Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Lätare, 21. März 2004
Predigt zu Luthers 4. Invokavit-Predigt, verfaßt von Tom Kleffmann

(zum Überblick)


Vorbemerkung:

Die Predigt ist für eine der Göttinger Innenstadtkirchen gedacht. Es gibt dort sowohl ein starkes kulturelles als auch ein starkes soziales Engagement. Es wird mit großem Erfolg für die Finanzierung eines neuen Kirchenfensters von Schreiter gesammelt. Darin liegt eine Aktualität des u.g. zweiten Beispiels.

Über die 4. der Invokavitpredigten allein läßt sich m.E. schlecht reden. Deswegen habe ich den Kontext, d.h. die Predigten 1-3 mit einbezogen.

Die Lutherzitate sind kursiv gesetzt. Am Anfang der Predigt steht keine weitere Anrede.

Predigt:

Was ist evangelische Freiheit? Über diese Frage möchte ich heute predigen. Und als Grundtext dieser Predigt soll mir ausnahmsweise kein bestimmter biblischer Text dienen, sondern wiederum eine Predigt – eine Predigt, die schon einmal gehalten wurde. Genau genommen wurde sie am 12.März 1522 gehalten, also vor 482 Jahren. Es ist die 4. der berühmten Invokavitpredigten Luthers.

Natürlich ist Luther nicht die Bibel – keiner hat das besser gewußt, als Luther selbst. Aber seine Theologie ist so kraftvoll, daß sie bisweilen auch uns noch zur Sprache verhelfen kann. Sie lebt aus dem Ursprung des christlichen Glaubens, leidenschaftlich und klar.

Im Spätwinter 1522 war Luther noch in Schutzhaft auf der Wartburg und übersetzte das Neue Testament. In dieser Zeit kam es in Wittenberg zu gewalttätigen Unruhen. Heiligenbilder wurden von den Altären gerissen und zerstört. Mit der Brechstange wurden unter Führung des Fanatikers Karlstadt Gottesdienstreformen durchgesetzt, die gewohnte Liturgie abgeschafft. Die Partei der kirchlichen Reform war zutiefst gespalten. Es gab einige atemlose Fanatiker und viele, die einfach bodenlos verunsichert waren. Immer gehäßiger wurde der Streit um die Kirche.

In dieser Situation kam der Wunsch auf, Luther möge zurückkehren und für Klarheit sorgen. Und in der Tat sah Luther sich verantwortlich, nicht zuletzt als berufener Pfarrer der Wittenberger Stadtkirche. Obwohl der Kurfürst dagegen war, kehrte Luther am 6.März nach Wittenberg zurück, in eine aufgeheizte, gärende, aggressive Stimmung. Und was tat er? Er predigte, jeden Tag. Er tat nichts, als zu predigen. Und das wirkte. Keine Gewalt! Kein reformatorischer Hochmut. Nur mit dem Wort sind die Menschen zu überzeugen. Nur, was wir zu sagen haben, macht frei. -

Wo liegen Sinn und Grenze evangelischer Liberalität? Was ist evangelische Freiheit?

Beliebigkeit ist es nicht. Es ist nicht die laue Gleichgültigkeit aller Inhalte. Der ohnmächtige Verzicht auf alle Verbindlichkeit des Glaubens – das ist es nicht. Es heißt nicht, daß jeder Esel glauben soll, was ihm gerade einfällt. Wir müssen wissen, was es mit Gott ist, um alles in der Welt. Es hängt doch das Leben dran, der Sinn! „ Wir sind alle zum Tode gefordert, und wird keiner für den Andern sterben, sondern ein jeglicher in eigener Person für sich mit dem Tod kämpfen. [...] Ich werde dann nicht bei dir sein noch du bei mir. Derhalben muß ein jedermann selbst die Hauptstücke, so einen Christen belangen, wohl wissen, dadurch er in diesen ernsten Kampf gerüstet komme. “ Diesen Kampf kämpfen wir doch jetzt schon. Um Klarheit. Um Gewißheit. Da darf es keine Beliebigkeit geben. (Und wenn es sie gibt, leiden wir.) Evangelisch ist hier nur die Freiheit, die aus der Wahrheit kommt. Die Gott schenkt, weil er bei dir ist. 1.Hauptstück: die Unfreiheit kennen. „ daß wir alle Kinder des Zorns sind und alle unsere Werk, gedanken und Sinne sündlich und nichts sind vor Gott .“ Vielleicht ist Gott immer bei uns, und wir wissen es garnicht. Vielleicht ist er in jedem Atemzug, in jeder Schneeflocke, in jedem Lichtstrahl bei uns. Und wir selbst sind schuld, daß wir ihn nicht kennen. Die Spiegelwelt im Kopf. Die Lust, selbst wie Gott zu sein. Die Angst. Der Zweifel des einsamen Menschen in einer gottlosen Welt. Wo ist Gott? Wir sind gefangen in uns selbst. 2.Hauptstück: „ daß uns Gott [...] seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat [...] Wer an ihn glaubt, soll der Sünde frei sein und ein Kind Gottes “. Daß er ein Mensch geworden ist wie wir. Daß er an Jesus uns sein ewiges Leben offenbart hat, und daß wir bestimmt sind, dazuzugehören. Daß unser Glauben nur dies sein kann, daß seine Liebe uns ergreift.

