Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 7. November 2004
Predigt über
Römer 14, 7-9, verfaßt von Dorothea Zager
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.
Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.
Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, da ss er ü ber Tote und Lebende Herr sei."

Liebe Gemeinde,
schmerzliche Erinnerungen wecken diese Worte in den meisten von uns: dunkel gekleidete Menschen, Kränze und Blumen, getragene Musik und ein offenes Grab. Und dann die Stimme des Seelsorgers/der Seelsorgerin: „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“ – Das sind uns wohl bekannte Worte. Wie oft haben wir sie schon gehört, als selbst von der Trauer Betroffene, oder als solche, die andere auf den Friedhof begleitet haben. Das sind so bekannte Worte, die wir oft schon gehört haben, die uns aber immer noch so rätselhaft erscheinen. Sind das Worte des Trostes? Kann man an einer solchen Vorstellung Halt und Hoffnung finden – im Tod und im Leben dem Herrn zu gehören? Was soll an dieser Vorstellung tröstlich sein?

I. Zweierlei Sprachlosigkeit

Zunächst stehen uns ja zwei Dinge entscheidend im Wege: Wir sprechen nicht gern über den Tod. Und wir sprechen nicht gerne über den Glauben. Beides ist uns unangenehm.

Um den Tod machen wir am liebsten einen großen Bogen. Schlimm genug, wenn der Tod anderer einen Schatten auf unser Leben wirft. Kaum ein Mensch überspringt morgens beim Zeitunglesen die Seite mit den Todesanzeigen. Es erschüttert uns, wenn wir lesen, dass ein junger Mensch gestorben ist. Es berührt uns, wenn wir lesen, dass ein Mensch aus unserem eigenen Jahrgang gestorben ist, oder ein Klassenkamerad oder ein Nachbar. Viele Namen aber sind uns unbekannt, und wir schließen die Zeitung mit einem leichten Seufzen: Gott sei Dank – ich lebe noch! Möge es noch eine Weile so bleiben ... und schon sind wir wieder zurück im Alltag, in der Arbeit, unter den Lebenden.

Mag sein, dass wir auch einmal eine Trauerkarte schreiben oder kondolieren müssen bei einer Bestattung. Es fällt uns schwer, dann die richtigen Worte zu finden. Weil wir selber sprachlos sind. Ja, wir können unser Beileid ausdrücken – unser Mitgefühl. Aber Trost? Wie kleidet man den in Worte? Was macht uns stark, wenn der Tod kommt?

Dieses unangenehme Gefühl bei den Todesanzeigen oder diese Not, die richtigen Worte zu finden, haben einen einfachen Grund: Wir selbst sind uns nicht sicher, ob es nach dem Tod wirklich weitergeht – und wenn ja, wie! Und darüber auch noch reden mögen wir schon gar nicht.

Damit bin ich bei unserem zweiten Problem: Wir sprechen nicht gerne über unseren Glauben. Es ist merkwürdig: Wir können miteinander über fast alles sprechen – ja, sogar über intimste Dinge sprechen wir uns aus unter Freunden, unter Nachbarn vielleicht, als Ehepaar oder als Familie. Finanzielles, Medizinisches, Erotisches – ohne Scheu teilen wir uns Einzelheiten mit und lassen andere teilhaben an unseren Freuden und Sorgen. Aber über Glaubensdinge? Darüber reden wir lieber nicht. Einerseits – geben wir es zu – weil es uns nicht ganz so wichtig ist wie anderes, und vor allen Dingen weil wir uns schämen. Oder würden Sie einem Reporter von „brisant“ auf offener Straße Auskunft geben wollen, ob Sie abends im Bett beten, mit Ihrem Ehepartner zusammen die Bibel lesen, ihre Kinder in den Kindergottesdienst schicken oder an die Wirkung des Heiligen Geistes glauben? Es würde uns unangenehm berühren, darüber Auskunft geben zu müssen. Mein Glaube ist meine Privatsache. Eingeschlossen in meinem Herzen. Das geht niemanden etwas an.

Daher kommt es, dass wir uns nie so recht trauen zu sagen: Dieses Wort, das immer an den Gräbern gesprochen wird, verstehe ich nicht. Da heißt es: „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“ Und ich begreife diese Logik nicht.

II. Sein in Christus

Um diese Logik zu verstehen, müssen wir zunächst einmal danach fragen, wer dieses Wort geprägt hat. Diese Worte schreibt der Apostel Paulus.

Paulus war ein großer Theologe. Zunächst war er hellenistischer Jude, theologisch gebildet und äußerst sprachgewandt. Er war eigentlich der erste Zeuge des Neuen Testaments, der ansatzweise eine richtige Theologie entwickelt hat und diese Theologie mit Argumenten, Gegenargumenten und allen Mitteln der sprachlichen Überzeugungskraft seinen Gemeinden versucht hat verständlich zu machen. Diese Redegewandtheit macht den guten Paulus einerseits so faszinierend. Andererseits aber auch manchmal schwer verständlich. Wir müssen also fragen: Worauf will Paulus hinaus mit seiner kunstvollen Sprache?

