Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Christnacht, 24. Dezember 2004
Predigt über
2. Samuel 7, 4-6.11b – 14a, verfasst von Cornelia Coenen-Marx
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

zu Hause, bei meiner Mutter , hängt im Flur ein Holzherz aus Amerika. Darauf steht in leuchtend roten Buchstaben: „ all hearts come home for Christmas“ . Zu Weihnachten wünschen sich alle Menschen, nach Hause zu kommen. Das kleine Holzherz stammt aus der Zeit , als meine Schwester in Amerika lebte – und manches Mal eben nicht nach Hause kommen konnte. Weil sie Dienst hatte. Oder weil kurzfristig keine Tickets mehr zu bekommen waren – jedenfalls keine bezahlbaren. Dann mussten rechtzeitig Stollen und Printen hinübergeschickt werden über Teich, damit wenigstens ein bisschen deutsche Weihnachten spürbar wurde .

Gestern hat sch ein Reporter der Hannoverschen Allgemeinen auf den Hauptbahnhof gestellt und beobachtet, was es bedeutet, nach Hause zu kommen. Erwachensene Kinder treten die Reise zu ihren Eltern an. Und andere empfangen die alten Eltern zum ersten Mal bei sich selbst. Paare, die an verschiedenen Orten ihrer Berufstätigkeit nachgehen, fallen sich endlich in die Arme und freuen sich auf die Zeit miteinander. „ Willkommen daheim“ steht über den Bildern von Familien und Freunden, die einander fröhlich in die Arme fallen. Daheim, das ist eben viel mehr als ein Haus oder ein Ort. Die Menschen, die wir lieben, die vertraute Sprache, der Geschmack einer Landschaft. Da werden eben auch Kartoffelsalat, Feldsalat und badische Schäufele in Hannover gekocht. Da werden schlesische Lieder in Bayern gesungen. Und Aachener Printen in Amerika gegessen. Denn gerade Weihnachen wollen unsere Herzen zurück nach Hause, in die Kindheit. Eben dahin, wo wir zum ersten Mal Geborgenheit spürten.

„ Gott will ein Haus bauen auf der Erde“ , heißt die wichtigste Botschaft heute. Ein Gotteshaus , in dem sein Name hörbar wird und angebetet wird. Ein Königshaus, das Gottes Vertriebensein ein Ende hat. Eine Zukunft ohne Blut und Tränen, ohne Krieg und Verzweiflung Es kommt die Zeit, in der die Menschen aus Nord und Süd, aus Ost und West an einem Tisch sitzen – in Gottes Haus. Wo die Heimwehtränen abgewischt werden, wo sich Feinde versöhnen. Festtagskleider werden angelegt und Loblieder gesungen in Gottes Haus. Dass das kein leeres Versprechen ist, das kann man Weihnachten spüren. Auf dem Hauptbahnhof, zu Hause und bei Verwandten und auch hier in der Kirche. Und alle Kinder, die in diesen Wochen ihre Türchen am Adventskalender geöffnet haben, haben den Traum wieder weiter geträumt: den Traum vom Weihnachtshaus mit leuchtenden Fenstern und offenen Türen , dessen Leuchten uns von ferne entgegenstrahlt.

Dabei hat die biblische Verheißung , von der ich eben gesprochen habe, auf den ersten Blick so gar nichts mit Weihnachten zu tun. Das Haus, von dem hier die Rede ist, ist der neue Tempel in Jerusalem. Gott verspricht König David, dass die Zeit kommt, in der das Volk Israel endlich Frieden findet. Dass nach den Zeiten der Unterdrückung und der Flucht, nach den Zeiten wechselnder Herrschaft eine Zeit der Ruhe kommt. Das Haus Davids, sein Königtum soll Dauer haben – weit über Davids Zeit hinaus. Wenn dieser König längst begraben ist, wird einer seiner Nachkommen die Hoffnung Israels erfüllen. Er wird ein ewiges Reich gründen und Gottes Herrschaft aufrichten. Er wird Gott die Ehre geben – nicht nur im Tempel, sondern auch im Alltag. Sein Leben wird Lobpreis und Anbetung sein

König David wird mit Staunen gehört haben, was Nathan, Gottes Prophet ihm sagt. Er wusste ja nur allzu genau, wie groß der Graben zwischen Glauben und Alltag in seinem eigenen Leben war. Nach außen hin war er ein mächtiger Herrscher, und einst würde man schreiben, dass Davids Königszeit stabil war , ja, dass er ein Reich des Friedens aufrichtete. Aber in den Stunden der Einsamkeit , in den Beichtgesprächen mit Nathan sah er auch die Schattenseiten : Betrug und Tränen, Familiendramen und Mobbing, blutige Kriege und politische Unsicherheiten . Ja, der Mann mit der Harfe konnte auch andere Töne anschlagen. Sollte er Gott ein Haus bauen in dieser Welt ?

