Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

3. Advent, 12. Dezember 2004
Predigt über
Matthäus 11, 2-10, verfasst von Niels Henrik Arendt (Dänemark)
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Es gibt zwei Arten des Zweifels. Es gibt den eher vernunftbestimmten Zweifel, ob denn nun auch alles, was die Bibel erzählt, wahr sein könne, ob das alles z.B. mit der Wissenschaft vereinbar sei. Die Grundfrage dieser Art des Zweifels lautet: Ist es überhaupt so wichtig oder notwendig mit Gott? Das ist der Zweifel desjenigen Menschen, der glaubt, Gottes nicht so sehr zu bedürfen. Diese Form des Zweifels erlaubt sich gelegentlich auch, in ihrer Argumentation oberflächlich zu sein, weil die Fragen keine Unkosten verursachen, weil sie nicht wirklich dem Leben gelten. In der Bibel gibt es im Großen und Ganzen keine Beispiele für diese Form dieses Zweifels. Ja, es ist überhaupt die Frage, ob sie nicht eigentlich vor allem ein modernes – und heute verbreitetes – Phänomen sei. Die Bibel fasst sich in ihrer Antwort auf diese Art des Zweifels in Kürze: „Der Tor sagt in seinem Herzen: es gibt keinen Gott“, heißt es in einem der Psalmen. Mag das auch unser Selbstgefühl kränken, die Bibel verwendet nicht allzu große Mühe auf diesen Zweifel.

Aber es gibt auch eine andere Form des Zweifels. Des Zweifels, der einen Menschen in seiner Not packen kann. Wo es bei der Antwort um alles geht; denn wenn Gott nicht ist oder einen nicht gesehen hat, dann ist man verloren. Wenn das eigene Kind krank geworden oder in Gefahr geraten ist. Oder wenn man einen geliebten Menschen verloren hat und fühlt, dass alles verloren ist. Oder wenn man einer Aufgabe gegenübersteht, der man ganz und gar nicht gewachsen ist. Oder wenn man weiß, dass man versagt hat und Hilfe nötig hat, um weiter leben zu können. Diese Form des Zweifels kennen sowohl das Alte als auch das Neue Testament. „Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr, warum hast du mich vergessen – Tränen sind mein Brot, wenn sie mich den ganzen Tag lang fragen: Wo ist dein Gott?“ Im heutigen Text begegnen wir diesem verzweifelten Zweifel in der Gestalt Johannes des Täufers, des Mannes, der mündig Jesus als den kommenden Erlöser verkündet hatte: „Siehe, das ist das Lamm Gottes“, hatte er gesagt, „der, der nach mir kommt, ist mächtiger als ich. Ich hätte von dir getauft werden sollen, und nicht umgekehrt.“ Aber jetzt schickt er zwei seiner Jünger zu Jesus: „Bist du wirklich der, der kommen soll?“ Denn jetzt steht er nicht mehr am Ufer des Jordan, jetzt sitzt er in der Festung Makärus östlich vom Toten Meer als Gefangener des Herodes Antipas, und er weiß, dass er nicht lebendig von hier wegkommen kann. „War es die Wahrheit, was ich verkündet habe?“, fragt er. Denn in dem Falle ist es wohl auch sinnvoll, hier zu sitzen, gefangen und gedemütigt von Schurken. In dem Fall ist das Leben nicht so schwer, der Tod auch nicht. Mit der Aussicht auf den Tod ist all seine Sicherheit plötzlich von ihm geglitten. Zwischen Zweifel und Verzweiflung ist oft nur eine Haaresbreite.

Jesus schickte die Sendboten zurück mit der Antwort, sie sollten Johannes sagen, was sie gehört und gesehen hätten, dass Kranke gesund würden, Tote auferstünden und arme Leute frohe Botschaft hörten. Eine merkwürdig schiefe Antwort, denn das war es ja wohl nicht, wonach der Täufer gefragt hatte. Er hatte gefragt, ob er selbst Recht gehabt habe. Warum bekam er kein klares Ja oder Nein? (Übrigens war dies nicht das einzige Mal, dass Jesus es entweder ablehnte, auf die anspruchsvollen Fragen der Leute zu antworten, oder aber eine schiefe Antwort gab.)

Eine Antwort erhielt der Täufer allerdings: „Gehet hin und sagt Johannes, war ihr hört und seht: Blinde sehen, und Lahme gehen, Aussätzige werden rein, und Taube hören“. Das alles habe ich gehört, hat Johannes vielleicht gesagt. Aber in der Antwort Jesu liegt bereits die Antwort auch auf diesen Einwand: es gibt nichts anderes zu hören oder zu sagen. Wenn du fragst, wer ich bin, dann gibt es nur diese eine Antwort.

Der Täufer will mehr als das, was er er sowieso weiß, er will etwas, das seinen Glauben sichern kann. Aber Jesus antwortet mit dem Hinweis auf das, was schon zu sehen ist. Mehr bekommt der Täufer nicht – mehr ist nicht zu bekommen. Aber es ist auch genug. Wenn Jesus auf diese Weise antwortet, geschieht das nicht, um sich zu drücken, sondern um zu sagen: du hast schon, worum du bittest. Was du gehört und gesehen hast und andere erzählt haben, ist genug, ist reichlich, um zu glauben.

