Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Reminiszere, 7. März 2004
Predigt zu Luthers 2. Invokavit-Predigt, verfaßt von Esko Ryökäs (Finnland)

(zum Überblick)


Richtige und falsche Liebe

1.  Im Vorjahr 1522 war Luther im Wartburger Schloss. In Wittenberg setzten die Anhänger der Reformation die Erneuerungen fort. Luther hörte, dass man mit Zwang die Reformen durchgeführt hatte. Es waren vielerlei Unruhen entstanden. Obwohl man Luther zu töten drohte, kehrte er im Mai nach Wittenberg zurück. Er hielt acht Predigten, mit denen er die Richtung der Veränderungen beeinflussen konnte. Viele Erneuerungen wurden zurückgenommen. Mit der Zeit wurden viele von den abgesagten Erneuerungen realisiert, aber mit friedlichen Mitteln. Was hat Luther gesagt?

Die Botschaft von Luther war einfach. Er machte einen Unterschied zwischen Glauben und Liebe. Es war eine Sache zu wissen, was der richtige Glauben bedeutet und eine andere Sache, diesen Glauben zu erreichen. Das bloße Wissen reicht nicht aus. Die Erreichung des wahren Glaubens setzt Liebe voraus. Als Fürsprecher der Liebe veränderte Luther auch in dieser Sache die Richtung der Geschichte.

Ein Beispiel davon sind die Predigten von Luther gegen die privaten Messen (Winkelmesse und Sonderliche Messe). Diese Messen hatten sich dahingehend verändert, dass dort die Gunst Gottes zu erwerben versucht wurde. Der Mensch versuchte durch seine eigenen Taten Gott tauglich zu sein. Er versuchte selbst und allein in die Richtung Gottes zu steigen.

Nach Luther war dieses nicht richtig. Wenn der Mensch selbst Gott zu lieben versuchte, hatte er falsche, egoistische Liebe. Wenn der Mensch selbst Gott tauglich zu sein versuchte, war sein Herz in sich geschlossen. Der Mensch suchte seinen eigenen Vorteil.

Die richtige Weise, sich Gott zu nähern, war das Zuhören seines Wortes. Gott wirkt im Menschen durch sein Wort. Dabei verändert sich das menschliche Herz und darin kommt andersartige Liebe. Der Mensch kann nicht selbst die göttliche Liebe hervorbringen. Diese Liebe kommt allein von Gott, die uneigennützige Liebe, Gott nur wegen Seiner selbst zu lieben, nicht wegen des menschlichen Vorteils. Dann ist das Herz des Menschen bei Gott, Gott hat den ganzen Menschen gewonnen.

2. Die Gedanken Luthers vom wahren Inhalt des Glaubens haben großen Einfluss auf das gesamte Luthertum gehabt. Das Luthertum ist die christliche Religion von Wort und Lehre. Die neue Luther-Forschung hat bewiesen, dass im Luthertum das Wort und die Lehre in verschiedenen Phasen der Geschichte oft einseitig verstanden wurden. Das, was für Luther eine fröhliche Sache war, veränderte sich zuweilen zu Befehlen. Man ist gezwungen und verpflichtet seinen Nächsten zu lieben.

In seiner Predigt stellte Luther fest, dass das Gesetz als Diener des Teufels tätig sein konnte. Der Gedanke ist gut, aber ein Gesetz hat sich jedoch nicht realisiert. „Ein Gesetz macht je bald zwei, zwei machen drei und so fort an, das zuletzt der Gesetze kein Ende werden würde“, betont Luther. So wird das Gesetz zum Herrscher und die Liebe bleibt irgendwo im Hintergrund.

Liebestaten entstehen nicht so aus der Lehre, dass der Mensch entscheidet, nur Gutes zu tun. Man braucht etwas anderes. Luther spricht von der Lehre, die das Herz erobert hat. Wenn das Herz erobert wurde, kommt der ganze Mensch nach.

3.  Dieses beleuchtet ein Beispiel aus unserer jüngsten Geschichte. Im Jahr 1961 wurde die Berliner Mauer errichtet. Damit wurde verhindert, dass die Menschen nicht aus dem östlichen Sektor zum westlichen gehen konnten. Machte die Mauer die Menschen im Ost-Berlin zufrieden? War die Mauer eine Lösung zum Glück? Wir bekamen die deutliche Antwort am 9.1.1.1989: die Mauer wurde mit Eifer abgebaut. 30 Jahre reichten nicht aus, die Stadtteile von einander zu trennen.

