Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Heilig Abend, 24. Dezember 2004
Predigt über
Johannes 3, 16-21, verfasst von Jan Greso (Slowakei)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der haßt das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, daß seine Werke in Gott getan sind."

Es gibt Zeiten, in denen Gott schweigt. Von solchen Zeiten wusste Job und viele Verfasser der biblischen Psalmen, als sie sich in einem schwierigen persönlichen Leiden befanden. Von solchen Zeiten wusste das israelitische Volk, als es während langer Zeitabschnitten von den Feinden unterdrückt war. Vom Schweigen Gottes wissen auch heute aus eigener Erfahrung leidende Menschen, aber auch Menschengruppen, die Opfer der tyrannischen Systeme wurden und werden, oder auch Opfer des Völkermordes. „Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe“ (Psalm 22,3). Dieser Seufzer ist in verschiedenen Variationen an vielen Bibelstellen zu lesen. Wir sind nicht immer imstande, die Antwort auf die Frage zu finden, warum es die Zeiten des Schweigens Gottes überhaupt gibt, die uns manchmal so lang erscheinen. Gott hat gewiss seine Gründe, und wir hoffen, dass er uns sie einmal erkennen lässt.

Gott kann schweigen, aber er schweigt nicht bis ins Unendliche. Er kann auch sprechen. Er kann ganz leise sprechen, wenn er sein Licht und Hilfe ins Leben eines einzelnen bringt. Er kann auch in gesellschaftlichem und politischem Gebiet sprechen, wenn alte Systeme zusammenbrechen und neue entstehen. Gottes Sprechen haben die Leuten erfahren, von denen die Bibel spricht, aber auch Leute in allen anderen Zeiten. Ja, sogar jeder von uns kann sich vielleicht daran erinnern, wie Gott in unser Leben hinein gesprochen hat. Dies sind ganz einzigartige Gelegenheiten; wir sollten sie nie vergessen, wir sollten sie in unserem Leben entdecken und öfter an sie denken.

Aber über alle diese Äusserungen von Gottes Sprechen und Eingreifen in unser persönliches Leben ragt ein Wort Gottes hervor – das Wort, von dem gerade diese Feiertage sprechen. Gott hat in die Welt hinein so gesprochen, dass er uns seinen Sohn Jesus Christus gesandt hat, und zwar mit einer fest gegebenen Sendung. Der Hebräerbrief betont seine Einzigartigkeit und Einmaligkeit: „Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat“ (Hebr 1,1-2).

Die einzigartige Weihnachtsstimmung erinnert uns an die Einzigartigkeit dieses grossen Ereignisses. Viele Leute bleiben auf dieser Oberfläche und gehen nicht tiefer, und so entdecken sie nicht das Wesentliche, ohne das Weihnachten keine Weihnachten sind – nicht einmal mit der schönsten äusserlichen Ausstattung. Von der feierlichen Stimmung bis zu dem Wesentlichen dringen – darum sollten wir uns auch an diesen Feiertagen bemühen.

Der heutige Bibelabschnitt aus dem Johannesevangelium hilft uns dabei. Er spricht darüber, was der Inhalt, Absicht und Ziel dessen ist, dass der Sohn Gottes auf unsere Erde gekommen ist. Seit seiner Ankunft bis heute ist eine Menge von Abfassungen darüber erschienen, wer eigentlich Jesus Christus ist, und zwar auch in Fach- und Populärliteratur, aber auch in Kunst. Es gibt auch grosse Fachwerke, die eine Übersicht von diesen, manchmal auch entegegengesetzten Auffassungen vorlegen. Dieser Tag wäre keine gute Gelegenheit dazu, sich mit diesen verschiedenen Bildern von Jesus kritisch auseinanderzusetzen. Unser Textabschnitt ist nicht einer von vielen Bildern von Jesus, sondern das sind einzigartige, authentische, verbindliche Worte. Darum kommen wir zu diesem Text mit den Fragen: Was waren die Beweggründe seines Kommens? Mit welcher Absicht und mit welchem Ziel ist er gekommen?

Der Anfang des Weihnachtsereignisses ist nicht die Geburt des Kindes Jesus in Bethlehem, sondern dieses Ereignis hat ihre Vorgeschichte. Der Text sagt ausgesprochen: Gott hat seinen Sohn gegeben, er hat seinen Sohn gesandt. Wenn wir das Wort „Gott“ ausprechen oder hören, sollten wir eine solche Ehrfurcht empfinden wie der Prophet Jesaja bei seiner Berufung (Jes 6). Wir sollten diese Ehrfurcht noch stärker empfinden, weil wir von seinem Werk in Universum und auf unserer Erde noch wesentlich mehr wissen als die Leute vor Jahrtausenden. Dieser Gott ist höher und erhabener als unsere höchste Vorstellungen von ihm – und gerade dieser Gott sendet uns seinen Sohn. Wenn wir uns der Worte des Psalmes 8 bedienen, können, ja müssen wir fragen: Was ist der Mensch, dass du, grosser Gott, seiner gedenkst, was sind die Menschen, dass du sich ihrer annimmst, was ist die Menschheit, dass du ihr deinen Sohn gibst, sendest? Wie bist du an den Gedanken gekommen, dass es nötig ist, das zu tun, und dass du es tun willst? Sind wir vielleicht so sehr sympathisch, dass dich unsere Güte dazu bewegt hat, uns ein so grosses Geschenk zu geben?