Und brauchte Gott überhaupt ein Haus ? Mitten in der Wüste war Gott seinem Volk erschienen – nicht im gelobten Land. Unter dem Sternenhimmel hatte Abraham die Verheißungen gehört. Am brennenden Dornbusch war Mose niedergekniet. Und seit er am Sinai die Zehn Gebote empfangen hatte, stand die Bundeslade mit den Geboten in einem Zelt. Der Gott Israels war ein Gott unterwegs – in der Einsamkeit der Berggipfel, in den kalten Der war doch eigentlich ein Wanderprediger, ein Mann der Straße. Hoch Wüstennächten hatten Menschen seine Stimme vernommen. Wer wollte ihn einsperren in einen Tempel, in einen Dom ?

David sehnt sich nach einem Ort der Anbetung. Nach einem Platz, wo sein Herz Ruhe findet in Gott. Und doch zweifelt er. Und ich kann diesen Zweifel gut verstehen. Ich denke dabei an Jesus, den wir heute feiern. Er hat den Tempel in Jerusalem geliebt, er mochte es, mit dem Gelehrten dort über den Sinn der Verheißungen nachzudenken. Und er hasste es, wenn aus dem Gotteshaus ein Markt wurde. Aber er brauchte keinen Dom, um zu predigen. Über dem See Genezareth sprach er vom Glauben, und mitten im Sturm, auf dem schwankenden Boot. Er hätte nicht mal einen Platz, wo er sein Haupt hinlegen könnte , hat er einmal gesagt. Er lud sich ein zu Fremden und Freunden . Wo man gemeinsam am Tisch saß, da war Gott ganz nah.

Gott schlägt sein Haus bei uns auf. Das haben die Menschen erlebt, die Jesus begegnet sind. Mitten in Unsicherheiten und Zweifeln war da plötzlich das Gefühl, nach Hause zu kommen. Mitten auf der Wanderung des Lebens war da plötzlich die Erfahrung , zur Ruhe zu kommen. Davon erzählt die Weihnachtsgeschichte, die wir so sehr lieben. Da wird der Stall in Bethlehem zu Gottes Haus. In der sternklaren Nacht hören die Ärmsten der Armen, dass ihnen der Retter geboren ist. Und die Magier kommen aus der Wüste, um anzubeten unter dem Stern. Nicht im Tempel von Jerusalem ereignet sich das Weihnachtswunder, sondern in Bethlehem. In der Stadt Davids.

Sind damit die Hoffnungen Davids erfüllt ? Matthäus und Lukas, die uns die Weihnachtsgeschichte überliefert haben, sagen: Ja. Jesus ist der neue David, der kommende König, der Sohn Gottes, der der Welt Frieden bringt. Aber einen Tempel hat er nicht gebaut. Und er saß auf keinem Thron. Er kam ganz anders als erwartet. So anders, dass viele ihn nicht erkannten. Und dass die jüdische Gemeinde bis heute auf einen anderen wartet.

Ich aber liebe ihn gerade dafür. Denn zu Weihnachten, wenn alle Herzen nach Hause kommen, dann denke ich auch an die vielen, die kein Zuhause mehr haben. An die Flüchtlinge im Sudan, deren Häuser niedergebrannt wurden. An die Zeltstadt im Erdbebengebiet von Bam, wo die Häuser erst ganz allmählich wieder aufgebaut werden können. An Menschen, die alles verloren haben. Ihre Lieben, ihr Zuhause. Große Versprechungen sind da nicht gefragt. Die große Politik versagt oft genug. Gefragt sind Menschen, die anderen Mut machen. Darum bin ich so froh, dass Gott von seinem Thron heruntergestiegen ist. Dass Jesus in einer Futterkrippe lag. Dass er fliehen musste mit seinen Eltern. Der heilige Gott bleibt nicht in Davids Stadt. Er ist schon bald wieder unterwegs nach Ägypten.

Gott ist unterwegs auch zu uns. Das ist ein großer Trost für alle, die kein Zuhause mehr haben. Für alle, die sich zu Weihnachten allein gelassen fühlen. Man kann sehr einsam sein in einem festen Haus. Aber Gott klopft an unsere Tür und will unser Gast sein. Er stellt keine Ansprüche. Eine Futterkrippe genügt. Aber wo er zur Welt kommt, breitet sich Frieden aus. Da können Menschen zur Ruhe finden und aufatmen. Da ist jeder willkommen, vom Hirten bis zum König.

So wird die alte Verheißung erfüllt. Und ich glaube, sie kann sich auch für uns erfüllen. Hier in dieser Kirche. „ Willkommen daheim“ ! Viel mehr noch als wir uns freuen, wenn wir an diesen Festtagen als Familien zusammen kommen, freut sich Gott, wenn wir unserer Sehnsucht folgen , ihm zu begegnen. Wir können ihn finden in den alten Liedern und Lesungen, in vertrauten Ritualen – aber vielleicht auch ganz anders, als wir es erwarten. An einem Krankenbett. Oder auf dem Bahnhof. Weihnachten ist voller Überraschungen. Wir müssen uns nur aufmachen und einlassen auf Ihn. Der König der Herzen kommt. Nein, er ist längst da und wartet auf uns.

Amen.

Cornelia Coenen-Marx
coenen-marx@t-online.de


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