Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 1. August 2004
Predigt über
Epheser 5, 8b-14, verfaßt von Hans-Hermann Jantzen
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(8b) Lebt als Kinder des Lichts; (9) die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. (10) Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist, (11) und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. (12) Denn was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden ist schändlich. (13) Das alles aber wird offenbar, wenn’s vom Licht aufgedeckt wird; (14) denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.

Liebe Gemeinde,

Licht und Finsternis – ein Begriffspaar, wie es gegensätzlicher kaum sein kann. Unversöhnlich steht es sich gegenüber. Wo es hell ist, kann es nicht dunkel sein. Und wo die Finsternis herrscht, ist für das Licht kein Platz. Entweder – oder. Klare Sache.

Licht und Finsternis – eine beliebte Metapher in der Bibel, ein Sprachbild, um den Unterschied zwischen Gemeinde und Welt, zwischen Glaube und Unglaube, zwischen Gottesnähe und Gottesferne deutlich zu machen. „Ihr seid Kinder des Lichts; mit der Finsternis habt ihr nichts zu schaffen.“ Klare Sache.

Klare Sache? Ich muss gestehen: ich habe ein ungutes Gefühl dabei. Mit Schwarz-Weiß-Malerei werden wir dem Leben nicht gerecht, auch nicht, wenn sie mit der Bibel in der Hand daher kommt. Wenn die einen ganz genau wissen, dass sie den rechten Glauben haben und die andern auf dem Holzweg sind, dann werde ich skeptisch. Wenn immer nur die andern die Dunkelmänner sind, während sich die einen im Licht moralischer Überlegenheit sonnen, dann stimmt etwas nicht für mich. Schließlich weiß ich doch von mir selber, wie zwielichtig mein Leben manchmal ist. Selbst wenn ich mit gutem Willen etwas anfange, kommt am Ende nicht nur Gutes dabei heraus. Allzu oft enttäusche ich Menschen, kränke sie oder tue ihnen Unrecht, auch wenn ich es nicht will. Nein, so einfach ist das nicht mit Licht und Finsternis, mit gut und böse, mit Glauben und Unglauben.

Ich merke das immer besonders dann, wenn ich in Konflikten vermitteln muss. Dann weiß ich manchmal nicht, wer denn nun recht hat. Oft ist es ein Knäuel von Missverständnissen und Vorurteilen, von Unterstellungen und gegenseitigen Kränkungen. Beide Seiten haben kräftig daran mitgestrickt. Ich kann dieses Knäuel nicht entwirren. Wie soll ich zwischen Licht und Finsternis unterscheiden?

Liebe Gemeinde, lässt der Predigttext Raum für solche Überlegungen? „Lebt als Kinder des Lichts! Habt keine Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis!“ Ist da überhaupt Platz für Zwischentöne? Darf ich da noch differenzieren in der Beurteilung menschlichen Verhaltens? Oder muss ich mich entscheiden: entweder-oder? Gut oder böse? Licht oder Finsternis?

Der genaue Blick in den Text zeigt mir, dass unsere Zuweisungen gar nicht gefragt sind. Nicht wir teilen ein, wer im Licht und wer in der Finsternis lebt, sondern Gott rückt uns ins rechte Licht. Und von da aus ergibt sich alles andere.

Der Schlüssel zu dieser Erkenntnis liegt im letzten Satz: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten!“ (V. 14) Die Neutestamentler haben herausgefunden, dass es sich dabei um einen Weckruf aus der Taufliturgie handelt, der über den (erwachsenen) Täuflingen nach dem Untertauchen ausgerufen wurde. „Gott hat dir in Christus neues Leben geschenkt – nun wach auf, werde lebendig! Gott hat dich aus der Finsternis in das Licht seiner Liebe gestellt – nun lebe auch als ein Kind des Lichts!“