Für den Menschen, der heute vom Zweifel gepackt wird, von echtem Zweifel, dem Zweifel, der in Mark und Bein geht und der vielleicht nicht einmal so sehr ein Zweifel daran ist, ob Gott ist, als vielmehr ein Zweifel, ob ich von ihm gesehen bin, und wenn das so ist, warum dann keine Veränderung spürbar ist – für den Menschen hat das Christentum nicht etwa irgendeinen Trumph, der ein für allemal die Zweifelsfragen zur Seite schöbe. Nein, es hat im Grunde nur dieselbe Antwort, die die Sendboten dem Johannes bringen. Das Christentum hat den Bericht über ihn, der umherwanderte und Wohltaten verrichtete und verkündete, dass Gott den Menschen nahegekommen war. Mit Behutsamkeit gegenüber dem zweifelnden oder verzweifelnden Menschen, vielleicht sogar mit einem Gefühl von Armseligkeitt, ist dies die einzige Antwort der Kirche, ihr einziges Angebot, das sie dem gefangenen, zweifelnden, gebrochenen Menschen geben kann.

Warum kommt Jesus nicht mit stärkeren, deutlicheren Zeichen oder Worten? Ich glaube, weil das nichts genützt hätte. Im „König Lear“ erzählt Shakespeare von dem König, der auf die Krone verzichten und sein Reich unter seine drei Töchter aufteilen will, wenn sie ihm ihre Liebe erklärt haben. Die beiden ältesten nehmen die allergrößten Worte in den Mund, um von ihrer Liebe zum Vater zu überzeugen. Als aber Cornelia, die jüngste, der Liebling des Vaters, von der er etwas noch Stärkeres erwartet, an die Reihe kommt, da will sie nichts sagen, nicht auf neue und noch intensivere Zeichen der Liebe hinweisen. Sie verweist ihn auf die Zeichen der Hingabe, die ihrer täglichen Gemeinschaft entspringen, auf all das, was vielleicht nicht so fein klingen mag. „Mein Herr, du hast mich gezeugt, aufgezogen und geliebt, ich vergelte es, wie es sich geziemt, ich gehorche, ehre dich und liebe dich.“ Aber der König ist zornig auf sie, er will sie zu stärkeren Zeichen und größeren Worten für ihre Hingabe zwingen. Und da sie dazu nicht bereit ist, verstößt er sie. Damit beginnt sein Sturz, und erst als er völlig am Boden liegt, kann er sehen, daß ihre Liebe die wahre gewesen ist. Aber da ist sie gestorben.

So ist das Wesen der Liebe: die Zeichen können nicht unaufhörlich überboten werden. Sie sind da für den, der sie sehen will. Für den, der das nicht will, können noch so viele Zeichen oder Worte nichts nützen. So ist es auch mit dem Evangelium. Wir erhalten keine anderen Zeichen, an die wir uns halten könnten, als die Erzählungen über ihn, der Kranke heilte, Tote auferweckte und den Armen das Evangelium verkündete. Aber zu den zweifelnden oder verzweifelten Menschen sagt das Christentum: höre es, und lass es dir genug sein. In dieser Antwort liegt eine Enthüllung – und eine Gnade, wie das für den Täufer der Fall war. Sie enthält eine Enthüllung unseres Unglaubens. Aber zugleich auch Vergebung unseres Unglaubens. Das, wovon du glaubtest, es sei nicht genug für dich, das kannst du hier noch einmal hören. Jesus wurde nicht müde angesichts der zahllosen Zweifler, die er um sich hatte, auch nicht angesichts des Täufers, der vielleicht zu allerletzt zweifeln sollte. Ist der Täufer in Zweifel geraten, sagt er zu den Sendboten, so lasst ihn noch einmal wissen, dass Aussätzige rein werden, Blinde sehen und das Evangelium den Armen verkündet wird. Auch dem zweifelnden Täufer wird das Evangelium verkündet. Auch für den, der in seinem Innersten von bohrenden Fragen beunruhigt wird, ist die gute Erzählung da. Auch er darf sie hören in all seiner Armut, all seinem Zweifel und all seiner Skepsis.

Bist du der, der kommen wird, lautete die Frage des Unglaubens und des Zweifels. Wir erhalten keine Antwort, mit der wir uns selbst und unser Selbstvertrauen stützen und stärken könnten. Wir erhalten keine Antwort, die uns Oberwasser gibt gegenüber denen, die uns demütigen. Eine Antwort bekommen wir jedoch: Selig sind die Armen, die, die es nicht lassen können zu fragen, die es nicht lassen können zu zweifeln. Das Evangelium wird dir verkündet. Jesus ist der, der zu dir kommt, wenn du in deinem Zweifel und in deinem Schmerz von ihm hörst. Das Wort sollst du wieder und wieder hören. Dann musst du dich daran halten, dass genau dies nötig ist. Das ist alles, was du bekommen kannst. Das ist auch alles, was du brauchst. Amen.

Bischof Niels Henrik Arendt
Ribe Landevej 37
DK-6100 Haderslev
+45 74 52 20 25
E-mail: nha@km.dk

Übersetzt von Dietrich Harbsmeier

 


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