Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Predigtreihe zur christlichen Erziehung, Sommer 2004
„Liebe ohne Grenzen?“ Predigt über Lk 15,11-32
Bianca Weiand
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Jesus erzählt dieses Gleichnis „vom verlorenen Sohn“ als die Pharisäer und Schriftgelehrten sich darüber ereiferten, dass er sich mit „Zöllnern und Sündern“ abgab. Seine Antwort auf diesen Vorwurf ist der Ausspruch: „So sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.“ Und dann erzählt er das Gleichnis, über das wir nun gemeinsam nachdenken wollen.

Das Zusammenleben in einer Familie ist Jesus wohl bekannt: Er weiß, dass da, wo Menschen zusammen unter einem Dach leben nicht jeden Tag Freude und Zufriedenheit herrschen. Es gibt überall auf der Welt Sitten, Gewohnheiten und feste Regeln, die das Miteinander erleichtern.

Tatsache ist, dass sich Eltern ihre Kinder nicht aussuchen können, sondern sie mit all ihren guten und weniger guten Seiten annehmen müssen, so wie sie auch selbst nicht ohne Fehler sind. An vielen Stellen in der Bibel werden uns solche Konflikte und Familienszenen aufgezeigt: Denken wir an Esau, der seinen Erstgeborenensegen durch List und Betrug an seinen Bruder Jakob verliert, an Josef, den Liebling seines alten Vaters, der von seinen eigenen Brüdern für 20 Silberstücke an fahrende Kaufleute verkauft wird. Das alte Testament ist voller Erzählungen über tragische Familienereignisse!

In unserem Gleichnis ruft der Jüngere von zwei Söhnen seinen Vater an und fordert sein Erbteil ein, damit er von zu Hause fortgehen kann. Was mag wohl in diesem Vater vorgegangen sein ? Er musste lange Zeit dem unseligen Treiben seiner Söhne zusehen, da half kein gutes Zureden, kein Vermitteln, kein Schlichten mehr ! Der Vater erfüllt die Forderung des jüngsten Sohnes, teilt das Erbe schon zu seinen Lebzeiten auf und sieht den Jungen in die Welt hinaus ziehen.

Kennen wir das nicht auch ? Kinder, die selbständig sein wollen und doch noch so unerfahren sind ! Wie schwer fällt es uns, loszulassen. Oft denken wir an das 4. Gebot: „Du sollst Vater und Mutter ehren.“ Gilt das nicht mehr – haben wir in der Erziehung versagt ? Aber Gott – unser Vater – hat uns die Freiheit geschenkt, selbst zu entscheiden und unser Leben in die eigenen Hände zu nehmen. So lässt Jesus in seinem Gleichnis den jüngeren Sohn ziehen. Dieser erlebt eine tolle Welt: „Geld regiert die Welt!“ Was kann man sich nicht alles für Geld kaufen ?! Er genießt seine Freiheit, findet Freunde, mit denen er sein Vermögen bei einem genussvollen Lebenswandel durchbringt. Wer sonnt sich nicht gern in Reichtum und Berühmtheit anderer ? Er wird zum Playboy – unserer Regenbogenpresse ist voll von solchen Geschichten ! Ist Jesus nicht modern mit seiner Erzählung – kennen wir das nicht auch alle ?! Aber das dicke Ende kommt rasch: der mutige, aufmüpfige, reiche, bewunderte Fremdling landet in der Gosse: Hungersnot, falsche Freunde, die ihn nicht mehr kennen wollen, das Geld ist aufgebraucht mit Prassen. Aus dem reichen bewunderten jungen Mann wird ein armseliger Bettler, ein Schweinehirt, der nicht einmal das Futter mit den Tieren teilen durfte ! „Hochmut kommt vor dem Fall“, kennen wir das Sprichwort nicht, haben wir es nicht auch schon gesehen oder selbst erlebt ?

