Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

18. Sonntag nach Trinitatis, 10. Oktober 2004
Predigt über
Römer 14,17-19, verfaßt von Friedrich Schleinzer
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Das Reich Gottes hat schon begonnen

17 denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. 18 Und wer Christus so dient, wird von Gott anerkannt und ist bei den Menschen geachtet. 19 Lasst uns also nach dem streben, was zum Frieden und zum Aufbau (der Gemeinde) beiträgt. Röm 14,17-19

Der „Reich-Gottes-Begriff“ ist jetzt – so scheint mir – öfter als früher im Mund und im Denken von PredigerInnen. Da gibt es mehr Wunsch als Mahnung: dass Reich Gottes werde, dass Himmel werde, dass alle Menschen leben können in Frieden, in Gerechtigkeit, in einer gesunden Schöpfung und dass es an uns, an den Christinnen und Christen, liegt , mitzuhelfen an der Verwirklichung des Reiches Gottes. Reich Gottes bedeutet doch mehr als „zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel“. Reich Gottes bedeutet, und das hat Jesus uns verheißen, „ein Leben in Fülle“. Das Reich Gottes wird durch den Heiligen Geist gewirkt. Und dieses soll ansatzweise in unserer Kirche sichtbar sein und soll durch uns, die wir getaufte und gefirmte Christinnen und Christen sind, ein „Erfolgsort“ werden. Maßeinheiten für den „Erfolg“ sind Gerechtigkeit und Frieden. Reich Gottes ist dort, wo sich Menschen geborgen, , verstanden, geliebt wissen und als Sünder angenommen.

Reich Gottes, das ist ein großes Wort. Es löst oft auch unter uns Christen Achselzucken aus und die Spötter sagen: „Anstelle des Reiches Gottes ist die Kirche gekommen“. Und oft sagen sie das mit Recht, wenn wir, die die Gemeinde bilden sollen, uns bloß als distanzierte Clubmitglieder verstehen, andere ausgrenzen, und uns für die Besseren und die anderen für die Sünder halten. Reich Gottes ist aber nicht nur ein großes Wort Jesu. Dieses große Wort konkretisiert sich wenigstens ansatzweise in der Kirche, die in der Gemeinde lebt. Das Reich Gottes hat in jedem von uns schon als Taufgeschenk seinen Anfang genommen.

In der dogmatischen Konstitution des Zweiten Vatikanums über die Kirche „lumen gentium“ heißt es im Artikel 5: „So stellt sie (die Kirche) Keim und Anfang des Reiches auf Erden dar“. Die Ortsgemeinde ist „das von Gott gerufene neue Volk“. Wir, die Getauften sind das von Gott gerufene neue Volk, wenn unser Gottesdienst unser Leben ist, wenn Christus in uns täglich neu geboren wird und wir ihn durch uns wirken lassen. Und wenn sich dies geschwisterlich, liturgisch, im Hören des Wortes Gottes, in der personalen Begegnung im Abendmahl, in der Versammlung der Gemeinde ereignet.

Es geht nicht – so schreibt Paulus im Römerbrief - um Essen und Trinken. Obwohl es manchmal gerade in unserer Liturgie und im Gemeindeleben auch darum geht, steht an erster Stelle der entschlossene innergemeindliche Friede. Denn wegen Speisefragen - und der Begriff steht nur als Beispiel - darf das Werk Gottes, die von ihm erbaute Ekklesia nicht zerstört werden. Es geht – wie es in unserem Text heißt – um Gerechtigkeit, Frieden und Freude im Heiligen Geist.

Wenn ich diesen Satz sage, werden Sie denken, der hat keine Ahnung , worum es in unseren Gemeinden auch geht. Das weiß ich sehr wohl; es geht in Diskussionen und Sitzungen darum, wofür das Geld vom Erlös des Bastelmarktes verwendet werden soll, es geht um die Freiwilligen für die nächste Haussammlung und den Kuchen fürs Pfarrcafe.

Es gibt viele positive Beispiele, wie als Gemeinde die Liebe Christi gelebt werden kann. Ich denke an Selbstbesteuerungsgruppen, an Lernhilfe für Ausländerkinder , Betreuung von alten, kranken oder einsamen Menschen. Gemeinde Christi heißt: Den anderen nicht vereinnahmen, zweckfrei handeln, ihn in seinem „So-Sein“ belassen, aufrichtend und helfend zur Seite stehen. Kurz: unsere Taufberufung existenziell umsetzen. Das ist ein Zeichen für alle in der Gemeinde, insbesondere für die Außenstehenden. Dann gilt auch für uns als Gemeinde das Wort Jesu „Du bist nicht fern vom Reich Gottes „ (Mk 12,34), dann spricht Jesus uns, der Gemeinde, zu: „Mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen“ (Joh 14,23).

