Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

12. Sonntag nach Trinitatis, 29. August 2004
Predigt über
Matthäus 12, 31-48, verfaßt von Karsten Nissen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(dänische Perikopenordnung)

Am späten Samstag Abend werden oft Horrorfilme im Fernsehen gesendet, und wir kleben am Fernsehapparat. Wir möchten vielleicht, daß der Film bald zuende ist, aber wir kommen nicht von ihm los. Es ist einfach zu spannend. Vielleicht schlafen wir danach schlecht. Es sollte eigentlich friedlicher sein, wenn man Sonntags Morgens zur Kirche geht. Wo der Horrorfilm Angst und Schrecken und Schlaflosigkeit verbreitet, sollte die Kirche Lebensmut, Freude und Geborgenheit vermitteln. Und so erfahren die meisten Menschen ja auch den Gottesdienst.

Aber so empfinden nicht alle das Evangelium, das wir heute hören. Diesen Text von der Lästerung wider den Heiligen Geist hat man die Horrorstelle im Neuen Testament genannt. Auch das Wort Gottes kann Unruhe und Angst verbreiten. Wenn wir die Worte Jesu von der Lästerung wider den Heiligen Geist gehört haben, drängen sich diese Fragen auf: Stimmt es gar nicht, daß die Vergebung genauso so tief und unendlich ist wie die Liebe Gottes? Gibt es Grenzen für die Liebe Gottes?

Der österreichische Nazijäger Simon Wiesenthal erzählt in seinen Erinnerungen von einem Erlebnis als KZ-Insasse während des zweiten Weltkriegs. Im Lazarett des Lagers lag ein deutscher SS-Offizier im Sterben. Aber er konnte nicht in Frieden sterben. Er mußte erst mit einem Juden sprechen. Man holte Simon Wiesenthal aus dem Lager.

Der Offizier erzählte von Untaten, an denen er im Warschau­er Ghetto beteiligt war. Besonders konnte er nicht vergessen, als er und seine Kameraden ein hohes Haus in Brand steckten, in dem viele Juden wohnten. Sie erschossen sie, als sie aus dem Haus liefen, einige aber zogen es vor, in den Tod zu springen. Besonders erinnerte er sich an eine junge Familie, die gemeinsam hinuntersprang. Der Vater trug das kleinste Kind und hielt die Hände vor die Augen des Kindes, während sie in den Tod sprangen. Nun wollte der Offizier Vergebung haben von einem Juden, weil er keinen Frieden finden konnte. Die junge Familie, die in den Tod sprang mit dem Kind.

Aber Wiesenthal erhob sich und ging weg. Er konnte nicht im Namen anderer vergeben. Weiter sagt er: "Hätten sie einen christlichen Pfarrer gefunden, hätte der wohl gerne diesem Offizier die Vergebung zugesagt, um die er bat". Das ist wahr. Die Vergebung des Evangeliums beruht nicht darauf, daß ein Mensch beurteilen kann, ob er oder sie für andere Vergeben kann. Die Vergebung des Evangeliums ist Gottes Vergebung, die wir einander reichen.

Die Sehnsucht gehört zu unserem Leben. Wir kennen sie alle. Wir freuen uns in diesen Tagen über die Sonne und Wärme des Spätsommers, da ist auch etwas Wehmut dabei. Wir gehen der dunklen Zeit entgegen. Alles Grün und die Blumen sterben ab und verdorren. In einigen Monaten stehen die Bäume mit ihren knorrigen dunklen Ästen gegen einen regenverhangenen und wolkigen Himmel, und es fällt uns schwer zu glauben, daß diese Zweige wieder frische Blätter erhalten werden. Deshalb sehnen wir uns im Winter nach Frühjahr und Frische. Und diese Sehnsucht in uns kann geradezu weh tun.

Noch tiefer aber kann die Sehnsucht nach Tiefe und Zusammenhang im Leben sein. Viele kennen dieses Gefühl: Ich habe alles, was ich brauche. Es fehlt mir sozusagen nichts. Einigerma­ßen gute Gesundheit, intaktes Familienleben, gute materielle Verhältnisse. Trotzdem ist es, als fehle etwas. Trotzdem ist da eine Unruhe, eine Sehnsucht in mir.

Der Kirchenvater Augustin diese Sehnsucht in einem kleinen Gebet beschrieben: "Wir sind geschaffen, um dir zu gehören, deshalb sind unsere Herzen unruhig, bis sie Ruhe finden in dir". Die Sehnsucht zurück zum verlorenen Paradies liegt tief in uns allen. Die Sehnsucht zurück nach damals, als Geborgenheit und Harmonie zwischen Gott und Mensch herrschte.

