Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Predigtreihe: Nachtgespräche, Herbst 2004
1.Kön 3,1-15
Lars Hillebold
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Nachtgespräche
sind

Traumgespräche
sind

Gottes vergessene Sprache

LUCA GIORDANO Dream of Solomon c. 1693
Museo del Prado, Madrid


Salomos Gebet um Weisheit
1.Kön 3,1-15

Und Salomo verschwägerte sich mit dem Pharao, dem König von Ägypten, und nahm eine Tochter des Pharao zur Frau und brachte sie in die Stadt Davids, bis er sein Haus und des HERRN Haus und die Mauer um Jerusalem gebaut hatte. Aber das Volk opferte noch auf den Höhen; denn es war noch kein Haus gebaut dem Namen des HERRN bis auf diese Zeit. Salomo aber hatte den HERRN lieb und wandelte nach den Satzungen seines Vaters David, nur dass er auf den Höhen opferte und räucherte. Und der König ging hin nach Gibeon, um dort zu opfern; denn das war die bedeutendste Höhe. Und Salomo opferte dort tausend Brandopfer auf dem Altar.
Und der HERR erschien Salomo zu Gibeon im Traum des Nachts, und Gott sprach: „Bitte, was ich dir geben soll!“
Salomo sprach: „Du hast an meinem Vater David, deinem Knecht, große Barmherzigkeit getan, wie er denn vor dir gewandelt ist in Wahrheit und Gerechtigkeit und mit aufrichtigem Herzen vor dir, und hast ihm auch die große Barmherzigkeit erwiesen und ihm einen Sohn gegeben, der auf seinem Thron sitzen sollte, wie es denn jetzt ist. Nun, HERR, mein Gott, du hast deinen Knecht zum König gemacht an meines Vaters David Statt. Ich aber bin noch jung, weiß weder aus noch ein. Und dein Knecht steht mitten in deinem Volk, das du erwählt hast, einem Volk, so groß, dass es wegen seiner Menge niemand zählen noch berechnen kann. So wollest du deinem Knecht ein gehorsames Herz geben, damit er dein Volk richten könne und verstehen, was gut und böse ist. Denn wer vermag dies dein mächtiges Volk zu richten?“
Das gefiel dem Herrn gut, dass Salomo darum bat.
Und Gott sprach zu ihm: „Weil du darum bittest und bittest weder um langes Leben noch um Reichtum noch um deiner Feinde Tod, sondern um Verstand, zu hören und recht zu richten, siehe, so tue ich nach deinen Worten. Siehe, ich gebe dir ein weises und verständiges Herz, so dass deinesgleichen vor dir nicht gewesen ist und nach dir nicht aufkommen wird. Und dazu gebe ich dir, worum du nicht gebeten hast, nämlich Reichtum und Ehre, so dass deinesgleichen keiner unter den Königen ist zu deinen Zeiten. Und wenn du in meinen Wegen wandeln wirst, dass du hältst meine Satzungen und Gebote, wie dein Vater David gewandelt ist, so werde ich dir ein langes Leben geben.“
Und als Salomo erwachte, siehe, da war es ein Traum. Und er kam nach Jerusalem und trat vor die Lade des Bundes des Herrn und opferte Brandopfer und Dankopfer und machte ein großes Festmahl für alle seine Großen.

Amen.

Träumer!
Träumer sind Gottes geliebte Kinder.
Träume sind Gottes vergessene Sprache.

Träumer

„Träumer!“ haben meine Lehrer selten als Kompliment gemeint. Welt- oder besser schulvergessen schaute ich umher; vergaß, was der dort vorne als wichtig präsentierte. Meine Gedanken flogen erst langsam, fast mühsam im Klassenzimmer umher. Dann blieben sie am Fensterrahmen hängen. Sie schauten noch mal zurück auf den Raum und den Lehrer so als wollten sie sagen: „Wir gehen dann mal …“ Es öffneten sich die Fensterflügel und meine Gedanken zogen ins Freie. Manchmal konnte ich ihnen kaum folgen, so schnell waren sie woanders.

Dann gab es zwei Möglichkeiten wach zu werden: eine schöne und eine andere. Die Letztere geschah meistens.

