Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 25. Juli 2004
Predigt über Apostelgeschichte 2, 41a.42-47, verfaßt von Tom Kleffmann
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„Es war zu der Zeit, da Gott der Herr Erde und Himmel machte. ... Und Gott der Herr pflanze einen Garten in Eden gen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte... setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn bebaute und bewahrte“. Und der Mensch lebte im göttlichen Sinn. Die Luft, die er atmete, das Gras, auf dem er ging, die Bäume, das Sonnenlicht, es war göttlicher Sinn. Und Gott wandelte im Garten, als der Tag kühl geworden war, und der Mensch hatte sein Wort. Der Mensch wußte um Gott und spiegelte sich in seiner Liebe.

Und auch einander waren die Menschen sich göttlicher Sinn – in der Gemeinschaft ihres Lebens, in ihrer Achtung und Fürsorge, im Lachen ihrer Kinder und im Glück der Alten, in der Treue und Leidenschaft ihrer Liebe, in ihren Liedern und in ihrer Hingabe im Namen Gottes. Ihre Gemeinschaft war ein lebendiger Kreis, und sein Geist war heilig. Es gab noch kein Grauen des Todes, denn Gott hielt ihr Leben und war ihre Zukunft. - - Das Paradies.

Aber der Mensch hielt den Augenblick der Nichtigkeit nicht aus, der ihn erwachsen macht und ihn vor Gott stellt. Den Augenblick, in dem er weiß, daß er ganz und gar auf Gott angewiesen ist, daß er für sich allein nichts ist. Den Augenblick, der ihn Gott fürchten ließ. Den Augenblick, in dem ihm Gott fremd ist.

Und er wollte selbst wie Gott sein. Wollte in eigenem Namen herrschen – über die Erde, über sein Leben. Und er fiel aus dem Sinn. Und er fiel auf sich selbst, stürzte, stürzte, und wollte es nicht wahrhaben.

Und Gott „trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.“ Und Himmel und Erde und Pflanzen und Tiere wurden dem Menschen fremd – und er begann, sie zu mißbrauchen und machte sie zum Rohstoff seiner eigenen Welt, in der er selber der Gott war.

Und ein Mensch wollte reicher sein als der Andere, und schöner und mächtiger. Und ein Mensch wollte Herr sein über den Anderen, und der andere Mensch sollte dem eigenen Glück dienen. Und ein Mensch verachtete den Anderen. Und die Jungen vergaßen die Alten und Sterbenden. Und Kain erschlug Abel. Und Haß wurde entfesselt, sinnloser Streit, Kriege um Nichts, Jahr um Jahr, Jahrhundert um Jahrhundert.

Das ist unsere Welt. Und ihre Kehrseite, wenn die Wahrheit des Lebens aus dem Hinterhalt springt: die Angst. Das Zittern. Die Verlorenheit. Die Resignation. Die Verbitterung. Das sinnlose Sterben.

Das ist die Welt, die Erlösung braucht. Ist im Geheimen die Sehnsucht nicht sehr groß? Daß Gott nahe ist? Daß Himmel und Erde uns etwas vom Sinn des Lebens sagen? Daß die Einsamkeit endet und das Leben wahr wird? Aber auch der Trotz ist groß. Die Mutlosigkeit. Die Angst, sich zu verlieren. Die Gewohnheit, sich selbst zu belügen.

In diese Welt kam Christus.

Ein Mensch – atmete, aß, trank, sah den Himmel wie wir. Redete vom Reich Gottes: daß es kommt, seine neue Gerechtigkeit, seine neue Liebe. Daß Gott dir näher ist als du dir selbst. Daß du umkehren kannst, ein neues Leben beginnen. Und wie er redete, eröffnete er ihnen dieses Reich Gottes. Und heilte Menschen. Und segnete die Erde. Und aß mit den Verachteten. Und vergab den Sündern - im Namen Gottes des Vaters. Und berief Menschen zu einem neuen Leben. Und lehrte die Liebe aus Gott.

Und war sie selbst.

Und als er starb, war in diesem Tod alles Leiden, alle Einsamkeit, alle Verzweiflung, aller Hunger und Durst, alle Ohnmacht des Menschen, aller Zweifel und alles Sterben versammelt.

Und Gott offenbarte sein Leben an ihm – das ist unser Glauben. Die Morgenröte des göttlichen Sinns war wieder in die Welt gekommen. Es war endgültig. Und es entstand eine neue Gemeinschaft des Lebens.

[Lesung Apg.2,41a.42-47)] So steht es in der Apg. im 2.Kap. - -

„Sie waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam“. „Verkauften die Güter und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte.“ „Brachen das Brot hier und da in den Häusern.“

Das Paradies! Die Liebe Gottes ist lebendige Kraft. Die Sorge um das Eigene ist verflogen. Die Menschen sind befreit. Die Güter, Häuser trennen die Menschen nicht mehr. Sie geben denen, die es brauchen – nicht aus Zwang oder schlechtem Gewissen, sondern frei, aus Freude, aus der Tiefe des Lebens. Keiner nutzt den Anderen aus. Und keiner ist allein, wenn er stirbt. Und sie essen gemeinsam. Sie sind gesammelt um eine Mitte. Sie sind Gemeinschaft im Gottesdienst. Sie haben die Lehre. Sie sind erlöst.