Es ginge natürlich um viele Sachen, aber eins ist klar: „Wenn du das Herze hast, so hastu ihn nun gewonnen“, wie M. Luther am 10.3.1522 äußerte. Mit Zwang erreicht man das Herz nicht.

4.  Wenn das Herz voller Liebe ist, gibt es dem ganzen Leben sein Gepräge. Ich sah einmal, als ein Kind verschwunden war. Man hatte es zuletzt in Richtung des Teiches gehen sehen. Nun konnte man das Kind nirgendwo finden. Die Mutter rief und suchte sie. Sie lief umher. Sie bat alle Leute, die sie sah, mit ihr das Kind zu suchen. Sie hatte Angst. All zu viele Kinder sind im Wasser ertrunken. Sie war voller Angst. Sie bemerkte ihre Müdigkeit nicht. Das Kind wurde gesucht und gesucht. Endlich erschien das Kind, es war leise nach Hause gegangen und sich unter dem Tisch versteckt. Das Spiel hatte ihr gefallen, aber der Mutter überhaupt nicht. Trotzdem war die Mutter glücklich, als ihr Kind gesund aufgefunden wurde.

Die Liebe sucht. Ein Kind kann man nicht einsperren. Es hat das Recht, seine eigene Welt zu suchen. Der Zwang hilft hier nicht. Aber man muss die Grenzen setzen. Oft sucht das Kind seine eigenen Grenzen. Aber sogar dann trägt die Liebe der Mutter ihm weiter. Das Kind ist immer ein eigenes. Für sein eigenes Kind hofft man das Beste.

So handelte auch Gott. Er zwingt nicht, er befehlt nicht. Er lässt den Menschen in aller Ruhe suchen. Er wirkt auf das Herz des Menschen. Wenn der Mensch das Wort Gottes hört, bewirkt Gott den Glauben in seinem Herzen. „Wann und wo er wil nach seinem Göttlichen Erkentnis und Wolgefallen“, wie Luther predigte. Wenn das Herz des Menschen an Gott wendet, wendet sich der ganze Mensch. Die Liebe zieht den Menschen zu Gott, nicht der Zwang.

5.  Diese Liebe des Herzens äußert sich in Taten. Denken wir nur an ein Kind, das ein Puppenhaus errichtet. Er oder sie ordnet sorgfältig die Möbel darin. In Wohnzimmer kommt das Sofa, in Küche der Tisch und die Stühle, in Schlafzimmer das Bett. Die Mutter arbeitet in der Küche. Die Kinder schlafen im Schlafzimmer. Alles hat seine Ordnung. Vom allen kann man sehen, dass die Sachen mit großer Liebe geordnet wurden. Die Gedanken des Kindes kann man daran ablesen, was es tut.

Man kann das Kind zwingen, mit einem Puppenhaus zu spielen, und das Kind spielt ja auch. Aber dann sind die Möbel nicht in so schöner Ordnung und die Puppen hübsch auf ihren Plätzen. Ab und zu sieht man solche Puppenhäuser, wo man sehen kann, dass das Kind sich nicht wohl fühlt. Man kann es aus dem Inneren des Hauses sehen. So wie man die Taten, die aus Liebe gemacht werden, nicht verstecken kann, so sieht man auch die fehlende Liebe in den Taten.

Die Liebe und Taten gehören zusammen. Aber die Taten entstehen nicht aus dem Zwang. Die Taten entstehen aus dem Herzen. In seiner Predigt vom 10.3.1522 sprach Luther gegen Taten, die Streit und Schlägereien verursachten. Er wollte nur das Wort anwenden und es wirken lassen. Er war davon überzeugt, dass Gottes Wort wirkt. Deswegen hat er nicht anderes getan als gepredigt. Und er hat selbst bemerkt, dass das Wort wirkte: „Das [Wort] hat, wenn ich geschlafen hab, wenn ich wittenbergisch Bier mit meinem Philipo und Amsdorff getrunken hab, also vi[e]l gethan, dass das Papstum also schwach worden ist, das ich noch nie kein Fürst noch Keyser so vi[e]l abgebrochen hat.“

6.  Was kann der Mensch nun tun? Nur darauf warten, dass im Inneren etwas knackt und er gute Taten zu verrichten beginnt? Nicht so, sondern ganz anders. Ich gebe ein Beispiel.

