Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

2. Advent, 5. Dezember 2004
Predigt über
Matthäus 24, 1-14, verfasst von Doris Wild
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Warten Sie eigentlich gerne? Wenn man dieser Tage auf den Bus oder die S-Bahn wartet, dann ist es oft kalt, man tritt von einem Bein auf das andere und ist eher ungeduldig, sehnt sich nach Wärme und einem Sitzplatz. Dieses Warten hat oft mit dem Gefühl zu tun, seine Zeit zu vergeuden. Oder denken Sie an das Warten an einer Ampel oder im Stau. Die Zeit scheint vertan.

Ich denke an einen Mann, der jeden Tag mit dem Fernglas am Fenster steht, um zu sehen, was und ob etwas auf der Straße passiert. Und wenn etwas passiert, möchte er es gleich als erster wissen. Mancher braucht eine feste Form, wie er warten kann.

Der Bauer aus der Epistellesung des heutigen Sonntags definiert seine Zeit als Wartezeit zwischen Saat und Ernte, zwischen Früh- und Spätregen. Er weiß, dass sein Warten eingebunden ist in den Jahreskreis der Natur. Er kann ihn nicht beeinflussen, seine Saat wächst nicht aufgrund seines Einflusses schneller oder langsamer. So bleibt ihm nichts anderes als geduldig zu warten.

Jeder gestaltet seine Wartezeit anders.

Es gibt auch Menschen, die merken vielleicht nicht, dass sie warten, wie z.B. die Prophetin Hanna aus der Bibel. Ein Leben lang hat sie am Jerusalemer Tempel gearbeitet. Sie diente Gott mit Fasten und Beten, Tag und Nacht. Obwohl sie schon sehr alt war, war sie immer noch rüstig und konnte ihren täglichen Weg zum Tempel gehen. Sie erledigte ihre viele Arbeit ohne Klagen. Aber ob sie wartete?

Dann gab es eines Tages einen Aufruhr im Tempel und als sie hinzutrat, sah sie, wie ein Mann namens Simon ein kleines Kind in Händen hielt und mit ihm redete. Seine Augen strahlten, sein Herz hüpfte vor Freude. Hannah lauschte auf die Worte, die er sprach. Es waren besondere Worte. Sie verstand. Vielmehr noch: Da erst spürte sie, dass sie überhaupt gewartet hatte. Auf dieses Kind hatte sie gewartet, ein Leben lang bei all ihrer Arbeit hatte sie gewartet. Nun haben ihre Augen den Heiland gesehen. Das Warten hatte ein Ende. „Wer aber wartet bis ans Ende, der wird selig werden“. So sagt es Jesus später zu seinen Jüngern. Dieser Satz von Jesus steht im Predigttext für den heutigen Sonntag. Ich lese aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 24:

Predigttext

Man wartet ungern einfach so ins Blaue hinein. Jedes Warten braucht ein Ende, bzw. ein Ziel. Nach diesem Ende fragen die Jünger. Was wird das für ein Zeichen sein, wenn du kommst?

Jesus gibt seinen Jüngern keine direkte Antwort. Er sagt nur: „Wer aber wartet bis ans Ende, der wird selig werden“.

Jesus bestätigt lediglich, dass die Jünger, ja dass wir warten müssen. Er bestätigt die Sehnsucht, dass noch etwas aussteht, unerfüllt ist. Auch wenn das bisherige Leben mit Arbeit, durchaus mit sinnvoller oder erfüllender Arbeit, gefüllt ist, kann noch etwas unerfüllt bleiben in uns. Es bleibt ein leerer Platz im Herzen der Welt, ja in meinem Herzen. Und dieser Platz wartet darauf, dass er besetzt wird.

„Wird der Platz an Weihnachten gefüllt? Erfüllt sich meine Sehnsucht in diesem Jahr? Werde ich etwas von der versprochenen Erlösung spüren, direkt in meinem Leben, in der Familie, wird mir jemand meine Last abnehmen? Wird der Streit für kurze Zeit verstum-men, der Tisch im Festzimmer umrandet sein von Wärme und Geborgenheit? Werden alle dasein?“ So die hoffnungsvollen Fragen im Advent, so die Erwartung von vielen.

Die Wartezeit von der Jesus spricht ist aber eine andere als die Adventszeit, die wir gerade begehen. Die Jünger fragen nicht, wann Jesus kommt, sondern wann er am Ende der Zeit kommen wird. Es ist die Frage nach einem andern Advent, nach einem anderen Ziel als Weihnachten. Nicht von der Ankunft, sondern von der Wiederkunft Christi redet der heutige Predigttext. Dieser andere Advent, von dem im Mt.Ev. berichtet wird, ist viel universaler gedacht, viel weiter; es ist der Advent am Ende der Zeit. Dann wenn alle Weihnachten gefeiert sind, dann wenn sich Himmel und Erde ein zweites Mal küssen, nur dass sich dann der Himmel nicht zur Erde neigen wird, sondern die Erde sich voller Sehnsucht zum Himmel strecken wird.