Wer ins Licht gerückt wird, fängt selber an zu leuchten. Er strahlt aus, was er empfangen hat. Unsere Leuchtkraft als Kinder des Lichts ist also abgeleitet. Sie gilt „im Herrn“: „Früher wart ihr Finsternis, nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.“ (V. 8a) Das knüpft unmittelbar an das Evangelium dieses Sonntags an, wo Jesus zu seinen Jüngern sagt: „Ihr seid das Licht der Welt!“ Zwischen dem „Ihr seid das Licht der Welt.“ und dem „Nun lebt als Kinder des Lichts!“ liegt die Taufe. Mit der Taufe fällt das Licht des auferstandenen Christus auf uns, der von sich gesagt hat: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Und darum gilt uns auch seine Zusage: „Ihr seid das Licht der Welt!“ Darum, und allein darum, können wir als Kinder des Lichts leben. Nicht durch peinlich genaue Beachtung der Tora werden wir „Söhne (und Töchter) des Lichts“, wie es zur Zeit Jesu die Qumran-Sekte lehrte, sondern durch Christus sind wir Kinder des Lichts!

Von dieser grundsätzlichen Klarstellung erschließen sich die übrigen Aussagen des Predigtabschnitts. Das Gegenüber von Licht und Finsternis gewinnt eine starke versöhnliche Dynamik. Wenn wir als Kinder des Lichts die Werke der Finsternis aufdecken, dann nicht, indem wir mit dem Finger darauf zeigen und uns dann überheblich abwenden in dem Bewusstsein, selber auf der richtigen Seite zu stehen. „Das Licht scheint in der Finsternis,“ sagt das Evangelium von Jesus. Und so sollen auch wir als Kinder des Lichts unser Licht leuchten lassen. Wir überwinden das Dunkle und Böse nicht, indem wir uns darüber erheben, sondern nur, indem wir das Gute aufleuchten lassen, das uns anvertraut ist.

Das ist kein fauler Kompromiss. Licht bleibt Licht und Finsternis bleibt Finsternis. Aber als Menschen, die von der Liebe Jesu erleuchtet sind, gehen wir liebevoll-eindeutig und nicht besserwisserisch auf die Welt und die Menschen zu.

Das ist eine wichtige Erkenntnis für unser Selbstverständnis als Christen in der Welt. Nicht Rückzug aus der Welt ist angesagt; nicht die Welt mit ihrer Dunkelheit sich selbst überlassen. Wir werden in der Welt gebraucht, damit die verwandelnde Kraft des Lichts auch in die dunkelsten Ecken kommt.

Wie kann das gehen? „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“ „Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ Das Bild von den Früchten ist nicht zufällig gewählt: im Licht der Liebe Gottes kann Gutes bei uns heran wachsen. Die Finsternis bringt bezeichnenderweise keine Früchte hervor, nur unfruchtbare Werke. Davon kann man nicht leben. Bei uns aber wächst etwas, wenn vielleicht auch manchmal ein bisschen mickrig, mit Flecken oder Faulstellen, aber es wächst. Wir bringen die Früchte nicht aus eigener Kraft hervor, aber wir können mithelfen, dass sie gedeihen; dass sie für andere einladend und verlockend aussehen. „Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten!“ heißt es im Evangelium. Tut Gutes und redet darüber! Nicht um selber im richtigen Licht zu stehen, sondern „dass sie preisen euern Vater im Himmel“. -

„Ihr seid das Licht der Welt – nun lebt als die Kinder des Lichts!“ Wie steht es um uns als christliche Gemeinde? Hier in Lüne; in der Landeskirche; in der evangelischen Kirche in Deutschland? Merkt man uns etwas davon an? Oder schlafen wir noch, stellen wir uns manchmal lieber tot, als uns aufwecken und ins Licht holen zu lassen?

