Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

20. Sonntag nach Trinitatis, 24. Oktober 2004
Predigt über
1. Thessalonicher 4, 1-8, verfaßt von Jürgen Berghaus
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Ich war´s nicht, ehrlich! Ich habe diese kantigen Paulusworte nicht als Predigttext ausgesucht. Sie sind halt vorgeschlagen für den heutigen Sonntag. Und wer sich immer nur die angenehmen Bibeltexte heraussucht, der nimmt die Heilige Schrift in der Vielfalt und Unterschiedlichkeit ihrer Äußerungen nicht wirklich ernst.

Ja, der Wochenspruch, über den ließe sich leichter predigen : „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ Ein Satz des Propheten Micha, wie geschaffen zum Eintrag in ein Poesiealbum. Dabei geht es auch hier um Forderungen Gottes an uns Menschen – aber sie sind allgemeiner gehalten, so daß sich viele darin wiederfinden können, wenigstens im Prinzip.

Wenn man dann allerdings nach den Konkretionen fragt: Wie es denn im Alltag funktioniert, Gottes Wort zu halten, Liebe zu üben und in Demut vor Gott zu leben – dann sehe ich schon die ersten Stirnen in Falten gelegt. Und eigentlich enthält der schroffe Anfang „Es ist dir gesagt …“ weit mehr als eine unverbindliche Einladung - und will im Grunde als Protestwort verstanden werden gegen all jene, die sich überhaupt nicht darum kümmern, was gut ist und welche Lebensgestaltung Gott von uns erwartet.

Also fassen wir uns ein Herz und geben wir Paulus noch eine Chance! Gewiß darf ein gewisser Ärger dabei nicht verschwiegen werden, aber es gibt auch durchaus erfreuliche Seiten an unserem Predigttext, dessen Schwergewicht auf die Heiligung zielt. Unter diesen drei Aspekten möchte ich nun 1Thess 4 genauer betrachten.

1.) Was mich an Paulus ärgert

„Liebe Brüder“ lautet die Anrede zu Beginn. Und genau so ist sie auch tatsächlich gemeint. An vielen Stellen in der Bibel darf man durchaus die „Schwestern“ ergänzen, weil sie dort eigentlich mit angesprochen werden. Hier aber nicht. Der Mann Paulus redet ganz offensichtlich zu einer reinen Männerrunde: Die Herren schwätzen über Frauen und über Geschäfte. So etwas könnte heutzutage am Thresen in der Eckkneipe passieren – so reden Männer halt, wenn sie unter ihresgleichen sind.

An einer Stelle wird es dann allerdings ziemlich peinlich. „Jeder von euch suche seine eigene Frau zu gewinnen“, hat Martin Luther übersetzt. Nett von ihm. Ist auch sinngemäß richtig. Aber im Griechischen steht da ein Wort mit der Grundbedeutung „Körper / Gefäß“. Und eine Frau bloß als Körper oder gar als Gefäß zu bezeichnen, das ist nicht nur unverschämt, sondern in übelster Weise menschenverachtend. Bei den Männern am Thresen mag man das ja noch hinnehmen; aber wenn ein Apostel seiner Gemeinde schreibt, dürfte man vielleicht doch etwas mehr Feingefühl erwarten.

Zur christlichen Gemeinde gehören Männer und Frauen gleichermaßen. Nicht, weil die Männer das dem anderen Geschlecht in gnädiger Herablassung erlauben würden. Sondern weil GOTT den Menschen zu seinem Bilde geschaffen hat – und zwar als Mann und Frau. Immer wieder und auch heute noch neigen Männer dazu, sich vorzudrängeln in der Öffentlichkeit, während sich die Frau um die Kinder kümmert oder Haushalt und Garten in Ordnung hält. Es ist gut, daß dieses offensichtliche oder stillschweigende Patriarchat in unseren Breiten mehr und mehr von gleichberechtigten Formen des Miteinanders abgelöst wird. Denn wo Mann und Frau gemeinsam eine Sache anpacken, kommt oft viel mehr dabei heraus.