Ist das unsere Kirche? Ist die Kirche jemals so gewesen? So anders, so rein, so paradiesisch? Ist das nicht wieder nur ein Bild, eine Sehnsucht? Quält uns nicht eine Last von 2000 Jahren Kirchengeschichte – voll von Aberglauben und Gewalt, Verblendung und klerikaler Bereicherung, voll von Amtsmuff und Kleinmut? Wie die Apostelgeschichte die erste Gemeinde beschreibt – ist das die Kirche?

Ja, das ist unsere Kirche! Es entspricht sicher nicht der Kartei im Kirchenkreisamt. Und wer einfach nur die Summe dessen zieht, wo das Etikett „Kirchengemeinde“ daraufsteht, sieht diese Kirche nicht.

Und doch ist das, was die Apostelgeschichte schreibt, die Mitte unseres Lebens. Sie ist vielleicht verborgen, auch verstreut, zehnfach überlagert, manchmal auch verstört – aber sie lebt.

Sicher könnte man unsere Gemeinde auch so beschreiben, daß sie gerade eher das Gegenteil zu sein scheint: Wo findet sich denn diese Gemeinschaft, fragen sie. Immerhin, jetzt, hier, im Gottesdienst. Aber was ist nachher? Was ist mit den Kranken, mit den Sterbenden – werden sie besucht? Gibt es nicht viele einsame Gestalten um unseren Mauern? Überforderte Familien, und jeder kämpft für sich? Was ist mit den Jugendlichen im Maschmühlenweg – bekommen sie, was sie nötig haben?

Und ist das, was wir glauben, nicht ganz diffus geworden? Wo ist die klare, verständliche, frei überzeugende, mitten ins Herz treffende Lehre?

Alles irgendwie wahr. Und doch sage ich: Wie die Apostelgeschichte die erste Gemeinde beschreibt – das ist unsere Kirche, und sie lebt. Aber wir sind Menschen mitten in dieser alten Welt. Wir verstehen doch nicht einmal uns selbst wirklich. Wir sind angefochten. Wir sind nicht einfach mit einem Schlag erlöst und auf die andere Seite gewechselt. Wir zweifeln. Wir ringen mit dem Schatten. Wir rufen zu Gott. Verfangen uns immer wieder. Verlieren uns. Verirren uns in den alten Schichten der Angst. Brauchen immer wieder den Anfang Gottes.

Aber es ist auch nicht so, daß die Gemeinde nicht zu sehen wäre. Gut, es gibt nicht jeden Tag die große, einfache, mitreißende Begeisterung, Glockengeläut und „Eine feste Burg“. Aber es gibt Schritte. Es gibt Wege. Wir feiern Gottesdienst. Es wird getauft. Es wird das Brot gebrochen. Es gibt nicht Wenige in unserer Gemeinde, die viel Geld spenden, nicht für die Eitelkeit, sondern weils Not tut, weil sie frei sind. Es gibt Menschen in unserer Gemeinde, die Alte besuchen. Es gibt den Mittagstisch. Es gibt die Schularbeitenhilfe. Es gibt den Chor. Es gibt den Kindergarten. Es gibt Menschen, die tagtäglich anderen die Kirche öffnen.

Das gibt es. Aber ich glaube, wir müssen auch öfters sagen, aus welchem Geist das lebt. Wie das zusammengehört. Und was noch fehlt. Und was in Gefahr ist.

Sicher ist es auch erst ein Bild, eine Sehnsucht, was die Apostelgeschichte von der Gemeinde schreibt – diese Gemeinschaft im göttlichen Sinn. Wir brauchen dieses Bild, weil es das Ziel beschreibt, den Geist. Aber es ist auch schon unsere Wahrheit: im Kern, in Augenblicken. Salz der Erde.

Entscheidend ist, daß wir weiter bereit sind zu hören. Und rufen zu Gott. Und nachdenken über die Lehre. Entscheidend ist, daß du weißt, daß du frei dazu bist, weil Gott bei dir ist: die Dinge zu teilen, beieinander zu sein, Alte zu pflegen, und das Brot hier und da in den Häusern zu brechen.

Der Friede Gottes, der höher ist als aller Verstand, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Erläuterungen:

Die Predigt ist für eine Göttinger Innenstadtgemeinde mit vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern gedacht.

Der „Maschmühlenweg“ ist ein zum Gemeindegebiet gehöriger sog. sozialer Brennpunkt.

Mittagstisch und Schularbeitenhilfe gehören zum sozialen Engagement der Gemeinde.

PD Dr. Tom Kleffmann
Göttingen
tom.kleffmann@theologie.uni-goettingen.de


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