Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

4. Advent, 19. Dezember 2004
Predigt über
Lukas 1, 26-38, verfasst von Robert Schelander
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,
Religionsunterricht im Gymnasium. Die siebzehnjährigen Schüler diskutieren aufgeregt. Die Freundin einer Klassenkameradin hat gerade erfahren, dass sie schwanger ist. „Ungewollt“ wie sie sagt. Die Schüler berichten: Sie hat Probleme. Probleme mit ihrem Freund, von dem sie sich eigentlich vor einem Monat getrennt hat. Sie ist schwanger mit siebzehn!? Sie besucht doch noch die Schule. Wie soll das gehen? Wie würden die Eltern reagieren? Was soll sie tun?
Die Schüler reagieren betroffen. Sie diskutieren darüber, was sie tun würden, wenn sie in einer solchen Situation wären.

Ein Ehepaar erzählt von den Tagen des langen Wartens auf den Schwangerschaftstest. Auf den Moment, wo der Teststreifen alles entscheidet. Die Frau versucht sich durch Aktivitäten abzulenken. „Damit sie nicht verrückt wird“ wie sie sagt.
Jahrelang lang haben sie sich ein Kind gewünscht. Alles vorbereitet, alles geplant und ihr Leben nach dem ersehnten Kind ausgerichtet. Dann das Ergebnis einer medizinischen Untersuchung: auf natürliche Weise würden sie nie schwanger werden.
Sie haben Alternativen überlegt und auch probiert. Und sich schließlich für den aufwändigen Weg der künstlichen Befruchtung entschieden. Wohl wissend, dass die Chance schwanger zu werden sehr klein war. Und jetzt das Ergebnis des Tests: „Schwanger“. Sie können es kaum glauben.

Zwei Situationen: die siebzehnjährige Schülerin und das Ehepaar. Zwei Situationen in die dieselbe Nachricht kommt: Du bekommst ein Kind, du bist schwanger. Die Nachricht löst unterschiedliche Reaktionen aus. Verständlicherweise. Wir können jeweils mitfühlen, Ängste und Hoffnungen teilen, vermutlich auch manche Verzweiflung erahnen.
Zweimal dieselbe Nachricht, es kommt offenbar auf die Situation an, in die sie trifft, um zu verstehen, was sie bedeutet.

Sehen wir uns den Predigttext an. Maria erfährt, dass sie schwanger ist bzw. wird und dass sie ein Kind gebären wird. Der Engel Gottes kommt zu ihr „Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären.“
Vieles in diesem Text klingt wundersam: die Erscheinung des Engels, die wunderliche Sprache ... schon die Anrede: „Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!“
Und dann die Ankündigung der Geburt ohne Empfängnis – die Jungfrauengeburt.
All dieses Wundersame verstellt leicht den Blick auf die reale Situation der Maria. Auf solch wunderbare Weise gemalt, durchzieht diese Szene die Kunstgeschichte. Vermutlich kennen sie berühmte Bilder der „Verkündigung Marias“.
Dabei hat diese Geschichte, die uns hier erzählt wird, Bodenhaftung. Der Evangelist Lukas - so meine ich zu bemerken – bemüht sich alles Überirdische zurückzudrängen.
Versuchen wir genauer hinzuhören, was er uns erzählen will.
Maria ist ein junges Mädchen von vielleicht 14 Jahren. In welche Situation hinein mag diese Nachricht sie getroffen haben?
Versuchen wir es uns vorzustellen ...
Maria hat nicht mit einer Schwangerschaft gerechnet. Sie war von dieser Nachricht überrascht. Wovon mag sie geträumt haben? Wie mag sie sich ihr zukünftiges Leben vorgestellt haben?
Sie gehört vermutlich nicht zu den Ärmsten in der Stadt – für unsere heutigen Verhältnisse ist Nazareth ein Dorf – zu zählen sein. Sie hat angesehene Leute in der Familie, denken wir an Elisabeth und ihren Mann Zacharias, der sogar Priester am Tempel in Jerusalem ist. Sie ist einem gutem Mann versprochen und daher können wir davon ausgehen, dass sie für die damaligen Verhältnisse ein einigermaßen attraktives Leben vor sich hatte. Umgekehrt gedacht: Sie hat auch einiges zu verlieren! Sie hat Ansehen! Ich versuche mir vorzustellen, was Maria wohl durch den Kopf gegangen sein könnte, als sie die Nachricht von der Schwangerschaft und bevorstehenden Geburt erhalten hat.
Vielleicht zuerst ungläubiges Verwundern? Wie soll das zugehen ... das hören wir auch in dem Text. Vermutlich aber auch: Angst und Entsetzten, dass sie mit diesem Kind alles verlieren könnte, was sie hat. Einen Mann und eine Zukunft. Sie würde alleine sein mit dem Kind. Sie hätte rechtliche Konsequenzen zu befürchten. Ein uneheliches Kind könnte ihr als Ehebruch angelastet werden und Folgen für Leib und Leben haben. Auf alle Fälle aber muss sie wirtschaftliche und soziale Folgen befürchten: Recht- und schutzlos wäre sie dem Wohlwollen ihrer Herkunftsfamilie ausgeliefert oder müsste auf der Straße ihr Geld erbetteln oder verdienen.
Überraschenderweise antwortet Maria: Mir geschehe, wie du gesagt hast. Wie ist das dann zu verstehen?
Maria hatte keine Wahl. Der Engel fragt sie nicht ob sie damit einverstanden sei, sondern er teilt ihr mit, was passieren wird.
Also könnten wir ihre Antwort als ein Fügen in das unabänderliche Schicksal verstehen. Glücklich ist, wer sich in das fügt, was nicht zu ändern ist.
Manche werden eine Bescheidenheit in dieser Antwort der Maria heraushören.
Eine Bescheidenheit, wie wir sie manchmal hören, wenn Menschen zu Höherem berufen werden. Wenn sie gefragt werden, ob sie ein vornehmes Amt annehmen und dann verschämt, ob der großen Würde, die Bürde des Amtes herausstreichen und sich scheinbar bescheiden in ihr Los fügen. Manche bildlichen Darstellungen der Verkündigung Marias scheinen etwas Ähnliches ausdrücken zu wollen: Maria erfährt, dass sie den Sohn Gottes zur Welt bringen darf. Sie ist die Auserwählte unter den Frauen.
Ob wir damit die Haltung, mit der Maria diese Botschaft aufnimmt, getroffen haben? Ich meine: Nein! Weder eine falsche Demut noch ein resignierendes halbherziges Ja höre ich hier heraus.
Was dann?
Unsere katholischen Schwestern und Brüder beten unter Aufnahme der Worte der Bibel: Gegrüßet seist Du, Maria. Du bist voll der Gnade; der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, ... ("Gotteslob", Nr. 2/6). Gebenedeit, das heißt, man spricht gut von ihr, spricht in höchsten Tönen. Den Jugendlichen in der Schule, von denen ich vorhin erzählt habe, könnte man dies vielleicht so übersetzen: Maria erfährt, das sie Superstar geworden ist. Gebenedeit ist ihr Name, d.h. jeder kennt ihn. Man spricht von ihr.
Was für ein Widerspruch zwischen dem Gruß und dem Inhalt der Botschaft mag sich da für Maria auftun. „Gebenedeit sein“ mit einem unehelichen Kind? Sie mag gedacht haben: Wenn das wahr ist, dass ich ein Kind bekomme, dann werden tatsächlich alle hier in Nazareth von mir reden. Mein Name wird in aller Munde sein, aber als abschreckendes Beispiel der Schande.
Ob sich Maria vorstellen konnte was sie erwartet? Ich denke ja. Sie wird Geschichten von Frauen mit uneheliche Kinder gehört haben, man wird sich die tragischen und traurigen Schicksale solcher Frauen erzählt haben. Häufig im Bewusstsein: es betrifft nur andere.