Nach den Worten unseres Textes zu beurteilen, sind wir überhaupt nicht so sympathisch. So viel Böses tun wir. Der Untergang bedroht uns. Wir fliehen vor dem Licht. Wir haben Angst vor der Wahrheit. Es gibt nichts, wodurch wir ihm gefallen könnten. Und trotzdem gibt er uns, sendet er uns seinen Sohn. Welchen Beweggrund hat er dazu? Mit einem einzigen kurzen Satz ist dieser Beweggrund bezeichnet, aber der ist so schwerwiegend, dass er die Tatsache voll überwiegt, dass wir nicht sympathisch sind. „Also hat Gott die Welt geliebt ...“ An dieser seiner Liebe ist etwas überraschend, unbegreiflich. Wenn wir jemanden lieben, machen wir das üblicherweise darum, dass uns an einem solchen Mensch etwas gefällt, dass er uns anzieht, oder dass wir von ihm etwas gewinnen möchten. Aber Gott liebt uns trotz dem, dass es an uns nichts Anziehendes gibt. Vergeblich würden wir uns fragen: Welchen Beweggrund hat seine Liebe? Es ist genauso wie bei einer anderen Frage: Woher ist Gott? Warum ist Gott? Wir können nichts anderes als im Glauben zu sagen: Gott ist. Ganz ähnlich ist es mit seiner Liebe. Wir sind nicht imstande die Antwort auf die Frage zu finden: Woher ist die Liebe Gottes? Warum ist überhaupt die Liebe Gottes? Wir können nur sagen: Die Liebe Gottes ist – und zwar eine paradoxe, überraschende.

Zu Weihnachten sollten wir das nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern wir sollten das erleben in dem Sinne dass wir sagen: Gott sendet die Strahlen seiner Liebe auch mir, auch ich gehöre zu der Welt, die Gott so paradox, überraschend liebt. Genauso wie er seine Sonne und Regen Gerechten und Ungerechten gibt, genauso bietet er seine Liebe allen an. Wenn wir die Liebe von Eltern, Kindern, Freunden annehmen, immer geht es um die Liebe, die ihren Ursprung in der Liebe Gottes hat. Wir lieben, weil er als erster uns geliebt hat. Wenn wir uns zu Weihnachten über die Erweise der Liebe von anderen Menschen freuen, über die feierliche, friedliche Stimmung, es geht dabei immer um die Frucht des Lebenswerkes des Sohnes Gottes.

Unser Text sagt ganz klar, was nicht ist und was das Ziel der Ankunft von Jesus Christus in der Welt ist. Er ist nicht mit einem destruktiven Plan gekommen, um die Welt zu verurteilen, sondern mit einem höchst positiven Plan, die Menschen zu retten. Sehr klar hat sich das in seinem Zusammentreffen mit damaligen Sündern gezeigt. Er hat sie nicht verurteilt, sondern er hat ihnen den Weg zu einem ganz neuem Leben geöffnet. Wenn die betreffenden Menschen jetzt vor uns stehen könnten, die würden uns anhand ihrer Lebensgeschichte erzählen, was der Satz aus unserem Textabschnitt eigentlich bedeutet: „ Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn gerettet werde.“ Alle diese und andere gerettete Leute laden uns ein, dass auch wir uns diese ganz neue Lebensmöglichkeit schenken lassen. Der Sohn Gottes gibt uns das Licht der richtigen Selbsterkenntnis, damit wir auch erkennen können, welche konkrete Hilfe wir von dem Sohn Gottes bedürfen. Eine solche angebotene und angenomnmene Lebensveränderung – das gehört ganz sicher zu den schönsten Weihnachtserlebnissen.

Gerade diesem Licht, in dem der Mensch sich selbst richtig erkennen kann, widmet unser Text grosse Aufmerksamkeit. Der Mensch, der ahnt, dass dieses Licht in seinem Leben viele unangenehmen Sachen entdecken würde, flieht lieber vor dem Licht. Aber das ist eine verzeifelte uns ausweglose Lösung. Die wahre Selbsterkenntnis wird nämlich früher oder später so oder so kommen. Und wenn der Mensch sie nicht freiwillig annimmt, wird sie ihm aufgenötigt. Es ist wahr, dass das Licht der klaren Selbsterkenntnis weh tut. Es ist nicht möglich, dieses Stadium zu umgehen. Petrus musste durch das Stadium der schmerzhaften Selbsterkenntnis gehen, als ihn der Auferstandene dreimal gefragt hat, ob er ihn liebt. Aber diese Selbsterkenntnis können wir mit Vertrauen annehmen, weil dies Licht bringt. Der, der dazu gekommen ist, um uns zu retten.

Dieser biblische Abschnitt bringt die Botschaft von dem grossartigen Werk Gottes. Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, der auch heute genauso wirksam ist wie damals. Aber die Weihnacht und das Weihnachtsereignis begreift und wirklich erlebt nur der, der das alles mit Glauben annimmt. Der Glaube ist in diesem Text ein sehr wichtiges Wort. Glauben heisst erkennen und begreifen: Der Sohn Gottes ist auch meinetwegen in die Welt gekommen. Ich beginne stufenweise zu begreifen, was alles, was Neues kann er in mein Leben hineinbringen. Ich nehme das an. Ohne dieses freudige Annehmen würde Gottes grosses Angebot unwirksam bleiben. Aber das Annehmen dieses Angebots, das Annehmen dessen, was uns Jesus Christus gibt – das führt zu einem ganz neuen Leben, voll Freude und Frieden. Jeder, der die Liebe Gottes annimmt, soll zu einer neuen, abgeleiteten, aber sehr wirksamen Quelle der Liebe Gottes für seine Umgebung werden. Der Predigttext ermöglicht uns, die Weihnachten auf eine vollwertige Weise feiern.

Dr. Jan Greso
greso@fevth.uniba.sk


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