Der Lehrer, das personifizierte Ende meiner tagträumenden Ausflüge, machte mir klar, wo - wie er so schön sagte - die Musik spielt. So so. Die Musik … vorbei mit dem Träumen! Das schlimmste war noch nicht mal, dass ich ertappt wurde. Viel schlimmer war, dass meine Gedanken - irgendwo draußen auf der Reise - nicht zurückkommen konnten. So als hätte einer das Fenster zugemacht und ein Schild daran befestigt: „Ihr müsst draußen bleiben!“

Es gab Stunden, da wurde die schöne Möglichkeit Wirklichkeit. Die tagträumenden Gedanken kamen ins Klassenzimmer zurück. Leise durch das geöffnete Fenster, hielten sie Ausschau nach mir und sahen meinen Kopf, dessen Kinn auf den beiden Handballen gelegt zur Tafel schaute. - Inzwischen hatte ich mir einen Blick zugelegt, der volle Konzentration bei völliger geistiger Abwesenheit vermitteln sollte. - Da waren sie wieder: Meine Gedanken. Tagträume zurückgekehrt von ihrer Reise und brachten neue Ideen mit. Dinge, die ich noch nie gedacht hatte. Ich bekam, worum ich nicht gebeten hatte.

Irgendwann, ich weiß nicht mehr wann, wo und wie verlor ich dieses kindliche Träumen. Ich war jung, wusste nicht aus noch ein, wurde älter und habe dieses Träumen vergessen. Und heute: Ich wünsche es mir zurück, zu träumen, wie Salomo es konnte.


Träume(r) im Widerspruch

Doch es erhebt sich der aufgeklärte zweifache Widerspruch:

„Träume, das wissen wir seid Freud, sind zu verstehen als eine Äußerung des menschlichen Seelenlebens - mit unbewussten normalen oder krankhaften Anzeichen.“

Wir alle träumen. Gutes und Böses. Ängste und Sorgen. Manche Träume sind hilfreich - gewiss. Andere Träume kehren immer wieder: und wir sind sie leid. Die Träume kommen aus der Tiefe meines Herzens - gewiss. Die inneren Stimmen verbreiten sich im Traum. Unbewusst, nicht in meiner Macht. Ich kann sie nicht verhindern: Träume. Ich wache auf. Schweißgebadet.

Doch von all dem hat Salomo nicht erzählt. Und von Salomos Traum in der Nacht hat Freud nicht gesprochen. Salomo war ein Träumer. Einer, der die vergessene Sprache Gottes zu hören verstand.

Ich höre aber noch den zweiten Einwand:

Salomo war ein weiser Herrscher, gewiss, aber auch ein cleverer Politiker dazu. Erst eine geschickte, politische Heirat mit dem potentiellen Feind, die nebenbei wirtschaftliche Stabilität sicherte. Dann ein nächtlicher Traum von blühenden Landschaften. Für niemanden überprüfbar. Ein bescheidener Politiker, wie man ihn sich wünscht, der doch nichts anderes will als ein gehorsames Herz, Politik fürs Volk machen, Gerechtigkeit in Ost und West.

Er hat Geld in Fülle und in Hülle Ehre. Wollte er ja gar nicht. Das hat halt Gott ihm gegeben. Er hatte darum nicht gebeten. Eine traumhafte Begründung für seine Macht und seinen Reichtum. Ein geschickter politischer Schachzug mit der Selbstverpflichtung, sich an die Gebote Gottes zu halten. Der Traum nur Show?

Salomo, der Träumer. Ein weises Herz, Reichtum und Ehre, ein langes Leben. Das ist die eine Seite. Doch seine Regierungszeit hinterlässt ein zwiespältiges Bild:

Ein Baukönig hier. Eine luxuriös-aufwendige Hofhaltung dort. Die Handelsbilanz war in den schwarzen Zahlen und der Sklavenhandel im vollen Gange. Ein weltoffener und gebildeter Politiker. Er fördert Kunst und Wissenschaft und merkt doch nicht, dass sein Reich anfängt zu zerbröckeln. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer und nach ihm wird das große Reich Israel zerfallen.