Matthias war sechs Jahre alt. Er hatte in seinem Zahn ein großes Loch. Er hatte große Angst den Zahnarzt zu besuchen. Man konnte ihn kaum anziehen. Die Mutter berichtete ihm immer wieder, was beim Zahnarzt passiert. Sie erzählte auch, dass Matthias Betäubungsmittel bekommt und dass das Füllen gar nicht weh tut. Matthias hatte immer noch Angst, aber ließ sich anziehen. So kam man ins Sprechzimmer.

Als Matthias den hohen Stuhl des Arztes und seine weiße Kleidung sah, bekam er wieder große Angst. So musste die Mutter nochmals erklären, dass der Arzt zuerst eine Untersuchung macht und wenn nötig, macht er eine Füllung, und dass es gar nicht weh tut. So setzte Matthias sich in den Stuhl. Der Stuhl summte, stieg hoch und die Lehne wendete sich. Es war lustig.

Der Arzt untersuchte die Zähne und sagte, dass ein Milchzahn gezogen werden musste. Nun war Matthias wirklich voller Angst. Das Füllen klang böse, aber Ziehen noch böser. Matthias biss sofort seine Zähne zusammen. Er wollte weinen und seine Mutter umarmen. Die Mutter nahm seine Hand in ihre und erzählte, dass auch das Ziehen nicht weh tut, weil die Betäubung auch darin hilft. Die Mutter musste das mehrmals wiederholen. Auch der Arzt wurde gefragt und er bestätigte, was die Mutter gesagt hatte. Es tut nicht weh, wenn Matthias das Betäubungsmittel bekommt. Aber wenn er sich wehrt, muss der Arzt den Zahn mit Zwang ziehen und es tut dann weh.

Nach einem langen Gespräch fasste Matthias Mut und saß ordentlich im Stuhl und öffnete seinen Mund. Der Arzt betäubte den Zahn und auf einmal war der Milchzahn weg. Matthias bekam noch die Anweisung, erst in vier Stunden wieder zu essen, und dann war alles vorbei.

Die Mutter fragte Matthias: „Tat es weh, als der Zahn weggezogen wurde?“ Und Matthias antwortete: „Nein, nicht nach der Betäubung, danach fühlte ich nichts, da blieb nur noch ein Loch.“

Matthias hatte Angst gehabt. Er hätte sein Leben von Angst leiten lassen. Wenn der Arzt den Zahn mit Zwang gezogen hätte, hätte er sich noch mehr gefürchtet. Es hätte auch sicherlich weh getan. Matthias hatte aber zugehört, was ihm gesagt wurde. Er vertraute in seinem Herzen, dass die Mutter und der Arzt wussten, was sie sagten. So entschloss er sich, mutig zu sein. Er widersetzte sich nicht mehr. Er hatte Mut zu vertrauen, was ihm gesagt wurde.

Das Warten auf gute Taten ist kein untätiger Zustand, an sich ist es gar kein Warten. Gute Taten beginnen mit dem Vertrauen auf Gott, mit dem Vertrauen, dass Er seinen Sohn in die Welt geschickt hat, dass Er mit den Menschen sein will, dass Er sie leiten will. Wenn man darauf vertraut, kann man ruhig machen, was man für den Nächsten für wichtig hält.

7.  Luther ermutigte am 10.3.1522 zu predigen und zu warten, dass Gott durch sein Wort wirkt. Darin haben auch wir einen guten Schutz. Wenn Gott wirkt, kann es kein Mensch, kein Staat, keine Ordnung verhindern. Gott wirkt in den Herzen, und wer ein Herz hat, der hat den ganzen Menschen. Und wenn das Herz vertraut, wagt man andere Menschen zu lieben.

Dr. Esko Ryökäs
Universität zu Joensuu, Finnland
ryokas@joyx.joensuu.fi


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