Nur darin werden wir frei. Zerbrochen der Spiegel, in dem wir nur uns und die Welt sehen, wie wir sie uns zurecht machen. Frei von der Angst. Frei zu leben.

Sicher – wir kämpfen um Klarheit. Wir ringen immer wieder darum, es zu verstehen. Die Sprache der Wunder ist uns fremd geworden. Das leere Grab? Der Verstand macht uns oft sprachlos. Die Schwachen versinken in Gleichgültigkeit. Atheismus der Gleichgültigkeit. Einige erstarren in christlichem Fundamentalismus. Die Starken aber leiden an der Sprachlosigkeit und beten um die neue Sprache. Das war zu Luthers Zeit nicht so, diese Sprachlosigkeit. Vielleicht war es so, bevor Luther kam. Aber das ist dann auch evangelische Freiheit: die Erfahrung, daß kein kirchliches Gesetz uns Glauben vorschreiben kann. Kein Papst kann uns vorschreiben, was zu glauben ist. Von Amts wegen Dogmen festlegen – das ist absurd. Niemand kann zum Glauben zwingen, weder andere, noch sich selbst – und wenn, dann wärs ein Selbstbetrug. Das wußte Luther. „ predigen will ichs, sagen will ichs, schreiben will ichs, aber zwingen und dringen mit Gewalt will ich niemand, den der Glaub will willig und ungenötigt sein und ohne Zwang angenommen werden “. Glauben heißt, ergriffen werden. Wollt Gott, wir finden die Predigt, die uns ergreift. Wollt Gott, sein Geist nimmt uns mit.

Vor der Freiheit steht das Eingeständnis der Unfreiheit. Vielleicht sind es nicht mehr die Gesetze, die Gebote, die Normen, die uns gefangen halten, und an denen wir verzweifeln. Das ist anders als zur Zeit Luthers. Ob es besser ist? Ich weiß es nicht. Fest steht: Wie ehedem sind wir gefangen in uns selbst, immer wieder. Wir sind gefangen im Gewebe der Lebenslügen, die die Angst verdrängen, immer wieder. ‚All unsere Werke und Gedanken sind nichts vor Gott.‘ Frei aber bin ich, wenn ich weiß, daß Gott Mensch wurde und ich deswegen zu ihm gehöre. Wenn ich weiß, daß diese Welt kein sinnloser Zufall ist, sondern daß Gott die Welt liebt, die er schuf. Daß er gekommen ist. Wo ist Gott? Gott ist überall. Gott ist die Liebe. Gott ist der Grund. Gott ist die Zukunft. Er ist gekommen. Dann habe ich vor nichts in der Welt Angst. Nichts kann mich zwingen, kein Mensch und keine Macht. Keine Lebensform, kein Moralgesetz, keine Meinung der Anderen kann mich innerlich verpflichten. Mein Grund steht tiefer. Ich bin frei, offen für ein neues Leben, das jetzt erst beginnt.

Aber für welches Leben? Das war die Frage in Wittenberg im Jahr 1522. -

Eure Freiheit ist lieblos, sagt Luther. Gut, vielleicht seid ihr frei. Vielleicht seit ihr so frei, daß alle bloße Tradition, alle äußere, kirchliche Form für euch unwichtig geworden sind. Aber diese Freiheit kann doch nicht leer sein. Wenn es wirklich Gott ist, der euch befreit, dann seit ihr zur Liebe befreit. Das ist doch die Freiheit: daß die Liebe Gottes, die stärker ist als der Tod, in euch ist. So ist es doch? Was also sollen eure Feindbilder? Was soll dieser Hochmut gegenüber den Unfreien? Unser nächster Feind, „ der uns am aller schädlichsten ist “, sind immer noch wir selbst, sagt Luther. Schau in den Spiegel. Das Ich, das allein bleibt, ist der Tod. Und wenn du nicht zur Liebe befreit bist, dann wirds mit deiner Freiheit überhaupt nicht weit her sein. Dann ist deine evangelische Freiheit ein schöner Schein. Der Teufel „ will auch gerne schöne sein, wenn er auf die Kirchmesse geladen wird. “