Wie lässt Jesus nun sein Gleichnis weitergehen ? Haben der erstgeborene Sohn und der Vater nun Ruhe gefunden ? Das Leben auf dem Anwesen geht weiter – aber warum führt des Vaters Spaziergang abends immer auf den nahen Hügel, wo man die Umgebung so gut einsehen kann? Die Zeit vergeht, aber der Vater findet keine Ruhe. – Denken wir nicht auch oftmals an unserer Kinder in der Ferne? Kennen wir nicht die heimlichen Tränen, die wir nachts in unser Kissen weinen ? Blicken wir nicht betend zum Himmel, hoffend, dass Gott unseren Kindern Einsicht und Schutz geben möge – wo wir nicht mehr helfen können und loslassen müssen, da suchen wir Gottes Beistand und hoffen, dass der Vater im Himmel alles zum Guten wendet - wie der Vater in Jesu Gleichnis: Er sieht den zerlumpten, entkräfteten Mann langsam den Hügel heraufkommen ® ganz anders als er fortgelaufen war – und es jammert ihn. Er rennt ihm entgegen, nimmt ihn in die Arme und küsst ihn: er ist und bleibt sein Sohn. Kaum hört er des Jungen Schuldbekenntnis und Bitte da befiehlt er schon seinen Knechten ein Fest zu richten. Gewand, Ring und Schuhe weisen den Reuigen wieder als Sohn des Vaters aus – vor aller Welt !

Ist nun wieder eitel Friede und Sonnenschein in der Familie ? Nein, Jesus lässt das Gleichnis weitergehen: Der ältere Sohn ist beleidigt, erbost, fühlt sich gekränkt und nicht anerkannt: „Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre.“ Er gönnt seinem Bruder den tiefen Sturz – Recht geschah ihm – wer nicht hören will, muss fühlen !“ Und nun soll ihm alles vergeben und vergessen sein ? Ist das gerecht ihm gegenüber von seinem Vater ? Die Worte: „Du bist allezeit bei mir und alles was mein ist, das ist dein“ sind für den Erstgeborenen nur ein schwacher Trost. Versteht er ihren Sinn ? Der eine Sohn „war fort und ist wieder lebendig geworden“, der andere muss die Liebe, die aus des Vaters Worten spricht, erst noch verstehen und anzunehmen lernen. Er muss sich entscheiden – die Freiheit dazu hat Gott uns allen gegeben – ob er tot oder lebendig, verloren oder wiedergefunden in des Vaters und des Bruders Armen liegen will. Und wofür entscheiden wir uns, wenn wir versagt haben und gesündigt haben gegen den Himmel vor Gott ?

Mokieren wir uns und lästern wir wie die Pharisäer oder gehen wir zu Jesus, wie die Zöllner und Sünder, um auf seine Worte zu hören, und den Sinn seines Gleichnisses zu verstehen ?

Liebe ohne Grenzen ? Kinder bringen Freude. Solange sie klein sind erfreuen wir uns an ihnen besonders, werden sie größer und bekommen ihren eigenen Kopf wird es schwieriger. Dann setzen nicht nur wir Eltern bei der Erziehung unserer Kinder die Grenzen ! Oftmals ist es auch umgekehrt. Sie ziehen Grenzen, stoßen uns fort, nehmen unsere gutgemeinten Ratschläge nicht mehr an, wollen weder hören noch nachgeben. Wir sehen sie den verkehrten Weg einschlagen und können es doch nicht verhindern! Ja, Liebe hat für mich Grenzen und schmerzvoll ist es, das zu erleben. Die Kinder wissen alles besser, wollen ihre Freiheit ohne die Einmischung Erwachsener, höchstens unser Geld ... Wie bei dem Vater im Gleichnis !

Ja, die Erziehung unserer Kinder und Enkel und das Leben mit ihnen ist wahrlich nicht immer leicht. Jesus wusste das – daher auch dieses Gleichnis. Wir selbst sind nicht ohne Fehler und unsere Liebe stößt oft an Grenzen – gewollte oder ungewollte ! Wir selbst setzen uns und anderen Grenzen – solange sie von der Liebe zu Gottes Geboten und der Liebe zu unserem Nächsten bestimmt sind, sind sie nützlich und gut. Uns geben Grenzen Stütze und Halt, auch bei der Erziehung unserer Kinder, sie sind wichtig als Schutz und Garantie für ein Leben in Freiheit und Würde, so wie es Gott für uns Menschen bestimmt hat. Denken wir immer wieder an dieses Gleichnis Jesu: Unser Vater steht wartend vor der Tür seiner Ewigkeit, um uns, wenn wir wollen, in grenzenloser Liebe in seine Arme zu nehmen und hereinzuholen.

Amen

Bianca Weiand, Stade-Wiepenkathen

 


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