Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

19. Sonntag nach Trinitatis, 17. Oktober 2004
Predigt über
Eph. 4,22-32, verfaßt von Reinhard Brandt
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Gruß [Die Gnade unseres Herrn ...] - Lesung
22 Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet.
23 Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn
24 und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.
25 Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind.
26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; laßt die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen,
27 und gebt nicht Raum dem Teufel.
28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann.
29 Laßt kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören.
30 Und betrübt nicht den heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung.
31 Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit.
32 Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

Liebe Schwestern und Brüder,
am Anfang ein Gebet, die Wendung zu Gott: „Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen!“

Am Anfang die Wendung zu Gott! Der Wochenspruch, vom Propheten Jeremia [17,14], aus dem Alten Testament, aber gerade keine Werkgerechtigkeit, anders als die gängigen Vorurteile, vielmehr das Vertrauen ganz auf Gott gesetzt: „Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen!“

So geht es heute um das Heil-Werden, heil an Leib und Seele. Es geht darum, Heilung von Gott zu erwarten. Deshalb die Wendung zu ihm; die Bitte, er möge heilen; das Gebet, er möge helfen. „Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen!“
Um Heilung an Leib und Seele geht es auch im Evangelium des Sonntags, Sie haben die Geschichte von dem Gelähmten vorhin gehört. Auch da keine Selbstheilung, sondern jene vier Träger mit dem verrückten dachabdeckenden Vertrauen auf jenen Wanderprediger aus Nazareth.

Heilung an Leib und Seele: Als Jesus den Gelähmten sieht, der auf der Trage von oben zu ihm heruntergelassen wird, als er das Vertrauen spürt, da spricht er dem Gelähmten die Vergebung der Sünden zu; und erst dann, als Zeichen seiner Vollmacht, befiehlt er ihm und der steht auf, nimmt sein Bett und geht.

So gehört dies drei zusammen: das verrückte Vertrauen, die Heilung des Leibes (die Lähmung weicht!) und die Heilung der Seele. „Dir sind deine Sünden vergeben“ spricht Jesus dem Gelähmten zu und heilt, was kaputt war in den Sozialbeziehungen, was auf der Seele lag und ihn gelähmt hat.

Heilung und Vergebung haben miteinander zu tun, nicht immer direkt und unmittelbar, oft sehr indirekt und verschränkt, aber doch immer wieder zu erfahren. Beziehungen können krank machen - und das nicht erst, seitdem das Wort „Mobbing“ erfunden wurde; und Beziehungen können geheilt werden.

Eben davon spricht der Epheserbrief in dem Abschnitt, der heute der Predigttext ist: über Beziehungen, die heillos sind; über ungeordnete Verhältnisse; über Worte, die kränken und krank machen können; über Umgangsformen, die verletzen; über Lebenseinstellungen, die ungesund sind; über Wünsche und Ziele, die ins Verderben führen. Wie wir davon los kommen, heil werden, darum geht es im Brief an die Epheser. (Wobei das alles kein spezifisches Problem in Ephesus ist!)
„Legt die Lüge ab“ - lautet der erste Rat an die Epheser, und zwar an die Epheser zu allen Zeiten und an allen Orten. „Redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten,“ und zwar wirklich ein jeder; nicht nur die anderen und die Politiker sind dazu aufgefordert, sondern ein jeder und eine jede.

Der zweite Rat gilt dem Zorn. In realistischer Einsicht, daß wir nicht frei von Emotionen sind, wenigstens der Rat, wie mit dem Zorn umgegangen werden kann: „Zürnt ihr, so sündigt nicht!“ Daß der Zorn mich erfaßt, läßt sich vielleicht nicht verhindern; aber dann sind Mechanismen der Selbstbeschränkung nötig, damit der Zorn nicht übermächtig werde und dir und mir schade. Ein wichtige Beschränkung dazu der Hinweis auf die Zeit: vor der Nacht die Sache noch bereinigen; wobei der gegenteilige Hinweis auch der Selbstbeschränkung dient: erst darüber schlafen.

Der dritte Rat gilt der inneren Haltung: „Gebt nicht Raum dem Teufel“, dem Teufel der Depression zum Beispiel. Man kann sich zwar nicht selbst am Schopfe aus dem Sumpf ziehen, aber ich kann versuchen, mich an Gottes Zuwendung auszurichten. Oder - so mag man sich pfleglich fragen - schaffe ich den negativen Gedanken in mir sogar noch künstlich Raum?

Der vierte Rat leuchtet unmittelbar ein, egal, ob es um schweren Raub oder um jugendlichen Kaufhausdiebstahl geht: „Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann.“ Interessant dabei der Nachsatz: Nicht nur um den Schutz des Eigentums geht es, sondern auch um die Sozialpflicht. Eigentum verpflichtet: „damit er dem Bedürftigen abgeben kann!“

Frau Meier will Frau Müller über Herrn Huber erzählen, wie der neulich ... und überhaupt! Da fragt Frau Müller zurück: „Ist‘s was Gutes, was Sie mir erzählen wollen?“ „Im Gegenteil“ grinst Frau Meier. „Ist notwendig, daß ich davon weiß?“ fragt Frau Müller und Frau Meier gibt zu: „Das grad nicht unbedingt.“ Und auch die Frage, ob‘s denn Segen brächte, was sie zu erzählen weiß, kann Frau Meier nicht bejahen. „Dann muß ich es nicht wissen“ antwortet Frau Müller.

