Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 12. September 2004
Predigt über
Römer 8, 12-17, verfaßt von Andreas Pawlas
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden."

Liebe Gemeinde!

Mit was für Widersprüchen bekommt man zu tun, wenn man heutzutage etwas über den „Geist“ wissen will. Denn einerseits scheinen da uns modernen Menschen so viele „geistlose“ Tätigkeiten an Fließbändern, Werkstätten oder Amtsstuben allen Geist ausgetrieben zu haben, weshalb man ja wohl auch in unseren Bildungseinrichtungen geisteswissenschaftliche Fächer am Meisten kürzt oder gar auflöst. Auf der anderen Seite aber wächst mancherorts eine große Sehnsucht nach Geist, Geistvollem, Begeisterung. Und es entstehen manche „geistvolle“ oder gar esoterische Zirkel. Wie ist das alles zu verstehen? Und wer wollte das alles wirklich richtig überschauen?

Vielleicht ist es darum einfacher, wenn wir fragen, was das nun eigentlich für ein Geist ist, der uns treibt? Uns ganz persönlich! Dich und mich! Ja, was ist das denn eigentlich, was bei uns hinter jeder Handbewegung, hinter jedem Schritt, hinter jedem Gedanken steht? Und welcher Geist will unsdann treiben, wenn wir uns in unserem Beruf einsetzen, in Familie, Kirche, Vereinen oder Politik?

Nun passiert das ja in unserem Alltag nicht so häufig, dass wir uns derartig fragen nach dem Geist, der uns treibt. Und bestimmt sind auch die Antworten manchmal so vielschichtig, wie unser Leben und unsere Lebensgeschichte vielschichtig ist. Aber wenn eins ganz klar und eindeutig ist, dann ist es das: Nämlich dass es auf keinen Fall ein knechtischer Geist sein soll, der uns treibt, nein, das wollen wir uns gefälligst verbitten. Knecht sein, das möchte doch niemand gern, aber frei sein und Freiheit in vollen Zügen genießen, das wollen wir doch alle! Wer wollte sich da ausschließen! Geist und Freiheit, die müssen doch zusammengehören! Geist und Freiheit, das ist doch die Grundsubstanz unserer modernen Gesellschaft und unseres modernen Staates. Wie großartig wurde deshalb vor Jahren dieser Geist der Freiheit gefeiert, der vor gut 200 Jahren das französische Volk zur französischen Revolution trieb und fast das ganze Europa mit hineinzog, ja, auch Deutschland, das in seiner dreifarbigen Fahne noch immer für die drei Schlagworte der französischen Revolution Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit demonstriert. Ist es heute noch dieser Geist, der unstreibt und der in stolzer und gefeierter Tradition steht? Und ist es etwa dieser Geist, den der H. Apostel Paulus meint und als Geist Gottes versteht?

Jedoch wollten wir uns wirklich mit einem solchen Geist der Freiheit identifizieren, der doch damals dazu führte, dass im Namen der Freiheit ein Blutbad nach dem anderen verübt wurde und ein Massaker nach dem anderen und heute ein Terroranschlag nach dem anderen?

Oder gilt für uns heute ein ganz anderer Geist der Freiheit? Sollte hier etwa ein Geist der Freiheit gemeint sein, der vor allem freien Handel freies Kaufen und Verkaufen meint? Aber wer wollte denn verhindern können, dass sich ein solcher Geist sehr schnell allein in Raffgier und Geiz auflöst? Sollte darum das der Geist sein, der uns treibt? Oder entspricht allein der Geist der Freiheit unserem Leben, der freie Zeit, der Freizeit als das Beste des Lebens begreift: Nämlich alle Viere genüsslich von sich strecken nach dem Motto: Den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.

Nichts gegen Freiheit und Freizeit, freies Kaufen und Geld verdienen - wir dürfen doch bestimmt Gott dafür danken, dass uns das alles weitgehend möglich ist. Aber sollte das etwa der Geist sein, in dem wir auch unsere Kinder aufwachsen lassen und erziehen wollen? Worin wollen wir denn den Geist unserer Kinder anregen und schulen: Etwa, dass sie noch besser und gewitzter kaufen, handeln oder faulenzen können?

Natürlich weiß ich, dass mancher sagt, man kann gar nicht früh genug damit anfangen, die Kinder auf den Ernst des Lebens vorzubereiten, sie mit den harten Tatsachen des Lebens vertraut zu machen. Und da muss doch möglichst schnell den Kindern alles Naive und Kindliche ausgetrieben werden. Und wozu sollte dann da ein Händefalten und das zu Gott „Abba, lieber Vater“ rufen nützlich sein?

Wenn immer wieder Leute sagen, dass der kindliche Geist von solchen angeblich naiven Selbsttäuschungen möglichst schnell befreit werden muss. dass die kindliche Welt möglichst flott entzaubert werden muss, dann hat das damit zu tun, was man in seinem Leben als real und damit als wirkmächtig ansieht. Und solche Leute sagen dann auch, real und wirkmächtig sei doch nur das, was wir messen, zählen, wiegen können. Real sei doch nur das, was wir im Portemonnaie oder in der Scheune haben.

Aber, liebe Gemeinde, wenn nur das alles real sein soll, - aber wenn nur das der Reichtum unserer ganzen Wirklichkeit sein sollte, wären wir dann nicht -- ganz, ganz arme Menschen? Denn wo bliebe dann alle Freude? Denn die kann man doch im Portemonnaie nicht zählen! Denn wo bliebe dann alles Schöne? Denn das kann man doch nicht messen oder wiegen! Und wo bliebe dann alle Liebe und alle Hoffnung? Das alles wäre in einer verkümmerten Erbsenzähl-Realität nicht vorhanden. Und dann wären wir wirklich arm dran.