Manche Kritiker werfen uns vor, es sei nicht weit her mit unserer Leuchtkraft. Alles grau in grau. Keine klaren Aussagen über „Licht“ und „Finsternis“; keine eindeutige Stellungnahme, was gut und was böse ist. Die einen zeigen voller Schadenfreude auf uns: „Seht mal, bei den Christen geht es auch nicht anders zu als überall sonst in der Welt! Sie streiten sich – und da ist dann von Güte nicht viel zu spüren; sie kriegen das in ihren eigenen Reihen mit der Gerechtigkeit nicht hin; manchmal nehmen sie es sogar mit der Wahrheit nicht so genau. Warum also sollte das Evangelium für uns attraktiv sein?“ Andere reagieren total enttäuscht und wenden sich von der Kirche ab. Sie glauben, dass sie in kleinen entschiedenen Zirkeln klarer leuchten können. Die große Volkskirche mit ihren vielen mühsamen Kompromissen, mit ihrem mancherlei Versagen, gehört für sie ins Reich der Finsternis.

Liebe Gemeinde, ermutigt durch unsern Predigtabschnitt, bleibe ich bei meiner Kirche, bei diesem merkwürdigen Haufen. „Simul iustus et peccator“, zugleich Gerechtfertigter und Sünder, hat Martin Luther gesagt. So ist es. Die Kirche wird immer eine sehr durchwachsene, gemischte Gesellschaft sein. Aber dieser Kirche als der Gemeinschaft der Getauften gilt die Zusage: „Ihr seid Licht im Herrn!“ Ich liebe diese Kirche mit ihren großen Leuchten und ihren kleinen Tranfunzeln; mit ihren beeindruckenden Früchten des Lichts und all den Früchtchen, den schrumpeligen und unansehnlichen, die man manchmal kaum anbieten mag.

Wenn ich unsere Kirche mit diesem Blick der Liebe betrachte, dann entdecke ich viele Kinder des Lichts und viele gute Früchte im Leben der Gemeinden: die Mütter, die Woche für Woche die Kinder zum Kindergottesdienst um sich scharen; der Sozialarbeiter, der für seinen Klienten ein gutes Wort bei der Behörde einlegt; Kirchenvorsteher, die auch in Konflikten zu ihrer Kirche halten; Gemeinden, die trotz zunehmenden Sparzwangs ein deutliches evangelisches Profil zeigen; Prädikanten und Prädikantinnen, die mit großem persönlichen Einsatz die gottesdienstliche Versorgung in ausgedünnten ländlichen Regionen sicher stellen; kirchenpädagogisch geschulte Gemeindeglieder, die anderen Menschen über den Kirchenraum einen neuen Zugang zur frohen Botschaft des Evangeliums ermöglichen; Denkschriften, die in den brennenden ethischen Fragen unserer Zeit Stellung beziehen... Alles viel zu wenig? Tausend Gegenbeispiele? Mag sein. Aber so fängt es an, wenn wir zwielichtigen Gestalten das Licht der Liebe Gottes vor den Leuten leuchten lassen. Und das wirkt ansteckend! Wer sonst, wenn nicht wir als getaufte und von Gott geliebte Menschen, können dieses Licht weitertragen?

„Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ Es gibt sie, diese Früchte, und ich möchte sie mir nicht klein reden lassen. Ich möchte selber dazu beitragen, dass sie unter uns und bei mir wachsen können – damit auch andere auf den Geschmack kommen. Ich möchte mithelfen, dass sich das Licht der Liebe ausbreitet und die Dunkelheiten dieser Welt immer mehr überwindet, damit auch andere sich anstecken lassen. Ich weiß um die Zwielichtigkeit unserer Kirche und meines eigenen Lebens. Aber ich weiß auch um das verwandelnde Licht dessen, der uns mit der Taufe in sein Licht gerückt hat und der uns immer von neuem ruft und weckt: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“ Amen.

Landessuperintendent Hans-Hermann Jantzen
Lüneburg
Hans-Hermann.Jantzen@evlka.de

 


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