Hinterlässt Gott nicht ein zwiespältiges Bild? Reichtum, Ehre, ein langes Leben als Lohn für das gehorsame Befolgen von Geboten?

Das ist ein Thema für ein Gespräch – ein Traumgespräch, das ich mir wünsche.

Wie ich Gott sagen höre: „Bitte, was ich dir geben soll!“
Und ich mich sagen höre: „Antworten! - Du hast an so vielen große Barmherzigkeit getan, die vor dir gewandelt sind in Wahrheit und Gerechtigkeit und mit aufrichtigem Herzen vor dir. Wieso bleiben die Armen arm, die dich lieben Gott? Wo sind die guten Ideen, die überzeugenden Argumente und die heilsame Wirklichkeit gegen den rechten Unrat, den laut gewählten und den stumm gedachten? Ein Gespräch mit dir, Gott, das ist meine Bitte: wie in dieser einen Nacht.“


Eine traumhafte Nacht …

… Es war eine traumhafte Nacht. Er hatte sich vorbereitet. Frisch gewaschen; kein einziger Fleck auf seiner Kleidung. Ein Wohlgeruch umströmte ihn. Er näherte sich dem besonderen Ort - auserwählt für die Begegnung, die er sich erhoffte. Was dann geschah, übertraf alle seine Erwartungen. Manches hatte er sich gewünscht. Aber er wusste auch um seine jugendliche Unerfahrenheit. Manchmal weder ein noch aus.

Es wurde eine traumhafte Nacht. Es kam zu einem traumhaften Gespräch. Im Dunkel der Nacht. Nicht mehr allein sein. Nicht im Traum und nicht im Leben. Gott und Salomo. Ein unsichtbares Band zwischen Bitten und Erfüllen, Gefallen und Erfordern.

Ein Bund - zu Gottes Bedingungen:
Der gibt, worum du nicht gebeten hast.
Fordert: Bitte, was ich dir geben soll.
Dem es gefällt, wenn er gebeten wird.
Ein Gespräch, von anderen nicht gesehen.
Gott und Du - ein Traumgespräch.
Eine einzigartige sprachliche Verbindung.
Träumer sind Gottes geliebte Kinder.

Im Traum, wenn die Selbstbestimmung weniger wird und man sich selbst vergisst. Mit traumwandlerischer Sicherheit findet Gott den Ort, am dem wir ausgeliefert sind. An der Grenze zwischen Wachen und Schlafen, wo wir der Macht unserer Träume verfallen sind. Kräfte geraubt werden können. Es fiebrig heiß und zitternd kalt werden kann. So aufwühlend, dass sich alles dreht - vom Körper bis zum Geist. So anstrengend, dass wir erstarrt sind. Bewegungslos. Müde und matt.

In der Nacht, wo wir darauf angewiesen sind, dass der, der kommt, es gut mit uns meint - träumen: Salomos Traum ein Anfang, neu Träumen zu lernen.


Seinen Gang gehen …

Ein Gespräch am Anfang.
In der Nacht. Zu zweit.
Mehr bekommen als erhofft.
Zukunft ist angelegt.

Träume gehen ihren eigenen Gang.
Traumhafte Nächte bringen neue Ideen mit.
Dinge, die Du noch nie gedacht hast.

Eine vergessene Sprache erbeten von Träumern – im Klassenzimmer und auf dem Thron. Dann - nach dem Traum - wach werden. Die Sonne geht auf. In seinen Wegen wandeln. Sich einen anderen Gang zulegen. Seinen Gang - und:


Ein Festmahl für die Großen …

„Ein Festmahl für die Großen feiern!“
„Nein, Salomo. Nicht nur für die Großen. Für die Kleinen. Alle.“
„Du Träumer!“

Träumer sind Gottes geliebte Kinder.
Träume sind Gottes vergessene Sprache.


Amen.

 

Pfarrer Lars Hillebold
Repetent der Hessischen Stipendiatenanstalt
an der Philipps-Universität Marburg

Schloss 3 - 4
35037 Marburg

Tel. 06421 / 28 - 22489
Anrufe und Besuche bitte Di-Do: 15.00 - 18.00 Uhr.

http://www.uni-marburg.de/stipe/


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