Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

1. Weihnachtstag, 25. Dezember 2004
Predigt über
Micha 5, 1-4a, verfasst von Friedrich Weber
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Micha 5
1 Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.
2 Indes läßt er sie plagen bis auf die Zeit, daß die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel.
3 Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist.
4 Und er wird der Friede sein.

Liebe Gemeinde,

Bethlehem, das ist der Ort, den heute nicht einmal die Weisen aus dem Morgenland - und folgten sie noch so hartnäckig dem Stern - problemlos erreichen könnten. Auch sie würden aufgehalten, müssten ihre Pässe zeigen, und sich eventuell einer Leibesvisitation unterziehen. Vorausgesetzt, sie wären überhaupt ins Land gelassen worden. Aber selbst dann wäre noch lange nicht sicher, ob sie das Ziel erreichten. Mauer und Zäune teilen das Land. Kontrollposten, Straßensperren geben ihm eine neue Gliederung. Soldaten und Sicherheitskräfte sind allgegenwärtig. So sieht es aus in Palästina, so sieht es aus in und um Bethlehem. Die Geburtskirche, vor wenigen Jahren noch, von einer unübersehbaren Zahl von Menschen besucht, die Geburtsgrotte unter der Basilika überfüllt, Menschen andächtig oder auch nur neugierig angekommen, hier an dem Ort, der seit Jahrhunderten von Christen als heilige Stätte verehrt wird. Aber heute ist es anders. Nicht Friede schmückt das Land, nicht Gemeinschaft derer, die hier leben, sondern Gefahr lauert. Lebensgefahr. Viele sind dem Hass zum Opfer gefallen, Juden und Palästinenser. Gewalt erzeugte und erzeugt Gegengewalt. Selbstmordattentäter, nicht selten religiös irregeleitet, haben dies alles mit verursacht. Mich erreicht in diesen Tagen ein Brief Sumaya Farhat Nasers, der zur lutherischen Gemeinde gehörenden Professorin aus Birzeit in Palästina, die seit Jahren unermüdlich in ihrem Land, genauso wie hier bei uns für ein Leben kämpft, in dem sich Frieden und Gerechtigkeit küssen. Sie schreibt:

„Behindert und blockiert ist der Alltag durch Sperren, Mauern und Militärverordnungen, die jeden Aspekt des täglichen Lebens destruktiv bestimmen. Wir fühlen uns wie erwürgt. Seit Jahren sehnen sich die Palästinenser nach positiver Entwicklung. Denn sie sahen die Fehler, verabscheuten das Verhalten vieler politischen Verantwortlichen, erkannten Korruption und wollten gesunden politischen Aufbau. Die geltende Rechtsstruktur ist ein Gemisch von Revolution, Besatzungsbestimmungen und erste Anfänge von Gesetzen und Rechtwesen des Staates Palästina. Eindeutige Herrschaft des Gesetzes gibt es nicht. Das erschwert effektive Reformen, erst recht nicht, wenn der Widerstand auf grausamer Weise sich steigert und schwer zu kontrollieren ist. Auch wenn Raketen und Panzer der Besatzung gezielte und ungezielte Tötung, Hauszerstörungen tausender Familien systematisch vollzieht. Wo gibt es in der Welt, dass die herrschende Macht die Häuser der Bürger einfach auslöscht?

Meine Arbeit mit den Jugendlichen und  Frauen in Palästina macht viel Freude, und gibt Kraft. Sie haben zwei Monate Ferien, dürfen sich aber nicht bewegen, kennen weder Urlaub noch Ausflug. Wir lernen zu überleben und mit einander zu leben. Wir lernen unsere Probleme ansprechen und nach Lösungen suchen, und trotz dem das Leben lieben, unsere Menschlichkeit bewahren und würdigen. Wir lernen voll zu trauern, aber auch vom Herzen zu lachen, denn wir wollen Verantwortung tragen können. Das ist die Basis für den eigenen inneren Frieden, der den Frieden mit den anderen ermöglicht. Mehr als 60 Begegnungen mit sechs Gruppen haben wir gehalten während des Jahres. Es war sehr intensiv und anstrengend, aber das Mitarbeiten der Jugend, ihr Ernst und Beharrlichkeit an einem Strang der Hoffnung sich anzuklammern, ihre Suche nach Freude und dem normalen Leben, inspirieren zur Kreativität und zur Kraftschöpfung. Eine Zufriedenheit, die das Überleben ermöglicht.“

Der Bericht und die Eindrücke meines eigenen Besuches in Israel im Sommer diesen Jahres, die Gespräche mit den Rabbinern für den Frieden, mit Menschen der israelischen Friedenbewegung zeigen mir, die Bemühungen endlich zueinander zu kommen, in Frieden miteinander zu leben, kommen nicht von oben. Es sind die unzähligen kleinen, die Initiativen von unten, die in dieser von Terror geschlagenen Region Zeichen der Hoffnung sind.

Und damit bin ich im Grunde nicht weit von der Ursprungssituation unseres Predigttextes. Micha von Moreschet, einer, der sich für kleinen Leute einsetzte, hält vor gut 2700 Jahren den Mächtigen in Jerusalem vor, was die Leute bedrückt: „Und ich sprach: Höret doch, ihr Häupter im Hause Jakob und ihr Herren im Hause Israel! Ihr solltet die sein, die das Recht kennen. Aber ihr hasst das Gute und liebt das Arge; ihr schindet ihnen die Haut ab und das Fleisch von ihren Knochen und fresst das Fleisch meines Volks. Und wenn ihr ihnen die Haut abgezogen habt, zerbrecht ihr ihnen auch die Knochen; ihr zerlegt es wie in einen Topf und wie Fleisch in einen Kessel.“ (Kp. 3) Heute wäre seine Rede nicht nur an die „Häupter im Hause Jakob“ und die Herren im Hause Israel gerichtet. Auch die in Ramallah oder an anderen Orten, auch hier bei uns in Europa würden sie zu hören bekommen.

