Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 5. September 2004
Predigt über 1. Johannes 4, 7-12
, verfaßt von Christian-Erdmann Schott
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


7. Ihr Lieben, lasset uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebhat, der ist von Gott geboren und kennt Gott.
8. Wer nicht liebhat, der kennt Gott nicht; denn Gott ist Liebe.
9. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, dass wir durch ihn leben sollen.
10. Darin steht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden.
11. Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben.
12. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander sehen, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist völlig in uns.

Liebe Gemeinde, der Satz „Gott ist Liebe“ ist uns von Kindheit an vertraut. So vertraut, dass wir kaum noch merken, dass er höchst revolutionär und in dieser Zuspitzung in der gesamten Religionsgeschichte einmalig ist. Andere Religionen, in Vergangenheit und Gegenwart, haben das von Gott nie auszusagen gewagt. Nur das Judentum hat in Ansätzen in diese Richtung gedacht. Im Christentum ist dieser Satz „Gott ist Liebe“ die entscheidende, die zentrale Aussage überhaupt.

Bei den so genannten primitiven Religionen, wie wir sie heute noch bei den Urvölkern im afrikanischen Busch oder bei den Indianern in Südamerika finden, begegnet der Mensch der Gottheit mit einer tief sitzenden Angst. Im Sinne dieser Religionen müsste man sagen: Gott ist der Furchtbare, der Schrecken, Angst Einflößende. Darum tun diese Menschen in ihrer Religionsausübung auch alles, um sich gegen die Gottheit abzuschirmen, sich vor ihrem Fluch, vor ihrem Bann, vor ihrem Zorn, vor ihren Strafen, ja vor ihrer Rache zu schützen. Angstvoll beobachten sie alle religiösen Vorschriften, spenden lebensnotwendige Nahrungsmittel als Opfer. Wir wissen, dass es auch Menschenopfer, Kinderopfer gegeben hat. Für diese Menschen ist Religion etwas Furchtbares.

Nicht ganz so furchtsam haben die alten Griechen und Römer ihre Götter erlebt. Aber auch sie hatten Angst vor ihnen. Sie glaubten, dass die Götter – wie böse Nachbarn – neidisch auf die Glücklichen, Erfolgreichen, Reichen sind. Darum war es notwendig, die Götter durch Opfer bei guter Laune zu halten. Dieser Ausdruck mag salopp klingen. Aber er ist angemessen. Denn die Götter des griechischen und römischen Götterhimmels, des Olymp, lebten ihren Launen. Es waren egoistisch-heitere Gestalten, die auf die Menschen herabsahen, sich an ihren Nöten und Verwicklungen erfreuten, Wetten darüber abschlossen, wie die eine oder andere Sache ausgehen würde. Manchmal griffen sie auch ein, mal zu Gunsten dieser, mal zu Gunsten jener Partei. Aber auch dies mehr, weil es sie erheiterte, weil es ihnen Spaß machte. Und ab und zu kam einer von ihnen dann auch als Mensch verkleidet auf die Erde, um sich hier zu amüsieren. Mitleid, Liebe, Barmherzigkeit sind diesen Göttern völlig fremd.

Aber auch Hinduismus und Buddhismus kennen die Vorstellung von einem liebenden Gott nicht. Für sie gibt es überhaupt keinen personalen Gott, sondern nur das Universum, in dem sich das Leben und dann auch das Leben der Menschen nach ewig gleichen Gesetzen bewegen. Mitleidlos, am einzelnen Menschen ganz uninteressiert, läuft das Leben ab. Das einzige, was wir machen können, ist, diese Gesetzmäßigkeit zu erkennen, uns durch die Vielfalt der Erscheinungen nicht aufregen oder blenden zu lassen und uns so zu verhalten, dass wir vielleicht einmal erlöst werden, das heißt: Aus diesen Gesetzmäßigkeiten herauszukommen und uns ins Nichts, im Nirvana, aufzulösen und nicht mehr zu sein. Nach Hinduismus und Buddhismus muss der Mensch das Leben aushalten, erleiden, ertragen, über sich ergehen lassen. Eine Liebe des Universums gibt es nicht.

Der Satz „Gott ist Liebe“ ist aber nicht nur in diesen uns fremden Religionen unbekannt. Er ist auch unter vielen Menschen unseres Bereichs unbekannt oder zumindest zweifelhaft geworden. Sie leiden darunter, dass sie diese von den Christen behauptete Liebe nicht spüren. Wo kann man diese Liebe denn erfahren?

Wenn wir das alles bedenken, wird deutlich: Der Satz „Gott ist Liebe“ ist ein zumindest sehr kühner Satz. Er wird noch kühner, wenn es in unserem Abschnitt auch noch ausdrücklich heißt „Niemand hat Gott jemals gesehen“. Das gilt natürlich auch von den Christen. Auch sie haben ihn nicht gesehen. Und dann stellen sie so einen Satz auf!?

Der Grund für diesen Satz ist, dass wir durch Jesus Christus gelernt haben, die Welt mit anderen Augen anzusehen. Zuerst waren es die Jünger und die, die Jesus erlebt haben. Sie haben seine Sicht Gottes, wie er sie in den Gleichnissen dargelegt oder in seinem Umgang mit den Menschen gelebt hat, anziehend, überzeugend, begeisternd erlebt. Sie spürten, hier ist eine Kraft und eine erwärmende Wahrheit, die uns nicht nur anspricht. Das wäre zu wenig. Sie öffnet uns, sie schließt uns das Herz auf, sie setzt Kräfte frei – Vertrauen, Freude, Geborgenheit, Liebe. Während die von der Angst bestimmte Welt- und Gottessicht den Menschen auf sich zurück wirft, verschließt und damit zugleich klein macht und klein hält, misstrauisch, ängstlich, feige.