Das ist eine andere Gerechtigkeit, in der die Liebe wirkt und sich auswirkt. Anders als das berechnende „do ut des“ - „ich gebe, damit du (mir) gibst“ - wo unsere Selbstverwirklichung zurücksteht, weil wir nur durch das Geschenk des anderen werden, letztlich durch Gott. Gerechtigkeit greift dort Platz, wo ich auf das Recht, das ich vermeintlich habe, verzichte zugunsten eines anderen.

Friede, den uns nur Christus geben kann, den die Welt nicht geben kann, kehrt dort ein, wo aus der Kraft des Heiligen Geistes die Liebe gelebt wird, indem wir unseren Egoismus hintanstellen und den anderen annehmen, selbst den uns feindlich Gesinnten , der aber oft auch nur zu einem solchen wird, weil wir seine Anliegen nicht in Liebe aufzunehmen wissen.

Paulus ermahnt die Gemeinde ihre Streitigkeiten zu unterlassen, weil dadurch die Gemeinde, der Leib Christi, zerstört wird. Streitigkeiten richten sich doch gegen die Liebe, die laut 1Kor 13,7 doch alles erträgt. Es gibt auch ein altes Klostermotto: „Tue nichts, woran der andere Anstoß nehmen könnte“ (was freilich auch für Gemeinden problematisch werden kann, weil es z.B. Kirchenbänke leert).

Streitereien in der Gemeinde, in der Kirche sind immer vom Übel, insbesondere wenn es um Rechthaberei zwischen Priestern und Laien, zwischen Männern und Frauen, zwischen Alt und Jung geht, und sich dies zu Lasten von Armen, Asylwerbern, alleinerziehenden Müttern und an den gesellschaftlichen Rand Gedrängten auswirkt. Es geht genau genommen nicht einmal nur um Frieden stiften, sondern sogar darum, dem Frieden aktiv nachzujagen, d.h. mit allen physischen und psychischen Mitteln. Wehe dem, der Gottes Bauwerk versucht niederzureißen. Wir, jeder Einzelne und die Gemeinde als Ganzes, müssen uns immer wieder fragen, wie wir mit unterschiedlichen Meinungen zu Tagesthemen der Ethik im menschlichen Miteinander und im Auftreten in der Öffentlichkeit, auch bei innerkirchlichen Problemstellungen, auf andere wirken. Die Kirche, sprich die Gemeinde, ist öffentliches Forum, denn unser Tun wird stets als ein Glaubenszeugnis gewertet und hat Verweischarakter auf den, dem unsere Glaubenshoffnung gilt, den dreifaltigen Gott.

Die Gemeinde bezieht ihre Identität aus der Kraft des Heiligen Geistes und dies muss in ihrer Umgebung erfahrbar werden. Gemeindeleben ist Umsetzung des Glaubens, weil „Gott ist in den Tatsachen“, wie Dietrich Bonhoeffer sagte. Deshalb stellen sich u.a. auch folgende Fragen für uns:
Ist unsere Gemeinde eine Herberge, die den Gastgeber Jesus Christus für Menschen in seelischer und materieller Not erfahrbar macht?
Werden in ihr die diakonischen Werke gepflegt, damit die menschlichen Lebensbedingungen verbessert werden und wird die Freude am Wort Gottes in ihr geweckt?
Ist sie offen für die Lebenswelt, d.h. nimmt sie die gesellschaftliche Wirklichkeit wahr, ist sie einladend für Andersdenkende, Fernstehende, Ausgetretene usw.?

Wir können und müssen unsere Freude, das Zeichen der Königsherrschaft Gottes in der Gemeindearbeit, in unserer Umgebung, im Umgang miteinander auch einer breiteren Öffentlichkeit verständlich machen. Dies können wir, wenn wir unsere christliche Identität, die im Glauben gründet und aus der Quelle des Heiligen Geistes schöpft, glaubwürdig leben.

Unsere Freude soll kein kurzatmiges Berauschen sein, sondern aus der eschatologischen Heilsgewissheit (Röm 8,35 f) kommen, in der wir uns bereits hier und jetzt in Jesus Christus rühmen dürfen. In diesem Sinne kann in unseren Gemeinden nichts schief gehen.

Univ.-Prof. Dr. Friedrich Schleinzer, OCist.
Fachbereich Praktische Theologie
Universitätsplatz 1
5020 Salzburg
Tel.: 0662/8044-2753
E-Mail c/o Paula.Mairer@sbg.ac.at

 


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