Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Altjahresabend, 31. Dezember 2004
Predigt über
Jesaja 30, 8-17, verfasst von Armin Kraft
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Hier ist die Rede von einem Propheten, der nicht hinausgehen soll zu den Menschen, um ihnen eine deutliche Botschaft zu sagen, sondern er soll still werden und etwas Wichtiges zu Papier bringen. „Jetzt gehe hinein und schreibe es vor ihnen auf eine Tafel und verzeichne es in ein Buch, dass es für einen künftigen Tag zum Zeugen werde auf ewig. Denn ein widerspenstiges Volk ist es, verlogenen Söhne, Söhne, die nicht hören wollen auf die Weisung des Herrn, die zu den Sehern sprechen: Ihr sollt nicht sehen. Und zu den Weissagern: Weissage uns nicht die Wahrheit, saget uns angenehme Dinge, weissaget Täuschung, weichet ab vom Wege, bieget ab vom Pfade, schweiget uns vom Heiligen.“

Das heißt also: Die Menschen damals haben die Wahrheit nicht gewollt, sie wollten sich nicht von Gott ansprechen und bewegen lassen. Ihr Denken und Danken bezog sich auf sich selbst. Sie brauchten Gott nicht als Adressaten, als letzte Instanz. Sie meinten den Sinn ihres Lebens selber finden zu können. Das klingt plötzlich sehr modern... Der Prophet hat sicherlich eine Weile abgewartet, welchen Lauf die Dinge bei seinen Leuten nehmen würden und nun ist die Entscheidung eindeutig gefallen. Er wendet seinen Blick auf die Zukunft: „Darum spricht der Heilige Israels also: Also weil ihr dieses Wort verwerft und euch vertröstet auf krumme Wege und Ränke und euch darauf stützt, darum wird euch diese Verschuldung sein wie ein einsturzdrohender Riss, der heraustritt an einer hochragenden Mauer, über die plötzlich, im Nu der Zusammenbruch kommt; und er zerbricht sie wie ein Töpfergeschirr zerbricht, das ohne Schonung zertrümmert wird, dass man in seinem Getrümmer nicht eine Scherbe mehr findet, um Glut vom Herde zu nehmen oder Wasser aus dem Tümpel zu schöpfen.“

Der Prophet sieht Schreckliches auf seine Leute zukommen. Er sieht eine Stadtmauer, die sich zunächst ausbaucht und dann reißt, er sieht etwas von zerschlagenem Töpfergeschirr und von Ängsten, in denen die Menschen rätselhaft, gelähmt und zu jedem Widerstand unfähig sind. Und dann kommt dieser merkwürdige Satz: Durch Stillesein und Hoffen werdet ihr stark sein. Oder anders ausgedrückt: Eure Stärke wird im Hoffen und im Stillesein liegen.

Nicht unähnlich unserer heutigen Lage hat sich damals auch eine gewisse Befriedung der politischen Verhältnisse eingestellt, in deren Folge eine gewisse Behäbigkeit und sicher auch Dünkel eingeschlichen haben. Der Prophet sieht schon die Mauer bersten. eint ihr denn, das müsste alles so bleiben, dieser Friede, dieser Wohlstand, meint ihr wirklich, ihr könnt euch an die Tafel der Weltanschauungen setzen und euch bestellen, was euch gerade zusagt?

Diese Mauer reißt und wenn es dann so weit ist, dann wird kein Zeitgeist, kein Idealismus und kein Realismus mehr retten. Dieses Bild von der berstenden Mauer ist großartig. Die altersschwache Mauer einer Bastion baucht sich zunächst langsam, aber dann plötzlich, urplötzlich, platzt sie und dann ist kein Halten mehr, weil das dahinter liegende Erdreich immer weiter nachdrückt. (Ich habe dieses Bersten im Kriege noch erlebt, aber davon heute zu reden, ist meistens nicht opportun.)

Brüchig ist der ausbalancierte Friede mit den vielen Waffen in den Kellern, brüchig sind die Voraussetzungen unseres wirtschaftlichen Wohlstandes, brüchig sind die „Geldberge“, brüchig sind die Erklärungen im Blick auf die Arbeitslosigkeit, brüchig sind die weltanschaulichen Fundamente unseres Verhaltens, brüchig und kurzlebig sind auch unsere kirchlichen Planungen...

