Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 22. August 2004
Predigt über
Epheser 2, 1-10, verfaßt von Jochen Cornelius-Bundschuh
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Epheser 2,1-10
1 Auch ihr wart tot durch eure Übertretungen und Sünden,
2 in denen ihr früher gelebt habt nach der Art dieser Welt, unter dem Mächtigen, der in der Luft herrscht, nämlich dem Geist, der zu dieser Zeit am Werk ist in den Kindern des Ungehorsams.
3 Unter ihnen haben auch wir alle einst unser Leben geführt in den Begierden unsres Fleisches und taten den Willen des Fleisches und der Sinne und waren Kinder des Zorns von Natur wie auch die andern.
4 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat,
5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht - aus Gnade seid ihr selig geworden -;
6 und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus,
7 damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.
8 Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es,
9 nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.
10 Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

Liebe Gemeinde,

Tod oder Leben! Es gibt keine Alternative! Entweder du gehörst zur Todeswelt. Dann herrscht sie über dich und dein Leben, sie bestimmt dein Handeln, dein Fühlen und dein Denken. Oder du bist lebendig mit Christus und lebst, als wärst du schon mit ihm im Himmel. Tod oder Leben! Es gibt keine Alternative.
Aber es gibt einen Übergang und einen, der uns hinüberhilft vom Tod ins Leben.

I

Besserwisserisch und mit erhobenem Zeigefinger beginnt die Predigt mit einer Bußrede: Ihr wart doch wie tot! Was habt ihr nicht alles getan! Ich schlage die Zeitung auf und sehe die Bilder, die den Jogurth anpreisen und das Mineralwasser. Nackte Körper machen Werbung, werden ausgenutzt als Blickfang. Der Mensch als Mittel zum Zweck. Was dient unter euch eigentlich nicht dem Geld? Für den Geist des Kapitalismus tut ihr doch alles: Lasst die Fremden nicht in euer Land. Nehmt denen weg, die sowieso schon wenig haben.
Oder woran habt ihr sonst euer Herz gehängt? Vielleicht noch an eure Gesundheit! Ja, dafür seid ihr bereit, jegliche Grenze zu überschreiten: wenn uns das am Leben erhält, warum sollen wir dann nicht einen zweiten Menschen haben wie wir, einen Klon als Ersatzteillager?

Doch die Bußpredigt bleibt dem Prediger schon nach wenigen Sätzen im Halse stecken. Wenn ich mit einem Finger auf die anderen zeige, zeigen drei Finger auf mich zurück! Nicht nur die anderen sind Kinder des Ungehorsams. Eigentlich gilt das, was ich den anderen vorwerfe, auch für uns, für mich. Wir haben gelebt inmitten der Kinder des Ungehorsams; wir haben gelebt wie sie. Da war kein Unterschied! Wir haben mit gekämpft: um Anerkennung, um Macht, um Geld. Wer uns in den Weg kamt, den haben wir zur Seite gestoßen, wenn wir konnten. Und wenn er oder sie stärker war, haben wir uns unterworfen. Wir haben dieses Spiel genauso gut beherrscht wie alle anderen auch: danach zu schauen, dass wir zu unserem Recht kommen, dass es uns gut geht, auch wenn es auf Kosten anderer geht!

Aus der Bußpredigt wird ein Schuldbekenntnis. Wir auch, ja wir haben auch unter diesem Geist gelebt, der zu dieser Zeit am Werk ist.

II

Haben wir darunter gelitten? Haben wir eigentlich gemerkt, dass wir dabei so gut wie tot waren? Wohl nicht! Erst nachdem Gott uns durch Christus zum neuen Leben erweckt hat, wissen wir, wie es vorher um uns stand. Erst nachdem das Leben neu geworden ist, zeigt sich das wahre Gesicht des Alten. Erst dann wird deutlich, wie tot, wie sinnlos das frühere Leben war. Erst wer verliebt ist, ahnt, was ihm vorher gefehlt hat. Nur wer die himmlische Seligkeit schon einmal erfahren hat, weiß wie wenig das wert ist, worum er vorher gekämpft hat.