Die Christen spürten, dass die Botschaft von der Liebe Gottes uns aus uns selbst herauslockt. Sie erhebt uns, macht uns stark und mutig und dankbar und froh. Diese Grunderfahrung haben sie in einem vielfältigen und vielstimmigen Loben und Preisen und in großer Freude immer wieder zum Ausdruck gebracht.

Sie sahen in Jesus Christus darum auch nicht einen psychologisch geschickten Esoteriker oder einen philosophischen Weisheitslehrer, sondern einen Gesandten Gottes, ja den „eingeborenen Sohn“, den Gott geschickt hat, damit wir diese neue Sicht kennen lernen und dadurch zu einem befreiten, von Angst erlösten Leben kommen können. Insofern sahen sie in der Sendung und in der „guten Botschaft“ (Evangelium), die Jesus Christus brachte und lebte, selbst ein Stück der Liebe Gottes. Er hat sich unserer erbarmt, wollte uns nicht in einer sinnlosen Angst leben lassen, sondern uns zu Hilfe kommen. Diese Erfahrung gipfelt dann in dem zusammen fassenden Satz: „Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, das wir durch ihn leben sollen.“

Aber das war erst der Anfang. Die alten Erfahrungen der Angst und Lieblosigkeit, auf der die anderen Religionen aufbauen, sind ja geblieben. Die Welt ist trotz der Botschaft Jesu Christi von der Liebe im Wesentlichen nicht anders geworden. Und das sagen ja auch heute viele Menschen durchaus zu Recht.

Das bleibend Neue an dieser Botschaft hat sich im Laufe der (Kirchen-)Geschichte bestätigt. Denn viele Menschen, die die Wahrheit dieses Satzes „Gott ist Liebe“ erfahren haben, haben ihn auch festgehalten, oft gegen den Augenschein. Sie haben es Jesus abgenommen und anderen, die sie darin bestärkt haben. Sie haben sich daran erinnert, dass Jesus den Glauben an diesen Satz durchgehalten bis zum Ende in der Ermordung am Kreuz. Und das hat viele gestärkt. Sie glaubten: Hinter dem Bösen und Banalen, gibt es doch die Liebe Gottes. Sie haben diese Erfahrung und diesen Glauben festgehalten in Verfolgungen, in Kriegszeiten, in Konzentrationslagern, im Angesicht des Todes, im Angesicht der Sinnlosigkeit und so „die Welt“ überwunden. Manchmal haben sie diesen Satz nur noch beten können, weil nichts mehr dafür gesprochen hat. Aber auch dann ist von diesem Satz Kraft ausgegangen, innerer Friede, Lebensmut. Wir könnten auch sagen: Der Christus in uns war stärker. Die Liebe Gottes erwies sich als größer als alles, was dagegen aufgetreten ist.

Zugleich suchten die Christen nach Spuren der Liebe Gottes in der Welt. Und sie fanden sie und meinten, die Liebe Gottes war schon lange vor Jesus in der Welt, in der Schöpfung wirksam und erkennbar. Aus Liebe hat Gott bereits die Welt geschaffen. Aus Liebe erhält er sie immer noch. Die Welt hat einen guten, gnädigen, freundlichen Urgrund. Und auch mein persönliches Leben ist ein Geschenk Gottes, des Schöpfers.

Diese grundlegenden Einsichten, zum Teil schon angelegt im Alten Testament, führten dazu, dass sich die Glaubenden selbst als einen Gedanken, als einen freundlichen Gedanken Gottes ansehen konnten. Jeder Mensch darf sich von Gott geliebt wissen. In der Taufe wird ihm diese Liebe ausdrücklich und ganz persönlich zugesagt.

So hat sich – ausgehend von dem zentralen Gedanken „Gott ist Liebe“ – schließlich eine Gesamtsicht des Lebens ergeben. Von der Furcht der alten Religionen ist nicht mehr viel geblieben. Sie flammt allerdings dort sehr schnell wieder auf, wo es Menschen nicht gelingt, an die Liebe Gottes auch dann zu glauben, wenn sie sie nicht wahrzunehmen vermögen.

Zur Gesamtsicht des christlichen Lebens von der Erfahrung „Gott ist Liebe“ her gehört dann auch, dass wir diese Liebe weitergeben, in ihr leben und sie als Nächstenliebe wirksam werden lassen. Die von der Angst bestimmte Welt- und Gottessicht ist gekennzeichnet durch Abgrenzung, Neid, Egoismus. Das von dem Gott der Liebe geöffnete Herz kann sich anderen zuwenden, sicher auch aus Barmherzigkeit und ohne den Gedanken an Lohn und Vergeltung. Das sicher auch. Aber das ist eigentlich eher selten so. Denn in den meisten Fällen erfährt der geöffnete Mensch eine geistliche Vergeltung durch die Freude, die Dankbarkeit, die gute Atmosphäre, die entsteht und das Leben wirklich lebenswert macht.

Insofern ist mit dem Satz „Gott ist Liebe“ weit mehr als ein revolutionärer Satz der Religionsgeschichte formuliert. Die Sicht Gottes, die in diesem Satz zum Ausdruck kommt, ist die Überwindung der gesamten religiösen und nicht religiösen Welt. Diese gesamte bisherige Welt sieht jetzt plötzlich „alt“ aus. Und sie ist es auch. Denn mit diesem Satz ist die Schöpfung Gottes auf den Punkt und auf ihre Ziellinie gebracht. Amen

Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
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