Jesus weicht der Frage nach dem Ende der Welt aus. Damit gibt er zu verstehen, dass es nicht um das Wann seines Kommens geht. Die Frage müsste demnach anders lauten: Wie kann man in der Zwischenzeit angemessen warten? Und: Was könnte mich in dieser Zeit alles erwarten?

Der Wochenspruch ermutigt: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!“ Das ist eine gute Art des Wartens. Nicht den Kopf hängen lassen oder gar in den Sand stecken, sondern aufsehen, den Durchblick bewahren. Im Predigttext heißt es, dass falsche Propheten den Durchblick verschleiern könnten. Sie lenken vom Blick auf die kleinen Schritte hin zur Erlösung ab. Wer den Kopf hebt, kann auch um sich sehen, sieht den anderen. Und wer den Kopf bewegt, kann auch in eine andere Richtung blicken, einen neuen Weg einschlagen, umkehren. Klassischerweise war die Adventszeit ja eine Zeit der Buße und Umkehr.

Die zweite Frage: Was mich erwartet auf dem Weg zum Ende, auf dem Weg zur Erlösung? Eigentlich nichts anderes als sonst auch. Alles bleibt so wie immer, z.T. schlimm wie immer. Die Horrorszenarien, die bei Matthäus beschrieben werden, sind nicht (!) die Zeichen des kommenden Endes. Nach dem Motto: Je schlimmer alles ist, desto näher rückt das Ende. Nein, sie nehmen nur die Ängste auf, die sowieso vorhanden sind – damals wie heute: Angst vor Bombe und Krieg, vor Erdbeben, Wirbelstürmen und Hochwasser, vor Verrat, Mobbing und Lieblosigkeit. Sie sind nicht Zeichen des Endes, sie sind nur ebenso real wie angsteinflössend. Sie wollen beim Namen genannt sein. Das Leid braucht einen Namen, damit es nicht unterschwellig weggedrängt oder mit Lichterglanz und moderner Adventsgeschäftigkeit überdeckt wird. Nicht Augen zu, sondern Augen auf: Seht zu und erschreckt nicht – Trotz allem Schrecken lasst nicht davon ab, die Hoffnungsschimmer in dieser Welt zu entdecken. (Momentan laufen im sowohl auf einem Radiosender als auch in einer Tageszeitung, wohl unabhängig voneinander, Reportagen, die davon berichten, was es derzeit an guten Entwicklungen und guten Seiten in Deutschland gibt. Nürnberger Bratwürste sind so gut wie keine anderen, eine boomende Stadt im Osten Deutschlands, usw... Daraus spricht ein großes, demonstratives „Trotzdem“ ohne das Schlechte dabei zu verschleiern).

Seht auf und schaut auf Hoffnungsschimmer und Erlösungsfunken. Dann kann man am Lichterglanz trotz allem Dunklen in dieser Welt Gefallen finden, dann kann man den süßen Geschmack der Plätzchen trotz allem genießen, dann kann man sich über Geschenke trotz allem freuen. Es geht nicht darum, die Weihnachtsvorfreuden nun mit Leid und Horrorszenarien zu überdecken. Dann hätte die Freude keinen Namen und keine Zeichen mehr.

Liebe Gemeinde, nun habe ich insgeheim auch von diesem Advent, dieser Wartezeit gesprochen. Denn diese Adventszeit ist wie ein Vorgeschmack auf die endgültige Wiederkunft Christi. Immer wieder finden sich Hoffnungsschimmer in dieser Welt und etwas, was sich zum Guten wendet, etwas, das im Kleinen Erlösung bewirkt.

Während sich diese jetzige Wartezeit jedoch berechnen lässt mit Hilfe der zunehmenden Zahl der Kerzen am Adventskranz und den Türchen, die man am Adventskalender öffnen kann, lässt sich der endgültige Advent Gottes nicht berechnen. Er liegt allein in seiner Hand. Das ist sehr entlastend. Dafür brauchen wir nicht so viel Vorbereitung, es sei denn das angemessene Warten. Aber kein Stress wie in der jetzigen Adventszeit!

Dann können wir uns als adventliche Gemeinde geduldig wie der Bauer und ohne Aufhebens wie die Prophetin Hannah in Warteposition bringen und dabei den Kopf hoch und die Augen offen halten.

Die adventliche Gemeinde kann trotz allem Schrecken weiter hoffen, weiter mit einem Fernrohr Ausschau halten und die Augen nicht vor dem verschließen, was in dieser Welt passiert – so wie der Mann am Fenster. Die adventliche Gemeinde kann wie die Prophetin Hannah weiter ihre Wege gehen und die Herzenstür geöffnet halten für den, der da noch kommt alle Jahre wieder und doch erst am Ende.

Ich wünsche Ihnen allen ein fröhliches Warten! AMEN

Doris Wild
c/o andreas.wild@welchem.com


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