Mit was kann man so einen Wechsel: von alt nach neu, vom Tod ins Leben in unserem Alltag vergleichen? Wo erfahren Menschen heute solche radikalen Wechsel, von der Totenklage zum Hochzeitstanz? Vielleicht am ehesten mit Erfahrungen in der Liebe: einer oder eine fühlt sich wie neu geboren, weil er oder sie den Menschen entdeckt hat, der für ihn oder sie alles neu macht. Schluss mit dem Gefühl, ich bin allein, ich bin eigentlich für niemanden wirklich wichtig. Schluss mit den immer gleichen Konflikten; das ganze Leben bekommt einen neuen Glanz. Zufriedenheit stellt sich ein und Lebensfreude. Natürlich: wir kennen auch die kritischen Rückfragen, die Grenzen solch eines Schrittes. Die Gefahr, dass wir die Liebe überfordern, zu viel verlangen voneinander, statt von Gott: Wie lange geht das dann gut?

Im religiösen Leben wird für manche der Gottesdienst zum Ort der Begegnung mit dem himmlischen Christus. Das Ehepaar war mit Freunden in eine Kommunität gereist und hatten dort die Osternacht mitgefeiert. Sie erzählen, dass sie dort die himmlische Seligkeit gespürt haben. Die neue Gemeinschaft im Geist Christi, die fremde Menschen nahebrachte, die eigentlich fern waren. Wo die anderen nicht mehr Gegner, Konkurrentinnen und Konkurrenten sind, sondern Geschwister, Freundinnen und Freunde sind. Sie erzählen vom Glanz der Osterkerzen, vom „Geruch des Lebens“ (M. Josuttis), vom herrlichen Geschmack von Brot und Wein: Seht und schmeckt wie freundlich der Herr ist! Sie staunen über die Freude aneinander und am Leben mit Gott.

Sie staunen über sich selbst und sie verstehen die kritischen Rückfragen, sie haben sie ja noch vor kurzem selber gestellt:
„Das ist doch nicht evangelisch, das ist doch ein orthodoxes Gottesdienstverständnis!“ „Wahrscheinlich, aber hat nicht Luther gewollt, dass der Gottesdienst uns frei macht, dass er uns den Blick in den Himmel öffnet, dass wir unter Wort und Sakrament zu neuen Menschen werden?“
„Ist das nicht eine Sonderwelt, in die ihr flüchtet?“ „Ja, vielleicht! Aber dort finden wir Kraft, Lebenskraft.“
„Habt Ihr davon etwas mitnehmen können in euren Alltag?“ „Wir haben es versucht! Und es geht. Wir leben anders, wir haben mehr Zeit! Für uns, für regelmäßige Auszeiten, für Gottesdienste, für Gott. Wir haben auch wieder mehr Freude an ‚normalen Gottesdiensten‘. Und wir wissen, dass es Dinge und Aufgaben gibt, die wichtiger sind als manches, was uns vorher sehr beschäftigt hat.“

III

Aus dem Bericht, über das, was wir im Glauben erfahren, ist ein Dialog geworden. Ihr, wie habt ihr das erlebt, was bedeutet das für euch, welche Folgen hat der Übergang von Tod zum Leben für euch?

Die Predigt des Paulus nimmt diese Gegenüberstellung auf. Sie betont: Ihr seid aus Gnaden gerecht geworden, nicht aus eigener Kraft. Haltet euch das bewusst! Nicht ihr habt euch an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen, das war Gottes Werk. Sein Lob sollen wir singen, nicht unseren Glauben und unsere Frömmigkeit rühmen. Es ist doch ein Geschenkt, dass ihr diese Begegnung hattet. Dass euch der Glanz der Osterlichter umfangen hat, dass ihr gerochen und geschmeckt, gehört und gefühlt habt: Gott ist gegenwärtig! Hier ist schon ein Stück Himmel auf Erden.

Wer diese Erfahrung macht, wird darin wandeln. Wird tun, was Jesus getan hat. In seinen Fußstapfen unterwegs sein. Oft werden sie arg groß sein, kaum auszufüllen. Manchmal werde ich auch lieber abbiegen wollen und eigene Wege gehen. Aber wer einmal mit Christus auferweckt worden ist, wer einmal den Himmel offen sah und den überschwänglichen Reichtum der Gnade Gottes erlebt hat, den lässt der Glaube nicht mehr los.

Es gibt einen Übergang und einen, der uns hinüberhilft vom Tod ins Leben. „Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat uns, die wir tot waren, mit Christus lebendig gemacht.“
Amen.

Direktor Priv.-Doz. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh
Evangelisches Predigerseminar
der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck
Gesundbrunnen 10
34369 Hofgeismar
05671-881271
e-mail: cornelius-bundschuh@ekkw.de


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