Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Erster Sonntag nach Epiphanias, 9. Januar 2005
Predigt über
Lukas 2, 41-52, verfasst von Birgit Hesselager (Dänemark)
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Gebet
Herr, wir kommen zu dir als das, was wir sind, mit dem, was uns freut, und mit dem, was uns Angst macht und Verzweiflung bereitet. Du weißt, wir haben dein Wort nötig. Hilf uns, dass wir nicht meinen, wir wüssten schon, was du uns sagen willst. Hilf uns zu einer lebendigen Hoffnung. Amen.

Die Eingangslesung für heute stammt aus den Psalmen im Alten Testament. Wir haben den 84. Psalm gehört, einen der sogenannten Wallfahrtspsalmen, das sind Psalmen, die in Jerusalems Tempel während der großen Wallfahrtsfeste gesungen worden sind: zu Ostern, am Wochenfest und am Laubhüttenfest – zu den Festen, an denen alle, die die Möglichkeit dazu hatten, zu dem großen Tempel in Jerusalem zogen.

Die Stimmung in dem Psalm ist Dankbarkeit, Freude und Vertrauen. Dankbarkeit und Vertrauen zu dem großen allmächtigen Gott und Freude darüber, dort sein zu können, wo er ist, in seinem Haus. „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn,“ stand da, und „Ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser denn sonst tausend, ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Hause denn wohnen in der Gottlosen Hütten.“ Grob gesagt: Gott ist in seinem Tempel in Zion, und dort muss man hingehen, um ihm zu begegnen. Gott auf die rechte Weise verehren bedeutet: zu seinem Haus gehen und ihm dort begegnen – mit den Priestern und all den anderen frommen Menschen, die in derselben Absicht dort sind.

Aber dann habe ich auch den Episteltext gelesen, Paulus’ Brief an die Römer, wo er schreibt: „Ich ermahne euch, Brüder, kraft der Barmherzigkeit Gottes: Bringt euer leibliches Leben Gott zu einem lebendigen, heiligen, ihm wohlgefälligen Opfer dar; das soll euer vernünftiger Gottesdienst sein. Und macht euch nicht dieser Weltzeit gleich, sondern wandelt euch um; lasst eure Sinne neu werden, dass ihr beurteilen könnt, was Gottes Wille ist: das Gute, das Gott Wohlgefällige, das Vollkommene.“ Hier klingt es, wie wenn der rechte Gottesdienst, die rechte Art und Weise, Gott zu ehren, ein inneres Anliegen ist, es ist die Rede von vernünftigem Gottesdienst und davon, dass die Sinne neu werden sollen. Hier ist das Verhältnis zu Gott etwas, was im einzelnen Menschen entschieden wird, im Herzen, in den Gefühlen, und nicht etwas, was physische Folgen hat, nicht etwas, das an einem bestimmten Ort zu geschehen hat und auch nicht notwendigerweise gemeinsam mit Priestern oder mit anderen.

Grob gesagt: Gott auf die rechte Weise ehren ist eine private Angelegenheit des Einzelnen. Und das kann überall geschehen, weil Gott ja überall ist. Es ist eigentlich auch das, was in dem bekannten, forschen Spruch liegt: „Es ist besser, in der Kneipe zu sitzen und an die Kirche zu denken, als in der Kirche zu sitzen und an die Kneipe zu denken.“

Warum nun dieser Unterschied zwischen dem Psalm und dem Paulustext? Ist das der Unterschied zwischen Altem und Neuem Testament? Ist das der Unterschied im Verständnis der rechten Gottesanbetung in Judentum und Christentum? Nein, so einfach ist es nicht. Es ist eine anhaltende Spannung zwischen zwei Weisen, Gottes Verhältnis zur Welt und unser Verhältnis zu Gott zu betrachten. Eine Spannung zwischen der Auffassung Gottes als desjenigen, der uns konkret in der Welt begegnet und dem wir deshalb konkret begegnen sollen, d.h. in der Gemeinschaft und in der Zeit und im Raum – und auf der anderen Seite der Auffassung Gottes als einer geistigen Kraft, die im Einzelnen wirkt. Die Kirchengeschichte ist u.a. die Geschichte davon, wie wir zwischen diesen beiden Sehweisen wechseln.

Als Luther seine Kritik an der katholischen Kirche formulierte, war einer der Kernpunkte die Behauptung, dass es nur innerhalb der Kirche Erlösung gebe, dass alle diejenigen, die sich außerhalb der Lehre der Kirche stellten oder aus der Kirche hinausgeworfen wurden, damit automatisch auch verloren, zur Hölle verdammt waren. Nein, sagte Luther, das Entscheidende, das einzig Entscheidende ist das Verhältnis zu Gott. Gerechtfertigt werden wir allein aus dem Glauben.

