Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 14. November 2004
Predigt über
Markus 12, 38-44, verfaßt von Kirsten Jørgensen (Dänemark)
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(Markus 12,38-44: dänische Perikopenordnung)

Neulich wurde eine Meinungsumfrage über den Glauben der Dänen veröffentlicht. Sie stellte fest, daß recht viele von uns Schwierigkeiten haben, sich selbst als Gläubige zu verstehen. Die Untersuchung wurde einer entsprechenden Untersuchung von vor einigen Jahren gegenübergestellt, die zu einem ganz anderem Ergebnis kam.

Man kann sicher viele Schlußfolgerungen aus dieser Untersuchung ziehen, und ich möchte die Ergebnisse auch nicht bezweifeln, dazu kenne ich die Untersuchung zu wenig. Für uns hier aber ist interessant und relevant, daß diese Untersuchung widerspiegelt, wie schwer es uns fällt, das zum Ausdruck zu bringen, was wir glauben.

Wie kann man den Glauben beschreiben? Das ist eine sehr schwierige Frage. Können wir ihn selbst wahrnehmen? Können wir fühlen, daß wir ihn haben? Drückt er sich in bestimmten Handlungen aus? Wann wissen wir, ob wir glauben, und wie wird uns klar, daß wir das Richtige glauben? Können wir anderen ansehen, ob sie glauben?

Es ist nicht so einfach, alle diese sehr einfachen Fragen zu beantworten. Das sind Fragen, die du kennst, das sind sicher deine und meine Fragen. Das sind deine Fragen als Kind gewesen, als du herausfinden solltest, was Glaube ist. Als du herausfinden solltest, warum dich deine Eltern taufen und Christ werden ließen. Das sind seit dem deine Fragen gewesen, wenn du über das wunderbare und unverständliche Leben nachdachtest. Wenn die Freude in deinem Leben auftauchte oder der Schmerz dich in die Knie zwang.

Du hast darüber nachgedacht, als du deine Liebe fandst, als Ihr Kinder bekamt. Was ist die Grundlage für dieses Leben der Kleinsten? Du wirst sicher immer wieder fragen, auch wenn du einmal sterben wirst, denn der Glaube ist nicht nur etwas, von dem wir leben können, in ihm können wir auch sterben, denn der Tod ist auch unverständlich und unerklärlich.

Man kann diese vielen Fragen, die ich gestellt habe, in zwei Fragen zusammenfassen: Hat der Glaube nur eine Innenseite, oder hat er auch eine Außenseite? Daraus ergibt sich dann die Frage: Wie kann man die Außenseite des Glaubens wahrnehmen?

Wir können diese Fragen an unseren heutigen Predigttext aus dem Markusevangelium stellen. Jesus verhält sich zu diesen Fragen mit den beiden Beispielen, die er heranzieht. Wie immer sind sie dem Alltag entnommen, wir brauchen sie nicht umzuformulieren, um zu sehen, daß diese Beispiele auch unserem Leben entnommen sind.

Die Schriftgelehrten verhalten sich so, daß niemand daran zweifelt, daß sie glauben. Jesus schildert sie so, daß deutlich wird: Was sie unter Glaube verstehen, ist etwas ganz anderes als das, was sie vorgeben. Sie verhalten sich nicht zu dem Gesetz (des Mose), das die Grundlage für einen Juden ist und auf das sich gerade ein Schriftgelehrter verstehen sollte. Sie verhalten sich zu sich selbst. Sie glauben, daß sie etwas sind, weil sie glauben. Sie meinen, der Glaube gebe ihnen eine andere Position im Dasein. Wir können aber Jesus so verstehen, daß der Glaube eine Veränderung im Leben gibt, nicht aber eine Position, die die Gesellschaft einem Menschen geben kann.

Jesus stellt das Verhalten der Schriftgelehrter dem einer armen Witwe entgegen. Glaubt sie an etwas? Das kann man nicht an ihrem Verhalten sehen, sie drängt sich nicht auf. Aber sie handelt, und an ihrem Tun können wir sehen, daß sie sich von den anderen unterscheidet, weil sie nichts zu geben hat, und doch gibt sie etwas in den Tempelblock.

Sie ist ein Beispiel für einen Glauben, der sich selbst gibt und nicht an sich selbst festhält. Sie hat nichts anderes zu geben als sich selbst und ihre Armut - und das gibt sie auch. Und eben das ist das, was Glaube ist.

Man könnte nun den Schluß ziehen, daß die Schriftgelehrten nicht glauben, deshalb prahlen sie und stellen sich in Positur. Die Witwe glaubt, und deshalb gibt sie alles, was sie hat.