2.) Wo ich mich über Paulus freue

Liebe Gemeinde, unser Predigttext ist ein Abschnitt aus dem ältesten Teil des Neuen Testaments. Jahrzehnte bevor man in der Urchristenheit Geschichten von Jesus aufschrieb, hat Paulus in seinen Briefen Kontakt gesucht zu christlichen Gemeinden, die meist auch von ihm selbst gegründet worden sind. Er war also kein Verkündiger, der seine Botschaft den Leuten sagt und sie dann damit allein läßt. Nein, Paulus sucht den Kontakt auch weiterhin; er ist erfreut, er ist besorgt – je nachdem, wie es nach seiner Abreise vor Ort weiter geht.

Mit den Thessalonichern hat er sich wohl besonders gut verstanden. Das ganze erste Kapitel dieses Briefes ist eine einzige Lobeshymne auf die Christen dort und auf ihren Glauben. Und wenn Paulus auch in Kapitel 4 einen ermahnenden Ton anschlägt, so geht es ihm dabei nicht um plattes Schimpfen - sondern er möchte, daß die Thessalonicher auf dem begonnenen guten Weg weitermachen und dabei nicht müde werden.

Hand aufs Herz: Manchmal ist es doch ganz hilfreich, wenn so ein Mahner da ist. Denn oft genug trübt die Bequemlichkeit meine Sinne, gemächliche Routine hat sich eingeschlichen, oder der innere Schweinehund konnte unbemerkt seine Ketten abschütteln und treibt nun sein Unwesen. Der Mahner läßt sich kein X für ein U vormachen, klar durchschaut er die Nebelkerzen meiner Ausflüchte und zeigt mit dem Finger auf das, was wirklich zählt. Ohne Ermahnungen wäre vieles in dieser Welt noch ärger!

3.) GOTT ruft uns zur Heiligung

“Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung.“ Zweimal in unserem Predigttext finden wir diese Worte, verstärkt noch durch den Hinweis, Gottes Heiliger Geist selbst würde durch Mißachtung verachtet.

Was aber meint Paulus damit?

Bereits im Alten Testament hörte das Volk Israel: „Ich bin der HERR, euer Gott. Darum sollt ihr euch heiligen, so daß ihr heilig werdet; denn ich bin heilig.“ (Lev 11, 44) In Jesus Christus ist Gott den Menschen ganz nahe gekommen – das hatte Paulus am eigenen Leibe durchaus schmerzhaft erfahren. Gottes Nähe hatte sein Leben von Grund auf verwandelt, ihn vom Saulus zum Paulus gemacht. Solch eine Verwandlung meines eigensinnigen Ichs zu einem Menschen nach dem Willen Gottes ist letztlich das Ziel, wenn Paulus von Heiligung spricht.

Als konkrete Beispiele dürfen wir das verstehen, was der Apostel über die Gestaltung menschlicher Sexualität und über faire Handelsbeziehungen ausführt. Zu beiden Bereichen gäbe es gewiß noch mehr zu sagen: aber Paulus konzentriert sich ganz auf den Aspekt der Heiligung. Gierige Sex-Lust ohne Ehrfurcht vor dem Partner oder hemmungsloses Durchsetzen eigener Geschäftsinteressen – das ist nun ganz sicher nicht mit dem Willen Gottes vereinbar, wie er uns in Jesus Christus deutlich vor Augen gestellt wurde.

Mir wird klar: Der Ruf zur Heiligung will uns nicht aus dieser Welt herauslocken auf irgendeine Insel der Seligen. Nein, liebe Gemeinde, gerade in unseren Alltagsbezügen sollen wir durchzubuchstabieren versuchen, was Heiligung meinen könnte: In Schule, Beruf oder Freizeit, in der Familie und unter Freunden, wo es ja nicht in der Hauptsache um religiöse Angelegenheiten geht – gerade dort ist uns der Auftrag zur Heiligung gestellt, gerade dort sollen wir so leben, wie es dem heiligen Gott entspricht.

Für den Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 wurde mit Plakaten geworben, wo mitten in Alltagssituationen ganz normale Menschen eine Art Heiligenschein überm Kopf trugen. Diese Alltags-Heiligenscheine konnte man dann an vielen Ecken der Hauptstadt wiederfinden. „Ihr sollt ein Segen sein“ hieß damals das Motto. Nichts anderes ist heute mit der Heiligung gemeint (…) Amen.

Pfarrer Jürgen Berghaus
51377 Leverkusen, Scharnhorststr. 38
Tel./Fax 0214 / 8707091
www.kirche-manfort.de
berghaus@ekir.de

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