein. Nur wenige haben an seine Berufung durch Gott, an seine Echtheit geglaubt. Diese haben auf ihn gesetzt – und erfahren, dass Gott wirklich bei ihm gewesen ist und sein Lebenszeugnis und seine Worte bis heute als Orientierung und Ermutigung unter uns aufleuchten lässt – damit eines Tages doch noch alle Menschen für ihn gewonnen werden.

Bis dahin bleibt uns als Gemeinde nur, auf diesem Weg zu bleiben, für Jesus Christus zu werben, das heißt: zu missionieren, anhaltend das Gute zu tun und uns durch modische Launen des Zeitgeistes nicht beunruhigen zu lassen. Amen.


Im Gebetbüchlein der Johanniter-Unfall-Hilfe „Befiehl dem Herrn deine Wege“, 4. Auflage, Berlin 2004, findet sich unter der Überschrift „Einsätze bei Naturkatastrophen“ dieses Gebet.: Herr, du Schöpfer Himmels und der Erde, wir haben immer gedacht, wir hätten alles in unserem Leben und auf dieser Erde fest im Griff, doch nun stehen wir ohnmächtig vor den Gewalten der Natur und müssen unsere Kleinheit vor dir bekennen. Herr, wir haben uns überschätzt und waren überheblich geworden. Diese Katastrophe hat uns gezeigt, dass nicht wir die Herren dieser Welt sind, wir dürfen deine Erde nur bebauen und bewahren.
Und so bitten wir um deinen Beistand in unserer Hilfsaktion. Gib uns die Einsicht zu rechten Entscheidungen, gib uns Kraft zur Hilfe, damit wir Menschenleben retten, Kranken und Verwundeten mit unserem Wissen und unseren Hilfsmitteln beistehen können. Herr, lass uns bei aller Anspannung in unserem Kampf mit den Naturgewalten nicht das tröstende Wort den Notleidenden gegenüber vergessen.
Herr, hilf du uns, damit wir helfen können in deinem Namen. Amen.


Dr. Christian-Erdmann Schott
Bundespfarrer der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.
Elsa-Braendstroem-Straße . 21
55124 Mainz (Gonsenheim)
Tel.: 06131-690488
FAX 06131-686319
E-Mail: ce.schott@surfeu.de


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