Aber es dauerte nicht lange, bis Luther sich auch mit einem Teil derjenigen auseinandersetzen musste, die ihm in seinem Kampf gegen die römische Kirche folgten, mit den Schwärmern, wie er sie nannte. Diejenigen, die unter Hinweis darauf, dass nur das Verhältnis zu Gott etwas bedeute, Familie und Arbeit im Stich ließen und sich über alle Regeln der Gemeinschaft – über Gesetz und Ordnung der Gesellschaft – hinwegsetzten.

Die Erweckungsbewegungen zu Beginn des letzten Jahrhunderts hierzulande sind ebenfalls ein Beispiel für die Spannung zwischen den beiden Weisen, das Verhältnis zu Gott und der Welt zu verstehen.

Die dänische Kirche mit ihren Pastoren im Staatsdienst, die predigten, man könne auf dem Wege der Vernunft zu Gott gelangen, war in den Augen der Erweckten zu einer fruchtlosen und rein äußerlichen, weltlichen Einrichtung geworden. Man sehnte sich nach Innerlichkeit, Ergriffenheit, der persönlichen Berufung und vermisste die Himmelssehnsucht. Man sehnte sich danach, erweckt zu werden – Gott in sein Herz schließen zu können. Und auch hier endete die gesunde und notwendige Auseinandersetzung für manche im anderen Extrem, in Weltflucht und kleinen Gruppen von Erlösten, die sich über die Gemeinschaft des Volkes hinwegsetzten und sich ihr gegenüber, dem Leben hier und jetzt, dem Menschenleben in Zeit und Raum gegenüber, nicht verpflichtet fühlten. Die Geschichte bietet zahllose Beispiele, auch heute noch können wir es verfolgen, zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit dem, was man höhnisch „Gewohnheitschristentum“ nennt, dem Interesse am inneren Menschen. Sätze wie: „Das Wichtige ist nicht, wie es ist, sondern wie du es erlebst“ oder „Gott ist in mir“, gelegentlich als Erklärung benutzt, warum man nicht in die Kirche geht. Oder: „In die Kirche gehen – das sagt mir nichts“ – das persönliche Erleben und die persönliche Wahl werden hier zum Ausgangspunkt für die Beurteilung. Denn die Dinge haben nur den Wert, den sie für mich haben.

Das war die alttestamentliche Lesung und die Epistel von heute – was ist nun das Evangelium von heute – die gute Botschaft? Es ist die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel. Die Geschichte von Gott, der Mensch wurde und in den Tempel ging mit anderen Menschen, um dort, mit ihnen, Gott zu begegnen, um in der Gemeinschaft mit anderen Gottes Verhältnis zu uns zu preisen und für es zu danken und es zu bedenken, denn er wusste und zeigte, dass er bei seinem Vater zu sein hat. Aber er blieb nicht im Tempel. Er ging hinaus, er ging in die Welt, nach Hause zu seiner Familie, und er war ihnen untertan, wie es heißt. Er lebte in seinem Beruf und Stand, würde Luther gesagt haben, denn Jesus Christus, Gottes Sohn, wusste und zeigte, dass Gott auch dort ist.

Gott ist im Tempel, in der Kirche, er spricht zu jedem einzelnen von uns, persönlich, und wir sollen wie Maria sein Wort in unseren Herzen bewahren, denn nur von dort kann es uns umwenden. Uns wegwenden von uns selbst und hin zu Gott.

Aber Gott spricht auch zu uns als Mitgliedern einer Gemeinschaft, er spricht zu seinem Volk, zu dir und zu mir, zu jedem für sich und gemeinsam; denn „Mensch sein“ ist immer auch „Teil einer Gemeinschaft sein“. Man verfälscht das Leben und flieht vor der Wirklichkeit, wenn man versucht, vor dieser Tatsache zu fliehen.

Gott ist im Himmel, im Erhabenen und in der Ferne, er ist in der Ewigkeit, und unsere Hoffnungen und Verlangen sollen zu ihm dort gelangen, aber wir sind in der Welt, wir sind Menschen in der Zeit, im Raum und in Gemeinschaft, und hier spricht Gott zu uns. Gott wurde Mensch, um uns als Menschen zu begegnen. Und als Menschen sollen wir sein Wort in uns aufnehmen. Seine Befreiung empfangen und sie nach ihrem Ziel gebrauchen, zu Nutzen und Freude, hier und jetzt in der Gemeinschaft, die die unsrige ist. „Denn wie wir einen Leib haben, aber viele Glieder, alle mit verschiedenen Aufgaben, so sind wir alle ein Leib in Christus, und jeder für sich Glieder voneinander.“ Amen.

Pröpstin Birgit Hesselager
Söborg Præstegård
Bygaden 40B
DK-3250 Gilleleje
Tel.: +45 – 48 39 17 25
E-mail: bhas@km.dk

Übersetzt von Dietrich Harbsmeier

 


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