Aber wir wollen etwas weiter darüber nachdenken. Denn Glaube hat eine innere und eine äußere Seite. Die Witwe vereint beide, es sieht so aus, daß die Schriftgelehrten, so wie Jesus sie sieht, diese beiden Seiten nicht vereinen können.

Aber was glauben sie, die Witwe und die Schriftgelehrten? Glaube ist doch wohl nicht ein Glaube an irgendetwas? Sicherlich nicht. Natürlich hat Glaube mit einer Annahme zu tun. Der Glaube hält etwas für wahr. Hier entsteht eine Schwierigkeit, die nicht neu ist, sie ist für uns nicht größer als sie in der Zeit Jesu war. Sie ist genau dieselbe, auch damals gab es viele andere Religionen und Glaubensformen, die sich anboten.

Die Frage ist also, was wir für wahr halten, worum es in unserem Glauben geht. Der Glaube handelt von dem, was unser Glaubensbekenntnis in drei Artikeln zusammenfaßt. Wir glauben an Gott den Vater, an Jesus Christus und an den Heiligen Geist. Das ist die Grundlage, auf die wir getauft sind, aber dazu ist mehr zu sagen. Denn selbst wenn es gedrängt sich nur um wenige Sätze handelt, ist das so voll von Inhalt, daß wir in Wirklichkeit niemals damit fertig werden, es zu deuten und auszulegen.

Aber wir können einige Schlüsse ziehen. Wir glauben daran, daß die Welt geschaffen ist, das bedeutet, sie hat einen Sinn. Dieser Sinn verbindet sich mit dem Menschsein, ein kleiner Mensch zu sein. Der Sinn, der im Univers vor und nach uns ist, denn sollen wir durch unser Leben ausdrücken. Hier hat er eine innere und eine äußere Seite. Wir glauben nicht an einen Zufall, sondern an das Allumfassende und Unfaßbare, das wir nicht anders benennen können als durch den Namen Gott. Dieser Gott, könnten wir auch sagen, ist Liebe. Denn die Liebe gibt ihren Gegenstand niemals auf. Sie hält an ihm fest. Und die Liebe wird alles tun für den, den sie liebt. Sie will auf Händen tragen, sie will vergeben, sie will schimpfen, zurechtweisen, sie will sich selber opfern.

Deshalb glauben wir auch an Jesus Christus, den das ist Gott und die Liebe in einer menschlichen Gestalt. Hier zeigt sich sowohl der zurechtweisende Gott, der Gott, der alles tragen will, der Gott, der alles opfern will für den Geliebten. Er verhielt sich in Wirklichkeit so wie die Witwe im heutigen Evangelium. Er hatte nichts anderes zu geben als sich selbst, das tat er, und er prahlte nicht damit, blies sich nicht auf. Im Gegenteil, er vermied alle die äußeren Umstände, die das Eigentliche und Wesentliche verdecken könnten, daß nämlich etwas gegeben wird, und nicht die Frage, wer es gibt.

Wir glauben auch an den Heiligen Geist. Der gehört zum Inhalt der beiden anderen Artikel, daß wir daran glauben, daß das Leben einen Sinn hat, daß es ein Geschenk ist, und daß wir daran glauben, daß das Leben von dem menschgewordenen Gott getragen ist. Wir glauben daran, daß dies eine Wirklichkeit und Wahrheit auch für uns ist. Wir glauben daran, daß sie auch für uns gegenwärtig ist, hier Ende des jahres 2004. Wir glauben daran, daß wir nicht atmen können ohne den Atem Gottes. Wir glauben daran, daß unsere Worte nichts sinnvolles sagen können, wenn nicht Gott in diesen Worten zu Worte kommt.

All dies sind ja mehr oder weniger Worte und Begriffe. Was hat das mit dem leben zu tun. Welche Bilder und poetischen Ausdrücke gibt das meinem Alltag? Wovon kann ich dort leben? Ist der eine Alltag nicht genauso gut wie der andere?

Was wir in Zusammenfassungen und Bekenntnissen ausdrücken können, ist natürlich viel größer als die Wirklichkeit. Das läßt sich in langen Erörterungen erklären und entfalten. Aber das alles entscheidende ist, daß es sich auch im Alltag wiederfindet.

Wir fragen nach dem Sinn des Lebens, aber schon während wir fragen, leben wir aus einem Sinn heraus. Wir haben einen Sinn des Lebens bekommen, der vor uns da ist, ehe wir diese Frage stellen können. Er ist da im engen Verhältnis zum anderen Menschen und zu der Natur, die uns umgibt. Der Sinn ist im Respekt und in der Abhängigkeit. Der Sinn ist im Umgang mit einander und in dem Erlebnis, daß das Leben unantastbar ist. Warum? Weil wir es nicht geschaffen haben, weil wir uns das Leben nicht selbst geben können, sondern uns nur selbst das Leben nehmen können. Wir haben das Leben nicht in unserer allumfassenden Macht, wir haben nämlich keine allumfassende Macht.