Die Schöpfung ist wie ein langer Frühjahrstag. Gott setzte den Menschen in seine Welt, aber der Mensch wollte eine Welt für sich - und brauchte Gott nicht. Deshalb wurden der Mann, die Frau und die Schlange vor die Tür gesetzt und mußten hinaus in die harte Welt. Ja Gott stellte einen Engel mit einem Flammenschwert hin, um den Eingang zum Paradies zu bewachen.

Das Phantastische am Evangelium aber ist, daß wir Gott nicht aus unserem Leben heraushalten können. Gott und Menschen gehören zusammen. Gott trat uns so nahe wie möglich, als er seinen Sohn sandte. Er nahm unser Leben auf seine Schultern. Er lebte, starb und auferstand für uns. Und nun wissen wir, daß wir zusammengehören. Daß sich Gott und Menschen nicht trennen lassen. Daß wir Gott nicht aus unserem Leben heraushalten können. Der dänische Liederdichter Chr. Richardt spricht davon, daß Gott und Menschen zusammengehören, als Heiland und Sünder, als Amen und Gebet, als Gnade und Scham. Das ist der Frieden, den Gott verkündet.

Wir wissen auch, daß wir einander vergeben sollen, wie wir im Vaterunser beten: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Vor allem aber wissen wir, daß wir die Vollmacht haben, im Namen Gottes Sünde zu vergeben. Vergebung bedeutet, daß Gott uns an die Hand nimmt und zurückführt in die Zeit vor dem Sündenfall. Vergebung bedeutet, daß Gott das verlorene Paradies wieder aufrichtet. Vergebung bedeutet, daß die Harmonie, die Einheit zwischen Gott und Menschen wiederkommt.

Vergebung und Auferstehung bringen dasselbe zum Ausdruck: daß der Tod und die Finsternis und die Sünde nicht das Letzte sind, weil das Leben und die Liebe stärker sind. Wir können Gott nicht aus unserem Leben verdrängen. Deshalb ist die Verheißung des Evangeliums an uns die, daß wir eine Zukunft haben, daß Gott uns nicht abschreibt als unmöglich oder unverbesserlich. Deshalb ist die Vergebung der rote Faden in der Bibel vom ersten bis zum letzten Blatt. Vom Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies bis zum Buch der Offenbarung, wo Gott sagt; "Siehe, ich mache alles neu!" Und all das wird gegenwärtige Wirklichkeit für uns schon jetzt, wenn wir die Vergebung als Gabe empfangen. Die Vergebung ist Auferstehung und neues Leben.

Eben darum erschrecken wir, wenn es wirklich wahr ist, daß es etwas gibt, das nicht von der Vergebung Gottes umfaßt ist. Ist es nicht wahr, daß die Vergebung unendlich ist? Wie wir gerade gesungen haben:

"Hoch, wie der Himmel umspannet die Erden,
lässet Gott wachsen sein Gnade und Huld.
Weit, wie der Morgen dem Abend will werden,
trennet von uns er die Schande und Schuld"
( Grundtvig)

Ja, es ist wahr, und das hören wir auch im heutigen Evangelium.

"Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben werden", sagt Jesus. Dort sollen wir beginnen. Wir sollen anfangen mit dem Vertrauen darauf, daß die Vergebung Gottes grenzenlos ist wie die Gnade und Liebe. Es gibt nichts, mit dem wir nicht zu Gott kommen könnten. Es gibt nichts, was nicht von seiner Vergebung umfaßt wäre. Dann aber kommt der Schrecken: Aber die Lästerung wider der Heiligen Geist wird den Menschen nicht vergeben. Vielleicht fragen wir uns selbst: "Ist hier von mir die Rede. Habe ich die Sünde wieder den Heiligen Geist begangen?"

In diesen Tagen wechselt das Wetter rasch. Aber vor einigen Tagen war das Wetter naß, finster und traurig. Einige Tage können finster und traurig sein, andere Tage können hell und aufmunternd sein. An den hellen Tagen begegnen wir allem und allen mit offenem Sinn. Wir hören Aufmunterung. Wir verstehen alles im guten Sinn. Aber an finsteren Tagen ist es genau umgekehrt. Da hören wir Vorwürfe und Spott überall, Verachtung in den Augen anderer Menschen. Da verstehen wir alles im negativen Sinn.