So zu fragen und zu prüfen, das ist der fünfte Rat im Epheserbrief: „Laßt kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen“ („Du sollst net hinterfotzich daherwaafen“ heißt das auf fränkisch). Vielmehr: „Redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören.“

Die Liste der Ratschläge endet mit einer Zusammenfassung: was schädlich - und was gut und recht getan ist. „Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.“
Ich weiß nicht, wie es Ihnen mit diesen Ratschlägen geht, liebe Schwestern und Brüder im hiesigen Ephesus. Ich empfinde es so, daß diese Ratschläge zum redlichen Umgang miteinander völlig plausibel sind, und zwar auch ohne besondere christlichen Begründung. Allgemein, für alle Menschen gilt, was in Beziehungen krank macht und wie man besser leben kann. Die Mahnung zur Wahrhaftigkeit und zur Ehrlichkeit, die Warnung vor dem Zorn: das gilt nicht nur in der Kirche, sondern auch im Wirtschaftsleben und auf dem Rathaus, am Stammtisch und beim Kaffeekränzchen.

Indes: Auch für die christliche Gemeinde ist es offensichtlich nicht selbstverständlich, sondern bedarf der eigenen Ermahnung: „Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel ... Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn ...“ Die örtliche Gemeinde ist angesprochen. Um die Kollekte und Spendenaktionen geht es („damit er dem Bedürftigen abgeben kann!“), um Sitzungen („redet die Wahrheit“), um Gruppen und Kreise („kein faules Geschwätz „), um die Erfahrung im Gottesdienst und im Alltag („vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus“).
So höre ich die Mahnungen und Ratschläge im Epheserbrief sehr nachdenklich, als eine kritische Frage an mich als Christen und Pfarrer.

Der Zorn zum Beispiel: daß es eine bleibende Aufgabe ist, mit dem Zorn unter den Schwestern und Brüdern umzugehen. Eine Geschichte dazu, sozusagen eine Auslegungsgeschichte zum Epheserbrief, hat mich besonders nachdenklich gemacht:
Ein Mönch, der in einem Kloster lebte und häufig zornig wurde, sprach zu sich selbst: Ich will in die Einsamkeit gehen, denn wenn ich niemanden mehr habe, mit dem ich streiten kann, wird sich vielleicht meine Leidenschaft legen.

Als er aber in die Einöde gezogen war, und allein in einer Höhle wohnte, geschah es, daß er eines Tages, als er seinen Wasserkrug gefüllt und auf den Boden gestellt hatte, zufällig etwas Wasser verschüttete. Als er den Krug ein zweites und drittes Mal wieder gefüllt hatte, nachdem ihm das Mißgeschick immer wieder passierte, packte er den Krug und zerschlug ihn in Stücke.

Nachdem er sich wieder gefaßt hatte, sah er ein, daß ihn der Geist des Zornes erneut verblendet hatte, und er sprach zu sich: Sieh, nun bin ich zwar allein, aber der Geist des Zorns hat mich auch hier erfaßt. Ich will daher wieder in mein Kloster zurückkehren, denn überall muß ich kämpfen und ertragen und bin auf Gottes Beistand angewiesen. Damit machte er sich auf und kehrte wieder an seinen vorigen Platz zurück.
[Weisung der Väter. Apophthegmata Patrum, übersetzt von Bonifaz Miller; zit. bei Jürgen Ziemer, GPM 52. 1998, S. 462]

Mich beeindruckt an dieser Geschichte die Ehrlichkeit: ein Bruder in Christus, der sicher die Ermahnungen im Brief an die Epheser kennt, der sie beherzigen will und trotzdem immer wieder von Zorn und Ungeduld überwältigt wird. Kein idealisiertes Bild von einem heiligen Leben, sondern eine ehrliche Bestandsaufnahme. Dazu die Versuche, mit den Emotionen umzugehen, der Rückzug in die Einöde, um Streit zu vermeiden, und die Entdeckung, daß auch damit der Kampf nicht gewonnen ist.

So beeindruckt mich an der Geschichte, wie die bleibende Anfechtung auch für die Christen gesehen wird; und zugleich die Beharrlichkeit, mit der der Mönch an dieser und jener Stelle versucht, mit seinem Zorn fertig zu werden.
Was bleibt am Ende, wenn wir ehrlich sind mit uns? Mit dem Zorn, der Lüge, dem Geschwätz, dem Haben-Wollen, der Bitterkeit?

Wenn wir ehrlich sind mit uns, dann bleibt am Ende nur die Bitte und Wendung zu Gott: „Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen!“
Das ist eine Einsicht, die nun auch im Epheserbrief angezeigt ist. Man darf seinen Vergleich nicht wörtlich nehmen, denn ich kann ja mich selber, den alten Menschen nicht einfach ablegen, wie ich ein Gewand ausziehe. Und wie ginge das: einen neuen Menschen anziehen, als ob man in eine neue Haut einstiege? Nimmt man es aber im übertragenen Sinn, dann ist entscheidend, daß ich zwar beteiligt bin im Ablegen und Anziehen, daß aber der neue Mensch nicht durch mich geschaffen ist, sondern bereit liegt, „nach Gott geschaffen ... in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.“

So also auch in der Liste der Ermahnungen die Anzeige, daß es zwischen gutem Rat und ehrlicher Einsicht, zwischen Anfechtung und Kampf in Wirklichkeit auf Gott ankommt. Und damit am Ende erfahrungsgesättigt die Bitte: „Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen!“

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Predigtlied: EG 390 oder 404


Dr. Reinhard Brandt
Dekan in Weißenburg (Bay.)
reinhard.brandt@elkb.de


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