Ob uns jetzt nicht alle Mütter und Väter, ob uns jetzt nicht gerade Erzieherinnen, aus ihrem Umgang mit Kindern anfangen müssten zu erzählen, dass Kinder uns hier so manches Mal zum Vorbild dienen können? - Gewiss, nicht immer, aber so manches Mal! Und so kann man an Kindern und an dem Geist, der Kinder treibt, so viel für unser Leben lernen. Denn für Kinder ist es doch eben gar kein Problem zu sagen: Lieber Vater, liebe Mutter. Da wird nicht vorher kritisch geprüft, ob die Eltern auch den neuesten Babywickelkurs mitgemacht haben. Für Kinder ist es doch eben gar kein Problem, Vater und Mutter völlig zu vertrauen, Vater und Mutter mit ganzem Herzen zu lieben. Wenn wir Erwachsenen uns davon auch nur ein wenig abgucken könnten, und wenn wir dann unserem himmlischen Vater genauso vertrauten und ihn genauso liebten, wenn dieser Geist uns erfüllte, dann wären wir uns ganz gewiss, dass unser Leben Sinn und Ziel hätte, selbst wenn wir ihn im Augenblick nicht begreifen könnten, selbst wenn wir im Augenblick nicht begreifen könnten, warum wir im Leben so geschüttelt werden, warum uns manches so weh tut. Aber wir könnten uns dann ja darauf verlassen, dass es wieder gut wird. Wenn wir Erwachsenen unserem himmlischen Vater genauso vertrauen könnten, wie unsere Kinder Vater und Mutter völlig vertrauen, dann könnten wir uns ganz gewiss sein, Gottes Kinder und damit Gottes Erben und Miterben Christi zu sein, denen nach allem weltlichen Leiden himmlische Herrlichkeit zugesagt ist.

Jedoch, warum ist das uns denn so fremd geworden, so wie Kinder einfach zu glauben und zu leben? Sind wir in unserem Leben vielleicht zu viel enttäuscht und verletzt worden? Tragen wir an Leib und Seele zu viel an Trauer, Schmerzen oder Wut mit uns herum? Wie dem auch sei, eins lehrt dabei jedenfalls die Erfahrung, nämlich dass man in der Regel von allein aus einem solchen dunklen Loch schmerzlicher Erfahrungen nicht heraus kommt. Sich allein an einem grauen Morgen vorzunehmen, „Heute will ich begeistert und fröhlich sein“, das klappt einfach nicht oder führt nur zu Verkrampfungen.

Gut, manche sagen, was da helfen kann, ist der Mitmensch. Das ist sicherlich manchmal möglich. Aber kennen wir das nicht auch: Da steht man enttäuscht und traurig und dann stellt sich ein munterer Mitmensch zu einem und sagt polterig so etwas wie: „Komm, so schlimm ist das doch alles gar nicht, stell dich doch nicht so an!“ Und dann, dann schluckt man und verkriecht sich noch tiefer in sein Schneckenhaus. Nein, ein solcher polteriger Geist kann nicht immer helfen. Weder in Arbeit und Beruf, noch in Familie oder Gesellschaft.

Wirklich hilfreich kann nur ein liebevoller, einfühlsamer, herzlicher Geist sein, der einem eben nicht gewaltsam übergestülpt wird oder auf Knopfdruck von irgendwoher auf einen niederprasselt. In unserem Bibelwort heißt es deshalb ja auch: Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind.

Und da der Geist Gottes weht, wo er will, bedeutet das ja weiter, dass man um Gottes guten Geist nur bitten kann. Nein, nein, nicht nur bitten, sondern auch sich dann auch darauf verlassen, dass Gott unsere Bitte um Christi willen erhört und uns dann seinen Geist schickt, mit neuem Mut, mit neuer Kraft, mit neuem Trost und neuer Hoffnung.

Und übrigens, wenn man so wirklich bitten kann, wenn man so wirklich um Gottes guten Geist bitten kann, dann geschieht tatsächlich etwas. Bitte rechnen Sie jetzt nicht mit ständigen spitzen Halleluja-Rufen oder dauerhaften ekstatischen Tänzen. Aber mit einem muss und darf man ganz fest rechnen: nämlich dass sich Menschen wohltuend verändern, dass sich das Klima untereinander und miteinander heilsam verändert, wenn Menschen tatsächlich beten, wenn Menschen tatsächlich Gott um seinen guten Geist bitten. Und dann sind sie auch gleichzeitig von Gottes Geist getrieben und dann sind sie seineKinder. Und Besseres kann es doch wirklich nicht geben im Leben und im Sterben, denn dann werden einem als Kind oder Erwachsenen die Augen aufgetan für Gottes ganz andere Lebenswelt, die in jeder Fröhlichkeit und in allem Schönen durchschimmern will, die in jedem Gefühl der Dankbarkeit und der Liebe uns bereits jetzt anrühren will, um uns dann als Kinder Gottes ewig wunderbar zu um hüllen und zu umschließen seinem ewigem Reich. Dazu führe und leite uns alle Gottes guter Geist.
Amen.

Pastor Dr. Andreas Pawlas
Ev.-luth. Kirchengemeinde Barmstedt
Erlenweg 2
25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop
Andreas.Pawlas@t-online.de

 


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