Die Gedanken des Propheten sind sehr aktuell. Viele Menschen merken wie unbehaust sie sind. Viele spüren, dass wir nicht die Herren des Lebens sind, sondern immer auch ohnmächtig. Ich höre die Fragen: Wo sind sie hin die großen Ideale eines christlichen Humanismus?“ Wo sind sie hin, die Pläne für eine friedliche Welt mit Afrika oder in der Ukraine? Unbehaustsein, tiefe Ohnmacht. Und nun ist hier von innehalten die Rede. Das wäre doch schon etwas. Sich nicht selbst überschätzen, sondern stillhalten, umlernen. In einem Brief von Franz Kafka steht der Satz: „Wenn es dunkel wird“ – wir wissen, dass Kafka dabei an sehr unheimliche Dinge denkt – „Wenn es dunkel wird, wird man doch eine Kerze anzünden. Und wenn sie niedergebrannt ist, wird man still im Finstern sein.“

Still sein auch im Finstern und dieses Stillesein wird Stärke sein. Solche Sätze hören wir nicht gerne, sie sind angeblich negativ und machen nicht Mut. Ich meine, sie sind nicht doch eine Zumutung im guten Sinne. Es ist doch zum Staunen, dass wir immer noch leben.“ All Morgen ist ganz frisch und neu, des Herren Gnad und große Treu, sie hat kein End den langen Tag, drauf jeder sich verlassen mag.“ So singen wir im EG Nr. 440. Ich staune darüber, dass ich leben darf, dass ich das Jahr 2004 durchleben durfte. Ich staune darüber, wie ich geführt und bewahrt worden bin. Ich staune darüber wie Gott in Menschen immer wieder da ist und mir nahe kommt.

Sich eben nicht treiben lassen, sondern innehalten, wirklich nachdenken - darauf weist uns Jesaja hin und diesen Hinweis können wir gut gebrauchen. Mehr Gott wagen! Weniger jammern und selbstbezogen sich ängstigen, denn dadurch versäumen wir Gott. Gott freut sich über die, die ihm aufmerksam und vertrauensvoll begegnen. Das steht uns gut an, das bekommt uns besser als durch unser Leben zu rasen, wie es im Text heißt: „Auf Rossen wollen wir rasen, davon rasen. Drum werden rennen eure Verfolger, tausend werden fliehen vor dem Dräuen eines Einzigen, von fünfen werdet ihr fliehen bis ihr ein Rest seid wie ein Heerzeichen hoch auf dem Berge und wie ein Panier auf dem Hügel....“

Auch dieses letzte Bild aus dem Text ist stark - die eine einsame Signalstange, ein Mast in der Landschaft, wie man sie damals verwendet hat, um einfache Nachrichten von Dorf zu Dorf weiterzugeben. Eine solche einsam und verloren in der Landschaft stehende Stange, wird von eurer Herrlichkeit übrig bleiben! Es sei denn ihr lasst euch umstimmen. Wenn ja, dann wird eure Stärke im Hoffen und im Stille sein liegen. Und dann geht’s 2005 anders mit euch weiter!

Ein solcher Gottesdienst am Ende des Jahres will uns helfen. Wir können die verrinnende Zeit nicht krampfhaft festhalten. Wir wissen nicht, ob wir das Jahr 2005 durchleben werden. Aber wir können danken, beten und arbeiten. Jeder an seinem Platz. „Nun lasst uns gehen und treten mit Singen und mit Beten zum Herrn der unserm Leben bis hierher Kraft gegeben. Gib mir und allen denen, die sich von Herzen sehnen nach dir und deiner Hulde, ein Herz, das sich gedulde, und endlich was das meiste füll uns mit deinem Geiste, der uns hier herrlich ziere, dort zum Himmel führe. Das alles wolltest du geben, o meines Lebens Leben, mir und der Christen Schare zum seligen neuen Jahre.“ So singen wir mit Paul Gerhardt dieses Lied aus unserem Gesangbuch Nr. 58.

Propst Armin Kraft, Braunschweig
E-Mail c/o s.bluhm@propstei-braunschweig.de


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