Zwei Beispiele, schon bei Luther aktuell: Das eine: Kirchenreform. Vielleicht sind wir ja frei von dem ganzen Plunder: Talar, Bäffchen, Kanzel. Wir können doch auch so sagen, was not tut. Vielleicht brauchen wir ja auch die alte Liturgie nicht, die Formen, sie sowieso so vielen fremd sind, die alten Lieder, die alten Bilder, die alten Mauern. – Stimmt. Am Ende wird's darauf wohl nicht ankommen. Gott kennen, überall. Gottesliebe. Das ist entscheidend. Daß er für uns da ist. Aber: die alten Formen, die alten Lieder, die alten Mauern – ist das nicht auch Gestalt gewordene Liebe? Sind das nicht die Formen der Gemeinschaft, zu der wir gehören? Gehören sie nicht zur Sprache, in der wir leben? Und wenn du das schon nicht so empfindest, wenn du das alles nicht brauchst, dann hüte dich wenigstens vor dem Hochmut gegenüber denen, die nicht so frei sind. - Brauchen wir mehr Mut, die Dinge zu ändern? Oder brauchen wir mehr Rücksicht auf die Tradition und die, denen sie gut tut? Was meinen sie? Evangelische Freiheit.

Das zweite Beispiel: der Streit zwischen Kirchenkultur und sozialer Aufgabe. Was ist mit den Bildern? Ist es nicht besser, einer, der in der Kirche Bilder stiften will, „ gebe je lieber einem armen Menschen ein Gulden oder zweene denn daß er fünfzig, sechzig, hundert Gulden und noch mehr auf ein unnütz Ding wende “? Das gab „ Rumor und Aufruhr “ in Wittenberg, Bildersturm, Brandgeruch – was heute in Göttingen gottlob nicht zu befürchten ist. Der Grund für den Aufruhr war aber nicht einfach nur der Widerspruch, goldene Bilder in die Kirche zu stellen, während draußen echter Hunger herrscht. Luther sah tiefer. Der eigentlich entscheidende Punkt war der „ Mißbrauch “ der Bilder, d.h. die Meinung des Stifters, „ er tue Gott einen Dienst und Wohlgefallen dran und habe ein gut Werk getan, damit er etwas von Gott wolle verdienen, welches denn rechte Abgötterei ist “. Ich weiß nicht, ob es das heute noch gibt: daß jemand für Kirchenkunst spendet, um Gott näher zu sein. Um ein Opfer zu bringen, das Gott belohnt. Um das Heilige ins eigene Werk zu bannen. Das wäre wirklich Mißbrauch. Das muß klar sein. Erst wenn das klar ist, kann die Entscheidung in evangelischer Freiheit getroffen werden. Dann aber gilt mit Luther: Macht kein neues Gesetz aus der Frage. Wenn etwas mißbraucht wird, ist es deswegen nicht selbst schlecht. „ Der Wein und die Weiber bringen manchen in Jammer und Herzeleid, machen viel zu Narren und wahnsinnige Leute, wollen wir drumb den Wein wegschütten und die Weiber umbringen? “ Wohl nicht.

Und was die Bilder angeht: Auch Kunst gehört zur Sprache der Wahrheit und der Liebe. In der Kirche gehört sie uns allen. Die Kirche ist doch unser gemeinsames Haus. (Deswegen freue ich mich auch über jede Spende, die für unser neues Fenster eingeht.)

Kurz: in evangelischer Freiheit und Menschenliebe kannst du enscheiden: Sozialsack oder Kulturbeutel. Mach kein neues Gesetz draus. - - -

Es ist gut, daß wir evangelisch sind. Es ist gut, daß wir frei sind. Was ist evangelische Freiheit? Beliebigkeit ist es nicht. Frei sind wir nur, wenn der Tod und die Angst besiegt sind. Frei sind wir nur, wenn die Wahrheit die Lüge besiegt. Frei sind wir nur, wenn unser Leben gerechtfertigt ist. Frei sind wir nur, wenn wir frei zur Liebe sind.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

PD Dr. Tom Kleffmann, Göttingen
tom.kleffmann@theologie.uni-goettingen.de


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