Gericht predigt er den Mächtigen, Vergeltung denen, die von Recht und Gerechtigkeit abgewichen sind und nur noch das ihre suchen. Die Grenzen sind fließend, ob auch wir die Worte zu hören bekämen?

Aber dann kommt ein neuer Ton auf, es ist der Ton, der unseren Text bestimmt, den Text, der seit vielen Jahren einer der berühmten Weihnachtstexte ist: „ Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, daß die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein.“

Ja, diese Worte stehen gegen den Augenschein und gegen alle Gewalterfahrungen. Nach ihnen kommt die Rettung, das Heil, aus „kleinen Verhältnissen und aus einem unbedeutenden Winkel des Landes.“ (Meier, PrSt III,1,1993)

So ist das wohl, das Heil beginnt in den Krisen des Lebens, wir müssen nicht erst die heilsame Stunde erwarten, herbeihoffen und herbeisehnen. Sie wird geschenkt in den Mühen des Alltags. Sie werden geschenkt in dem Retter, der aus dem unbedeutenden Flecken Bethlehem kommt, draußen vor den Mauern und Toren der großen Stadt. Ganz konkret beschrieben wird das Heil:

Er wird sie weiden in der Kraft des Herrn, sie werden sicher wohnen und er wird der Friede sein.
So also sieht Leben aus, wie es Gott für seine Menschen will.

Menschen behütet und geleitet von einem, der sich für sie einsetzt, der sie nicht ausbeutet, ihnen nicht ihre Schwäche zum Nachteil verkehrt, sondern sie in ihrer Not ernst- und annimmt. Sie werden nicht mehr von einem Ort zum anderen fliehen, unbehaust, der äußeren Gewalt der Natur ausgesetzt und in der Gefahr, Opfer von Krieg und Gewalt zu werden. Ein Zuhause werden sie haben, an dem sie ihren Glauben leben, ihre Kultur entwickeln, ihre Kinder erziehen und selber einmal behütet sterben können.

Und Er wird Friede sein.
Nach ihm haben sie sich gesehnt, und Er, der in seiner Person für Frieden, den umfassenden Schalom, einsteht, wird ihnen von Micha verheißen.
Wie mag diese Zusage, wie mag diese Hoffnungsperspektive, die die Menschen in den Mühen ihres Lebens erreichte, gestärkt haben!
Mit dieser Hoffnung im Herzen, konnten sie ihr Leben wagen.

Voller Kraft war dieses Wort des Micha. So kraftvoll, dass es immer wieder neu aufgenommen wurde, später in der jüdischen Tradition auf den Messias, den verheißenen Retter bezogen und dann von den Christen auf Jesus, das Kind kleiner Leute, in Bethlehem geboren, übertragen. Das alte Wort des Propheten blieb lebendig, weil es so wunderbar die Hoffnungen der Menschen zur Sprache kommen ließ und weil es in dem Kind in der Krippe und dem Mann am Kreuz für Christen seine Erfüllung fand.

Ja, so war es, gegen die Bedrohungen der Zeit, gegen die Schrecken der Kriege, gegen die Macht der Krankheit und des Todes und gegen die Ungerechtigkeiten, den Hass und den Terror wurde der in Bethlehem Geborene für die Welt und ihre Menschen zum Frieden.

Weihnachten, das Hoffnungszeichen für den Neubeginn.

Gewiss, noch immer und immer wieder verdüstert Machtmissbrauchen und Gewalt das Gesicht der Erde, liegt Schmerzen und Leid über uns Menschen. Gewiss, noch immer und immer wieder wird in Bethlehem – und Bethlehem steht heute für viele Orte dieser Welt, gestritten, ist nicht Friede. Und doch ist es anders seit damals: wir haben Hoffnung, wir leben mit Hoffnung und wir haben guten Grund zu solchem Leben, denn Er, der in Bethlehem Geborene ist unser Friede. Er berührt schon jetzt die Herzen der Menschen. Er lässt sie schon jetzt inmitten der Zerstörung aufeinander zu gehen, einander die Hände reichen, über die Mauern und Zäune hinweg. Auf den Bühnen der großen Politik mag man davon nicht allzu viel halten und auch die religiösen Fanatiker aller Zeiten, sehen das nicht gerne. Aber wir wissen, das Heil, der Friede beginnt im Kleinen und wirkt ansteckend auf Menschen, die guten Willens sind und bei den Menschen Gottes Wohlgefallen. Und dann wird das Kleine groß, dann beginnen Menschen miteinander zu reden, die zuvor aufeinander schossen, dann bringen sie gemeinsam die Ernte ein, obwohl sie vorher die Bäume der anderen zerstörten und dann fragen Soldaten nicht mehr nur nach den Pässen und sind selber angstbesetzt zum Präventivschlag bereit, sondern sehen im Gegenüber den Menschen, der sich doch nur nach Frieden, nach Gerechtigkeit, nach Liebe sehnt.

Ich bin sicher, dass dies alles schon längst begonnen hat, dort in Israel und Palästina, hier bei uns, überall, wo Menschen sich die Hoffnung nicht nehmen lassen, dass Er ihr Friede ist.

Amen

Landesbischof Dr. Friedrich Weber. Braunschweig
landesbischof@luth-braunschweig.de


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