Wie kann Maria da sagen: Mir geschehe wie du gesagt hast?
War es die verheißende große Zukunft des Kindes, die sie einwilligen ließ?
Er wird ein ganz Großer werden, ein König und sein Reich wird kein Ende haben, so verheißt es der Engel. Was mag da mehr wiegen: die Angst vor der konkreten Schande oder die Hoffnung auf eine vage Zukunft?
„Mir geschehe wie du gesagt hast.“
Liebe Gemeinde, mir ist deutlich: dies ist kein leichtfertig dahingesagter Satz. Im Bewusstsein der möglichen Konsequenzen erhält diese Antwort Gewicht. Maria meint: Ich bin bereit, mich auf dieses Leben einzulassen. Meine Ängste, Sorgen und Bedenken sind nicht weg, aber ich vertraue dir, Gott. Vertraue darauf, dass du auch über meinem Leben ein gutes Wort gesprochen hast: Gebenedeit.
Ein gläubiges Vertrauen lässt sie Ja sagen. Ich nehme dieses, mein Leben, an und damit auch das werdende Leben in mir. Ich vertraue in dieser Entscheidung auf Gott.
Schauen wir zurück auf die beiden Geschichten vom Anfang. Die schwangere 17-Jährige Schülerin und das Ehepaar mit dem unerfüllten Kinderwunsch. Was könnte gläubiges Vertrauen hier heißen? ... und was, wenn der nächste Schwangerschaftstest negativ ist? Das bedeutet für die Schülerin etwas ganz anderes als für das Ehepaar. Wie würden wir reagieren, wenn wir betroffen wären?
Ein Wort des Engels lässt mich im Predigttext aufhorchen: Gnade. Der Engel sagt: Maria, du Begnadete und dann: Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Maria kann diese Gnade annehmen, kann erkennen und glauben, dass es da jemanden gibt, der es gut mit ihr und uns allen meint, der über dem Leben eines Jeden und einer Jeden mit Liebe waltet. Gottes gnädiges Wirken umfasst auch ihre Zukunft und die ihres Kindes.
Maria kann darin Vorbild für uns sein.
Liebe Gemeinde!
Das ist es, was ich uns allen wünsche, dass wir glauben können, dass jemand gute Worte über unser Leben gesprochen hat und mit Maria dazu sagen können: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“
Amen

Prof. Dr. Robert Schelander
Evangelisch-Theologische Fakultät Wien
robert.schelander@univie.ac.at


 


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