Wir erleben auch, daß das Leben miteinander zerbricht. Wir verlieren Menschen, die wir lieben. Menschen, mit denen wir gerne Freundschaft bewahrt hätten, verraten oder verlassen wir. Sie kehren uns den Rücken. Oder wir werden selbst verlassen. Aus vielen Gründen kann das Leben für uns in gewissen Situationen unerträglich werden. Wie ging es wohl der Witwe, von der wir heute gehört haben? Wenn sie arm war, so sicher deshalb, weil sie niemanden hatte, der für sie sorgte. Da waren keine Söhne und Töchtern, die sich ihrer annehmen konnten. Sie war sich selbst überlassen. Dennoch wußte sie, daß ihr all das Wenige, was sie gegeben hatte, geschenkt war. Sie wußte, daß sie sich selbst nichts zu verdanken hatte.

Die Schriftgelehrten hatten sich selbst auch nichts zu verdanken, denn alles, was sie waren, war ihnen auch gegeben. Aber daran glaubten sie nicht. Sie glaubten, sie hätten sich all das selbst zu verdanken. Sie glaubten sie sein ihres eigenen Glückes Schmied. Das aber ist niemand, denn keiner ist Herr über sein eigenes Leben.

Das Erträgliche und das Unerträgliche wird von anderen getragen als uns selbst. Es ist getragen von dem, der zu uns als Mensch kommt. Er ist in dem Menschen, der zu dir kommt, dir helfen will, dich lieben will, sich deiner annehmen will.

Dieser Mensch redet, dieser Mensch ist gegenwärtig, dieser Mensch gebraucht Worte, die eine neue Welt für dich schaffen. das ist der Heilige Geist, der Atem Gottes, der die nahe ist. Du siehst es nicht, aber du merkst es, ohne darüber nachzudenken.

Daran glauben wir, und es ist uns wichtig, weil wir beide Seiten in uns haben, die Witwe und die Schriftgelehrten. Wir glauben an uns selbst, glauben, daß es immer darum geht, sichtbar zu sein und sich selbst in Szene zu setzen. Die Zeit legt das nahe. Aber dann schwimm gegen den Strom. Versuche, dich unsichtbar zu machen, anderen zu helfen, ohne daß sie notwendigerweise sehen, daß du es bist. Versuche alles zu geben, was du hast, d.h. nicht deinen Reichtum, sondern deine Armut, dich selbst.

Der christliche Glaube ist nicht ein Glaube an irgendetwas. Er hat eine innere und äußere Seite. Er hat eine Geschichte, das heißt, er lebt nur unter Menschen. Glauben heißt opfern, leiden, geben - Glaube heißt das Unfaßbare, das Leben, Vergebung und Liebe empfangen.

Kann man das messen? Ich weiß es nicht. Aber man muß mich entschuldigen, ich bin nicht ohne Sorge darüber, daß es Leute gibt, die nicht ordentlich Bescheid wissen, was christlicher Glaube ist. Es ist unsere Aufgabe, jeder für sich hier dazu beizutragen, daß Mythen und Vorurteile darüber, was christlicher Glaube ist, durch Aufklärung und einsicht ersetzt werden. Das bleibt immer eine Aufgabe. Aber es bleibt auch immer so, daß man Glauben nicht messen kann. Das ficht mich ehrlich gesagt auch nicht an. Für mich ist wichtig, daß wir uns hier versammeln können, um die Botschaft von Gott zu hören als Schöpfer, als der Sohn, der sich selbst hingab für us, und als Heiliger Geist, der die Gegenwart Gottes bei uns ist, auch wenn wir ihn nicht sehen können. Ja, wir können hören, daß dies bedeutet, daß das Leben ein Geschenk ist, daß wir trotz aller unserer Fehler und Mängel Menschen sind, die Gott liebt und zu denen er steht, und daß er uns den Glauben geschenkt hat durch Christus, der uns aus Sünde und Tod erlöst.

Wir können erleichtert nach Hause gehen, wir haben nichts, dessen wir uns rühmen könnten, aber freue dich, denn alles ist dir gegeben. Alles ist neu, und du kannst nach Hause gehen und alles neu machen für, die dir nahe kommen, indem du aus deiner Armut gibst, mit deinem Reichtum richtest du nichts aus. Amen.

Pfarrerin Kirsten Jørgensen
Præstegade 2
DK-5300 Kerteminde
Tel.: ++ 45 - 65 32 13 20
e-mail: kjoe@km.dk


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