Ein ganz wesentlicher Grundzug der Botschaft des Paulus ist „Das neue Leben in Christus“.
Paulus betrachtet uns Menschen als Gottes Geschöpfe. Wir wissen sehr genau, dass wir vor Gott eine Verantwortung tragen; aber trotzdem verweigern wir Gott den Gehorsam und den Dank, den er verdient. Durch unsere eigene Leistung wollen wir zeigen, dass wir großartig sind. Gott brauchen wir dazu nicht.

Weil Gott sich aber mit uns Menschen versöhnen wollte, offenbart er sich in Christus und gab uns Menschen zu verstehen: Wenn Du Mensch endlich auf den Versuch verzichtest, deine eigene Gerechtigkeit aufzurichten und dich allein auf Christus verlässt, der dich mit Gott versöhnt hat, dann bist du gerettet. Allein der Glaube macht dich vor Gott gerecht und gut. Allein der Glaube verbindet dich so fest mit Christus, dass dich nichts mehr von ihm trennen kann.

So entsteht bei Paulus das Bild des neuen christlichen Menschen: Unser ganzes Leben ist von Christus bestimmt. Wir sind wie neu geschaffen. Denn durch Christus haben wir jetzt schon die Liebe Gottes und brauchen uns nie wieder davor fürchten, sie zu verlieren.

III. Leben und Sterben in Christus

Versuchen wir also von dieser Seite her, das Pauluswort zum heutigen Sonntag zu verstehen.

Leben, liebe Gemeinde, ist nichts anderes als Beziehungen zu haben.
Wer lebt, der denkt an andere, ärgert sich, sehnt sich, macht sich Sorgen, liebt.
Wer lebt, der spricht mit anderen, erzählt, fragt nach, zankt und schimpft, tröstet und macht Mut.
Wer lebt, gibt anderen die Hand, berührt, streichelt, hält fest, trägt oder stützt.
Wer lebt, interessiert sich für andere, liest Zeitung, hört die Nachrichten, surft im Internet, schreibt SMS, sehnt sich nach Post, schreibt Karten aus dem Urlaub.
Wer lebt, der stellt Verbindungen, Beziehungen her, indem er sieht und hört, denkt und fühlt, spricht und berührt. Leben heißt Beziehungen haben.

Und Sterben – genau das ist ja das Schreckliche und Schmerzliche am Tod – heißt: Beziehungen werden abgeschnitten. Oft brutal und unwiderruflich wird uns fast alles genommen, was unsere Beziehung ausgemacht hat: das Miteinander-Sprechen, das Aufeinander-Hören, das Berühren, die Zärtlichkeit, die Nähe, das Vertrautsein. Alles hört plötzlich auf, und es bleibt nur eines: die Erinnerung. Das ist oft viel zu wenig. Weil wir uns nicht nur erinnern wollen, sondern mit dem anderen, den wir lieb haben, zusammensein wollen – mit all dem, was eine Freundschafts- oder Liebes-Beziehung ausmacht.

Das heißt also: Der Tod hat eine große Macht über uns. Denn er bringt es fertig, uns Menschen so voneinander zu trennen, dass wir einander nicht mehr erreichen können – außer mit unseren Gedanken. Das macht das Entsetzliche und Grausame des Todes aus.

Ein Band aber kann der Tod nicht zerschneiden: das Band zwischen uns und Gott.
Das ist das Entscheidende in den Worten des Paulus: Wenn der Tod auch alle Bänder und Verbindungen in eurem Leben zerschneidet, ein Band ist für ihn unerreichbar: das Band der Liebe Gottes zu euch. In Christus hat er uns ein für allemal mit sich selbst versöhnt. Und wer sich Christus anschließt und ihm vertraut, der wird niemals die Liebe Gottes verlieren.

Genauso sind diese Worte gemeint, die uns so an Beerdigungen erinnern und uns oft rätselhaft erscheinen:

Lebst du im Glauben an Christus, dann bist du in der Liebe Gottes fest geborgen – jeden Tag.
Stirbst du im Glauben an Christus, dann bist du auch in der Liebe Gottes fest geborgen – für alle Ewigkeit.
Es ist also die Liebe Gottes, die alles überstrahlt.
Es ist die Liebe Gottes, die dich durch alles hindurchträgt.
Es ist die Liebe Gottes, die stärker ist als alles, was dich ängstigt oder dir Sorgen macht: „ Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus zu uns gekommen ist. (Vgl. Röm 8,38f.)

Dessen können wir sicher sein.
Amen.

Wochenspruch: Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils.
(2. Kor 6,2b)
Epistelllesung: Der Mensch lebt kurze Zeit
(Hiob 14,1-6)
Evangeliumslesung: Vom Kommen des Gottesreiches (Lukas 17,20-30)
Liedvorschläge:
Eingangslied EG 151,1-3: Ermuntert euch, ihr Frommen
Wochenlied EG 152,1-4: Wir warten dein, o Gottes Sohn
Lied nach der Predigt EG 560,1-4: Es kommt die Zeit
Schlusslied EG 151,8: O Jesu, meine Wonne

Dorothea Zager, Worms
DWZager@t-online.de


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