Mit dem Wort Jesu von der Lästerung wider den Heiligen Geist sollen wir uns an den guten Tagen beschäftigen. An finsteren Tagen sollen wir diese Worte liegen lassen, denn da hören wir nichts Gutes in ihnen. Wir sollen die Sonne auch über diese Worte scheinen lassen. Denn auch in ihnen finden wir das Evangelium Gottes. Die gute Botschaft Gottes. Gott ist nicht der Gott der Verdammnis und des Bruches. Er ist der Gott des Heils und der Erlösung. Jesus will mit seinen Worten nicht noch eine Last auf unsere Schultern legen.

Man muß darauf achten, daß Jesus nicht von der "Sünde wider den Heiligen Geist" spricht, sondern der "Lästerung". Es handelt sich also nicht um eine besondere Tat. All unser Tun, all die Sünden, die wir begehen - alle Sünden - sind von dem ersten Satz umfaßt: Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben. Aber was ist dann Lästerung wider den Geist?

Es mag vielleicht helfen, wenn wir erst sehen, was das Werk des Geistes eigentlich ist. Das Werk des Geistes ist es, zu uns zu sprechen. Das Werk des Geistes ist es, uns zum Glauben zu bringen. Der Heilige Geist ist die verborgene Kraft, die unsere Augen und Ohren öffnet für das Wort Gottes. Der Heilige Geist schafft Glauben in unseren Herzen.

Den Heiligen Geist lästern bedeutet, glaube ich, sein Werk verspotten. Sich von dem Glauben abwenden, der in einem geschaf­fen ist. Den Heiligen Geist lästern, glaube ich, bedeutet, vom Heiligen Geist Gottes überzeugt zu sein, zu glauben, daß Jesus Herr ist, aber dann doch - zynisch und unberührt - zu sagen: Das geht mich nichts an. Den Heiligen Geist lästern bedeutet, Gott wider besseres Wissen verwerfen. Zu wissen, daß er Gott ist, aber doch nichts von ihm wissen wollen.

Die Menschen, zu denen Jesus hart redet, denen er mit Tod, Gericht und Verdammnis droht, das sind keine schwachen und unsicheren Menschen. Das sind keine Sünder und Verstoßenen. Das sind nicht die Zweifelnden und Angefochtenen. Nein, die, zu denen er so hart spricht, das sind sie Aufrechten, die Selbstsicheren, die, die meinen, allein ohne Gott auskommen zu können. Auch wenn sie wissen, daß das nicht haltbar ist.

Und damit sind wir wieder bei unserer Lage als Menschen heute. Die größte Gefahr für den Glauben und die Kirche sind nicht Zweifel und Anfechtung. Die größte Gefahr für Kirche und Glauben ist nicht, daß einige von uns nicht die fleißigen Kirchgänger sind, die wir sein sollten. Die größte Gefahr für die Kirche und den Glauben ist auch nicht, daß sich einige anderen Religionen zuwenden, denn so ist es ja immer schon gewesen.

Nein, die größte Gefahr für den Glauben und die Kirche ist die kalte und zynische Gleichgültigkeit. Ich glaube, wir können mit Sicherheit sagen: Wenn du angefochten bist, wenn die Worte von der Lästerung des Heiligen Geistes dich treffen als ein Stoß in deinem Herzen, dann begehst du diese Lästerung nicht. Der, der den Heiligen Geist lästert, der, dem diese Worte gelten, ist keine Sekunde angefochten, fühlt keine Angst, daß die harten Worte Jesu ihn treffen könnten. Er bzw. sie ist ganz und gar unberührt. Denn darin liegt eben die Lästerung.

Gott läßt uns nicht im Stich. Auf ihn können wir vertrauen. Er läßt uns auch nicht im Stich, wenn wir vor den Rätseln und dem Unverständlichen in seinen Worten stehen. Wir sollen - auch und besonders, wenn wir von der Lästerung wider den Heiligen Geist hören, das Vertrauen zu Gott bewahren. Er will uns nur Gutes. Er will uns in unserem Taufbund festhalten. Christus ist für uns alle gestorben und auferstanden. Wir können unser Leben in seine starke Hand legen. Dann hilft er uns, es zu tragen. Auch an den dunklen Tagen, an denen wir seine Gegenwart nicht spüren oder merken. Amen.

Bischof Karsten Nissen
Domkirkestræde 1
DK-8800 Viborg
Tel.: ++ 45 - 86 62 09 11
E-mail: kn@km.dk

 


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